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Zen-Buddhismus

Hmm - eine Liste der vollständig Erwachten gibt es im Buddhismus noch weniger als eine komplette Liste der Heiligen im Katholizismus.
Die 'Doktrin' des Buddhismus - insbesondere des Zen - ist vielleicht eher, dass grundsätzlich keine rational fassbare Doktrin imstande ist,
die Wahrheit zu erfassen - incl. der div. buddhistischen Schulrichtungen. Von diesen existieren etwa gleich viele wie im Christentum -
allerdings stehen sie meist auf relativ gutem Fuße miteinander; Glaubensstreitigkeiten sind selten... Vielleicht ist das auch ein Grund dafür,
dass der Buddhismus von 'Neueinsteigern' nicht - wie in westlichen Religionen üblich - verlangt, dass sie sich von ihrer 'Herkunftsreligion'
trennen. Das wird nur dort vom Staat verlangt, wo der Buddhismus als Religion staatlich anerkannt ist (wie z.B. in Österreich).
Ja, es gibt natürlich 'Grundwahrheiten' des Buddhismus, die von allen Schulrichtungen anerkannt werden, aber das sind nicht sehr viele,
und sie werden auch eher locker gehandhabt...
 
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...ich denke da z.B. an die 'altbuddhistische Gemeinde' in Deutschland, die der Doktrin einer seit 2.000 Jahren ausgestorbenen indischen Sekte
folgte und das anatta-Prinzip (dass das 'Ich' eine Illusion ist) nicht anerkannte. Aus Rücksicht auf diese (zahlenmäßig unbedeutende) Gemeinde
hat die Deutsche Buddhistische Union dieses Prinzip in ihrem 'Glaubensbekenntnis' weggelassen...

Hier in Österreich ist der Buddhismus als Religion staatlich anerkannt, es gibt also auch Religionslehrer an öffentlichen Schulen -
diese vertreten dann den ganzen Buddhismus - im Falle des Christentums würde das bedeuten, dass derselbe Lehrer die Doktrinen
der Katholiken, Protestanten, Mormonen, Zeugen Jehovahs etc. gleichzeitig vermittelt...
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist für den einzelnen Menschen befreiender in seinem Bewusstsein wenn er den Buddhismus nicht als Religion
sondern als Weltanschauung begreift, es macht weniger geistig abhängig.
 
Das mag wohl so sein - persönlich finde ich mich da auch wieder - aber es scheint nicht für alle zu gelten.
Ich kenne nicht wenige, die auf der Suche sind nach einer Religion, und diese im Buddhismus finden - in
Einzelfällen sogar ihre christliche Weltanschauung 1:1 dem Buddhismus überstülpen - Leute, die ins
Schwärmen kommen, wenn sie von 'Lord Buddha' erzählen... :rolleyes:
Und ich denke nicht, dass das ausschließlich eine Frage der persönlichen Reife oder des intellektuellen
Durchdringens wäre. Ein klassisches Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: ein lieber Freund, der schon
viele Jahre nicht mehr unter uns weilt, hat immer betont, dass der Buddhismus keine Religion sei, sondern
ein 'Weisheitsweg'; und jedes Jahr fuhr er ein paar Wochen nach Chiang Mai zu einem Retreat im dortigen
buddhistischen Wat - nicht nur zum Meditieren. Sein Sohn war schon viele Jahre vorher offiziell zum
Buddhismus übergetreten, buddhistischer Mönch geworden, und lebt dort im Kloster. Für ihn ist der
Buddhismus offensichtlich sehr wohl eine Religion, und von einem Mangel an Intellekt und Reife kann
man offenbar auch nicht ausgehen - er hat in jahrzehntelanger Arbeit im Alleingang die vermutlich größte
deutschsprachige Textsammlung zum Buddhismus ins Netz gestellt und betreut sie höchst kompetent -
www.palikanon.com.
 
Bin gerade erst heimgekommen - also eigentlich weder noch... Ich schreibe Dir morgen noch eine kurze Zusammenfassung :)
 
Hallo Rodolphe - jetzt bin ich wieder an Bord ;)

Nein, es geht bei den 'Grundwahrheiten' (ebenso wie im Christentum) weder um Gebote noch um etwas zu Erreichendes,
sondern darum, wie die Welt, die Gesamtheit des Seienden, gesehen wird. Ich konnte es mir ja einfach machen - ein
muslimischer Freund hat mich in einem interreligiösen Forum einmal gebeten, die Grundlagen des Buddhismus kurz
zu skizzieren - da brauchte ich nur daraus zu kopieren, und noch ein paar Dinge zu ergänzen... :reden:

Der Kern der Lehre sind die Vier Edlen Wahrheiten:
  • Das Leben ist grundsätzlich von Ungenügen - 'Leiden' - gekennzeichnet.
    Selbst in der größten Freude steckt das Wissen, dass sie einmal aufhören muss.

  • Die Ursache dafür liegt im Anhaften, am Haben- und Seinwollen.

  • Ohne dieses Anhaften gibt es auch kein Ungenügen.

  • Der Weg, das Anhaften zu beenden, liegt im rechten Leben,
    dem 'edlen achtfachen Pfad'.
Dabei muss man aber beachten, dass es im Buddhismus keine Dogmen, keine absoluten Gesetze gibt - immer wieder
(u.a. in der Rede an die Kalamer) fordert der Buddha seine Zuhörer auf, ihm nicht leichtfertig Glauben zu schenken,
sondern seine Aussagen an der Wirklichkeit und der eigenen Erfahrung zu messen.

Das letzte Glied des achtfachen Pfades ist die 'rechte [Geistes]Sammlung', die Meditation, die in (fast) allen Schulen
und Traditionen des Buddhismus eine tragende Rolle spielt, manchmal mehr (wie im Zen), manchmal weniger
(wie im Amida-Buddhismus, bei dem der zentrale Begriff eine Erlösergestalt ist). In der Meditation, die es in den
verschiedenen Traditionen in vielfältigen Gestalten gibt, soll auch das rational Verstandene zur eigenen Erfahrung
werden, letztlich zur Erfahrung des Buddha.

Dazu würde ich heute noch die Lehre vom Bedingten Entstehen (paṭicca-samuppāda) ergänzen - dass alle
Daseinsphänomene in Abhängigkeit von einander entstehen, und die tilakkhana, die drei 'Wesensmerkmale alles
bedingt Entstandenen':

anatta - Nicht-Ich
anicca - Nicht-Dauerhaftigkeit
dukkha wird meist mit 'Leiden' übersetzt, ich würde eher 'Ungenügen' verwenden...

Für mich persönlich ist die Aufzählung solcher eher philosophischen Punkte zwar interessant, aber an sich nicht so
wirkmächtig. Abgesehen von der Meditation als Übung sehe ich die Praxis des Buddhismus deutlicher in den vier
Brahma-vihara - 'göttlichen Verweilungszuständen' - die ein Buddhist verwirklichen sollte:

metta
- Nächstenliebe, Freundlichkeit
karuna - [tätiges] Mitgefühl
mudita - Mitfreude
upekkha - Gleichmut
 
Herzlichen Dank für diese voll interessante Darstellung!!
Ich finde die Vier Edlen Wahrheiten besonders sehr kohärent und überzeugend! Aber bedeutet es dass man Buddhist sein kann ohne das Erwachen zu suchen?
Ich meditiere noch auf dem Rest :)
 
Antwort von Radio Eriwan: Im Prinzip ja - man kann ja auch Christ sein, ohne in den Himmel kommen zu wollen... ;)

Im Ernst - das kommt wohl darauf an, wie man das Erwachen sieht - im Sinne des Urbuddhismus als verinnerlichte Erkenntnis der Glaubenswahrheiten,
oder so etwas wie die 'Erleuchtung' im Zen - im zweiten Fall ganz sicher, im ersten - naja, vgl. doch wieder Radio Eriwan - es gibt aber was Ähnliches:
Die Lehre des erwähnten Amida-Buddhismus besagt, dass die Welt sich im Zeitalter des absoluten Verfalls befindet, sodass selbst die größte Anstrengung
nicht ausreicht, um das Erwachen zu erreichen - es also sinnlos ist, sich darum zu bemühen. Es gibt aber trotzdem einen Weg: der Buddha Amida hat das
Reine Land, Sukhâvatî, geschaffen, in dem die Menschen wiedergeboren werden, die unverbrüchlich an ihn glauben und seinen Namen anrufen - ganz
ähnlich dem christlichen Himmel - mit einem Unterschied: auch Sukhâvatî hat noch einen 'Ausgang' - den ins Nirvana...
 
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Da es hier offenbar Einige gibt, die fundierte Kenntnisse über den Buddhismus (bzw. Zen) besitzen, ist diese Glosse
vielleicht von Interesse. Ich habe sie vor langer Zeit - etwa 12, 14 Jahre mögen es sein - als Bericht in ein Zen-Forum
gestellt. Für Unkundige - es ist die (wahre) Beschreibung eines Dokusan, des Einzelgesprächs mit dem 'Meister'-
gesehen durch die Brille eines blutigen Anfängers... Für mich war die Sache damals eher ärgerlich - hier dient's eben
evtl. zur Unterhaltung :D

Das Gespräch
Vor einiger Zeit habe ich an einem sogenannten Sesshin, einem Meditations-Retreat, teilgenommen, geleitet von
einem buddhistischen Mönch. Schon beim Einführungsvortrag fiel mir auf, dass der junge Mann gern redete, aber
offenbar nicht besonders gut hörte. Auch auf kurze, klare Fragen gab er ellenlange Antworten, die mit den Fragen
selbst meist nicht allzu viel zu tun hatten. Vor allem schien er irgendwelche Probleme mit dem Denken zu haben -
jedenfalls forderte er die Versammlung immer wieder auf, das Denken einzustellen. Ich wollte dieses delikate Thema
nicht in aller Öffentlichkeit anschneiden und meldete mich zum Einzelgespräch - da das dort Dóxa heißt, dachte ich,
man könnte dort seine Meinung sagen. Da kann's nun sein, dass ich etwas missverstanden habe, denn er fing an,
mich allerhand ungereimtes Zeug zu fragen; etwa welche Unterschiede es gäbe zwischen Butter und mir, wie mein
Name vor meiner Geburt gewesen wäre u.ä....
Auf meine etwas verwunderte Antwort, mein Name sei ja wohl schon vor mir da gewesen und natürlich der gleiche
wie hier und jetzt, meinte er, 'Kein Name' und 'Hier und Jetzt' seien ganz verschiedene Dinge - das hatte ich ja nun
nicht in Abrede gestellt, aber irgendwie kam's mir dann doch komisch vor, weil er in seinem Vortrag zwischen den
seltsamsten Dingen, wie etwa sich selbst und uns, Himmel und Erde, einem Kürbis und einer Katze, absolut keinen
Unterschied hatte entdecken können. Und dann muss sich sein Hörvermögen ganz plötzlich drastisch verschlechtert
haben, denn er forderte mich immer wieder auf, seine Fragen zu beantworten, ohne zu reden. Da war nun guter Rat
teuer! Aber als ich einmal vor lauter Verzweiflung in die Hände klatschte, schien ihm das als Antwort zu genügen,
und als ich, verärgert über sein Unverständnis, einmal mit der Hand auf den Boden schlug, war er ganz begeistert -
vielleicht, weil er diese lauten Geräusche dann doch noch wahrnehmen konnte. Jedenfalls unterhielten wir uns eine
Zeitlang ganz angeregt mit Händeklatschen und Auf-den-Boden-klopfen (ich kann nur hoffen dass die Leute, die
darunter wohnten, auch schwerhörig waren), bis er dann auch noch anfing, wild mit einer gerade herumstehenden
Glocke zu bimmeln. Ich befürchtete, er könnte mit dem Ding vielleicht nach mir werfen, und ging rücklings zur
Tür hinaus, wobei ich mich ein paarmal zu Boden warf, um einer evtl. geschleuderten Glocke auszuweichen. Ich
erreichte jedenfalls wohlbehalten den Ausgang; ob und wie sein Gehör beeinträchtigt war, konnte ich jedoch nicht
in Erfahrung bringen...
Also dass Zen-Meister eher - äh, hm - exzentrische Menschen sind, hatte ich ja schon vorher gehört, aber dass es
dazu auch von Vorteil sein kann, schwerhörig zu sein, war mir neu - oder ist es vielleicht eine Art 'Marktlücke' für
Schwerhörige, die dann immer behaupten können, der Andere verstehe nicht?
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Der ernste Hintergrund dieser (nicht mal in Einzelheiten erfundenen) Geschichte: wie sinnvoll ist es wohl,
Anfänger (oder was man dafür hält) mit Aussprüchen tiefgründiger Weisheit und Koan-Fragen zu konfrontieren,
oder unbedarfte Neulinge mit der Botschaft "Du brauchst nur aufhören zu denken, dann ist alles in Ordnung" :verwirrt1
Können sie von solchen esoterischen Weisheiten tatsächlich profitieren, ja die als solche überhaupt erkennen ?
(vorausgesetzt natürlich immer, sie sind vom 'Lehrer' selbst bereits realisiert worden - was mir bei der sklavisch
genauen Nachahmung ostasiatischer Rituale immer etwas fragwürdig scheint...)
 
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