Betrachtungs-Ebenen.
Kaawi schrieb:
Möglicherweise wäre es passender, die "dritte Natur"
als Bewusstsein statt als Vernunft oder Verstand
zu bezeichnen, denn vernünftig sind auch unbewusste
Handlungen, wenn sie an die Situation angepasst
und vom Absolutheitsanspruch befreit sind.
Eine bewusste, nicht wertende Betrachtungsweise
ist die Grundlage von Wissenschaft und Erkenntnis
und bildet somit eine neben triebhaft-biologischer
und hörig-moralischer Haltung eine dritte
komplett eigenständige Weltanschauung.
Dies ist z.Z. mein Stand der Dinge.
Kaawi,
dieser Ansatz gefällt mir schon deutlich besser.
Mein Dissens mit den Autoren des Buches hängt mit
einer Vermischung der Betrachtungs-Ebene zusammen.
1. Betrachtung der Menschen auf der untersten Ebene:
Wenn man die rund 7,5 Mrd Menschen beschreiben will,
so sind dafür auf der untersten Ebene ca 6.000 Merkmale,
bzw. Unterscheidungskriterien, erforderlich.
Geschlecht, Körpergröße, Körpergewicht, Brustumfang, Bauchumfang,
Hüftumfang, Längenverhältnis Oberschenkel/Unterschenkel-Knochen,
Augenfarbe, Augenstellung, Lidfalte, Stellung der Backenknochen,
Nasenform, Form der Mundwinkel, Haarfarbe, Haarform. Haaransatz,
Hautfarbe, Muskelkraft, Konzentrationsfähigkeit, Frustrationstoleranz,
Abstraktionsfähigkeit, Kreativität, Ausdauer, Geduld, Vernunft,
räumliche Orientierungsfähigkeit, sprachliche Ausdrucksfähigkeit,
... und so weiter, und so fort.
Ein Beschreibungssystem der untersten Ebene hat demnach
rund 6.000 Parameter oder Unterscheidungskriterien,
und einer dieser Parameter ist die Vernunft.
2. Übergeordnete Ebene - Gruppierung der Merkmale:
Wenn man nun einen Ordnungsrahmen für eine Gruppierung
der 6.000 Merkmale aufstellen will,
also eine übergeordnete Betrachtungsebene bilden,
dann sollte man tunlichst vermeiden,
eines der 6.000 Merkmale der untersten Ebene
als Unterscheidungkriterium für diesen Ordnungsrahmen
der übergeordneten Ebene zu verwenden.
Eine solche Vermengung der Ebenen würde nur verwirren
und eine darauf aufbauende Analyse unbrauchbar machen.
Als Kriterien für einen Ordnungsrahmen zweiter Ebene
könnten herangezogen werden:
Angeborene, oder im Laufe des Lebens erworbene Merkmale;
Physische, oder psychische Merkmale;
????, oder ????.
Mein Dissens mit den Autoren des zitierten Buches
besteht nun darin, dass ich den Eindruck gewonnen habe,
sie vermengen die Betrachtungsebenen
und verleiten dadurch zu einer Überbewertung der Vernunft.
Das riecht für mich ein wenig danach, als ob der Mensch
krampfhaft als Krone der Schöpfung hingestellt werden soll,
dem Gott eine Seele (eben die Vernunft) eingehaucht hat.
Gegen eine solche Vorstellung hat übrigens schon Goethe
in seinem Faust angeschrieben.
Im Prolog im Himmel, in dem Gott mit dem Teufel
über die Armseligkeit des Menschen spricht,
legt Goethe dem Mephisto die Worte in den Mund:
"Ein wenig besser würd' er leben,
hätt'st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben.
Er nennt's Vernunft, und braucht's allein
nur tierischer als jedes Tier zu sein."
In diesen Worten kommt schon eine gehörige Portion Skepsis
gegenüber einer Überbewertung der Vernunft zum Ausdruck.
> Das musste auch einmal in aller Klarheit gesagt werden. <