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Vergangenheit

Hallo,

hier wurde ja schon öfter angesprochen, dass die Gegenwart zu geniessen eigentlich die größte Weisheit ist. Möchte an dieser Stelle noch einmal was zitieren:

Statt also mit den Plänen und Sorgen für die Zukunft ausschließlich und immerdar beschäftigt zu seyn, oder aber uns der Sehnsucht nach der Vergangenheit hinzugeben, sollten wir nie vergessen, daß die Gegenwart allein real und allein gewiß ist; hingegen die Zukunft fast immer anders ausfällt, als wir sie denken; ja, auch die Vergangenheit anders war; und zwar so, daß es mit Beiden, im Ganzen, weniger auf sich hat, als es uns scheint. Denn die Ferne, welche dem Auge die Gegenstände verkleinert, vergrößert sie dem Gedanken. Die Gegenwart allein ist wahr und wirklich: sie ist die real erfüllte Zeit, und ausschließlich in ihr liegt unser Daseyn. Daher sollten wir sie stets einer heitern Aufnahme würdigen, folglich jede erträgliche und von unmittelbaren Widerwärtigkeiten, oder Schmerzen, freie Stunde mit Bewußtseyn als solche genießen, d.h. sie nicht trüben durch verdrießliche Gesichter über verfehlte Hoffnungen in der Vergangenheit, oder Besorgnisse für die Zukunft. Denn es ist durchaus thöricht, eine gute gegenwärtige Stunde von sich zu stoßen, oder sie sich muthwillig zu verderben, aus Verdruß über das Vergangene, oder Besorgniß wegen des Kommenden. Der Sorge, ja, selbst der Reue, sei ihre bestimmte Zeit gewidmet: danach aber soll man über das Geschehene denken:

Alla ta men protetychthai easomen achnymenoi per,
Thymon eni stêthessi philon damasantes anankê,

und über das Künftige:

Etoi tauta theôn en gounasi keitai,

hingegen über die Gegenwart: singulas dies singulas vitas puta (Sen.) und diese allein reale Zeit sich so angenehm wie möglich machen.

Ebenfalls würden wir die Gegenwart besser würdigen und genießen, wenn wir, in guten und gesunden Tagen, uns stets bewußt wären, wie, in Krankheiten, oder Betrübnissen, die Erinnerung uns jede schmerz- und entbehrungslose Stunde als unendlich beneidenswerth, als ein verlorenes Paradies, als einen verkannten Freund vorhält. Aber wir verleben unsre schönen Tage, ohne sie zu bemerken: erst wann die schlimmen kommen, wünschen wir jene zurück. Tausend heitere, angenehme Stunden lassen wir, mit verdrießlichem Gesicht, ungenossen an uns vorüberziehn, um nachher, zur trüben Zeit, mit vergeblicher Sehnsucht ihnen nachzuseufzen. Statt dessen sollten wir jede erträgliche Gegenwart, auch die alltägliche, welche wir jetzt so gleichgültig vorüberziehn lassen, und wohl gar noch ungeduldig nachschieben, - in Ehren halten, stets eingedenk, daß sie eben jetzt hinüberwallt in jene Apotheose der Vergangenheit, woselbst sie fortan, vom Lichte der Unvergänglichkeit umstrahlt, vom Gedächtnisse aufbewahrt wird, um, wann dieses einst, besonders zur schlimmen Stunde, den Vorhang lüftet, als ein Gegenstand unsrer innigen Sehnsucht sich darzustellen.

Gruß, Andi
 
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liebe andi13

besser hätte man es wohl nicht ausdrücken können,
was vergangenheit - gegenwart - zukunft, für uns bedeuten sollte


gruss binchen:)
 
gerade jetzt

Hallo Andi13,

ich fürchte, der Altphilologe, der immer den Teppichboden des Learjets reinigt, hat gerade Urlaub. :D

Möchtest Du nicht etwas zur Verständlichkeit Deines Textes beitragen und die drei Sätzte übersetzen?
 
Hallo!

Entschuldigt, ich hätte einige Stellen übersetzen müssen.

Also über das Geschehene soll man denken: Alla ta men protetychthai easomen achnymenoi per, Thymon eni stêthessi philon damasantes anankê (Homer),
was übersetzt heisst: Aber so sehr es uns kränkte, wir wollen es lassen geschehen sein. Und, so schwer es uns wird, den Unmut zähmen im Herzen.

Über das Künftige: Etoi tauta theôn en gounasi keitai (Homer),
was soviel heisst wie: Das liegt nun im Schosse der Götter.

Und endlich über die Gegenwart: Etoi tauta theôn en gounasi keitai (Senca),
was übersetzt heisst: Sieh die einzelnen Tage als ein jeweiliges Leben an.

Gruß, Andi
 
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Hallo nochmal!

Hab gedacht, wo ich grad dabei bin, könnte ich ja noch eine schöne Stelle zitieren - vielleicht hat ja jemand Interesse daran:

Was gewesen ist, das ist nicht mehr; ist eben so wenig, wie Das, was nie gewesen ist. Aber Alles, was ist, ist im nächsten Augenblick schon gewesen. Daher hat vor der bedeutendesten Vergangenheit die unbedeutendeste Gegenwart die Wirklichkeit voraus; wodurch sie zu jener sich verhält, wie Etwas zu Nichts. -
Man ist mit Einem Male, zu seiner Verwunderung, da, nachdem man, zahllose Jahrtausende hindurch, nicht gewesen, und, nach einer kurzen Zeit, eben so lange wieder nicht zu seyn hat. - Das ist nimmermehr richtig, sagt das Herz: und selbst dem rohen Verstande muß aus Betrachtungen dieser Art eine Ahn|dung
V309 der Idealität der Zeit aufgehn. Diese aber, nebst der des Raumes, ist der Schlüssel zu aller wahren Metaphysik; weil durch dieselbe für eine ganz andre Ordnung der Dinge, als die der Natur ist, Platz gewonnen wird. Daher ist Kant so groß.
Jedem Vorgang unsers Lebens gehört nur auf einen Augenblick das Ist; sodann für immer das War. Jeden Abend sind wir um einen Tag ärmer. Wir würden vielleicht, beim [242] Anblick dieses Ablaufens unsrer kurzen Zeitspanne, rasend werden; wenn nicht im tiefsten Grunde unsres Wesens ein heimliches Bewußtseyn läge, daß uns der nie zu erschöpfende Born der Ewigkeit gehört, um immerdar die Zeit des Lebens daraus erneuern zu können.
Auf Betrachtungen, wie die obigen, kann man allerdings die Lehre gründen, daß die Gegenwart zu genießen und Dies zum Zwecke seines Lebens zu machen, die größte Weisheit sei; weil ja jene allein real, alles Andere nur Gedankenspiel wäre. Aber eben so gut könnte man es die größte Thorheit nennen: denn was im nächsten Augenblicke nicht mehr ist, was so gänzlich verschwindet, wie ein Traum, ist nimmermehr eines ernstlichen Strebens werth.

Gruß, Andi
 
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