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Suizid einer Jugendlichen

Ich habe einmal an der Werkbank gestanden und die Flasche Verdünnung angesetzt. Doch in diesem Moment ist mir klar geworden, wie wichtig das Leben ist und ich habe diese wieder abgesetzt. Der Tod wäre eine Flucht gewesen. Und es hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, stark zu sein. Und vielleicht dem einen oder anderen diese Erkenntnis auch zu zeigen. Dieser Selbstmord wäre feige und egoistisch gewesen. Gegenüber allen, die mich mögen. Ich hab es denen nicht erzählt, damit sie sich keine Gedanken um mich machen müssten. Und es war mir auch nicht mehr egal, ob ich einfach so dahingerafft sein würde. Falls ich sterben sollte, möchte ich davor sagen können: ich habe das erreicht, was das Leben so lebenswert macht. Zumindest meiner Meinung nach. Und das sollte auch zählen. Die Verwirklichung eigener Ziele und die Verfolgung eigener Wertvorstellungen.
Sich nach dem richten, was glücklich macht, ohne andere zu gefährden oder zu belästigen. Jedoch ein Selbstmord "belästigt" andere. Alle machen sich Vorwürfe, fragen nach dem warum? Der Selbstmörder hat keinerlei Probleme gelöst; eher weitere geschaffen.......
Ich finde, das sollte uns zu denken geben...

Mephio

Sometimes I think I am crazy
Othertimes I know I am NOT
 
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kommt ein löwe und will dich fressen, du flüchtest auf den nächsten baum.

flucht ist nicht prinzipiell gleich feige.

(wollte das bloß mal anmerken)
 
hallo mephio, hallo kontur ...

ich finde beides ist wahr ...

einerseits sind wir viel zu gedankenlos in unserem verhalten und tun ...
anderseits ist das der selbstmörder auch ...

oder schon nur allein der mensch, der rache nimmt ...

es sind nur die zwei seiten derselben sache ...

oder ???

... und trotzdem ist mir der potentielle selbstmörder näher ...
weil er fühlt, weil er leidet, weil er lebendig ist ...

aL mara
 
Original geschrieben von Mara
... und trotzdem ist mir der potentielle selbstmörder näher ...
weil er fühlt, weil er leidet, weil er lebendig ist ...

du sagst es.

ich find bloß diese 'selbstmörder-feigling'-rethorik immer bissl vorschnell dahergepredigt. es ist wahres dran, aber man kann das nicht so pauschal sagen. der selbstmörder hat nunmal auch seine gründe, seien sie nun für den rest nachvollziehbar oder nicht.
ich denke zum selbstmord gehört mehr als ein sprung von der brücke wegen nem anstehenden mathetest, und eine flucht vor dem leben im allgemeinen ist zwar schnell ausgesprochen, aber an sich ist ja das thema, wie mara so schön in ihren zeilen schreibt, ein komplexes umfeld aus einflüssen.

k.
 
Hm, da kommt mir was dazu in den Sinn: Ich habe ebenfalls irgendwo irgendwann mal gelesen, dass mal bei einem jungen Mann, welcher Suizid begangen hatte, man - anscheinend ohne ersichtlichen Grund, also keine Depressionen oder sowas - später einen Zettel fand, auf welchem bloss das hingekritzelte Wort "Langweilig" geschrieben stand.
Was besagt das jetzt? Was ist da der Grund des Suizids?
Ich frage mich, woher kommt denn die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben? Hey, es ist doch das letzte, was man überhaupt hat, oder nicht?

Ich glaube, das Verstehen der Gründe für diesen bzw. die gleiche Art von Fällen ist enorm wichtig und hilfreich. Ich habe nur wenige Ansätze, und die sind durchaus nicht einfach zu erklären. Es geht m.E. um "Haben oder Sein" im Sinne von E. Fromm.

Und noch was, was ich mal gelesen hatte. Es war eine typische Kolumne in irgendeiner typischen Zeitung, in welcher der Autor irgendwelche typische halb humoristischen, halb persönliche Erlebnisse von sich selbst preisgab. Der Artikel war ganz nett, doch zuunterst dann stand der Satz, er hatte eigentlich gar nichts mit dem Rest des Textes zu tun: "Und überhaupt. Kennen Sie eigentlich dieses Gefühl auch, wenn Sie auf einer Brücke über einer Eisenbahnschiene stehen, ein Zug nähert sich, und sie nicht wissen, ob sie lieber einsteigen und mit ihm wegfahren oder herunterspringen möchten?"

Also, ich kenne das Gefühl. Ich habe den Satz nie vergessen. Aber: Begeht man deswegen Suizid? Ist das ein Grund oder ist es keiner?

frage: wenn das leben nicht mehr unbedingt lebenswert ist, sogesehen neutral. wenn das positive fehlt nd man in naher zukunft keine hoffnung auf besserung hat. dann begeht man suizit.
Genau das halte ich für den springenden Punkt. Suizid begeht man nicht, wenn man um das Leben kämpfen muss, denn dann hat das Leben gewissermassen eine Aufgabe für einen bereit: Den Überlebenskampf. Suizid begeht man, wenn das Leben nicht unbedingt lebenswert ist (bzw. erscheint), es keine Hoffnung auf Besserung gibt. Wie kommt es, dass sich ein gesunder Mensch das Leben nimmt und auf einen Zettel "Langweilig" schreibt? Ist dahinter nicht eine ungeheure, eine atemberaubende Entfremdung von sich selbst zu entdecken?
L'étranger - der Fremde. Camus beginnt sein berühmtes Buch mit den Worten: "Gestern starb Mama. Oder auch am Tag zuvor." Die Hauptfigur weiss nicht einmal, wann die eigene Mutter gestorben ist, so entfremdet ist er vom eigenen Leben. Eine reine Funktionsmaschine, degradiert zum reinen Haben. Alles, was in Meursault's Leben passiert ist blosses Passieren, die Ereignisse gehen alle bloss vorbei, sie haben mit dem eigentlichen Meursault nichts zu tun.

Fromm deutet es in seinem Buch derart, dass wir in unserer heutigen Welt unser Leben haben, nicht aber unser Leben sind. Die höchsten Werte unserer Gesellschaft ist nicht der Mensch - und zwar als Ganzes - selbst, sondern es sind andere Dinge, wie etwa die diversen Rollen, die er einnimmt, die diversen Optionen, welche ihm offenstehen usw. Ich war wirklich baff, als ich in diesem Buch las, dass in unserer Gesellschaft während der letzten 150 Jahre deutlich weniger Verbformen unsere Sprache ausmachen, sondern mehr durch Substantive ersetzt werden. Man sagt nicht "Ich leide" sondern "Ich habe Leiden". Man sagt seinen Freunden nicht "Ich bin besorgt" oder dergleichen, man sagt "Ich habe Probleme." Da findet eine ungeheure Entfremdung des Menschen statt (und sie schreitet unaufhörlich fort, man braucht bloss mal bisschen fernzusehen), an deren Ende nicht mehr "ICH lebe", sondern "Ich erlebe".

Die entstandene Konsumgesellschaft, in welcher Güter in Massen produziert werden, welche dann später gar niemand kaufen will, ist nicht Ursache sondern Symptom derselben Tendenz.

Noch ein Beispiel: Ich habe tatsächlich kürzlich in einer grossen Firma, wo ich vorübergehend arbeitete im Intranet einen Artikel gelesen, wie die Verkäufer nach neuen Richtlinien geschult würden. Gemäss neuen Ansätzen, so die Autoren, ginge es nicht darum, einfach möglichst einen hohen Gewinn für sich selbst abzusahnen und dem Kunden die teuerste Lösung zu verkaufen, sondern bei ihm einen echten Mehrwert zu erschaffen.
So weit so gut.
Die Begründung dafür war aber: Dadurch könne man beim Kunden langfristig Vertrauen schaffen (man merke sich den Term!!).

Ich schrieb ein Email dem Autor und fragte ihn, ob nicht Vertrauen viel mehr erst natürliche Voraussetzung sein müsse, bzw. also Vertrauenswürdigkeit des Verkäufers. Die Antwort war dann ungefähr im Stile des Artikels, dass der Verkäufer ja durchaus durch geeignete Massnahmen und so weiter den Erfolg sicherstellen könne, den Erfolg nämlich beim Kunden eben Vertrauen zu schaffen.

Wer aber diesen Unterschied nicht begreift, kann unmöglich verstehen, warum sich jemand umbringt, anscheinend aus purer Langeweile.

Der Mann hat überhaupt nicht verstanden um was es geht, nicht ein Mü davon. Wie kann jemand nur dermassen verdreht sein! Es ist absurd! Und das Traurige ist, dass ich überall um mich herum nur Tendenzen erkenne, welche noch stärker und noch mehr in dieselbe Richtung gehen. Eine Mutter sagte neulich zu einer Buchhändlerin, eine Freundin von mir, beinahe entschuldigend: Ob sie nicht etwas zu lesen hätte für ihren Sohnemann. Etwas einfaches. Denn der sei zwar schon 7 Jahre alt, könne aber noch nicht lesen...

Ich hoffe, jeder versteht, wovon ich spreche. Ich kann es nämlich nicht richtig erklären oder in Worte fassen, nur ansatz- und beispielsweise.


@Mara
aber wie ungehört muss man sein, wenn man nur noch diesen einen ausweg sieht ... ???
Man darf das aber auch nicht falsch einschätzen, es gibt Leute, die sich enorm zurückziehen, wenn es ihnen nicht gut geht. Gegen aussen präsentieren sie sich völlig normal, und nicht einmal Familienmitglieder merken was, bisweilen sogar während Monaten nicht. Nicht alle Menschen drücken es nach aussen aus, wenn es ihnen seelisch nicht gut geht. Und nicht alle anderen Menschen merken immer gleich oder können es merken, wenn es anderen nicht gut geht.
 
fckw schrieb:
@Mara
Man darf das aber auch nicht falsch einschätzen, es gibt Leute, die sich enorm zurückziehen, wenn es ihnen nicht gut geht. Gegen aussen präsentieren sie sich völlig normal, und nicht einmal Familienmitglieder merken was, bisweilen sogar während Monaten nicht. Nicht alle Menschen drücken es nach aussen aus, wenn es ihnen seelisch nicht gut geht. Und nicht alle anderen Menschen merken immer gleich oder können es merken, wenn es anderen nicht gut geht.

du kannst es auch rausschreien, fckw ...

es will niemand hören, oder sie hören es nicht ... ich weiß es nicht wirklich ... und die mentalität ist erst recht dann noch auf solche menschen einzuprügeln ...

oder aber mittlerweile ist jeder einzelne so sehr mit sich selbst beschäftigt und mit dem überleben, dass für den anderen keine zeit mehr bleibt.

aL mara
 
Mara schrieb:
du kannst es auch rausschreien, fckw ...

es will niemand hören, oder sie hören es nicht ... ich weiß es nicht wirklich ... und die mentalität ist erst recht dann noch auf solche menschen einzuprügeln ...

oder aber mittlerweile ist jeder einzelne so sehr mit sich selbst beschäftigt und mit dem überleben, dass für den anderen keine zeit mehr bleibt.

aL mara
EIN Problem ist, dass heute der Mensch nicht mehr negative Seiten haben darf - keine Ahnung, ob das mal anderswo anders war. Depressionen werden heute als Krankheit (!) betrachtet, man geht davon aus, dass ein gesunder Mensch keine Depressionen hat. Warum?

Wie kommt es, dass die Standardantwort auf die Frage "Wie geht es dir?" nicht die Antwort ist "ganz durchschnittlich", sondern "gut"? "Gut" - das impliziert doch etwas aussergewöhnliches, etwas überdurchschnittliches, auf jeden Fall ist doch jemand, der gute Leistung vollbringt eben KEIN Durchschnitt. Warum ist also die normale Antwort auf diese Frage in unserer Gesellschaft "gut" und nicht "normal" oder "durchschnittlich"?

Geh mal an einem Abend mit Freunden weg und habe schlechte Laune. Die Freunde werden alles daran setzen, dich aufzumuntern. "Komm schon, sei munter!" Ungefähr so.

Die Entfremdung hier ist: Der Mensch wird gespalten, in höchstem Masse schizophren. Ausschliesslich die hellen Seiten des GANZEN Menschen werden in unserer Öffentlichkeit dargestellt, gepriesen, als NORMAL hingestellt. Es ist normal, im Leben erfolgreich zu sein. Es ist nicht normal, im Leben zu scheitern. Aber natürlich ist doch der Mensch als kompletter Mensch immer auch mit dunklen Seiten belastet, wie sollte es auch anders sein.

Mir ist nicht bekannt, ob es Kulturen gab, in welchen diese dunkle Seite des Menschen nicht bloss akzeptiert war, sondern welcher einen bewussten Platz eingeräumt wurde, aber ich vermute dies stark. Persönlich wäre ich starker Befürworter, wieder Riten in unsere Gesellschaft einzuführen, in welcher der Mensch ganz bewusst verschiedene Seiten an sich selbst kennenlernt. Beispielsweise Initiationsriten ins Erwachsenenalter, in welcher die Jugendlichen eine ihnen gestellte und nicht allzu einfache Aufgabe alleine zu erledigen haben. Auch zum Beispiel das Trauerjahr einer Witwe als symbolischer Ausdruck der inneren Traurigkeit, als das Sich-Zurückziehen und das bewusste Pflegen und Verarbeiten des eingetretenen Verlustschmerzes. Riten helfen dem Menschen oft in Problemsituationen, weil sie einem Leitplanken geben. Gerade in einer schwierigen Situation kann sowas hilfreich sein.

Und: Ich wäre wirklich dafür, sowas wie ein "Depressionsritus" einzuführen. Jeder Mensch hat in seinem Leben Phasen, in welchen er traurig, zweifelnd, ziellos und unglücklich ist. Er weiss einfach nicht mehr weiter. Wie wäre es, wenn ein solcher Mensch offiziell eine Auszeit nehmen könnte? Es gäbe beispielsweise dann aber auch genau einzuhaltende Pflichten, Prozesse denen gefolgt werden müsste, welche von entsprechenden "Schamanen" oder von mir aus sagen wir halt "Psychologen" überprüft werden würden. Halt eine Zeit, in welcher man sich bewusst um die dunklen Seiten in einem selbst kümmert. Um danach gestärkt und als GANZER Mensch hervorzutreten. Und nicht als strahlender Sieger, nein, sowas auf keinen Fall, sondern als Person, welche wiederum eine neue Seite an sich selbst kennenlernen durfte und musste.

Liebe Mara, ich glaube, hier liegt doch das Problem. Natürlich kann ein Mensch nicht gehört werden, welcher laut sein Leiden herausschreit, wenn bei uns einfach totgeschwiegen wird, dass es überhaupt solches Leiden gibt. Es ist doch schon absurd, dass die meisten Menschen zum ersten Mal wirklich intimen Kontakt zu einer Toten Person haben können, wenn ihre eigenen Eltern sterben?! Es sterben ständig Menschen um uns herum - in Altersheimen und Spitälern, weit weg vom Alltag des Durchschnittsmenschen, schön abgeschottet und von spezialisierten Pflegern behandelt. Ist das nicht verdreht? Es tut mir weh, solche Missstände zu sehen, aber ich weiss nicht, was ich dagegen tun könnte.

Übrigens finde ich, der Film "Der mit dem Wolf tanzt" zeigt die ganze Sache relativ schön auf, wenn auch in einem leicht anders gemeinten Sinn. Der Mann, welcher da bei einem indianischen Stamm als Mitglied aufgenommen wird und deren - bisweilen brutalen, archaischen und überhaupt nicht etwa "schönen" - Sitten kennenlernt, begibt sich in eine Gesellschaft, in welcher dem Einzelnen als Mensch eine völlig andere Stellung zukommt. Da herrscht eine komplett andere Sichtweise auf den Menschen. Ich will das nicht verklären, man darf nicht glauben, da herrschten paradiesische Zustände von Friede, Freude, Eierkuchen. Aber in dem Moment, in welchem irgendwelche Soldaten wieder das Camp errichten, in welchem der Mann wieder in die sogenannte "Zivilisation" zurückgeholt wird, zeigt sich die unglaubliche Absurdität ebendieser Zivilisation, etwa wenn eine komplett sinnlose Organisation straff aufrechterhalten wird in einer einsamen Wildnis, wo ausser Wölfen und Gras so ziemlich nichts herrscht - die totale Entfremdung des Menschen von sich selbst.
 
weißt du, fckw ...

ich denke wir sind eine gesellschaft, die zu 90% aus suiziden besteht. im grunde genommen, begehen wir alle auf irgendeine weise langsam selbstmord. durch nikotin, alkohol, schnelle autos, abgase, umweltverschmutzung, medikamente, lieblosigkeit, verachtung usw.

und ich denke deshalb ist es so "verpönt", wenn man leidend ist. weil jeder schon genug mit seinem eigenen leiden zu tun hat. ein offenes ohr haben menschen, denen es "gut" geht ... eben über dem durchschnitt, wie du es so treffend definiert hast...

dein beispiel vom "der mit dem wolf tanzt" ist schön :) ...

die indianer waren eins mit dem leben ... und somit auch mit allen seiten. sie kannten hunger, kälte, schmerz und leiden, aber auch tiefe freude, glück, tanz, wärme und überfluss ...

du hast schon recht, es gehört alles dazu ...

und wenn man diese tiefen nicht mehr erleben "darf", dann kann es auch keine höhen mehr geben, sondern man vegetiert irgendwo dazwischen rum - ohne große veränderungen und regungen ...

alles liebe

mara
 
Mara schrieb:
ich denke wir sind eine gesellschaft, die zu 90% aus suiziden besteht. im grunde genommen, begehen wir alle auf irgendeine weise langsam selbstmord. durch nikotin, alkohol, schnelle autos, abgase, umweltverschmutzung, medikamente, lieblosigkeit, verachtung usw.
Das ist es, was schmerzt. Wo ich Mühe habe, es zu akzeptieren. Wenn ich sehe, wie es sein könnte, und ich sehn muss, wie es ist.

Ich habe inzwischen rausgefunden, dass wirklich alle Menschen es intuitiv spüren, vielleicht nicht ganz so gut in Worte fassen können, aber wenn man es ausspricht, geben sie einem letztlich Recht. Man meint zwar immer, man sei alleine mit der Auffassung, aber das ist überhaupt nicht so. Es ist nur so, weil nie darüber gesprochen wird. Ist das nicht seltsam? Alle um einen herum sehen es, verstehen es, geben einem Recht. Und nichts ändert sich.
Wahrscheinlich sind wir zu bequem und die Änderung zu schmerzhaft.

Ich halte zwar Schwarzmalerei für überflüssig, aber es ist schon bisschen beängstigend, wenn man mal bisschen längerfristig in die Zukunft schaut. Bis im Jahr 2030 gibt es in Ländern wie Deutschland, Österreich, Schweiz Gesellschaften, in welchen es mehr Alte als Junge gibt. Man muss sich vor Augen halten, dass noch nie in der Geschichte der Menschheit eine derartige Situation in irgendeiner Gesellschaft jemals bestanden hat. Es ist eine völlig neue Situation.
Auf der andern Seite aber ist alles hier bei uns auf Menschen im Alter von 20 bis 40 ausgerichtet. Jobinserate, Wohnungsbau, produzierte Produkte usw. Wir rennen völlig unvorbereitet in eine Situation, in welcher die Mehrheit der Bevölkerung geistig zu einer Quasi-Minderheit gehört und eine Minderheit an Jungen, zu einer Quasi-Mehrheit. Der geistige Änderungsprozess einer ganzen Gesellschaft, die sich komplett neu erfinden muss, wird wohl äusserst schmerzhaft verlaufen.
Weiter gibt es in Ländern wie Iran, Palästina usw. inzwischen mehr als 20% Jugendliche jünger als 18 Jahre. Keine Ahnung, wie die in 20 Jahren dort unten Arbeit finden wollen.

Und wie reagiert bei uns die Politik? Entweder mit plumpem Nationalismus à la G. Bush, mit der Forderung zur Abschaffung des Sozialstaates und Befürwortung von Hypermarktwirtschaft (und damit der Abschaffung ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten) - auf jeden Fall schlicht irrational und dumm.

Naja, das wird sicher nicht der Weltuntergang sein, aber die Schwierigkeiten sind schon gross genug, wir werden uns hier neu definieren müssen. Aber eben: Wären wir eine gesunde Gesellschaft, so wäre dieser Prozess wohl bedeutend einfacher. So aber kommen nochmal zusätzliche Schwierigkeiten auf uns zu, denn wir wissen nicht mal, wer wir selbst eigentlich sind, höchstens, was wir haben. Die herkömmlichen Identitätskonstrukte von wegen "Schweizer" oder "Österreicher" werden dann schlicht nicht mehr ausreichen, sie werden sich als eben diese Irrtümer und Lügen herausstellen, die sie im Grunde genommen jetzt bereits sind.

(Übrigens: Man kann den Test auch an sich selbst machen. Beispiel: Nehme ich regelmässig Vitaminpillen zu mir? Falls ja, ist man selbst bereits ein Kandidat für Entfremdung von sich selbst, denn man hat nicht mehr das Vertrauen, dass die normale Ernährung einen genügend gesund halten kann. Natürlich können Vitamintabletten ihren Nutzen haben, aber was bei uns abgeht ist, um ein Lieblingswort zu benutzen, absurd.
Oder: Habe ich einen Arbeitsplatz, wo ich täglich mehr Stunden vor einem Bildschirm sitze, als mit anderen Menschen zu kommunizieren? Ich persönlich habe so einen Arbeitsplatz.)

A. Huxley ist allgemein bekannt für den Roman "Brave New World", doch man sollte sich mal die Mühe machen, eines seiner anderen Bücher zu lesen, zum Beispiel "Eiland". (Huxley ist zwar aus sprachlicher und stilistischer Sicht hächst mässig, aber darum geht's bei ihm nicht in erster Linie.) Er entwirft dort das Bild einer utoptischen Gesellschaft, in welcher man endlich mal sagen kann: Richtig! So müsste es sein, so müsste unser Zusammenleben gestaltet sein, so macht es Sinn. Ok, das Buch ist zwischendurch bisschen gar utopisch und schöngemalt geraten, dennoch ist dort vieles einfach richtig, so wie es ist.
 
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ich kenne leider weder den autor noch das buch ...

wie hat er sich das zusammenleben denn vorgestellt ?

lass mich raten: voller liebe, achtung und in eigenverantwortung ?
 
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