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Was ist gerecht?

Ziesemann

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3. November 2005
Beiträge
929
Gerechtigkeit
Was ist gerecht? Eine uralte Frage schon aus vorbiblischer Zeit, und noch nie vermochte man den Begriff allgemein gültig zu definieren. Jahrhunderte lang plagten sich die Kirchenväter z.B. mit der Bestimmung des „gerechten Preises“ (iustum pretium – Augustinus 354 - 430). Wie aktuell! Die Gewerkschaften fordern den „gerechten“ Lohn, der ja nichts anderes als ein gerechter Preis für die Arbeit sein soll, doch niemand vermag schlüssig und für alle einsehbar zu sagen, welche Lohnhöhe denn nun "gerecht" ist.
Ich will an einem didaktischen Modell versuchen aufzuzeigen, wie schwierig es ist zu sagen: Was ist gerecht?
Ein reicher Witwer setzt sein Testament für seine fünf erwachsenen Kinder, allesamt Töchter auf (um der Einfachheit des Modells willen lassen wir den Pflichtteilsanspruch mal beiseite). Auf den ersten Blick erscheint ihm, dass es einfach und gerecht ist, jeder Tochter gleich viel, also 20% zu vererben. – Doch dann kommen ihm Zweifel: Ist die gleiche Verteilung wirklich gerecht?
Tochter Anneliese hat sich seit vielen Jahren nie um ihn gekümmert, allenfalls mal ein flüchtiger Anruf zu Weihnachten. – Ganz anders war da die
Beate. Obwohl sie weiter von ihm entfernt wohnt als Anneliese hat sie ihn jede Woche einmal besucht, sich rührend um ihn gesorgt, ihn gepflegt, als er krank war. Muss ich ihr, so sinniert er, nicht mehr hinterlassen als Anneliese?
Doch was ist mit Cäcilie. Die Ärmste ist seit ihrer Geburt körperlich behindert, verdient nicht viel, niemand will sie heiraten. Sie muss auf jeden Fall mehr bekommen. Doch zu wessen Lasten? Was Cäcilie an Mehr erhält, muss anderen abgezogen werden. Dafür käme beispielsweise die
Dora infrage. Sie ist gewollt kinderlos, mit einem gut verdienenden Banker verehelicht, die braucht eigentlich gar nichts. Andererseits: ‚War sie nicht immer meine Lieblingstochter? Hat sie mich nicht oft besucht, aufgemuntert mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit? Wie undankbar muss ich ihr erscheinen, wenn sie nach meinem Tode gänzlich leer ausgeht.’ – Doch was ist mit
Erna? Ein Luder. Studium geschmissen, dauernd wechselnde Männerbekanntschaften, verschwenderisch gelebt, die monatliche Unterstützung für sie in Zigaretten, Alkohol und später sogar in harte Drogen umgesetzt. ‚Die kriegt nix’. Aber jetzt ist sie erbärmlich dran, arbeitslos, keine Aussicht auf eine Stelle, lebt in absoluter Armut von ALG II. Eigentlich bedarf sie am stärksten des väterlichen Erbes.

Das Modell lässt sich mühelos erweitern.
Welche Erbteilung ist also gerecht? – Wie würdet Ihr entscheiden?

Ziesemann – bei dem für dieses Modell nicht seine eigenen Kinder und Enkel Pate gestanden haben.
 
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Ich würde zunächst mal aufteilen und dann zuschläge und Abschläge geben.

C. behält ihren Anteil
A muß ihren anteil zugunsten von B abtreten.
D hat es zwar nicht nötig, aber es ist symbolisch, daß ich ihr den gleichen Teil gebe, sie könnte selbst ja zugunsten einer anderen verzichten.
und D kriegt den Anteil von E zu treuen Händen. Sie soll ihn ratenweise an E auszahlen, wenn sie sicher ist, daß es nicht vergeudet wird.

meint Claus
 
Wirklich schwierige Frage.
Benachteiligt wird sich auf jeden Fall mindestens die Hälfte, wenn nicht alle fühlen.
Mein Vorschlag:
Familientreffen und dies verhandeln, wird bei uns praktiziert.
Zum Schluß hat man selbst schuld wenn man den kürzeren gezogen hat.

Zweiter Vorschlag:
Tombola,
alles zu gleich goßen Teilen aufteilen und ziehen lassen.

Dritter Vorschlag:
Göttliches Vorbild,
alle Menschen sind gleich und jeden das gleiche vererben,
Wobei bei Kleingegenständen, wie Schmuck, empfiehlt sich trotzdem die Tombola, um Streitereien zu vermeiden.

MfG

Triskell
 
Begründung und Nachtrag zu meinem Beitrag

Persönlich gesehen

Wenn es meine Töchter wären, warum sollte ich sie ihres Charakters her verurteilen.
Teilweise ist er angeboren, teilweise anerzogen.
Fleisch und Blut sind sie doch alle von mir.
 
Was ist gerecht ?

Sicher ein schwieriges und gleichermaßen mit Emotionen behaftetes Thema. Jeden, der sich irgendwann einmal in seinem Leben ungerecht behandelt fühlte (übervorteilt, sagt man kurioserweise auch oft), wird es berühren.

Wenn wir es einmal semantisch (oder philologisch ?) sehen, steckt in dem Wort auch "recht" drinnen.

Henry Kissinger sagte einmal (sinngemäß): Die Konflikte auf dieser Welt entstehen nicht durch das Aufeinanderprallen von Recht und Unrecht, sondern durch das Aufeinanderprallen von zweierlei Recht.

Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen: ich finde, wir haben 3 Regelwerke.

1.) Das Naturgesetz bzw. Naturrecht, zu dem wir neigen, so lang wir uns stark fühlen (hier geht es natürlich um keine physikalischen, sondern nur ethische Gesetze).

2.) Das Recht bzw. das Gesetz (die Gebote) rund um eine Religion und schließlich

3.) die von Politikern gemachten Gesetze (wobei nach meinem Rechtempfinden wiederum nur die demokratisch gewählten Politiker das Recht haben sollen, Gesetze zu machen, zu ändern oder aufzuheben).

Die Reihung bitte nicht so auffassen, dass ich jetzt für das Faustrecht wäre. Ich habe das Naturgesetz als erstes erwähnt, weil es dieses schon gegeben hat, bevor es Menschen gab. Im städtischen Bereich soll mMn unbedingt das von Politikern gemachte Gesetz herrschen, wir müssen aber zugestehen, dass unsere Gesetze großteils aus religiösen Dogmen entstanden sind bzw. diese nachahmen oder verfeinern.

Weil es diese 3 Regelwerke gibt, wird es auch oft mehrere Auffassungen von "gerecht" geben. Gehen wir davon aus, dass wir "religiöse" (von Politikern gemachte) Gesetze haben, dann nur 2, aber 2 eben auf jeden Fall (Auffassungen).

Beim angeführten Beispiel ist es nach dem Naturgesetz nur gerecht, wenn eben der Vater nach seinem Gutdünken bzw. Gewissen entscheidet. Ich werde hier auch deswegen keine detaillierte Meinung abgeben, weil ich selbst kein Vater bin und mich deswegen natürlich auch nicht voll in diese Rolle einfühlen kann. Die Kirche, zumindest die katholische, würde, soweit ich informiert bin, versuchen, das ganze Erbe an sich zu reißen, wenn es nur einen kleinen Anhaltspunkt gibt, dass die Erben gar nicht erben wollen, bzw. es nach Meinung der Kirche nicht verdienen. Nach dem von Politikern gemachten Gesetz ist dann natürlich das gerecht, was im betreffenden Gesetz steht.

Ich persönlich habe diesbezüglich kein Problem; bei mir wird der (oder die) erben, von dem (der, denen) ich mich bei Krankheit am besten umsorgt fühlte.

Gerechtigkeit bezieht sich natürlich nicht nur - wie schon erwähnt - auf's Erben.

Eine Definition von Gerechtigkeit ist schwierig - ich will es aber dennoch versuchen: Gerecht sind jene Gesetze (und natürlich auch Urteile), die möglichst wenigen Menschen weh tun.

Liebe Grüße

Zeili
 
Was gerecht ist, muß letztlich jeder selbst vor sich und anderen verantworten. Dies zumindest in gegebenem Falle, da das Gesetz hier nur einen Rahmen bietet, der den Beteiligten Mindestrechte gewährt. Insofern darf der Pflichtteil nicht ganz außer Betracht gelassen werden.

Bei Zeilinger gehen nach meiner Ansicht manche Dinge etwas durcheinander. Zunächst ist 2.) und 3.) eigentlich das gleiche, eben das Gesetz, denn die Politiker generieren kein Gesetz außerhalb des Gesetzes. Das Gesetz wiederum hat mit Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne nichts zu tun, sondern dient dazu, soziale Ruhe zu erhalten und Konfliktsituationen zu lösen, damit diese nicht unterschwellig weiter bestehen und später zu Unruhe und Gewalt führen. Daher gilt der Satz: Sie können Recht bekommen, Gerechtigkeit ist etwas anderes.

Neben den genannten Gesetzen gibt es dann noch die persönlichen Prinzipien, die persönliche Lebensauffassung und Lebensart, aber auch die Moral, die Religion und vieles mehr.

Der gestellte Fall kann daher nie endgültig beantwortet werden, zumindest nicht auf der Suche nach Gerechtigkeit. Dies deshalb, da jeder die Vor- und Nachteile der Beteiligten unterschiedlich bewerten wird. Eine absolute Gerechtigkeit gibt es ohnehin nicht.

Das Fehlen der Absolutheit ist schon durch die unterschiedlichen Kulturen, Religionen und sozialen Systeme begründet und so kann jeder Fall nur im jeweiligen Kulturkreis "gerecht" behandelt werden. Gerecht in diesem Sinne ist dann das, was die Mehrheit als gerecht ansieht. Ergo: Zufall.

Der gestellte Fall ist daher eher ein Interessenkonflikt, der zu lösen ist und nicht eine Frage der Gerechtigkeit als solcher.

Wenn wir absolute Gerechtigkeit suchen, dann müssen wir auch absolute Werte annehmen und diese global akzeptieren. Plato ist in diese Richtung gegangen. Doch sehen wir auch hier im Jahr 2006, daß Terroristen, Politiker und einfache Bürger diese Fragen in sehr unterschiedlicher Weise beantworten werden und was dem einen seine Gerechtigkeit ist dem anderen seine Ungerechtigkeit.

Ich denke der gegebene Fall kann daher nur vom Vater entschieden werden und der muß dann auch die Verantwortung für seine Verteilung übernehmen. Ob andere dies als gerecht empfinden spielt dann auch keine Rolle mehr, da wir anderen ja in keiner Weise mit der Sache verbunden sind.

Gerechtigkeit ist immer subjektiv.
 
Da es einen Schriftsteller gibt, der kurz und prägnant gezeigt hat wie relativ Gerechtigkeit sein kann, möchte ich seinen Text hier zitieren - denn ich könnte es nicht besser zum Ausdruck bringen. Und das relativiert auch die Möglichkeit diese Frage nach Gerechtigkeit, gerecht zu beantworten - was nicht bedeutet, dass wir uns die Frage nicht stellen sollen.

Gott - oder die Güte ist relativ

von Leszek Kolakowski

Diese Geschichte ist sehr kurz und einfach, sie bietet nur einen Ausgangspunkt, eine Frage und die Moral.

Der Ausgangspunkt:

Der Psalmist sagt vom Herrn (Psalm 136, 10 und 15): er habe Ägypten an ihren Erstgeburten geschlagen - denn seine Güte währet ewiglich, er habe Pharao und sein Heer ins Schilfmeer gestoßen - denn seine Güte währet ewiglich.

Die Frage

Was denken Ägypten und der Pharao über die Barmherzigkeit Gottes?

Die Mora

Barmherzigkeit und Wohltätigkeit kann es nicht für alle zugleich geben. Wenn wir diese Worte in den Mund nehmen, so laßt uns immer hinzufügen: für wen. Und wenn wir den Völkern Wohltätigkeit erweisen, so laßt sie uns auch fragen, wie sie über dieses Thema denken.

Beispiel:Ägypten

Ende des Zitats.

Ich denke, eben dieser Aspekt der Relativität der Gerechtigkeit (oder der Güte), sollte nie vergessen werden.

Leszek Kolakowski (* 23. Oktober 1927 in Radom) ist ein polnischer Philosoph, Historiker der Philosophie und Publizist. Er wird vielfach als der prominenteste zeitgenössische polnische Philosoph angesehen.

Kolakovski ist der Preisträger des Deutschen Buchhandels 1977. Seine Laudatorin war Gesine Schwan, beide Reden sind eine warme Empfehlung.
 
Sammelantwort

Sammelantwort
Gestattet bitte diese etwas kursorische Antwort, denn die Fülle der Argumente hat mich überrascht und wie tiefschürfend die Thematik angegangen wurde. Das Denkforum ist ausgezeichnet und insonderheit die Diskutanten dieses Unterforum – das muss und darf ja wohl auch mal gesagt werden.
Claus schrieb:
Ich würde zunächst mal aufteilen und dann zuschläge und Abschläge geben.
C. behält ihren Anteil
A muß ihren anteil zugunsten von B abtreten.
D hat es zwar nicht nötig, aber es ist symbolisch, daß ich ihr den gleichen Teil gebe, sie könnte selbst ja zugunsten einer anderen verzichten.
und D kriegt den Anteil von E zu treuen Händen. Sie soll ihn ratenweise an E auszahlen, wenn sie sicher ist, daß es nicht vergeudet wird.
meint Claus
Das wäre eine praktikable Lösung, aber eben nur eine Möglichkeit. Wieso ist sie gerechter als eine andere? Und auf die Güte des freiwilligen Verzichtes würde ich mich als Erblasser nicht verlassen wollen.

Triskell schrieb:
Benachteiligt wird sich auf jeden Fall mindestens die Hälfte, wenn nicht alle fühlen.
Mein Vorschlag:
Familientreffen und dies verhandeln, wird bei uns praktiziert.
Zum Schluß hat man selbst schuld wenn man den kürzeren gezogen hat.
Zweiter Vorschlag:
Tombola,
alles zu gleich goßen Teilen aufteilen und ziehen lassen.
Dritter Vorschlag:
Göttliches Vorbild,
alle Menschen sind gleich und jeden das gleiche vererben,
Wobei bei Kleingegenständen, wie Schmuck, empfiehlt sich trotzdem die Tombola, um Streitereien zu vermeiden.
Zu:
1. Nicht jeder hat eine so harmonische Familie, das ein Familienrat eine einvernehmliche Lösung erbringen kann, und leicht können sich Gruppen bilden, die sich kartellartig absprechen und mindestens ein Mitglied wenn nicht gar zwei Erbberechtigte schwer benachteiligen.
2. Tombala – die Göttin Fortuna ist so blind, dass sie die größten Ungerechtigkeiten fabriziert. – Gleich große Teile aber empfand der Erblasser ja als sehr ungerecht
3. dito
Es geht, Triskell, nicht um Verurteilung sondern um die Gerechtigkeit, jedem das Seine (Preußischer Wappenspruch) zukommen zu lassen. Und was ist das ihm zustehende „Seine“?

Zeilinger schrieb:
Sicher ein schwieriges und gleichermaßen mit Emotionen behaftetes Thema. Jeden, der sich irgendwann einmal in seinem Leben ungerecht behandelt fühlte (übervorteilt, sagt man kurioserweise auch oft), wird es berühren.
1.) Das Naturgesetz bzw. Naturrecht, zu dem wir neigen, so lang wir uns stark fühlen (hier geht es natürlich um keine physikalischen, sondern nur ethische Gesetze).
2.) Das Recht bzw. das Gesetz (die Gebote) rund um eine Religion und schließlich
3.) die von Politikern gemachten Gesetze (wobei nach meinem Rechtempfinden wiederum nur die demokratisch gewählten Politiker das Recht haben sollen, Gesetze zu machen, zu ändern oder aufzuheben).
Die Reihung bitte nicht so auffassen, dass ich jetzt für das Faustrecht wäre. Ich habe das Naturgesetz als erstes erwähnt, weil es dieses schon gegeben hat, bevor es Menschen gab.
Beim angeführten Beispiel ist es nach dem Naturgesetz nur gerecht, wenn eben der Vater nach seinem Gutdünken bzw. Gewissen entscheidet. Ich werde hier auch deswegen keine detaillierte Meinung abgeben, weil ich selbst kein Vater bin und mich deswegen natürlich auch nicht voll in diese Rolle einfühlen kann. Die Kirche, zumindest die katholische, würde, soweit ich informiert bin, versuchen, das ganze Erbe an sich zu reißen, wenn es nur einen kleinen Anhaltspunkt gibt, dass die Erben gar nicht erben wollen, bzw. es nach Meinung der Kirche nicht verdienen. Nach dem von Politikern gemachten Gesetz ist dann natürlich das gerecht, was im betreffenden Gesetz steht.
Ich persönlich habe diesbezüglich kein Problem; bei mir wird der (oder die) erben, von dem (der, denen) ich mich bei Krankheit am besten umsorgt fühlte.
Eine Definition von Gerechtigkeit ist schwierig - ich will es aber dennoch versuchen: Gerecht sind jene Gesetze (und natürlich auch Urteile), die möglichst wenigen Menschen weh tun.
Liebe Grüße
Zeili
Es ist mir unmöglich auf alle Deine Argumente einzugehen, ich greife drei heraus.
1. Vielleicht verstehe ich Dich falsch, dann bitte ich um Entschuldigung; aber Naturrecht ist # Faustrecht. Unsere Verfassung hat eine (umstrittene) naturrechtliche Ableitung. – Aber praktisch spielt wegen der Durchnormierung durch positives Recht das Naturrecht in den modernen Gesellschaften keine Rolle mehr.
2. Nun lass mal die Kirche im Dorf. Sie kann – nicht in Deutschland – das „ganze Erbe an sich reißen“ wie der Pfarrer es mit Gretchens Geschmeide des Faustgeschenkes getan hat. Schlagen Erben den Nachlass aus oder findet sich kein Erbe, dann erbt der Staat; aber nur, wenn das Vermögen die Schulden des Nachlass übersteigen.
3. Zustimmung – „Gerechtigkeit“ ist schwer zu definieren; aber trägt Deine Begriffsbestimmung? Sind Steuererhöhungen deshalb Unrecht, weil sie vielen weh tun, einigen aber nicht?
Man könnte Dich beneiden, dass Du mit Deinem Nachlass keine Probleme hast, aber nur könnte, denn ich selbst bin froh, Kinder zu haben.

Louiz30 schrieb:
Was gerecht ist, muß letztlich jeder selbst vor sich und anderen verantworten. Dies zumindest in gegebenem Falle, da das Gesetz hier nur einen Rahmen bietet, der den Beteiligten Mindestrechte gewährt. Insofern darf der Pflichtteil nicht ganz außer Betracht gelassen werden.
Das Gesetz wiederum hat mit Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne nichts zu tun, sondern dient dazu, soziale Ruhe zu erhalten und Konfliktsituationen zu lösen, damit diese nicht unterschwellig weiter bestehen und später zu Unruhe und Gewalt führen. Daher gilt der Satz: Sie können Recht bekommen, Gerechtigkeit ist etwas anderes.

Der gestellte Fall kann daher nie endgültig beantwortet werden, zumindest nicht auf der Suche nach Gerechtigkeit. Dies deshalb, da jeder die Vor- und Nachteile der Beteiligten unterschiedlich bewerten wird. Eine absolute Gerechtigkeit gibt es ohnehin nicht.
Gerecht in diesem Sinne ist dann das, was die Mehrheit als gerecht ansieht. Ergo: Zufall.
Der gestellte Fall ist daher eher ein Interessenkonflikt, der zu lösen ist und nicht eine Frage der Gerechtigkeit als solcher.
Ich denke der gegebene Fall kann daher nur vom Vater entschieden werden und der muß dann auch die Verantwortung für seine Verteilung übernehmen. Ob andere dies als gerecht empfinden spielt dann auch keine Rolle mehr, da wir anderen ja in keiner Weise mit der Sache verbunden sind.
Gerechtigkeit ist immer subjektiv.

Im Modell, an dem das Problem diskutiert werden soll und kann, darf man sehr wohl den Pflichtteil unberücksichtigt lassen. – Er selbst aber könnte Gegenstand einer Gerechtigkeitswertung sein: Ist es „gerecht“, einen Erblasser zu zwingen, einem Kind und/oder seinem Ehepartner einen Mindestteil seines Erbes zu geben, auch wenn er genau das nicht will?

Doch, das Gesetz hat viel mit Gerechtigkeit zu tun. Gesetz ist geronnene Gerechtigkeit, in Worte gefaßtes Rechtsempfinden. Dass unser persönliches Rechtsgefühl davon abweichen kann ist klar.

Mehrheitswille = Gerechtigkeit? Geht das immer so auf? Eine frühere Vorsitzende des höchsten deutschen Gerichtes (BVerfG) hat einmal gesagt: Unsere Urteile ergehen „im Namen des Volkes“, aber nicht nach dem Willen des Volkes.

Jeder Interessenkonflikt muss gelöst werden – aber eben gerecht: Und was ist dies?

Volle Zustimmung zu Deinem letzten Satz, er ist der wichtigste.

Miriam schrieb:
Da es einen Schriftsteller gibt, der kurz und prägnant gezeigt hat wie relativ Gerechtigkeit sein kann, möchte ich seinen Text hier zitieren - denn ich könnte es nicht besser zum Ausdruck bringen. Und das relativiert auch die Möglichkeit diese Frage nach Gerechtigkeit, gerecht zu beantworten - was nicht bedeutet, dass wir uns die Frage nicht stellen sollen.
Gott - oder die Güte ist relativ
von Leszek Kolakowski

Diese Geschichte ist sehr kurz und einfach, sie bietet nur einen Ausgangspunkt, eine Frage und die Moral.

Der Ausgangspunkt:
Der Psalmist sagt vom Herrn (Psalm 136, 10 und 15): er habe Ägypten an ihren Erstgeburten geschlagen - denn seine Güte währet ewiglich, er habe Pharao und sein Heer ins Schilfmeer gestoßen - denn seine Güte währet ewiglich.
Die Frage
Was denken Ägypten und der Pharao über die Barmherzigkeit Gottes?
Die Mora
Barmherzigkeit und Wohltätigkeit kann es nicht für alle zugleich geben. Wenn wir diese Worte in den Mund nehmen, so laßt uns immer hinzufügen: für wen. Und wenn wir den Völkern Wohltätigkeit erweisen, so laßt sie uns auch fragen, wie sie über dieses Thema denken.
Ende des Zitats.
Ich denke, eben dieser Aspekt der Relativität der Gerechtigkeit (oder der Güte), sollte nie vergessen werden.

Dieses Zitat und Deine Zusammenfassung sind die entscheidende Quintessenz unserer Diskusion. Großen Dank, dass Du sie gebracht hast. Zur Relativität der Gerechtigkeit fällt mir ein Wort von Helmut Schmidt ein: Großes Unrecht muss man bekämpfen, mit dem kleinen muss man leben.

Allen Diskutanten ein dickes und herzliches Dankeschön! – Ziesemann; aber gern mag das Gespräch noch weitergehn.
 
Ziesemann schrieb:
2. Nun lass mal die Kirche im Dorf. Sie kann – nicht in Deutschland – das „ganze Erbe an sich reißen“ wie der Pfarrer es mit Gretchens Geschmeide des Faustgeschenkes getan hat. Schlagen Erben den Nachlass aus oder findet sich kein Erbe, dann erbt der Staat; aber nur, wenn das Vermögen die Schulden des Nachlass übersteigen.
Als Österreicher bin ich natürlich von einer österreichischen Begebenheit ausgegangen und wollte damit sagen, dass es ein fraglicher Gerechtigkeitssinn ist, ein Erbe zu erschleichen und dabei die Blutsverwandten auszuschalten. Der Vorfall ist auch schon 30 Jahre her; trotzdem
ist es fraglich, ob sich die Einstellung der (österr.) Kirche dazu verändert hat, so sie sich ja selbst Veränderungen meist verbietet.

3. . . . aber trägt Deine Begriffsbestimmung? Sind Steuererhöhungen deshalb Unrecht, weil sie vielen weh tun, einigen aber nicht?
Man könnte hier sagen, die Steuererhöhungen sind gerechtfertigt, aus denen die meisten Menschen auch - wenn auch erst später - einen Nutzen ziehen (z.B. bessere Straßen, bessere öffentliche Beleuchtungen, schöner gestaltete öffentliche Plätze). Aber sicher ist die Definition noch auszufeilen.

Gesetze haben vielleicht nicht direkt etwas mit Gerechtigkeit zu tun; sehr wohl empfindet man aber daraus erwachsene Gerichtsurteile als gerecht oder ungerecht.

Liebe Grüße

Zeili
 
Werbung:
Ziesemann schrieb:
Es geht, Triskell, nicht um Verurteilung sondern um die Gerechtigkeit, jedem das Seine (Preußischer Wappenspruch) zukommen zu lassen. Und was ist das ihm zustehende „Seine“?

Endlich kann ich es bekennen. :ola:
Nichts
Soweit die Aufzucht abgeschlossen ist.
 
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