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Fatale Unruhen in Frankreich!

Salut!

Ich war zwar seit fünf Wochen nicht mehr zu Hause, weiss daher nicht viel mehr als Ihr über die aktuellen Geschehnisse, möchte trotzdem etwas dazu schreiben. Dass bei uns die Integrationspolitik versagt hat, ist jedem klar - nicht erst in den letzten 10 Tagen. Aber die franz. Balnieus kann man trotzdem mit nichts vergleichen. Ich sprach es hier schon mehrmals an.
Es kamen damals aus den aufgelösten Kolonien nicht 2-3 Einwanderer pro Tag ins Land wie in D oder anderswo, sondern Tausende pro Tag. Man musste (vor allem in Paris und den anderen Grossstädten) sehr rasch handeln, so kamen natürlich nur Billigbauten in Frage und so entstanden die Balnieus. Dass sozialer Wohnungsbau auch anders aussehen kann, davon kann man sich gegenwärtig in Elsass überzeugen. Das nur am Rande.

Die Fehler der Integrationspolitik -über mehrere Generationen- gehen auf Kosten aller Parteien, da ist Minister Sarkozy zwar der Auslöser für die gegenwärtigen Ausschreitungen, aber nicht allein schuldig -wer mich kennt, weiss genau, dass ich seit Jahren seinen 'Werdegang' mit Besorgnis und Ablehnung beobachte, seit 2002 erst recht.

Die neueste Polarisierung begann mit der 'affaire du voile', dem Schleier-/Kopftuchverbot. Auch darüber habe ich schon mehrmals geschrieben. Dass Sarkozy Vertreter der Bürgerlichen wie aus dem Bilderbuch sei, sowie dass Baerliners Erfahrung die soziale Einstellung der 'gutsituierten Franzosen' wiederspiegelt, betrachte ich als eine ziemlich üble Verallgemeinerung. Es trifft mich sogar persönlich sehr, hat aber natürlich nicht viel zur Sache.

Das Schöne an der Demokratie ist, dass jeder die Möglichkeit hat -auch durch die Hintertür, d.h. ohne Rücksicht auf Stand etc.., in die Politik einzusteigen.
Das Schlimme an der Demokratie ist, dass jeder... auch ohne Rücksicht auf den Charakter, in die Politik einsteigen kann.
Es war das Volk, das Sarkozy seine Stimme gab, obwohl seine Methoden abzusehen waren. Da muss man sich doch fragen, warum er zum populärsten Politiker des Landes wurde: seine gnadenlose Direktheit, sein einfaches Vokabular, sein Draufgängertum gefielen vielen, dass er das Establishment des eigenen bürgerlichen Lagers kritisierte, begeisterte die Masse (kaum die bürgerliche...). Sein auf eigener Profit ausgerichteter Populismus brachte ihm die Stimmen und liess seine Popularitätskurve stetig steigen. Die 'Bürgerlichen' müssen sich jetzt den sehr groben Vorwurf gefallen lassen, seine Popularität ausgenutzt zu haben, sie hofften, mit ihm an die Spitze zu kommen und gleichzeitig darauf, dass er Fehler macht und dadurch entmachtet wird.
Minister Sarkozy ist -wie paradox- selbst Sohn von Einwanderern und absolut ohne jeglichen Sinn für Loyalität. Lässt keine -selbst die niveauloseste Pointe aus, wenn es darum geht, den Gegner zu diffamieren. Dass er einen heimlichen Krieg gegen Monsieur Chirac führt, ist kein Geheimnis, nicht mal im Ausland konnte er sich seine bissigen Kommentare verkneifen. Dass er gerne 2007 zum Staatschef werden würde, verschwieg er nie, lancierte sich damit selbst.
Monsieur Chirac gab als Wahlversprechen 'Kriminalität zu bekämpfen' ab. Monsieur Sarkozy holte sich mit 'Law & Order' sogar einen beträchtlichen Teil der rechtsextremen Stimmen ab. Zwar verkündete er auch, dass Immigranten alle Chancen erhalten sollen... die Wahl eines einzigen muslimischen Präfekten (Dep. Jura) war aber m.W. seine einzige Initiative.

Sein 'entschiedenes Durchgreifen' auch mit den Polizeikontrollen traf nicht nur verschärft die Bewohner der Balnieus (wie Cohn-Bendit behauptet), es traf uns alle, die Dunkelhäutigen aber natürlich am meisten. Gnadenlos in allen Belangen: im Durchgreifen, im Krieg gegen Monsieur Chirac, gnadenlos bei der Verfolgung eigener Ziele.
Aber ist er schuld an der Eskalation? Sind es die Bürgerlichen allein? Wir alle sind es! Das muss man sich klar machen... auch in Deutschland und anderswo.
 
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Eigentlich hatte ich zum Thema einen eigenen Thread eröffnet, mit dem Titel "Die vergessene Jugend der pariser Vorstädte"

Der reisserische Titel dieses Threads hier hat aber, wie immer, eher die Aufmnerksamkeit erweckt.
Mir ist das Thema zu wichtig, um nicht einige Fakten hier zu wiederholen, überhaupt ermuntert durch den sehr guten Beitrag von Jérôme, der Sarkosy genau so sieht wie ich auch.

Wenn ich hier Einiges aus meinem Beitrag im Thread "Die vergessen Jugend..." übernehme, ist es hauptsächlich wegen des Zitats von Francois Mitterand, welches beweist, wie klar man die Lage spätestens in 1990 - und trotzdem nicht gehandelt wurde. Aber auch die Einstellung Sarkosys soll nochmals klar zum Ausdruck kommen:

Nicolas Sarkozy, Frankreichs Innenminister, reagiert auf die Unruhen in Paris, die sich aber auch auf andere Städte ausbreiten, indem er sagt, er würde "mit dem Kärcher" (also dem Hochdruckreiniger), dem "Gesindel" zu Leibe rücken.

Ist das die Reaktion die es verhindern könnte, dass der Flächenbrand sich weiter ausbreitet? Wohl kaum.

Francois Mitterand sagt im Jahr 1990:

Welche Hoffnungen sollte ein junger Mensch hegen, geboren in einem Wohnviertel ohne Seele, der in einem hässlichen Gebäude wohnt, umgeben von anderen Hässlichkeiten, von grauen Mauern in einer grauen Umgebung, den ein graues Leben erwartet, Mitten in einer Gesellschaft, die es vorzieht ihren Blick abzuwenden und erst eingreift, wenn man böse werden kann oder verbieten?"

Nicolas Sarkosys Reaktion ist politisch und menschlich unmöglich, und die Antwort darauf ist leider die Eskalation der Gewalt, und auch die Dummheit. Denn Opfer der Flammen sind auch ganz zerbrechliche oekonomische Strukturen der Banlieus, - und das gefährdet nun zusätzlich die materielle Basis, dieser armen Bevölkerungsschicht.
 
Miriam, Pardon!, es war nicht der reisserischere Titel des Threads, der mich hier schreiben liess -habe beide Threads gelesen- die (mich) provozierende Bemerkung Baerliners war's, auf die ich unbedingt reagieren musste.

Es gibt mir aber die Gelegenheit, zu korrigieren: banlieue wurde noch nicht Opfer einer Sprachreform, nur meiner Dummheit, die ich höchstens durch die gegenwärtige multi-kulti Sprachverwirrtheit zu entschuldigen versuchen kann -grins.
 
Jérôme schrieb:
Miriam, Pardon!, es war nicht der reisserischere Titel des Threads, der mich hier schreiben liess -habe beide Threads gelesen- die (mich) provozierende Bemerkung Baerliners war's, auf die ich unbedingt reagieren musste.

Was hat Dich an meiner Bemerkung provoziert?
 
Kleine Hilfestellung...

...für die, die nicht so genau lesen.

Dass Sarkozy Vertreter der Bürgerlichen wie aus dem Bilderbuch sei, sowie dass Baerliners Erfahrung die soziale Einstellung der 'gutsituierten Franzosen' wiederspiegelt, betrachte ich als eine ziemlich üble Verallgemeinerung. Es trifft mich sogar persönlich sehr, hat aber natürlich nicht viel zur Sache.

Ist das etwa ergänzungsbedürftig?

Ich wäre auch verletzt, wenn sich Franzosen anmaßten, aus einer EInzelerfahrung auf das Sozialverhalten ganzer Bevölkerungsteile zu schließen...
 
Danke, Robin,

für den Hinweis. Ich habe tatsächlich nicht genau gelesen und deshalb auch nachgefragt.

Meine Feststellung, wie au-pairs in Paris behandelt wurden, ist kein Einzelfall. Andere au-pairs haben dieselben Erfahrungen gemacht. Zufall?
 
baerliner schrieb:
Danke, Robin,

für den Hinweis. Ich habe tatsächlich nicht genau gelesen und deshalb auch nachgefragt.

Meine Feststellung, wie au-pairs in Paris behandelt wurden, ist kein Einzelfall. Andere au-pairs haben dieselben Erfahrungen gemacht. Zufall?

Was soll ich da sagen? Was ich "hörte" ist, dass Au Pairs zu allen Zeiten von allen möglichen Nationalitäten ausgenutzt wurden. Ich kann einen Fall aus den USA belegen, schließe ich daraus auf das Verhalten aller gut situierten Amerikaner? Nein.
 
Robin,

in "La Grande Nation" herrscht ausgehend von der Kolonialherrschaft immer noch ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein, das sich auch in der Behandlung von au-pairs "wie der letzte Dreck" (in unserm und ähnlichen Fällen) äußert und dass
Mitgliedern tieferer Gesellschaftsschichten keine Chance zum Aufstieg bietet.
 
baerliner schrieb:
Robin,

in "La Grande Nation" herrscht ausgehend von der Kolonialherrschaft immer noch ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein, das sich auch in der Behandlung von au-pairs "wie der letzte Dreck" (in unserm und ähnlichen Fällen) äußert und dass
Mitgliedern tieferer Gesellschaftsschichten keine Chance zum Aufstieg bietet.

Lieber Baerliner, das sind die Beiträge, die ich so liebe! Kompetent und on top!
Das was ich etwas vermisse, ist ein Link auf eine entsprechende Seite des I-nets oder deinen eigenen Weblog, die ca. 75% deiner Beiträge zieren :trost: .

Gestern habe ich mich noch tierisch aufgeregt und wurde prompt geschmissen. Heute amüsiert es mich nur noch, obwohl ich mich frage, warum ich es mir eigentlich immer noch antue, hier zu schreiben, notabene für teueres Geld aus Uebersee. Egal.

...Und ich habe gehört, dass es Deutsche gibt, die türkische Putzfrauen schwarz beschäftigen und sie echt mies behandeln. Und dann weiss ich (und das weiss ich wirklich!), dass es sogar Diplomaten verschiedener Länder gibt, die Hauspersonal schwarz beschäftigen, ihnen keinen oder sehr miesen Lohn bezahlen, keine geregelte Arbeitszeit gewähren und auch keine Freizeit... Tja, Sachen gibt es! Gut, gell???

Aber nett bist du trotzdem, dass du uns hier nur demonstrieren wolltest, dass die alten guten Zeiten doch nicht soooooo gut waren. Danke schön. Wie ich darauf komme? Na ja, Beweise habe ich natürlich wieder keine, aber ich denke mir so, nachdem ich jetzt in einem anderen Thread gelesen habe "meine Tochter ist Jg. 67", dass deine Erfahrung mindestens 20 Jahre alt sein muss... Ich will dir auch nicht verheimlichen, dass ich mir sofort die Mühe machte zu suchen, wie du gewählt hast... *looool*.

Ich nehme auch an, hoffe es wenigstens, dass du als verantwortungsvoller Vater sofort reagiert hast, die Agentur, die euch die Familie vermittelt hat, sofort informiert usw. usf. In diesem Zusammenhang verstehe ich nicht, wieso deine Tochter das WE dort aushalten musste, wurde sie auch noch eingesperrt? Wäre ja ein Fall für die Justiz! Leider aber verjährt, nicht wahr?

Tja. Es gibt viele Missstände, in allen Ländern, aber vielleicht sind es gerade die Kinder (d.h. viele Kinder) der hochbürgerlichen Familien, die die schlechten Dinge um uns besonders scharf sehen, aber es ist auch verdammt schwierig der eigenen Familie und Erziehung zu entkommen. Weisste, ich würde manchmal auch liebend gerne brennende Müllkübel schmeissen, ein Hindernis ist, dass ich sie nicht heben mag, aber das grössere ist, dass ich überhaupt nicht weiss, nach wem schmeissen...und dann denke ich, es ist besser, die Augen einfach offen zu halten, und um die eigene (vielleicht nur eingebildete!) Anständigkeit keinen grossen Aufstand zu machen ;).

Um dich aber über "Speedy Sarko", wie wir ihn recht despektierlich (gebe ich zu!) nennen, etwas à jour zu bringen: gerade er besuchte keine der Elitenschulen, und eroberte die "crème" durch eine Hintertür erst in Neuilly-sur-Seine, ungefähr z.Z. als deine Tochter (natürlich nur von mir angenommen) in Paris war, war er zwar schon Mitglied der RPR, engagierte sich aber noch für die Jugend, lustig nicht? Wie du siehst, ist er kein so typischer Vertreter der Bürgerlichen, eher der traurigen Emporkömmlinge, obwohl er aus "gutem Haus" stammt. Die echten bürgerlichen Politiker nämlich, die lieben zwar auch die Macht, sind aber wesentlich kultivierter.
 
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Celiné,

so uninformiert bin ich über Sarkozys Werdegang nicht. :doof:

Und einen Link will ich Dir auch nicht präsentieren, aber einen Auszug aus dem Leitartikel des heutigen Handelsblattes :

"Zur Zeit prallen in Frankreich zwei Welten aufeinander, die sich nur wenig zu sagen haben. Und eine immer noch fest gefügte Klassengesellschaft begegnet jungen Ausländern mit offener Verachtung. Sie werden nicht nur ethnisch diskriminiert, sondern auch räumlich und sozial ausgegrenzt."

Was sind schon 20 Jahre?
 
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