Hm, da kommt mir was dazu in den Sinn: Ich habe ebenfalls irgendwo irgendwann mal gelesen, dass mal bei einem jungen Mann, welcher Suizid begangen hatte, man - anscheinend ohne ersichtlichen Grund, also keine Depressionen oder sowas - später einen Zettel fand, auf welchem bloss das hingekritzelte Wort "Langweilig" geschrieben stand.
Was besagt das jetzt? Was ist da der Grund des Suizids?
Ich frage mich, woher kommt denn die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben? Hey, es ist doch das letzte, was man überhaupt hat, oder nicht?
Ich glaube, das Verstehen der Gründe für diesen bzw. die gleiche Art von Fällen ist enorm wichtig und hilfreich. Ich habe nur wenige Ansätze, und die sind durchaus nicht einfach zu erklären. Es geht m.E. um "Haben oder Sein" im Sinne von E. Fromm.
Und noch was, was ich mal gelesen hatte. Es war eine typische Kolumne in irgendeiner typischen Zeitung, in welcher der Autor irgendwelche typische halb humoristischen, halb persönliche Erlebnisse von sich selbst preisgab. Der Artikel war ganz nett, doch zuunterst dann stand der Satz, er hatte eigentlich gar nichts mit dem Rest des Textes zu tun: "Und überhaupt. Kennen Sie eigentlich dieses Gefühl auch, wenn Sie auf einer Brücke über einer Eisenbahnschiene stehen, ein Zug nähert sich, und sie nicht wissen, ob sie lieber einsteigen und mit ihm wegfahren oder herunterspringen möchten?"
Also, ich kenne das Gefühl. Ich habe den Satz nie vergessen. Aber: Begeht man deswegen Suizid? Ist das ein Grund oder ist es keiner?
frage: wenn das leben nicht mehr unbedingt lebenswert ist, sogesehen neutral. wenn das positive fehlt nd man in naher zukunft keine hoffnung auf besserung hat. dann begeht man suizit.
Genau das halte ich für den springenden Punkt. Suizid begeht man nicht, wenn man um das Leben kämpfen muss, denn dann hat das Leben gewissermassen eine Aufgabe für einen bereit: Den Überlebenskampf. Suizid begeht man, wenn das Leben nicht unbedingt lebenswert ist (bzw. erscheint), es keine Hoffnung auf Besserung gibt. Wie kommt es, dass sich ein gesunder Mensch das Leben nimmt und auf einen Zettel "Langweilig" schreibt? Ist dahinter nicht eine ungeheure, eine atemberaubende Entfremdung von sich selbst zu entdecken?
L'étranger - der Fremde. Camus beginnt sein berühmtes Buch mit den Worten: "Gestern starb Mama. Oder auch am Tag zuvor." Die Hauptfigur
weiss nicht einmal, wann die eigene Mutter gestorben ist, so entfremdet ist er vom eigenen Leben. Eine reine Funktionsmaschine, degradiert zum reinen Haben. Alles, was in Meursault's Leben passiert ist blosses
Passieren, die Ereignisse gehen alle bloss vorbei, sie haben mit dem eigentlichen Meursault nichts zu tun.
Fromm deutet es in seinem Buch derart, dass wir in unserer heutigen Welt unser Leben
haben, nicht aber unser Leben
sind. Die höchsten Werte unserer Gesellschaft ist nicht der Mensch - und zwar als Ganzes - selbst, sondern es sind andere Dinge, wie etwa die diversen Rollen, die er einnimmt, die diversen Optionen, welche ihm offenstehen usw. Ich war wirklich baff, als ich in diesem Buch las, dass in unserer Gesellschaft während der letzten 150 Jahre deutlich weniger Verbformen unsere Sprache ausmachen, sondern mehr durch Substantive ersetzt werden. Man sagt nicht "Ich leide" sondern "Ich habe Leiden". Man sagt seinen Freunden nicht "Ich bin besorgt" oder dergleichen, man sagt "Ich habe Probleme." Da findet eine ungeheure Entfremdung des Menschen statt (und sie schreitet unaufhörlich fort, man braucht bloss mal bisschen fernzusehen), an deren Ende nicht mehr "ICH lebe", sondern "Ich erlebe".
Die entstandene Konsumgesellschaft, in welcher Güter in Massen produziert werden, welche dann später gar niemand kaufen will, ist nicht Ursache sondern Symptom derselben Tendenz.
Noch ein Beispiel: Ich habe tatsächlich kürzlich in einer grossen Firma, wo ich vorübergehend arbeitete im Intranet einen Artikel gelesen, wie die Verkäufer nach neuen Richtlinien geschult würden. Gemäss neuen Ansätzen, so die Autoren, ginge es nicht darum, einfach möglichst einen hohen Gewinn für sich selbst abzusahnen und dem Kunden die teuerste Lösung zu verkaufen, sondern bei ihm einen echten Mehrwert zu erschaffen.
So weit so gut.
Die Begründung dafür war aber: Dadurch könne man beim Kunden langfristig Vertrauen
schaffen (man merke sich den Term!!).
Ich schrieb ein Email dem Autor und fragte ihn, ob nicht Vertrauen viel mehr erst natürliche Voraussetzung sein müsse, bzw. also Vertrauenswürdigkeit des Verkäufers. Die Antwort war dann ungefähr im Stile des Artikels, dass der Verkäufer ja durchaus durch geeignete Massnahmen und so weiter den Erfolg sicherstellen könne, den Erfolg nämlich beim Kunden eben Vertrauen zu schaffen.
Wer aber diesen Unterschied nicht begreift, kann unmöglich verstehen, warum sich jemand umbringt, anscheinend aus purer Langeweile.
Der Mann hat überhaupt nicht verstanden um was es geht, nicht ein Mü davon. Wie kann jemand nur dermassen verdreht sein! Es ist absurd! Und das Traurige ist, dass ich überall um mich herum nur Tendenzen erkenne, welche noch stärker und noch mehr in dieselbe Richtung gehen. Eine Mutter sagte neulich zu einer Buchhändlerin, eine Freundin von mir, beinahe entschuldigend: Ob sie nicht etwas zu lesen hätte für ihren Sohnemann. Etwas einfaches. Denn der sei zwar schon 7 Jahre alt, könne aber noch nicht lesen...
Ich hoffe, jeder versteht, wovon ich spreche. Ich kann es nämlich nicht richtig erklären oder in Worte fassen, nur ansatz- und beispielsweise.
@Mara
aber wie ungehört muss man sein, wenn man nur noch diesen einen ausweg sieht ... ???
Man darf das aber auch nicht falsch einschätzen, es gibt Leute, die sich enorm zurückziehen, wenn es ihnen nicht gut geht. Gegen aussen präsentieren sie sich völlig normal, und nicht einmal Familienmitglieder merken was, bisweilen sogar während Monaten nicht. Nicht alle Menschen drücken es nach aussen aus, wenn es ihnen seelisch nicht gut geht. Und nicht alle anderen Menschen merken immer gleich oder können es merken, wenn es anderen nicht gut geht.