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Wem gehört das Gehirn?

Walter

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3. Oktober 2002
Beiträge
5.053
Hier der Beginn eines Artikels von Stephan Schleim auf Telepolis:

Wem gehört das Gehirn?
Wir stehen am Anfang der Neurorevolution - von der Gesellschaft größtenteils unbemerkt

Wissenschaft und Gesellschaft prallen in regelmäßigen Abständen aufeinander. Meistens dann, wenn Technik unseren Alltag zu verändern droht, oder wenn bereits gängige Praxis - so etwa im Falle der Bioethik - publik wird. Nun explodiert der Markt der Neurowissenschaften schon seit Jahren und vereinzelt schaffen es Sensationsmeldungen in die Presse. Jüngst berichtete SZ-Wissen etwa, Hirnforscher könnten erste Gedanken lesen1 . Wenn solche Meldungen auch mit Vorsicht zu genießen sind, wird der Mensch doch in seinem sensibelsten Bereich, seinem Gehirn, immer verfügbarer. Der große gesellschaftliche Aufschrei ist bislang ausgeblieben. Dabei ist es wichtig, dass sich eine Gesellschaft rechtzeitig darüber klar wird, was sie zulassen will und was nicht, um nicht vom technischen Fortschritt überrollt zu werden. Kurz gesagt, es ist höchste Zeit für eine öffentliche Neuroethik-Diskussion.

Was ist bereits real?

Ein Blick in das eigene Email-Postfach reicht schon, um dem Schwarzmarkt für psychoaktive Substanzen zu begegnen. Per Spam landen täglich Millionen von Angeboten für verschreibungspflichtige Medikamente in Postfächern - und werden dort nicht immer gleich gelöscht.

"Lifestyle drugs" nennt man diese Mittel, die zum Beispiel körperliche oder psychische Aufmerksamkeit versprechen oder den Appetit zügeln sollen. Potenz, Gewichtsverlust, Haarwachstum, Schmerzfreiheit, Cholesterinsenkung, Nichtrauchertum und Antidepressiva, all das verspricht das Internet für wenige Dollar (pro Tablette). Zwar können noch nicht alle dieser Funktionen heute schon im Gehirn beeinflusst werden, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das ändert. Die Pharmaindustrie hat für neue Möglichkeiten nämlich gute Gründe, denn das Marktvolumen für "lifestyle drugs" betrug schon Anfang 2000 20 Milliarden US-Dollar weltweit und soll bis 2007 auf 29 Milliarden wachsen.

Studien an nordamerikanischen Schulen zum Beispiel deuten darauf hin, dass heute bis zu 10% der Schülerinnen und Schüler in der High School und 20% der Studierenden in Colleges verschreibungspflichtige Stimulanzien wie Methylphenidat (im Medikament Ritalin) illegal verwendet haben. Aber bereits im Vorschulalter werden Kinder mit psychotropen Medikamenten behandelt. Dabei hat sich schon in den Jahren von 1991 bis 1995 die Häufigkeit verdreifacht.

Ist das in Deutschland unmöglich?

Den Rest des Artikels findet man hier:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19272/1.html

Ich stelle den Artikel mal zur Diskussion...
 
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Lieber Walter,

da der Artikel die unterschiedlichsten Themen streift, will ich ausschließlich auf das implitzite philosophische Problem eingehen, das die Autonomie und Würde des Menschen betrifft.

  • 1. Für mich steht fest, dass mein Gehirn mir gehört, bzw. ein Teil meines Körpers ist, der zu mir gehört. Als mein unmittelbarster Besitz hat dieser Körper vor allem die Funktion eines Werkzeuges im täglichen Lebensvollzug. Ich benutze ihn bspw. für jede Art von Bewegung, fürs Wahrnehmen, für mein Sexualleben, zum Denken.

    2. Jede Verletzung, jede Krankheit beeinträchtigt die Tauglichkeit dieses Werkzeuges und wird in der Regel durch entsprechende medizinische bzw. pflegerische Maßnahmen behoben oder wenigstens gelindert.

    3. Jede nicht durch körperliche Beschwerden begründete Einnahme von Mitteln, die im Gehirn bestimmte Regionen stimulieren und mich in einen Rauschzustand welcher Art auch immer versetzen, haben ihre Ursache nicht im Körper, sondern im Menschen selbst. So ist z.B. der in unserer Kultur fest verankerte Gebrauch von Alkohol aus dem ausdrücklichen Wunsch entstanden, sich meist in Verbindung mit religiösen oder anderen kulturellen Bräuchen zu berauschen und außer sich zu geraten, oder sich einfach nach einer Anstrengung zu entspannen.

    4. Die zunehmende Verbreitung von Live-Drugs ist eher der Ungeduld vieler heutiger Menschen zuzuschreiben, sich möglichst schnell von negativen Gemütszuständen zu befreien, anstatt diesen auf den Grund zu gehen und sie von daher zu lösen. Die schon seit Jahrzehnten für psychische Krankheiten sich in Anwendung befindliche Medikamente, werden leider überwiegend nicht, wie sie eigentlich sollten zur vorübergehenden Behandlung von entsprechenden Symptomen verwendet, sondern fast schon regelmäßig, anstelle von sinnvollen psychologischen Langzeittherapien zur ausschließlichen medikamentösen Langzeittherapie. Darüber hinaus wird auch bei alltäglichen Gemütsverstimmungen, die im Zuge unterschiedlichster Lebensprobleme zwangsläufig auftreten, der Mediziner aufgesucht, damit dieser seinen Rezeptblock zücke und entsprechende Pillen verschreibe. Damit wird oft der Grundstein für eine Medikamentenabhängigkeit gelegt.

    5. Bei solchem wissenschaftlich sanktionierten Umgehen mit unseren Lebensproblemen sollte es uns nicht wundern, dass Jugendliche, die in einer so sinnentleerten Gegenwart wie der unseren groß werden müssen, diesem Lösungsverhalten nacheifern.

    6. Wenn wir wollen, dass unser Körper uns gehört und damit auch unser Gehirn, sollten wir an der Verbesserung unserer menschlichen Qualitäten arbeiten. Dies ist mühsam aber unerlässlich, wenn wir unseren Körper selber steuern wollen.

mfg
manni
 
mwirthgen schrieb:
sollten wir an der Verbesserung unserer menschlichen Qualitäten arbeiten. Dies ist mühsam aber unerlässlich, wenn wir unseren Körper selber steuern wollen.

Nur ist das kaum ein massenkompatibles Programm :)

Wie verändert sich die Gesellschaft wenn gehirnbeeinflussende Substanzen einmal auf breiter Basis verwendet werden? Wie im Artikel schon angesprochen:

Wenn eine bestimmte Anzahl der Konkurrenten zu Stimulanzien greift, die konzentrierteres oder ausdauernderes Arbeiten ermöglichen, dann geraten automatisch diejenigen unter Druck, die diesen Vorteil nicht haben. Wie man schon heute im professionellen Sport keine Spitzenleistung mehr ohne die entsprechende medizinische Betreuung erreichen kann, so könnten bestimmte Karrierewege ohne "mind doping" unmöglich sein. Wer dann nicht auf dem neuesten Stand ist, was die Pharmazie zu bieten hat, bleibt außen vor. Da solche Substanzen aber oft auch - wie zum Beispiel im Fall von Ritalin - einen klinischen Nutzen haben, der Menschen mit Störungen gleichauf ziehen lässt, ist ein generelles Verbot unplausibel

Sähe unsere heutige Gesellschaft anders aus wenn es keinen Alkohol gäbe? Besser? Schlechter?
 
Hallo zusammen!

Wie verändert sich die Gesellschaft wenn gehirnbeeinflussende Substanzen einmal auf breiter Basis verwendet werden? Wie im Artikel schon angesprochen:

Ich denke nicht, dass eine Leistungssteigerung dauerhaft erwirkt werden kann, indem man Substanzen einnimmt, die in die natürliche Funktion unseres Gehirnes eingreifen.

Meiner Meinung nach ist der Mensch umso glücklicher, je natürlicher er lebt. Das muss zwangsläufig so sein, weil der Mensch sobald er seine Rolle, die er von Mutter Natur zugeschrieben bekommen hat, nicht mehr erfüllt, zugrunde geht.
Würde es sich der Mensch zum Beispiel anmaßen ohne Sonnenlicht leben zu können, würde früher oder später entweder umkommen oder sich einfach entschließen wieder mit dem Sonnenlicht zu leben.

Genauso sieht es, denke ich, mit gehirnbeeinflussenden Substanzen aus. Würde es sich der Mensch anmaßen, dauerhaft in seine natürlichen, körperlichen Prozesse eingreifen zu können, würde er früher oder später entweder daran zugrunde gehen oder sich wieder entschließen dem seit Jahrtausenden bewährten natürlichen System seinen freien Lauf zu lassen.

mfg
Ben
 
Zuletzt bearbeitet:
walter schrieb:
Nur ist das kaum ein massenkompatibles Programm :)

Sicher nicht, Walter, es ist eher massenfeindlich. Aber es ist die einzige wirksame Möglichkeit um Kräft einzelner, die guten Willens sind, zu bündeln und gesellschaftlich wirksam werden zu lassen. Und sicher allemal ehrlicher, als der Masse vorzugaukeln, es gäbe schnelle Problemlösungen für Zustände, die ihr Faktum eben nicht nur der Pharmazeutischen Industrie oder den Weinbauern verdanken, sondern einer über Generationen lang erworbenen menschlichen Fehlhaltung. Das Aufbauen von vermeintlich Schuldigen (Buhmänner) hat uns in den letzten 50 Jahren keinen Schritt vorangebracht!

Wir können natürlich den Alkohol so ähnlich wie das Nikotin nach und nach per Gesetz aus dem öffentlichen Raum verdrängen, vielleicht sogar auch noch im Privaten verbieten - hoch lebe die Schöne, Neue Welt - das wird uns gar nichts nützen, wenn die Menschen sich nicht ändern!

mfg
manni
 
Im Grunde genommen gehört einem das Gehirn selbst.
Aber, aufgrund des Anpassungs- und Anerkennungsbedürnisses des Menschen unterwerfen sich die meisten dem gesellschaftlichen Leistungsdruck.
Der in den letzten Jahren immer größer wird, was sich auch in der erhöhten Anzahl der Depressionen niederschlägt.
Wobei auch die Psychopharmaka und andere Drogen einen nicht unerheblichen Anteil daran tragen.

MfG

Triskell
 
Im Grunde genommen gehört einem das Gehirn selbst.
Aber, aufgrund des Anpassungs- und Anerkennungsbedürnisses des Menschen unterwerfen sich die meisten dem gesellschaftlichen Leistungsdruck.
Der in den letzten Jahren immer größer wird, was sich auch in der erhöhten Anzahl der Depressionen niederschlägt.
Wobei auch die Psychopharmaka und andere Drogen einen nicht unerheblichen Anteil daran tragen.

MfG

Triskell

Ich vermute, dass nicht die Depressionen sich so stark vermehrt haben, eher das Interesse, noch besser daran zu verdienen.

Herdentrieb! Hat bis jetzt ja auch immer gut funktioniert, also die Vermehrung in zwiefacher Sicht heraus betrachtet.

Die Herrscher beherrschen das Spiel!
 
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