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Ela67
Guest
Im Keller liegen zwölf Blöcke wunderbaren, weissen Alabasters. Zugesägt auf 40 mal 15 mal 15 Centimeter, mit einem Gewicht von über zwanzig Kilo pro Stück, haben sie per Eisenbahn, Camion und Lieferwagen die Reise von Spanien nach Basel unternommen. Ich bin besessen von Steinen. Sie helfen mir dabei, eine Sprache zu finden.
Die Worte waren mir verloren gegangen in den letzten Jahren. Ich glaubte ihnen nicht mehr, weder den Worten, die ich hörte, noch denen, die ich selber sprach und schon gar nicht dem alten Plapperaffen, der in meinem Kopf zu allem seinen Kommentar abliefern wollte. Aber den Steinen konnte ich glauben, denn ihre Sprache war so ursprünglich und klar. Die Steine waren so fest und rein in ihrer Substanz. Ich konnte sie berühren, ihr Gewicht spüren und ihre Formen hatten nichts Gekünsteltes, Unwahres an sich, auch wenn ich selber ihnen diese Form gab.
Die Steine offenbaren mir ihre Gestalt. Ich bin nicht ihre Schöpferin, sondern ihre Dienerin, die versucht, die innere Essenz herauszuschälen, Schicht um Schicht abzutragen und zur Seele des Steines zu gelangen. Zumindest zu der Seele, die er mit meiner Hilfe offenbaren will.
So lange bin ich stumm gewesen. Nein, nicht wirklich stumm, bloss wortlos. Und jetzt merke ich, wie die Worte langsam und schüchtern zurückkommen. Ich merke, wie sie tief im Keller meines Bewusstseins liegen, so wie die zwölf Alabasterblöcke bereit liegen. Sie sind da, um in Sätze geformt zu werden, so wie der Stein bereit liegt, seine verborgene Figur zu offenbaren.
Siebenundachzig Stufen schleppe ich den ersten Steinblock vom Keller hoch in mein Atelier im vierten Stock. Schweisstreibende Stufen, auch wenn ich mich schon längst daran gewöhnt habe, alles die Treppe hochzutragen und ich keuche unter dem Gewicht dieses Steines.
Oben stelle ich ihn auf meinen Arbeitstisch und muss erst mal wieder zu Atem kommen. Die Morgensonne bemüht sich, durchs staubige Fenster zu strahlen und lässt den Block an den Kanten fast durchsichtig scheinen. Er wirkt jetzt edel und abweisend, unberührbar eigentlich und ich bin plötzlich unsicher, ob ich mich mit diesem Projekt nicht völlig überfordere. Ist es nicht unmöglich, ein himmlisches Wesen in Stein zu meisseln? Aber ich sehe sie so lebendig vor mir stehen, diese steinernen Engel, sehe sie schon seit Wochen in meinem Kopf und dieses Bild ist von solcher Kraft und Dringlichkeit, dass es den Gedanken an Gelingen oder Scheitern sofort wieder in den Hintergrund schiebt und für unwichtig erklärt.
So nehme ich meine grösste Säge und beginne mit dem ersten Schnitt, versuche die erste unsichtbare Linie zu finden, die das Wesen vom Unwesentlichen trennt.
Es geht langsam voran, milimeterweise frisst sich das Metall durch den Stein und weisser Staub rieselt mit jedem Vor und Zurück aus dem Spalt auf die Tischplatte, wie Sand in einem Stundenglas.
Und dann beginnt der Stein zu summen, erst ganz leise und dünn, dann immer deutlicher und lauter, bis der Gesang des vibrierenden und schwingenden Blockes mit einer ganzen Skala von Obertönen den Raum ausfüllt. Dann ein Knall und das abgesägte Stück fällt auf den Boden, die Musik bricht ab und ich höre nur noch meinen eigenen Atem.
Wo beginnen? Wo den ersten Schnitt setzen? Ich will eine Liebesgeschichte erzählen, aber wo fängt sie an? Ist es wichtig, die Vorgeschichte zu kennen? Muss das Material beschrieben werden, aus dem die Figuren dieser Geschichte gebaut sind? Aber ich kenne nur die Vorgeschichte der einen wirklich aus erster Hand. Also lieber nicht. Lieber gleich anfangen.
Eine junge Frau sitzt in einem Strassencafé in Basel. Es ist Sommer, endlich Sommer geworden und das ist Anlass genug, einfach nur dazusitzen, dem geschäftigen Treiben der Leute zuzuschauen, Eistee zu trinken und den Tag zu verbummeln.
Gegenüber steht ein ein Strassenmusikant und bearbeitet mit mehr Enthusiasmus als Talent seine Gitarre und singt dazu irgendwas, das ein wenig nach Tom Waits klingt. Ein anderer Typ geht mit einem Hut von Tisch zu Tisch und sammelt das Honorar für den Künstler, argwöhnisch beäugt vom mürrischen Kellner, dem dies eindeutig missfällt, der aber zu träge ist, irgendetwas dagegen zu sagen.
Als er an ihren Tisch kommt, schenkt sie ihm ein Zweifrankenstück und ein strahlendes Lächeln. Er ist ein schöner Mann und sein Grinsen, das er ihr zurückschickt lässt sie noch mehr strahlen. Er fasst das als Einladung auf und setzt sich zu ihr an den Tisch, klaubt die Münzen aus seinem Hut, legt ihn neben sich auf einen freien Stuhl und beginnt auf Englisch eine Geschichte zu erzählen. Er und sein Kumpel dort mit der Gitarre seien holländische Strassenmusikanten und ihm sei die Gitarre geklaut worden und sie dürfe ihn ruhig zu einem Bier einladen.
Aus einem Bier werden zwei und er erzählt weiter und sie taucht ganz tief ein in seine Geschichten und wenn es nicht so ein dummes Klischee wäre, dann würde ich jetzt sagen, sie taucht in seine blauen Augen und verliert sich darin. Aber das lasse ich lieber bleiben. Er ist ein schöner Mann, der gut erzählen kann, der Humor hat und schon alles mögliche vom Leben weiss, sie ist eine eher unscheinbare junge Frau und fühlt sich von soviel Aufmerksamkeit geschmeichelt, wenn auch etwas eingeschüchtert. Er will sich mit ihr verabreden für den gleichen Abend. Sie sagt zu, weil es leichter ist, als nein zu sagen und zu erklären, weshalb. Sie hat in der Schule Latein und Altgriechisch und Französisch gelernt, ihre Englischkenntnisse sind mager und sie hat sie vorallem durch englische Songtexte und englische Filme mit deutschen Untertiteln erworben. Sie kann viel verstehen und wenig sagen. Also sagt sie ja und weiss, sie wird nicht hingehen. Sie weiss, sie wird nicht hingehen und sich nach ihm sehnen.
Fortsetzung folgt...
Die Worte waren mir verloren gegangen in den letzten Jahren. Ich glaubte ihnen nicht mehr, weder den Worten, die ich hörte, noch denen, die ich selber sprach und schon gar nicht dem alten Plapperaffen, der in meinem Kopf zu allem seinen Kommentar abliefern wollte. Aber den Steinen konnte ich glauben, denn ihre Sprache war so ursprünglich und klar. Die Steine waren so fest und rein in ihrer Substanz. Ich konnte sie berühren, ihr Gewicht spüren und ihre Formen hatten nichts Gekünsteltes, Unwahres an sich, auch wenn ich selber ihnen diese Form gab.
Die Steine offenbaren mir ihre Gestalt. Ich bin nicht ihre Schöpferin, sondern ihre Dienerin, die versucht, die innere Essenz herauszuschälen, Schicht um Schicht abzutragen und zur Seele des Steines zu gelangen. Zumindest zu der Seele, die er mit meiner Hilfe offenbaren will.
So lange bin ich stumm gewesen. Nein, nicht wirklich stumm, bloss wortlos. Und jetzt merke ich, wie die Worte langsam und schüchtern zurückkommen. Ich merke, wie sie tief im Keller meines Bewusstseins liegen, so wie die zwölf Alabasterblöcke bereit liegen. Sie sind da, um in Sätze geformt zu werden, so wie der Stein bereit liegt, seine verborgene Figur zu offenbaren.
Siebenundachzig Stufen schleppe ich den ersten Steinblock vom Keller hoch in mein Atelier im vierten Stock. Schweisstreibende Stufen, auch wenn ich mich schon längst daran gewöhnt habe, alles die Treppe hochzutragen und ich keuche unter dem Gewicht dieses Steines.
Oben stelle ich ihn auf meinen Arbeitstisch und muss erst mal wieder zu Atem kommen. Die Morgensonne bemüht sich, durchs staubige Fenster zu strahlen und lässt den Block an den Kanten fast durchsichtig scheinen. Er wirkt jetzt edel und abweisend, unberührbar eigentlich und ich bin plötzlich unsicher, ob ich mich mit diesem Projekt nicht völlig überfordere. Ist es nicht unmöglich, ein himmlisches Wesen in Stein zu meisseln? Aber ich sehe sie so lebendig vor mir stehen, diese steinernen Engel, sehe sie schon seit Wochen in meinem Kopf und dieses Bild ist von solcher Kraft und Dringlichkeit, dass es den Gedanken an Gelingen oder Scheitern sofort wieder in den Hintergrund schiebt und für unwichtig erklärt.
So nehme ich meine grösste Säge und beginne mit dem ersten Schnitt, versuche die erste unsichtbare Linie zu finden, die das Wesen vom Unwesentlichen trennt.
Es geht langsam voran, milimeterweise frisst sich das Metall durch den Stein und weisser Staub rieselt mit jedem Vor und Zurück aus dem Spalt auf die Tischplatte, wie Sand in einem Stundenglas.
Und dann beginnt der Stein zu summen, erst ganz leise und dünn, dann immer deutlicher und lauter, bis der Gesang des vibrierenden und schwingenden Blockes mit einer ganzen Skala von Obertönen den Raum ausfüllt. Dann ein Knall und das abgesägte Stück fällt auf den Boden, die Musik bricht ab und ich höre nur noch meinen eigenen Atem.
Wo beginnen? Wo den ersten Schnitt setzen? Ich will eine Liebesgeschichte erzählen, aber wo fängt sie an? Ist es wichtig, die Vorgeschichte zu kennen? Muss das Material beschrieben werden, aus dem die Figuren dieser Geschichte gebaut sind? Aber ich kenne nur die Vorgeschichte der einen wirklich aus erster Hand. Also lieber nicht. Lieber gleich anfangen.
Eine junge Frau sitzt in einem Strassencafé in Basel. Es ist Sommer, endlich Sommer geworden und das ist Anlass genug, einfach nur dazusitzen, dem geschäftigen Treiben der Leute zuzuschauen, Eistee zu trinken und den Tag zu verbummeln.
Gegenüber steht ein ein Strassenmusikant und bearbeitet mit mehr Enthusiasmus als Talent seine Gitarre und singt dazu irgendwas, das ein wenig nach Tom Waits klingt. Ein anderer Typ geht mit einem Hut von Tisch zu Tisch und sammelt das Honorar für den Künstler, argwöhnisch beäugt vom mürrischen Kellner, dem dies eindeutig missfällt, der aber zu träge ist, irgendetwas dagegen zu sagen.
Als er an ihren Tisch kommt, schenkt sie ihm ein Zweifrankenstück und ein strahlendes Lächeln. Er ist ein schöner Mann und sein Grinsen, das er ihr zurückschickt lässt sie noch mehr strahlen. Er fasst das als Einladung auf und setzt sich zu ihr an den Tisch, klaubt die Münzen aus seinem Hut, legt ihn neben sich auf einen freien Stuhl und beginnt auf Englisch eine Geschichte zu erzählen. Er und sein Kumpel dort mit der Gitarre seien holländische Strassenmusikanten und ihm sei die Gitarre geklaut worden und sie dürfe ihn ruhig zu einem Bier einladen.
Aus einem Bier werden zwei und er erzählt weiter und sie taucht ganz tief ein in seine Geschichten und wenn es nicht so ein dummes Klischee wäre, dann würde ich jetzt sagen, sie taucht in seine blauen Augen und verliert sich darin. Aber das lasse ich lieber bleiben. Er ist ein schöner Mann, der gut erzählen kann, der Humor hat und schon alles mögliche vom Leben weiss, sie ist eine eher unscheinbare junge Frau und fühlt sich von soviel Aufmerksamkeit geschmeichelt, wenn auch etwas eingeschüchtert. Er will sich mit ihr verabreden für den gleichen Abend. Sie sagt zu, weil es leichter ist, als nein zu sagen und zu erklären, weshalb. Sie hat in der Schule Latein und Altgriechisch und Französisch gelernt, ihre Englischkenntnisse sind mager und sie hat sie vorallem durch englische Songtexte und englische Filme mit deutschen Untertiteln erworben. Sie kann viel verstehen und wenig sagen. Also sagt sie ja und weiss, sie wird nicht hingehen. Sie weiss, sie wird nicht hingehen und sich nach ihm sehnen.
Fortsetzung folgt...