Nach der Wahl ist vor der Wahl
Guten Morgen, Miriam
Du stellst sehr viele interessante Fragen und ich versuchte Jérôme zu überreden, sie dir kompetenter und auch "gepflegter" *loool* zu beantworten. Er meinte aber nur lachend, ich solle ruhig mal, wir redeten ja genügend über Politik zu Hause, ich könne das schon (ha ha ha), er werde es dann mal lesen... Männer! Pfft! *loool*
Ich versuche mich also, es wird wirr, aber du kennst dich ja schon aus in meinen wirren Gedankengängen, gell?
Zuerst noch etwas zurück, zu einem deiner früheren Beiträge:
was soll man noch viele Worte über Sarko verlieren? Jetzt kommt er auch noch mit dem genetischen Determinismus bezüglich Homosexuelle oder Jugendliche die suizidgefährdet sind. Das sind doch die "wunderbaren Töne" aus den alten Ungarn der Zeit der Nylas (faschistische Bewegung in Ungarn in der Nazizeit).
Nicht nur das, Miriam, auch die "Neigung zur Gewalt und Kriminalität ist wahrscheinlich genetisch determiniert"
Genau diese und ähnliche Aussagen werden ihm aber die benötigten Stimmen
der Le Pen-Wähler bringen. Mme Royals "Fähnchen schwingen-Anordnung", verursachte dagegen nur ein ganz laues Lüftchen.
Bové habe ich gestern in einer Sendung gesehen und du wirst es nicht glauben, das hat mich richtig gefreut.
Was freute dich? Dass er im Fernsehen auftreten dürfte? Alle Kandidaten haben/hatten dieselbe Zeit zur Verfügung. Und irgendwie ist er drollig, ja. Nur...wenn man als praktisch einziges Wahlprogramm die Ablehnung genmanipulierter Lebensmittel hat, ist es irgendwie schlecht um einen bestellt, nicht? Ich meine natürlich nicht menschlich, sondern als Kandidat, seine Methoden lehne ich aber ab.
So verscherzte er sich auch die einzige wirklich prominente öff. Unterstützung von Michel Onfray. M. Onfray ist interessant. Praktisch der einzige der Gilde, der noch (bekennend) ganz links steht.
Doch eine Sache verstehe ich nicht: auf was beruht diese konservative Tendenz der ehemals Linken? Ich meine damit eher die Intellektuellen. Dass André Glucksmann, der ehemalige Maoist dies tut, dem traue ich alles zu. Aber wieso Max Gallo, Historiker der doch Regierungssprecher unter Francois Mitterand gewesen ist? Oder Pascal Bruckner der für Sarkozy regelrecht schwärmt. Auch wenn ich die Äusserung von Alain Finkielkraut nicht schätze, der gesagt hat die Sozialisten unter Ségolène befänden sich im Koma: Madame Royal war als Kandidatin die falsche Entscheidung.
Na ja, ganz so unverständlich ist die konservative Tendenz nicht.
Bezeichnend ist, wie wenig Intellektuelle sich zu Wort meldeten bzw.
befragt wurden. BHL führt das darauf zurück, dass "die postmoderne Demokratie der Medien auf Spektakel setzt und Medienhelden, d.h. Stars und Sternchen als Aufhänger vorzieht".
Und so kamen Leute wie Johnny Hallyday (ein Freund von N. Sarkozy) mehrmals zu Wort und auf der anderen Seite z. B. Jeanne Moreau für Mme Royal. Und würde sich Zizou äussern, würde das die Nation mehr bewegen als 100 Intellektuelle. Beängstigend irgendwie, nicht? Es steht zwar scheinbar im Widerspruch dazu, was ich in der Diskussion "Links/rechts" schrieb, aber ich meine damit, dass uns die Medien suggerieren, wie wollten alle und sogar ausschliesslich solche Statements.
BHL ist der Einzige, der schon lange vor der Wahl Zurückhaltung signalisierte, vielleicht auch aus Stolz, viele nennen es Arroganz *loool*, nicht in jedem "Käseblatt" neben einem/-er "Promi" zitiert zu werden (siehe Zitat oben). Er hoffte aber auch (öffentlich) bei den Sozialisten eindeutige antitotalitäre Haltung zu finden. Ich denke, so eindeutig fand er sie nicht, wird jetzt aber trotzdem für Mme Royal stimmen, weil "Sarkozy die rote Grenze/Linie überschritten hat". Damit meint er genau das, was du in dem hier von mir als Erstes zitierten Absatz zu Recht empört schreibst.
Die meisten ehemaligen linken Intellektuellen (ob Kommunisten oder Maoisten) haben sich vom Kommunismus/Sozialismus abgewendet, als sie sahen, was diese angerichtet haben. So formierten sich die enttäuschten 68-er als die "Neuen Philosophen". Und so war's auch möglich, dass sich viele, darunter auch BHL für ein militantes Auftreten des Westens gegen totalitäre Regime und Bedrohungen, Waffengewalt selbst für Menschenrechte... aussprachen und sich somit immer mehr ideologisch nach rechts bewegten, weil sie die Ideale "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" verraten sahen. Max Gallo, Le Pois, Régis Débray wurden zu Linksnationalisten und bald darauf zu Republikanern.
Glucksmann positionierte sich schon 2003 als er ausdrücklich den Angriff auf Irak befürwortete, wie auch Finkielkraut
und Sarkozy. Sarkozy aber nur inoffiziell, um so schlimmer dann, als er später in Washington gegen seinen Präsidenten "antrat" und dort verkündete "Frankreich hätte die Weltmacht Nr. 1 erniedrigt".
Der frühere Maoist Finkielkraut tritt schon eine Weile dafür ein, man dürfe Sarkozy nicht diabolisieren, weil es dem Kommunismus als Argument diene oder auch den Sozialisten und der Mitte, die dadurch den Eindruck erwecken und pflegen können, moralisch höher zu stehen.
Dann ist hier noch Eric Besson, der zurückgetretene wirtschaftliche Berater von Mme Royal, der bei den Sozialisten eindeutig rechts stand und jetzt ebenfalls Sarkozy unterstützt.
Max Gallo ist ein Spezialfall *loool*. Der Revolutionshistoriker war nicht nur Mitterands Regierungssprecher, er war auch sein Intimus. Schau dir aber an, worüber er schreibt und wie er es schreibt.
Napolen, Robespierre, De Gaulle und schlussendlich auch Rosa Luxemburg.
Er hat sie alle heilig geschrieben und verlangt eindeutig nach einem autoritären Staat. (Die Kommunistische Partei wechselte er für die Parti socialiste, dann gründete er den Mouvement des citoyens und nach nur zwei Jahren in dieser Partei zog er sich aus dem aktiven politischen Leben zurück, unterstüzte aber eher die linken Gruppierungen.)
Es gibt aber durchaus Parallelen zwischen seinen "Helden" der Vergangenheit und Sarkozy. Ist es so verrückt zu denken, er hofft hier einen neuen Retter Frankreichs zu sehen? Auch er äusserte sich neuerdings immer öfters zum Kampf der Kulturen, verwies auf Voltaire, Laizismus usw.
Ich tendiere eindeutig dazu, dass Monsieur Gallo in Sarkozy den Jakobiner Robespierre sieht. (Aber Schafott wünsche ich ihm echt nicht *lol*, das musst du mir glauben.)
Bei Pascal Bruckner bin ich mir nicht so sicher. Hast du vielleicht "Ich leide, also bin ich" gelesen? An sich (auch, wenn du dir das vielleicht gar nicht vorstellen kannst) mag ich ihn und auch seine Argumentation der Selbstverantwortung und der Tradition im Sinne von Normen, Bindungen, Selbstkritik usw. Was ich an ihm nicht mag, ist die ausschliessliche Frankreich Bezogenheit. Es geht ihm immer um die tradierten französischen Werte. Die Identität darf nicht über der Nationalität stehen. Er meint damit natürlich vor allem den Fundamentalismus, aber mir gefällt es (so gesagt) trotzdem nicht, wie du dir sicher vorstellen kannst. Bruckner ist zum Neo-Konservativen geworden.
Es gibt ein sehr guter Essay von ihm (leider weiss ich den Titel nicht mehr), in dem er den Multikulturalismus als legale Apartheid und Rassismus des Antirassismus bezeichnet und sogar Javier Solana als Handelsreisenden in Sühne gegenüber den arabischen Staaten tituliert.
Wenn man sich das alles zusammen überlegt, kommt ihm eben Sarkozy doch entgegen, schlussendlich eben auch mit seiner Ausländer-Politik.
Tja, Miriam, es bleibt spannend. Nicht zuletzt auch, weil Monsieur Bayrou keine Wahlempfehlung aussprach, seine linke Tendenz aber absolut klar kommunizierte. Was sich ereignete, als er mit Mme Royal eine Debatte im öff. Fernsehen führen wollte, weisst du ja sicher. Also die Methoden von Sarkozy sind genügend bekannt, er als aalglatte Choleriker ebenfalls (fast bin ich versucht zu sagen, Silvio Berlusconi lässt grüssen *loool* Tschuldigung).
Ob Max Gallo seine Revolution der neuen Form bekommt?
Vielleicht hast du Lust, dir noch "Le vrai Sarkozy" anzusehen. Die Wahl findet eben auch im Internet statt.
http://www.youtube.com/watch?v=dLbLLoqFOOo
Ich kann dir deine Fragen nicht besser beantworten, Miriam, hoffe aber trotzdem, dass dabei für dich etwas Brauchbares war. Ausserdem freut es mich natürlich, dass du mich auch in so schwierigen Fragen wie Politik ernst nimmst. (Und Tschuldigung, ich kann einfach nicht kürzer, dafür kommt jetzt zum "Guten Morgen" auch noch "Bon appétit" *loool*)
Einen schönen Tag sowieso
C.