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Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

@Zwetsche: Dass Heine (später) mit Karl Marx befreundet war, weißt Du? Der meinte nach der Wahl Louis Bonapartes zum Präsidenten auch, von da an müsse das deutsche Proletariat die Revolution nach Frankreich zurück bringen. Aber um ebendiese war's ihm zu tun, nicht um Nationen (jedenfalls nicht mehr im bürgerlichen Zeitalter). Und als im Mai 1871 die Pariser Arbeiter die Macht ergriffen, sind die drei Arbeitervertreter im Norddeutschen Reichstag, Lassalleaner wie Eisenacher, für sie eingetreten und gegen die Invasionsarmee (von der Versailler Ordnungspartei nicht zu reden).
 
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AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

@Jérôme: Erst jetzt werde ich langsam ärgerlich. Was meinst Du wohl, wie ich auf diese "Platitude" gekommen bin? Weil ich es spätestens im vierten Jahr wirklich nicht mehr lustig fand, von den höflichen Franzosen - juste pour rigoler, bien sûr! - alle Nasen lang ein "sâle b..." genannt zu werden.

So, jetzt reichts. Schluss, aus, alle.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Als ich weiland unter der schönen France weilte, sagte ich oft: Wartet nur ab, das nächste Mal kommen wir nur, um das Elsass an die Schweiz anzuschließen.

Hallo Corsario,

warum nur das Elsass an die Schweiz anschliessen?

Du kennst vielleicht den schweizerischen Politiker Christoph Blocher, der da meint(e), die ganze EU könne/solle sich der Schweiz anschliessen statt umgekehrt. Obwohl ich für Herrn Blocher ansonsten wenig übrig habe, gefällt mir seine Idee vom Grundsatz her. Sie würde nämlich die bürokratisierte Demokratie durch eine volksnahe und damit echte Demokratie ersetzen.

Gruss
Hartmut
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Und das Mittel dazu war Bildung! In den Salons, in den Theatern und den Musiksälen konnten sich deutsche Bürger "gleichrangig" fühlen mit den Edelleuten, und – wer weiß? – vielleicht wurde man wie Goethe und Schiller sogar geadelt. Bildung war der deutsche Ersatz für bürgerliche Befreiung.

Stimmt. Darin sehe ich auch den Grund dafür, daß es in vielen Ländern wirklich hörenswerte Folklore gibt, nur eben nicht bei uns: z.B. in Irland, Brasilien und auch ein "französisches Akkordeon" hört sich für mich weit geschmackvoller an als die nervtötenden Ländler aus "deutschen Landen" oder die dumpfe Schützenfestmusik.

Wir aber haben Bach, Mozart und Beethoven, Schuhmann, Brahms und Mendelssohn vorzuweisen, kaum ein anderes Land kann uns auch nur annähernd im Bereich der klassischen Musik das Wasser reichen. Kann es sein, daß das an der fehlenden Idendität des deutschen Bürgertums liegt, das auch nicht die Kraft hatte, die 1848er Revolution zu einem erfolgreichen Ende zu bringen?

Deutschland, die verspätete Nation, hat sich von oben entwickelt und nicht aus dem Volk. Das ist sich nach Ende des 30jährigen Krieges mit sich nicht warm geworden. Und leider hatte das nicht nur ungute Folgen für die Entwiklung der Volksmusik. Ein funktionierendes Bürgertum hat sich - jedenfalls in Westdeutschland - erst nach dem 2. Weltkrieg entwickeln können...

...übrigens wiederum unter der Obrigkeit der Amerikaner.

Vielleicht liegt hierin, in der Obrigkeitshörigkeit, sogar ein Grund, warum nach 1945 alles so reibungslos funktionierte (vergleichen wir das mal - auch wenn der Vergleich sicher auch aus anderen Gründen hinken mag - mit dem Irak, wo die Amis sich möglicherweise ernsthaft erhofft hatten, es liefe so ähnlich wie anno 45ff hierzulande). Freilich lag darin auch eine Gefahr, nämlich daß zunächst, bis zum Aufkommen der 68er Bewegung, gar nicht verinnerlicht wurde, was geschehen war.

Gruß
Zwetsche
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Corsario schrieb:
Ah non mon vieux, en pleine Île de France, und da war ich lange genug, um vom Freund weder noch vom Feind länger für einen Gast gehalten zu werden. Höfliche Leute? Ich erzähl Dir une anecdote. Als ich grad etwa ein Jahr dort war, stellten mir Kollegen einen jungen Mann aus l'Alsace vor, und kamen sogleich miteinander lebhaft ins Gespräch. Der Alsacien und ich standen dabei. Nach einer Weile sagt er zu mir: "Ist Dir das auch schon aufgefallen? Immer, wenn Franzosen einen Deutschen und einen Elsässer beisammen sehen, reden sie über Krieg."

Pardon!, Corsario, aber es fällt mir schwer zu glauben, dass sich junge oder Menschen mittleren Alters bei dieser Gelegenheit und aus heiterem Himmel...über Kriege, die sie gar nicht erlebt haben, austauschen. Vielleicht könntest Du mir erklären, worüber sie sich so lebhaft unterhielten.
Wüsste ich nicht, dass Du in einer pädagogischen Heilanstalt angestellt warst, hätte ich auf ein Veteranenheim getippt -grins.

Wie ich auf Südfrankreich kam, kann ich Dir beim besten Willen nicht begründen, bitte Dich, mir die Verwechslung nachzusehen ;).

Erst jetzt werde ich langsam ärgerlich. Was meinst Du wohl, wie ich auf diese "Platitude" gekommen bin? Weil ich es spätestens im vierten Jahr wirklich nicht mehr lustig fand, von den höflichen Franzosen - juste pour rigoler, bien sûr! - alle Nasen lang ein "sâle b..." genannt zu werden.

So, jetzt reichts. Schluss, aus, alle.

Erst 'langsam ärgerlich' und dann auf einmal ganz schnell 'Schluss, aus...'?, Schade, ich hätte mir gewünscht, Du beantwortest noch meine EU-Frage.

Corsario, wir Franzosen finden es auch nicht immer lustig 'Schneckenfresser' genannt zu werden.
Das nur am Rande und es ändert natürlich nichts daran, dass 'boche' heute als beleidigend und sogar einklagbar gilt. Ob nun 'pâle' oder 'sale' ;). Mich für meine Landleute an dieser Stelle zu entschuldigen, brächte vermutlich wenig. Aber wenigstens jetzt und hier sollten wir nicht neue Grenzgräben schaffen.

Auch ich kenne eine kleine Geschichte. Habe sie im Forum zwar schon einmal erzählt; man möge mir die Wiederholung ebenfalls nachsehen.

(In Frankreich gibt es mehrere Ortschaften namens St. André. Eine dieser Ortschaften befindet sich in Burgund.)
Seit der Pfarrer von St. André gestorben ist, ist das Weihwasser verdunstet, der Beichtstuhl unter der eigenen Last zusammengebrochen und dem elektrischen ewigen Licht haben sie den Stecker rausgezogen. Die übrig Gebliebenen von St. André gehen statt in die Kirche am Sonntag in die Salle d'animation - den Gemeindesaal - kartenspielen. Der alte Pfarrer war in den letzten Jahren während der Predigt regelmässig eingeschlafen - im wechselnden Rhythmus zu seinen verbliebenen Schäfchen. Auch unterbrach er sich gerne mit der Frage: '...habe ich euch das nicht schon erzählt?'. Einige Schäfchen wachten dann auf und versuchten sich zu erinnern. Manchmal war der Pfarrer auch einige Stunden nach der Predigt ganz alleine auf dem Stuhl in der Kanzel aufgewacht. Dann ging er auf den Friedhof, um zu schauen, ob der Bäcker noch da lag. Der Bäcker hatte sein Grab schon im voraus bezahlt und ging jeden Sonntag nach der Messe auf den Grasflecken unter der Linde probeliegen. Der Pfarrer weckte den Bäcker jeweils gegen Nachmittag, um mit ihm hinter dem Taufbecken den Rest Messwein zu trinken. Das Taufbecken eignete sich am besten, um den Wein zu kühlen.
Seit einigen Wochen liegt aber auch der Bäcker nicht mehr auf, sondern unter dem Grasflecken unter der Linde. Jetzt gibt es kein Brot mehr. Aber die meisten können sowieso nicht mehr beissen. Und der Spengler sagt vom Bäcker, seit sich dieser dauerhaft auf dem Friedhof installiert habe, hätte er wenigstens keine Frauen mehr angemacht, und auf dem Grab halte er auch besser Ordnung als in seiner Backstube. Die Frau vom Spengler sagt gar nichts. Sie lächelt nur.
Manchmal, wenn deutsche Touristen kommen, zieht der Spengler seine alte Uniform an, dessen Hose er nicht mehr zubringt, und lässt sich vor dem Soldatendenkmal auf dem Friedhof fotografieren. Auf dem Denkmal steht:
TOMBÉS PAR LES MAINS DES BOCHES. Die Deutschen reichen ihm zum Dank die Hand. Seine ist ölig vom Gewehrfett des Karabiners.
Wenn es den Alten in der Salle d'animation zu heiss zum Kartenspielen wird, spielen sie auf dem Kirchplatz unter den Bäumen Pétanque...

Zum Schimpfwort selbst möchte ich ebenfalls noch etwas schreiben. 'Tête de bois' und auch 'tête de boche' waren einst wertneutral, verwendet wurden sie für alle Dickschädel.
Bereits nach dem I. WK wurde daraus 'alboche' (=allemand+boche) und verkürzt 'boche' als abwertende Bezeichnung kreiert.

Eine andere Erklärung, die ebenfalls den 'deutschen Stur- oder Dickschädel' im Visier hat, lautet: 'al' für allemand und die Verkürzung von 'caboche' (von der provenzalischen Bezeichnung 'bocho' für Boule/Pétanque und die dazugehörenden Kugeln abgeleitet).

Ich möchte nicht noch unnötig an dem Nationalcharakter rühren, aber ob nicht doch ein Quentchen Wahrheit in dem 'Dickschädel' versteckt liegt? Das Spanisch bzw. Mallorquinisch kennt nämlich eine adäquate Bezeichnung.

En paix -grins
Jérôme
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Salut Jérôme,

auch wenn anders gelagert, auch wenn vielleicht nur der Pfarrer mich daran erinnert hat: waren das noch Zeiten wie meine Generation "Clochemerle" verschlungen hat...

Doch es gibt auch noch einen anderen Punkt, der mich vielleicht an Clochemerle denken liess: gibt es denn viele Romane in denen man so eine Selbstpersiflage findet, wie im Roman von Gabriel Chevallier?

Ja, vielleicht im "Der brave Soldat Schweijk". Aber auch Hašek war kein Deutscher.

Tiefer möchte ich heute nicht einsteigen in Betrachtungen über die Fähigkeit der Selbstpersiflage.

Bien des choses de la part de

Miriam
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

auch wenn anders gelagert, auch wenn vielleicht nur der Pfarrer mich daran erinnert hat: waren das noch Zeiten wie meine Generation "Clochemerle" verschlungen hat...

Doch es gibt auch noch einen anderen Punkt, der mich vielleicht an Clochemerle denken liess: gibt es denn viele Romane in denen man so eine Selbstpersiflage findet, wie im Roman von Gabriel Chevallier?

Ja, vielleicht im "Der brave Soldat Schweijk". Aber auch Hašek war kein Deutscher.


Chère Miriam, mit Verlaub, auch Chevallier war kein Deutscher...und kein Schweizer! -grins
Nein, ich weiss, was Du meinst.
Oscar Wilde war die personifizierte Selbstpersiflage, aber auch er war kein Deutscher und auch das meinst Du nicht, nicht?
Wie wär's mit Nabokov in 'Pnin'? Auch kein Deutscher wie auch Houellebecq, bei dem das Lachen sowieso im Halse stecken bleibt.

Wir wollen doch hoffen, dass es hier nicht zu Tumulten kommt wie in Clochemerle -grins.
Ich betrachte Humor als durchaus gesellschaftsstabilisierend in seiner Fähigkeit zur Versöhnung und gelassener Betrachtung der Schwächen, Mängel, Schrecken... bis zum Grauen, aber es ist auch ein gefährliches Mittel -für uns alle, wenn fehlinterpretiert.

Solltest Du aber gemeint haben, dass hier die Selbstdarsteller den einzigen Mittelpunkt bilden und keine realitätsnahe Abbildung eines Inhaltes bieten, so bist Du dann doch das beste Beispiel dafür, dass das Kunststück trotzdem gelingen kann, wenn wenigstens das Publikum (mitleidig-schmerzhaft? -grins), reflektieren kann.

Und wenn der Vorhang fällt, die (Selbst)Darsteller entkleidet, verschwinden sie möglicherweise wieder alle in der 'Anonymität' des wirklichen Lebens.

Amitiés
Jérôme
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Cher Jérôme,

ich meinte einfach, dass man sich hier sehr oft zu wichtig und zu ernst nimmt bzw. gibt. Aber dies beruht zum Teil auch auf die Unfähigkeit über sich und seine nähere Umgebung zu lachen.

Wobei es durchaus in Deutschland einen bissigen, persiflierenden und selbstperiflierenden Humor gibt, der hat sich aber anscheinend ins Kabarett verlager, ein Kabarett das wunderbar ist.

Aber hat dieser auch so eine Art Stellvertreter Funktion? Und ausserdem: wie hoch ist der Anteil der Bevölkerung (bitte keine Prozentzahlen angeben!), der Kabarett richtig geniesst?

Und à propos Oscar Wilde, diesmal aber nicht zur Selbstpersiflage:

Oscar Wilde wurde mal in Paris zu einer Soirée eingeladen, geladen hatte eine der feinsten Familien aus Paris. Die Hausdame hochgebildet, war unbeschreiblich hässlich. Als sie auf Wilde zukommt um ihn zu begrüßen, schreckt dieser zusammen und lehnt sich schnell an eine Wand. Darauf die Dame:

"Mais Monsieur Wilde, vous ne saviez pas que je suis la femme la plus laide de Paris?"

Darauf Wilde, der sich inzwischen gefasst hatte, mit einer höflichen Verneigung:

"Du monde Madame, du monde..."


Na ja, zurück zu Clochemerle - wenn man doch all die humorvollen Klassiker bedenkt, die wir der Französichen Literatur zu verdanken haben, ich erwähne nur zwei:

Gargantua et Pantagruel

und diese tolle Enzyklopedie:

Bouvard et Pécuchet - na ja, letzteres Werk ist auch von Flauberts Zorn geprägt.

Um diese nostalgischen Töne mal zu unterbrechen, hier ein kleiner présent von mir, auch wenn es nicht der echte pissoir von Clochemerle ist:

http://www.fotosearch.com/comp/STK/...s-beaujolais-wine-country-rhone-~-LPS5281.jpg

Salutations amicales

Miriam
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Zwetsche, DU HAST INS SCWARZE GETROFFEN!

(Bin in Eile; später sicher mehr!)

Jérôme (hélas; ma patience a des bornes...): Unter meinen Kollegen, mon cher vieux, waren nur junge Leute.

(Essaie de te contenancer; c'est pas la place ici de faire l'intéressant. Va chercher ta place à toi.)
 
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AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Zwetsche,

(so viel Zeit ist noch): Selten hatte ich den Eindruck, so richtig verstanden worden zu sein!
 
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