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Gemeinsame Novembergeschichte

AW: Gemeinsame Novembergeschichte

"Ich kannte einst ein Mädchen hier.", sagte Franz. "Das ist schon so furchtbar lange her."
Ernestine schaute ihn lange an. Sie sah ihm in die Augen, als wolle sie durch sie hindurch direkt in seinen Kopf sehen, so intensiv war ihr Blick. Und ernst.
Und dann verwandelte er sich plötzlich.
Franz beobachtete fasziniert die Veränderung, die in ihrem Gesicht vorging.
Erst war da ein Aufblitzen in ihren Augen, dann vertieften sich die kleinen Fältchen darum herum und gleichzeitig verschwand die steile Falte, die sich zwischen ihren Augenbrauen gebildet hatte. Die Augenbrauen wanderten nach oben, die Augen wurden grösser und der Mund wurde erst zu einem erstaunten O, aber nur ganz kurz, dann verzog er sich zu einem breiten Lächeln.
"Franz?", fragte Ernestine nun, nachdem diese Metamorphose ihres Gesichtes abgeschlossen war.
Franz nickte nur stumm.
 
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AW: Gemeinsame Novembergeschichte

Ernestine strahlt. Franz ist ganz still und sieht sie abwartend an.

Da fliegt die Tür auf und zwei dick eingepackte Kinder stürmen herein.
"Oma Hunger!"

Ernestine lacht, fängt die hereinwirbelnden Kinder in ihren Armen auf und erklärt: "Franz, das sind meine Enkelinnen, Susi und Niki."
Die Kinder werfen ein "Hallo" in Franz' Richtung und setzen sofort den Sturm auf Ernestine fort. Sie soll ihnen doch endlich Kakao und Kuchen geben, denn sonst würden sie auf der Stelle umfallen vor Hunger.

Franz lächelt etwas verwirrt. Weiß nicht recht, wie er sich nun verhalten soll.
Doch Ernestine erlöst ihn gleich aus dieser ungewissen Lage.
"Meine Tochter ist bei einer Tagung im Ausland. Solang hüte ich meine beiden Schätzchen. Ich bin froh, dass sie einmal ein paar Tage bei mir sein können, denn ich bin ja viel zu viel allein, seit der Willi gestorben ist."

Franz registriert die vielen Neuigkeiten. Also hat sie doch damals den Willi geheiratet.

Er hängt seinen Gedanken nach und merkt gar nicht, dass die beiden kleinen Mädchen schon ruhig am Tisch sitzen und ihren Kakao trinken. Ernestine steht hinter seinem Sessel und legt ihm ihre Hand sacht auf die Schulter.
"Franz, wenn du magst, dann komm mich jetzt öfter besuchen. Ich kann mir vorstellen, dass wir einiges zu reden finden werden."
Franz seufzt tief.

Da streicht ihm Ernestine kurz und doch sehr zärtlich über den Kopf.
Und in diesem Moment entsteht in seinem Herzen eine neue Hoffnung.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
wieder zu hause versank er in einen wahren farbenrausch.
ein bild ums andere entsteht binnen kürzester zeit. und alle haben etwas ganz besonderes, feines. eine stille freude, ein stilles leuchten und ein stilles geheimnis.

nebenbei liest er alle briefe seiner geliebten nochmals. wieder und immer wieder. und mit jedem mal wird sein herz voller und voller.
er verstand nun alles. voll und ganz. jedes wort und jede zeile. und er spürte die gewissheit, dass im leben nichts vergebens ist.

auch das grab seiner eltern besuchte er.
auch hier wollte er abbitte leisten. so viele schwierigkeiten seines daseins hatte er auf seine eltern und hier vor allem seine mutter abgewälzt.
ihre etwas kindliche art hatte er auf alle frauen projiziert und damit gerechtfertigt, dass er sich nie mehr mit so einer etwas anfangen muss. er merkte nun, dass er selbst es war, der kindisch gewesen ist. er wollte aus den kinderschuhen nicht raus, wollte nicht in ein reifes, verantwortungsvolles leben gehen. und so hatte er sein leben zwar gelebt - aber wie?
kann man das wirklich LEBEN nennen, wenn es nur auf sparflamme geführt wird?

nun läutete das telefon. es war ernestine.
 
AW: Gemeinsame Novembergeschichte

Als er ihre Stimme hörte, stürzte er aus den schönen Träumen, die er mit ihr schon gesponnen hatte, heftig in die brutale Wirklichkeit.

"Meine Tochter hatte einen Unfall. Sie liegt auf der Intensivstation. Ich fahre mit den Kindern in die Stadt und bleibe dort, so lang sie mich brauchen. Wir telefonieren noch!"

Franz krächzte mit belegter Stimme "Alles Gute" ins Telefon, da hatte sie auch schon aufgelegt.

Was geschah nun mit seinen schönen Träumen? Er konnte sich noch so sehr freuen, dass er die Fehler von früher erkannt hatte, aber was nützte ihm das für die Zukunft?

Er wischte sich energisch mit der Hand über die Stirn, als ob er die Grübeleien endlich wegwischen wollte. Jetzt war Handeln angesagt. Nicht hadern, nicht grübeln, nicht ordnen, nicht träumen!

Er packte in eine Reisetasche die notwendigsten Sachen für ein paar Tage und buchte telefonisch ein Zimmer in einem Hotel, nicht weit entfernt von dem Krankenhaus, in dem Ernestines Tochter lag.

Er wollte nicht mehr auf irgendetwas warten, er war sich jetzt sicher, was er wollte. Er war bereit und wollte etwas anbieten. Was immer auch Ernestine davon annehmen wollte oder konnte.

Er liebte sie und das wollte er auch leben, nicht bloß fühlen.

Beschwingt und sehr entschlossen stieg er in sein Auto, nachdem er sein Haus gut versorgt und zugesperrt hatte, und fuhr los.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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nur noch der schluss-satz:

Er liebte sie und das wollte er auch leben, nicht bloß fühlen.
Beschwingt und sehr entschlossen stieg er in sein Auto, nachdem er sein Haus gut versorgt und zugesperrt hatte, und fuhr los.


das mäuschen indessen machte sich fröhlich über die nuss-stückchen her, die franz auf dem dachboden ausgestreut hatte.



(ich muss wohl immer das letzte wort haben :D)
 
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