AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter
Corsario schrieb:
Ah non mon vieux, en pleine Île de France, und da war ich lange genug, um vom Freund weder noch vom Feind länger für einen Gast gehalten zu werden. Höfliche Leute? Ich erzähl Dir une anecdote. Als ich grad etwa ein Jahr dort war, stellten mir Kollegen einen jungen Mann aus l'Alsace vor, und kamen sogleich miteinander lebhaft ins Gespräch. Der Alsacien und ich standen dabei. Nach einer Weile sagt er zu mir: "Ist Dir das auch schon aufgefallen? Immer, wenn Franzosen einen Deutschen und einen Elsässer beisammen sehen, reden sie über Krieg."
Pardon!, Corsario, aber es fällt mir schwer zu glauben, dass sich junge oder Menschen mittleren Alters bei dieser Gelegenheit und aus heiterem Himmel...über Kriege, die sie gar nicht erlebt haben, austauschen. Vielleicht könntest Du mir erklären, worüber sie sich so lebhaft unterhielten.
Wüsste ich nicht, dass Du in einer pädagogischen Heilanstalt angestellt warst, hätte ich auf ein Veteranenheim getippt -grins.
Wie ich auf Südfrankreich kam, kann ich Dir beim besten Willen nicht begründen, bitte Dich, mir die Verwechslung nachzusehen
.
Erst jetzt werde ich langsam ärgerlich. Was meinst Du wohl, wie ich auf diese "Platitude" gekommen bin? Weil ich es spätestens im vierten Jahr wirklich nicht mehr lustig fand, von den höflichen Franzosen - juste pour rigoler, bien sûr! - alle Nasen lang ein "sâle b..." genannt zu werden.
So, jetzt reichts. Schluss, aus, alle.
Erst '
langsam ärgerlich' und dann auf einmal ganz schnell 'Schluss, aus...'?, Schade, ich hätte mir gewünscht, Du beantwortest noch meine EU-Frage.
Corsario, wir Franzosen finden es auch nicht immer lustig 'Schnecken
fresser' genannt zu werden.
Das nur am Rande und es ändert natürlich nichts daran, dass 'boche' heute als beleidigend und sogar einklagbar gilt. Ob nun 'pâle' oder 'sale'
. Mich für meine Landleute an dieser Stelle zu entschuldigen, brächte vermutlich wenig. Aber wenigstens jetzt und hier sollten wir nicht neue Grenzgräben schaffen.
Auch ich kenne eine kleine Geschichte. Habe sie im Forum zwar schon einmal erzählt; man möge mir die Wiederholung ebenfalls nachsehen.
(In Frankreich gibt es mehrere Ortschaften namens St. André. Eine dieser Ortschaften befindet sich in Burgund.)
Seit der Pfarrer von St. André gestorben ist, ist das Weihwasser verdunstet, der Beichtstuhl unter der eigenen Last zusammengebrochen und dem elektrischen ewigen Licht haben sie den Stecker rausgezogen. Die übrig Gebliebenen von St. André gehen statt in die Kirche am Sonntag in die Salle d'animation - den Gemeindesaal - kartenspielen. Der alte Pfarrer war in den letzten Jahren während der Predigt regelmässig eingeschlafen - im wechselnden Rhythmus zu seinen verbliebenen Schäfchen. Auch unterbrach er sich gerne mit der Frage: '...habe ich euch das nicht schon erzählt?'. Einige Schäfchen wachten dann auf und versuchten sich zu erinnern. Manchmal war der Pfarrer auch einige Stunden nach der Predigt ganz alleine auf dem Stuhl in der Kanzel aufgewacht. Dann ging er auf den Friedhof, um zu schauen, ob der Bäcker noch da lag. Der Bäcker hatte sein Grab schon im voraus bezahlt und ging jeden Sonntag nach der Messe auf den Grasflecken unter der Linde probeliegen. Der Pfarrer weckte den Bäcker jeweils gegen Nachmittag, um mit ihm hinter dem Taufbecken den Rest Messwein zu trinken. Das Taufbecken eignete sich am besten, um den Wein zu kühlen.
Seit einigen Wochen liegt aber auch der Bäcker nicht mehr auf, sondern unter dem Grasflecken unter der Linde. Jetzt gibt es kein Brot mehr. Aber die meisten können sowieso nicht mehr beissen. Und der Spengler sagt vom Bäcker, seit sich dieser dauerhaft auf dem Friedhof installiert habe, hätte er wenigstens keine Frauen mehr angemacht, und auf dem Grab halte er auch besser Ordnung als in seiner Backstube. Die Frau vom Spengler sagt gar nichts. Sie lächelt nur.
Manchmal, wenn deutsche Touristen kommen, zieht der Spengler seine alte Uniform an, dessen Hose er nicht mehr zubringt, und lässt sich vor dem Soldatendenkmal auf dem Friedhof fotografieren. Auf dem Denkmal steht:
TOMBÉS PAR LES MAINS DES BOCHES. Die Deutschen reichen ihm zum Dank die Hand. Seine ist ölig vom Gewehrfett des Karabiners.
Wenn es den Alten in der Salle d'animation zu heiss zum Kartenspielen wird, spielen sie auf dem Kirchplatz unter den Bäumen Pétanque...
Zum Schimpfwort selbst möchte ich ebenfalls noch etwas schreiben. 'Tête de bois' und auch 'tête de boche' waren einst wertneutral, verwendet wurden sie für alle Dickschädel.
Bereits nach dem I. WK wurde daraus 'alboche' (=allemand+boche) und verkürzt 'boche' als abwertende Bezeichnung kreiert.
Eine andere Erklärung, die ebenfalls den 'deutschen Stur- oder Dickschädel' im Visier hat, lautet: 'al' für allemand und die Verkürzung von 'caboche' (von der provenzalischen Bezeichnung 'bocho' für Boule/Pétanque und die dazugehörenden Kugeln abgeleitet).
Ich möchte nicht noch unnötig an dem Nationalcharakter rühren, aber ob nicht doch ein Quentchen Wahrheit in dem 'Dickschädel' versteckt liegt? Das Spanisch bzw. Mallorquinisch kennt nämlich eine adäquate Bezeichnung.
En paix -grins
Jérôme