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1. Ausgerüstet mit dieser Profilneurose, begann man schleunigst, psychologische Phänomene messbar und quantifizierbar zu machen. Experiment und Statistik wurden das unentbehrliche Handwerkszeug eines Seelenforschers. Aus Liebe zur exakten Methode verzichtete man gerne auf die Erforschung der Psyche selbst. Es wurde gemessen und ausgewertet ... man ist heute noch nicht mit dieser Arbeit fertig! Um nicht irritiert zu werden, erklärte man einfach alle Theorien, Ansichten, Ergebnisse und Methoden, die nicht den Anforderungen der Statistik entsprachen, als unwissenschaftlich und veraltet.
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2. Die Psychologie besteht zur Zeit aus einer Unsumme von Einzelergebnissen, die sich letztlich alle widersprechen. Es dürfte wohl kaum eine einzige bedeutende Untersuchung existieren, zu der es keine Gegenuntersuchung gibt, die das Gegenteil beweist.
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3. Der Grundgedanke der Verhaltenstherapie ist einfach: Man geht von der Hypothese aus, dass der Mensch sich bestimmte Verhaltensweisen durch Lernprozesse aneignet. Trifft ein Verhalten mit einem angenehmen Erlebnis zeitlich zusammen, so wird besagtes Verhalten verstärkt, die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung des Verhaltens steigt an, während sie beim Zusammentreffen mit einem unangenehmen Erlebnis sinkt.
Diesen Mechanismus kennt jeder aus der Dressur von Tieren: Füttere ich einen Hund jedesmal, wenn er mir die Pfote gibt, mit einem Stück Fleisch, so wird er eher und schneller das "Pfotengeben" lernen, als wenn ich ihn jedesmal bei dieser Handlung schlage. Zeigt nun ein Mensch ein unerwünschtes Verhalten, wie zum Beispiel eine Neurose, so interpretiert die Verhaltenstherapie dieses Verhalten konsequenterweise als Ergebnis eines Lernprozesses, der nun in der Therapie "rückgängig" gemacht werden soll. Praktisch leitet man einen neuen Lernprozess ein, indem das unerwünschte Verhalten bestraft und das erwünschte Verhalten belohnt wird. Dieses geschilderte Grundprinzip kann man beliebig modifizieren und kombinieren - einen Beschäftigung, die zur Zeit die Mehrzahl aller Psychologen voll ausfüllt.
Unschwer erkennt man in der Verhaltenstherapie das Comeback eines als veraltet und unmenschlich geltenden Erziehungsstils: Tat ein Kind nicht das, was die Eltern wollten, bestrafte man es so lange, bis es dieses Verhalten aufgab; umgekehrt belohnte man ein Kind für das, was es tun sollte. Genau dieser Vorgang verkleidet in eine umfangreiche Fachterminologie, ist heute das modernste Behandlungsverfahren für psychische Störungen!
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4. Die Tatsache, dass man den Verhaltenstherapeuten - statt sie vor Gericht zu stellen - Institute und Geldmittel für ihre "Forschung" zur Verfügung stellt, zeigt, was man heute alles ungestraft machen darf, wenn man das Wort "wissenschaftlich" vor seine Tätigkeit setzt. Was man heute unter der Fahne der Wissenschaftlichkeit treibt, entspricht den Kreuzzügen unter dem Signum der Kirche.
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5. Man mag über eine solche Entwicklung noch so erbost sein, mir selbst fällt es schwer den einzelnen Mitläufern der wissenschaftlichen Kreuzzüge böse zu sein. Man versuche sich in die Lage eines Abiturienten zu versetzen, der sich entschlossen hat, Psychologie zu studieren, um die Geheimnisse des Seelenlebens kennenzulernen.
6. Von der Schule gewohnt, gültige Fakten und Gewissheiten gelernt zu haben, begegnet er auf der Universität einer Flut von Theorien, Meinungen und Ergebnissen, die nebeneinander all gleichgültig oder ungültig sind. Als Handwerkzeug, sich in diesem Chaos zurechtzufinden, lernt er Statistik und Testtheorie. Doch die Diskrepanz zwischen seinen Erwartungen und der gebotenen Realität wird zusehens größer, er sehnt sich nach einem Wissen, das für ihn anwendbar ist. In dieser Situation ist es verständlich, wenn er gierig nach dem einzigen angebotenen Konzept, nämlich der Lerntheorie, greift. Schließlich verspricht sie die Möglichkeit praktischer Anwendbarkeit.
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7. Glücklich überhaupt etwas Konktretes gefunden zu haben, wird er jede Kritik fanatisch abwehren, aus unbewusster Angst, wieder ins Nichts der völligen Orientierungslosigkeit zu fallen. Auf diese Weise erzieht man eine Schar von Gläubigen, die mit echter Überzeugung Dinge vertreten, die einem jeden denkenden Menschen ihre Sinnwidrigkeit ohne Mühe offenbaren."
(T. Dethlefsen, Das Leben nach dem Leben, Goldman TB 1974, S.163 -168)