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Robin
Guest
P.S. Wahrscheinlich habe ich Adorno unrecht getan, weil die Verbindung von Obszönität und Entfremdung gar nicht direkt von ihm stammt (sondern hier nur konsturiert wurde)? Aber ich weiß es nicht.
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@ Lillith
Du machst doch selbst Kunst, wie ich hier im Forum sehe. Welche sprachliche-stilistischen Mittel, auch inhaltliche, wenn es denn sein muss, würdest Du als Mittel sehen, Obszönität im Sprachkunstwerk entstehen zu lassen?
Hast du da eine konkrete Geschichte im Hinterkopf? Kritiker schätze ich im allgemeinen so ein, dass die einerseits ihre ganz persönliche subjektive Meinung zum besten geben und andererseits ihre "Zielgruppe" (Auftraggeber -> Fernsehen, Rundfunk, Presse) bedienen müssen, gleichzeitig sollen sie noch auf ihren RUF achten, den sie sich durch ihren besonderen Blickwinkel, unter dem sie die zu kritisierenden Werke zu betrachten bekannt geworden sind, geschaffen haben. (Sorry, fürchterlicher Schachtelsatz!)Selbst, wenn wir " Eingeweihten" erkennen, dass Kunst an sich nie obszön sein kann, müssen doch ernsthafte Kritiker, die dieses Werturteil an Werke, wie z.B. an die Werke von Elfriede Jelinek, anlegen und die man doch mit Fug und Recht auch als Meinungsbildner bezeichen darf, auch Vorstellungen im Formal-Kriterischen haben, die sie zur Kritik berechtigen.
Ja, so sehe ich das.Sind es nur inhaltliche Kriterien, die ja leicht auf moralische Vorgaben hin zu trimmen sind?
Ist das der Fall, ist meine Frage keine Frage aus dem Bereich der Kunst, sondern aus dem Moralbereich und wäre keiner einhelligen Antwort zuführbar.
Robin schrieb:Gar nicht so einfach, das Wort obszön auf seinen Ursprung zu verfolgen. Über den Umweg des Englischen (obscene) kommt man auf die Ursprungsübersetzung von lat. obscenus "unheilvoll". Das hat was mit Vorhersehen zu tun, man sieht etwas kommen, das kein Heil verspricht. Und dieses Sehen von Etwas, das nicht gesehen werden darf, steckt auch in obszön. Man bekommt etas zu Gesicht, was eigentlich Tabu ist, aber nicht weil es schlecht ist, sondern weil es Unheil verspricht. Deswegen können auch nicht-sexuelle Dinge obszön sein, das Zeigen von Leichenbergen etwa. Das Obszöne ist der Vorgang des Aufdeckens. Daher könnte man schließen, dass obszöne Kunst nichts Schlechtes entwirft oder erfindet, sondern nur etwas aufdeckt, was nicht gesehen werden Ein Blick zwischen gespreizte Beine erfindet das nicht neu, was zwischen den Beinen ist." ZITATUNTERBRECHUNG
Gut, Robin, bis jetzt muss ich ja dankbar sein, dass Du so weit in die Wortethymologie reingegangen bist. Sie erhellt m.M.nach wirklich einen Aspekt, den wir hier bisher übersehen haben.
Kleine Nebenbemerkung: selbst wenn wir konzedieren, dass " irgendetwas" von der ursprünlichen Bedeutung eines Begriffes in diesem überbleibt,was ich so nicht überprüfen kann, da ich, auch Jacques und Lillith , von der im Alltag vorherrschenden Begriffsfüllung - Schamlosigkeit - ausgingen, würden Deine Erklärungen ja gerade auf unsere Deutung hinzielen. Das vorhergesehene Unheil - in der Tat nicht nur auf dem Sektor der Sexualität - soll vermeiden werden. Wer Unheil aufdeckt, klagt damit den an, der es verursacht, denke ich. Und das ist im Sinne der materialistischen Geschichtsauffassung immer etwas, was es den Mächtigen schwieriger macht, Macht auszuüben. Macht, die durch Tabus gestützt wird.Und wenn Du an die herrschende Sexualmoral der christlichen Kirchen denkst, ist es offensichtlich, was sie als obszön bezeichnen müssen. Eine sexuell freie Gesellschaft braucht keine Kirche, um von ihren Sünden z.B. g gegen das 6.Gebot oder gegen das Eigentumsgebot freigesprochen zu werden. Und wenn Du dann noch an die Jahrhunderte lange alte Vermischung von Staat und Kirche denkst, scheint mir Jacques und meine Idee, die wir übrigens nur Adorno vermuteten, nicht so abwegig zu sein.
Zitatfortsetzung
Eure Ausflüge in Adorno und Kapitalismuskritik scheinen mir daher übers Ziel hinauszuschießen. Einer Kapitalismuskritik stünde es schlecht an, das Aufdecken von etwas Tabuisierten zu kritisieren - dann übernimmt man selbst schon viel zu sehr die normativ-historische Bedeutung des Begriffs obszön. Schließlich ist er auf alles Mögliche angewandt worden, das in einer Zeit "unheilvoll" galt in anderer aber dann nützlich. Die Degradierung von Körpern zum Sexualobjekt mag obszön erscheinen - aber vermischen sich dort bei Adorno nicht zwei Arten von Unbehagen?
Gaius haben wir es zu verdanken, der darauf hinwies, dass Adorno ein recht zweifelhaftes, vielleicht gar obszönes Sexualleben führte. Vielleicht, wenn man Pornografie also als obszön empfindet, spiegelt sich darin das eigene Unbehagen, dass man durchaus Gefallen darin finden könnte, Körper auf Sexualobjekte zu reduzieren.
Was ich sagen wollte: Man sollte Pornografie natürlich kritisieren, nicht aber mit dem Wort obszön. Denn das Wort obszön verweist auf das eigene Unbehagen, das ausgelöst wird, sei es durch Kunst oder etwas anderes. Und die Gefahr besteht darin, dieses Unbehagen, dieses Unheilvolle, das auf etwas verweist, das man verdrängte, normativ umzudeuten. Und es dadurch zu bändigen, die Schuld auf den Kapitalismus zu schieben, auf die Roheit des MArktes usw.
Und dabei zu übersehen, dass die Roheit wahrlich nicht nur im Markt steckt und in ihm entsteht.
Robin schrieb:Hi, Robin!
Da ich nicht beim Zitieren teilen kann, zitiere ich Dich jetzt zur Gänze und paraphrasiere. OK? Ich muss mich doch noch mal schlau machen, wie das geht, den zu zitierenden Text in die Klammer oben hineinzubringen. Es kann doch nicht sein, dass man alles mit Tastatur abtippen muss.
----Dennoch glaube ich nicht, dass Kunst oder irgendetwas anderes dadurch obszön wird, indem es kommerziell wird. Denn wirtschaftlich verwoben ist einerseits alles Handeln, nicht nur das der Kunst; auf der anderen Seite war Kunst immer abhängig: Wom Wohlwollen der Kirchenoberen, von der Gunst der Fürsten, schließlich von den Gesetzen des Marktes; dennoch gelang es Kunst mehr und mehr, eigene Kriterien zu entwickeln, was a) Kunst sei und b) gute Kunst sei. Das geschah immer auch, obwohl (oder gar weil?) Kunst käuflich war. ----- R.
Das erscheint mir alles sehr nachvollziebar -
ich denke und denke
Könnte es sein, dass Kunst dadurch total enrfremdet wird, wenn sie NUR aus Kommerzzwecken ERZEUGT wird?
Aber diese Bestimmung schließt ja eigentlich nicht aus, so wie Du andeutest - dass nicht auch solche Sachen an sich den strengsten Formakriterien entspricht, die "gute" Kunst ausmachen....?! M.
------Schließlich konnte sich Kunst zur Käuflichkeit an sich bekennen (Pop Art) und selbst dann noch zum "Klassiker" werden (Warhol). Die Kunst selbst hat also Möglichkeiten gefunden, sich der Adorno-Kritik zu entwinden...---- Robin
Und so gesehen, hast Du wieder Recht.
Aber das würde dann bedeuten, worüber wir alle, die hier diskutieren, uns einig sind, dass es das Urteil öbszön über ein Kunstwerk gar nicht gibt. Man kann nur - von jeweiligen Wetlanschauungsstandpunkt - transportierte Inhalte so bewerten.
Und *ggrr* - Du hast es Adornon wieder einmal gegeben. M.
-------Zur Pornografie: Die Pornografie ist da zu kritisieren, wenn etwa Abhängigkeitsverhältnisse von Darstellerinnen ausgenutzt werden, sie gegen ihren Willen gezwungen werden oder sie bewusst aus armen Ländern rekrutiert werden, weil sie dort sonst "keine Chance" haben.
Dort wo aber die Pornografie aus freien Stücken stattfindet, kann sie sich sogar der Kunst annähern: Etwa der Aktionskunst/Performance. Ein Darsteller/Künstler kann dann behaupten, sich extremen Praktiken hinzugeben, um seine Grenzen auszuloten, zum Beispiel Lust durch die Umkehr von Lust zu gewinnen.
In Berlin stieg neulich ein Typ auf einer Verkehrsinsel auf eine Leiter. 6 Stunden am Tag. Sein Handeln befremdet uns zunächst; dann scheint es uns unheilvoll, weil wir uns Entsagung und Schmerzen desjenigen vorstellen; und nicht wenige werden sich durch diese Performance drangsaliert vorkommen und sie als obszön empfinden. Er setzt ein Zeichen des Unheils, was immer er uns damit noch sagen will und was immer er dabei für Gewinn für sich heraus zieht.
Hierfür, wie für die freiwillige "Performance" von Pornografie gibt es keine allgemeine Kriterien (um meiner Meinung nach deine Frage zu beantworten) für Obszönität. man kann nur allgemein die Gesellschaft kritisieren in der so etwas möglich (Porno) oder "nötig" (Kunst) ist.
Für mein ganz persönliches Empfinden, könnte ich auch dezidiert unkommerzielle Kunst als obszön empfinden; sei es der Performer, der mich nervt, seien es egozentrische, eitle und selbst überschätzende Künstler, die den Selbstzweck schlicht übertreiben. Aber auch hier: Keine allgemeinen Kriterien.---- Robin
nun, da sind wir wieder völlig dàccordo. Wobei ich das Berliner "Kunsstückerl" noch nicht kannte.
Besonders schließe ich mich auch Deinen letzten Sätzen an. Wir dürfen uns und unsere aktuelle und stete Befindlicheit nie aus dem Vorgang des Wertens ausschließen. Mir grauste immer vor dem Kommunemaler Otto Mühl, der seine Bildnisse als "Gesamtkunstwerke" verstanden wissen wollte, wobei ihm als "göttliche" Inspirition nicht einmal Kindermissbrauch zu "unobszön" war.
Und am meisten bin ich bei Dir,wenn Du sagst: ( ich forme um): wo es keine Anleitungen gibt, kann das Erstellte nicht gemessen werden.
Schöne Grüße
Aktuellstes Beispiel: Das Berliner "Holocaust-Mahnmal".Robin schrieb:Beziehungsweise, Kunstwerke, die überhaupt als Kunstwerke und gleichzeitg als intrumentalisert diskutabel sind, werden eher selten sein. (Berühmteste Ausnahme: Wahrscheinlich Riefenstahl)
Ein paar weitere Beispiele wären sicher hilfreich. Die Frage ist natürlich, von wem und wofür damals 'Kunst' gemacht wurde; völlig eindeutig ist jedoch, daß avanciert reflektierte Kunst und ihre Vertreter im Nationalsozialismus sämtlich liquidiert wurden, das Arbeitsverbot war noch das mindeste. Ob Skulptur, Roman, Musik oder Film: das einzig Geduldete war das Nazisystem als Ganzes affirmierender, geistfeindlicher Kitsch. Eine kritische, ja auch nur krud subjektivistische Haltung in der Kunst war bei Androhung der Todesstrafe untersagt.Robin schrieb:Mir gefällt (unbesehen seines berechtigten Engagements) Adornos Formulierung nicht, dem "dritten Reich sei ...kein Kunstwerk gelungen." Sie verdeckt nämlich die einfache Tatsache, wer Kunst macht. Und so gibt es sicher eine Menge Kunstwerke, die im dritten Reich entstanden sind, die dann in späterer Zeit als Kunstwerke dikutiert wurden.
Genau das letztere wäre jedoch angebracht! Wir alle wissen, daß Adorno gerne aus der Zuspitzung heraus argumentiert, um etwas sichtbar zu machen, was sonst im Relativismus verschwände: genau daran entzündet sich die Reflexion.Bei Adorno siegt das "es darf nicht sein" über die differenzierte Reflexion. Vielleicht subjektiv verständlich, aber er verdeckt damit die Ambivalenz des Themas.Nun liegt es mir fern und es wäre auch relativ uninteressant, Kunst aus dem dritten Reich auf Wert zu überprüfen, um Adorno eventuell zu widerlegen.