AW: Die Utopie von der Demokratie
Platon über Demokratie, Oligarchie und Tyrannei
Politeia I.
........... Jede Regierung gibt doch die Gesetze mit Rücksicht auf das, was ihr zuträglich ist: die Demokratie demokratische, die Tyrannis tyrannische und die andern ebenso. Wenn sie sie gegeben, so haben sie damit ausgesprochen, dass dies, das ihnen Zuträgliche, für die Regierten gerecht sei, und den, der das übertritt, bestrafen sie als einen Gesetzesübertreter und Frevler. Das also, mein Bester, ist das, was ich meine, dass in allen Staaten das nämliche gerecht ist, nämlich das der bestellenden Regierung Zuträgliche. [339 St.] Diese aber ist in Überlegenheit, so dass richtiges Nachdenken ergibt, wie das Gerechte überall dasselbe ist, nämlich das dem Überlegenen Zuträgliche. ........
http://www.opera-platonis.de/Politeia1.html
Politeia II.
............ Die Demokratie ist es also wohl, die wir hierauf ausgemachterweise zu betrachten haben, erstlich, auf welche Weise sie entsteht, zweitens, welche charakteristische Eigenschaft sie hat, auf dass wir wiederum den Innern moralischen Zustand des ihr entsprechenden Individuums erkennen und dann ihn für das zu fällende Urteil mit hinstellen.
Wir würden, sagte er, wenigstens also unseren eingeschlagenen Weg konsequent verfolgen.
Den Übergang aus der Oligarchie in die Demokratie, sprach ich weiter, bildet nun die Unersättlichkeit dessen, was in jener als höchstes Gut aufgestellt ist: dass man möglichst reich werden müsse?
Wieso denn?
Da, wie ich glaube, die regierenden Häupter in der Oligarchie nur infolge der Größe des erworbenen Besitztums regieren, so beeilen sie sich nicht, alle diejenigen jungen Leute, die sich einem sinnlich ausschweifenden Leben hingeben, durch ein Gesetz in der Freiheit zu beschränken, das Ihrige zu verzehren und zu verschleudern, und die Absicht der Oligarchen hierbei ist keine andere, als dass sie das Vermögen solcher jungen Leute durch Kauf und Wucher an sich bringen, sonach reicher und damit auch vornehmer werden.
Ja, auf alle Weise suchen sie das.
Nicht wahr, das ist also hinsichtlich eines Staates eine bereits ausgemachte Wahrheit, dass er unmöglich Hochachtung vor Reichtum und zugleich vor weiser Selbstbeherrschung unter den Bürgern behalten kann, sondern er muss notwendigerweise entweder das eine oder das andre hintansetzen?
Ja, sattsam ausgemacht, sagte er.
Dadurch, dass die Häupter in den Oligarchien die liederliche Ausschweifung nicht kümmert, ja dass sie ihr noch Vorschub leisten, zwingen sie zuweilen Leute von gar nicht gemeiner Herkunft, arm zu werden.
Jawohl.
Da sitzen nun diese, denke ich, bestachelt und bewaffnet im Staat, einige verschuldet, einige ihrer Staatsbürgerrechte beraubt, einige beides, kochen Hass und Pläne nicht nur gegen die Inhaber ihres durchgebrachten Vermögens, sondern auch gegen die übrige Welt, und lauern auf einen Umsturz.
Es ist so.
Jene geldhungrigen Schacherer aber ducken sich bekanntlich und tun, als bemerkten sie diese Herabgesunkenen gar nicht, schießen jeden nächsten besten der übrigen jungen Herrn, der sich nicht zur Wehr setzt, mit einer Ladung ihres Geldes an, [556 St.] streichen die das Kapital weit übersteigenden Zinsen ein und bringen also eine große Drohnen- und Bettlerzahl in dem Staate hervor.
Ja, sagte er, allerdings muss diese groß werden.
Weder auf die oben erwähnte Weise, fuhr ich fort, wollen sie ja das auflodernde Feuer eines solchen Übels ersticken, nämlich durch Beschränkung der Freiheit, sein Vermögen auf beliebige Zwecke zu verwenden, noch auf folgende Weise, wonach zweitens nach einem anderen Gesetze dergleichen Übelstände sich erledigen.
Nach welchem Gesetze denn?
Welches nach jenem das zweite ist und darin besteht, dass es den Bürgern einen absoluten Zwang auflegt, Tugend üben zu müssen. Denn wenn einmal irgend ein Gesetz verordnete, dass jeder Gläubiger auf seine eigene Gefahr die freiwilligen Borgschuldverträge abschließe, so würden einerseits die Schacherseelen weniger schamlos ihre Geldgeschäfte in dem Staate treiben, andrerseits würde weniger dergleichen Unkraut darin emporwachsen können, von dem eben die Rede war.
Ja, viel weniger, sagte er.
Wie es aber heutzutage hierin steht, fuhr ich fort, so stürzen aus allen den gedachten Ursachen die Regierenden erstlich die Regierten im Staate, wie wir gesehen haben, in das vorhin beschriebene Unheil, sodann, was ihre eigenen Personen und ihre Familien betrifft, verleiten sie nicht vor allem die Söhne zur luxuriösen Liederlichkeit, zur Untätigkeit in bezug auf körperliche und geistige Anstrengungen, zu allzu großer Weichlichkeit, um als Mann in Lust und Schmerz sich zu benehmen, zum Hang für Faulenzerei?
Ohne Zweifel.
Und bringen sie nicht sich selbst dahin, dass sie alles übrige außer dem Gelderwerb vernachlässigen, und dass sie ebensowenig sich Mühe für wahre Mannestüchtigkeit geben als ihre Besitzlosen?
Ja, ebensowenig.
Wenn nun bei solchen Beschaffenheiten Regierende und Regierte zu einander geraten, sei es auf Wegmärschen oder bei anderen Zusammenkünften, z.B. bei Festgesandtschaften, bei Kriegszügen zu Wasser oder zu Land, oder wenn sie sich gar in den Gefahren der Schlacht zu Gesicht bekommen und in dieser Hinsicht die Armen von den Reichen gar nicht so verächtlich befunden werden, vielmehr wenn ein rüstiger und in der Sonne abgehärteter Armer in der Schlacht der Nebenmann eines reichen Herren mit der Stubenfarbe und einem von fremdem Fette gemästeten Balge wird und diesen voll Atemnot und ganz unbeholfen sieht, glaubst du nicht, dass jener dann die nicht ungegründete Ansicht gewinnt, dass solche Herren nur allein durch die Feigheit der Armen reich seien, und dass die Besitzlosen, wenn sie unter sich allein zusammen sind, sich gegenseitig zuflüstern: „Unsere Herren sind so viel wie nichts!“. Nicht wahr?
Ja, ich weiß es sehr wohl, sagte er, dass sie es so machen.
Wie nun ein krankhafter Körper nur einen ganz kleinen Anstoß von außen braucht, um in eine tödliche Krankheit zu verfallen, ja bisweilen ohne die äußeren Einwirkungen mit sich selbst in Zwiespalt gerät, nicht wahr, so verfällt auch der mit jenem Körper in denselben Zuständen befindliche Staat auf eine ganz geringe Veranlassung, mag nun die eine Partei Hilfe von außen her von einem oligarchisch regierten Staate oder die andre von einem demokratischen Staate Hilfe zugeführt bekommen, in eine Krankheit und gerät in einen Kampf mit sich selbst, ja zuweilen kommt es schon ohne diese äußeren Veranlassungen zu einem Bürgerkrieg?
[557 St.] Ja, im höchsten Grade.
Eine Demokratie entsteht, denke ich, alsdann bekanntlich, wenn die Armen nach gewonnenem Siege einen Teil der anderen Partei ermorden, einen Teil verbannen und dann die Übriggebliebenen gleichen Anteil an der Staatsverwaltung und den Staatsämtern nehmen lassen, und gewöhnlich ist es darin, dass die Obrigkeiten durch das Los gewählt werden.
Ja, sagte er, das ist allerdings die Einführung einer Demokratie, mag sie nun durch den Sieg der Waffen oder durch die aus Furcht erfolgende freiwillige Flucht der Gegenpartei geschehen.
Auf welche Weise nun, fuhr ich fort, werden diese Leute in dem neuen Staate sich befinden, und was ist wiederum die charakteristische Eigenschaft einer solchen Staatsverfassung? Denn offenbar wird in dem Einzelmenschen der Art der der Demokratie entsprechende Mensch anschaulich werden.
Ja, offenbar, sagte er.
Nun, da ist wohl die allererste Eigenschaft, dass sie frei sind, dass der Staat voll Freiheit und voll Redefreiheit ist, und dass in ihm unbedingte Erlaubnis herrscht, zu tun, was einer nur will, nicht wahr?
Ja, meinte er, man sagt wenigstens so.
Wo aber in einem Staate eine gänzliche Ungebundenheit eintritt, da versteht sich von selbst, dass ein jeder hinsichtlich seines Privatlebens eine Einrichtung trifft, wie es seiner subjektiven Laune gefällt.
Ja, offenbar.
Menschen aller möglichen Art, denke ich, werden also bei solcher Staatsverfassung am allermeisten sich heranbilden.
Allerdings.
Es scheint demnach, fuhr ich fort, dass dies die schönste der Staatsverfassungen sei: Wie ein buntes, mit Blumen aller Art ausgesticktes Kleid, so ist auch diese mit subjektiven Charakteren aller Art ausstaffierte Verfassung dem Anscheine nach die schönste, und die große Mehrheit, die mit einem Kinder und Weiberverstande nur an dem Bunten ihr Auge ergötzt, wird sie auch gewiss als die schönste wirklich anerkennen. .............
http://www.opera-platonis.de/Politeia8.html