Gerechtigkeit
Was ist gerecht? Eine uralte Frage schon aus vorbiblischer Zeit, und noch nie vermochte man den Begriff allgemein gültig zu definieren. Jahrhunderte lang plagten sich die Kirchenväter z.B. mit der Bestimmung des „gerechten Preises“ (iustum pretium – Augustinus 354 - 430). Wie aktuell! Die Gewerkschaften fordern den „gerechten“ Lohn, der ja nichts anderes als ein gerechter Preis für die Arbeit sein soll, doch niemand vermag schlüssig und für alle einsehbar zu sagen, welche Lohnhöhe denn nun "gerecht" ist.
Ich will an einem didaktischen Modell versuchen aufzuzeigen, wie schwierig es ist zu sagen: Was ist gerecht?
Ein reicher Witwer setzt sein Testament für seine fünf erwachsenen Kinder, allesamt Töchter auf (um der Einfachheit des Modells willen lassen wir den Pflichtteilsanspruch mal beiseite). Auf den ersten Blick erscheint ihm, dass es einfach und gerecht ist, jeder Tochter gleich viel, also 20% zu vererben. – Doch dann kommen ihm Zweifel: Ist die gleiche Verteilung wirklich gerecht?
Tochter Anneliese hat sich seit vielen Jahren nie um ihn gekümmert, allenfalls mal ein flüchtiger Anruf zu Weihnachten. – Ganz anders war da die
Beate. Obwohl sie weiter von ihm entfernt wohnt als Anneliese hat sie ihn jede Woche einmal besucht, sich rührend um ihn gesorgt, ihn gepflegt, als er krank war. Muss ich ihr, so sinniert er, nicht mehr hinterlassen als Anneliese?
Doch was ist mit Cäcilie. Die Ärmste ist seit ihrer Geburt körperlich behindert, verdient nicht viel, niemand will sie heiraten. Sie muss auf jeden Fall mehr bekommen. Doch zu wessen Lasten? Was Cäcilie an Mehr erhält, muss anderen abgezogen werden. Dafür käme beispielsweise die
Dora infrage. Sie ist gewollt kinderlos, mit einem gut verdienenden Banker verehelicht, die braucht eigentlich gar nichts. Andererseits: ‚War sie nicht immer meine Lieblingstochter? Hat sie mich nicht oft besucht, aufgemuntert mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit? Wie undankbar muss ich ihr erscheinen, wenn sie nach meinem Tode gänzlich leer ausgeht.’ – Doch was ist mit
Erna? Ein Luder. Studium geschmissen, dauernd wechselnde Männerbekanntschaften, verschwenderisch gelebt, die monatliche Unterstützung für sie in Zigaretten, Alkohol und später sogar in harte Drogen umgesetzt. ‚Die kriegt nix’. Aber jetzt ist sie erbärmlich dran, arbeitslos, keine Aussicht auf eine Stelle, lebt in absoluter Armut von ALG II. Eigentlich bedarf sie am stärksten des väterlichen Erbes.
Das Modell lässt sich mühelos erweitern.
Welche Erbteilung ist also gerecht? – Wie würdet Ihr entscheiden?
Ziesemann – bei dem für dieses Modell nicht seine eigenen Kinder und Enkel Pate gestanden haben.
Was ist gerecht? Eine uralte Frage schon aus vorbiblischer Zeit, und noch nie vermochte man den Begriff allgemein gültig zu definieren. Jahrhunderte lang plagten sich die Kirchenväter z.B. mit der Bestimmung des „gerechten Preises“ (iustum pretium – Augustinus 354 - 430). Wie aktuell! Die Gewerkschaften fordern den „gerechten“ Lohn, der ja nichts anderes als ein gerechter Preis für die Arbeit sein soll, doch niemand vermag schlüssig und für alle einsehbar zu sagen, welche Lohnhöhe denn nun "gerecht" ist.
Ich will an einem didaktischen Modell versuchen aufzuzeigen, wie schwierig es ist zu sagen: Was ist gerecht?
Ein reicher Witwer setzt sein Testament für seine fünf erwachsenen Kinder, allesamt Töchter auf (um der Einfachheit des Modells willen lassen wir den Pflichtteilsanspruch mal beiseite). Auf den ersten Blick erscheint ihm, dass es einfach und gerecht ist, jeder Tochter gleich viel, also 20% zu vererben. – Doch dann kommen ihm Zweifel: Ist die gleiche Verteilung wirklich gerecht?
Tochter Anneliese hat sich seit vielen Jahren nie um ihn gekümmert, allenfalls mal ein flüchtiger Anruf zu Weihnachten. – Ganz anders war da die
Beate. Obwohl sie weiter von ihm entfernt wohnt als Anneliese hat sie ihn jede Woche einmal besucht, sich rührend um ihn gesorgt, ihn gepflegt, als er krank war. Muss ich ihr, so sinniert er, nicht mehr hinterlassen als Anneliese?
Doch was ist mit Cäcilie. Die Ärmste ist seit ihrer Geburt körperlich behindert, verdient nicht viel, niemand will sie heiraten. Sie muss auf jeden Fall mehr bekommen. Doch zu wessen Lasten? Was Cäcilie an Mehr erhält, muss anderen abgezogen werden. Dafür käme beispielsweise die
Dora infrage. Sie ist gewollt kinderlos, mit einem gut verdienenden Banker verehelicht, die braucht eigentlich gar nichts. Andererseits: ‚War sie nicht immer meine Lieblingstochter? Hat sie mich nicht oft besucht, aufgemuntert mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit? Wie undankbar muss ich ihr erscheinen, wenn sie nach meinem Tode gänzlich leer ausgeht.’ – Doch was ist mit
Erna? Ein Luder. Studium geschmissen, dauernd wechselnde Männerbekanntschaften, verschwenderisch gelebt, die monatliche Unterstützung für sie in Zigaretten, Alkohol und später sogar in harte Drogen umgesetzt. ‚Die kriegt nix’. Aber jetzt ist sie erbärmlich dran, arbeitslos, keine Aussicht auf eine Stelle, lebt in absoluter Armut von ALG II. Eigentlich bedarf sie am stärksten des väterlichen Erbes.
Das Modell lässt sich mühelos erweitern.
Welche Erbteilung ist also gerecht? – Wie würdet Ihr entscheiden?
Ziesemann – bei dem für dieses Modell nicht seine eigenen Kinder und Enkel Pate gestanden haben.