Händisch
Active Member
- Registriert
- 28. November 2015
- Beiträge
- 648
Steht die EU als Staaten-Vereinigung vor ihrem Ende, in heutiger Ausdehnung?
Ich teile Müllers Meinung, was den aktuellen Zustand der EU angeht, aber sein Lösungsansatz ist, aus meiner Sicht, gefährlich.
Es stimmt, dass die EU-Erweiterung überhastet war und die Gründe dafür sind leicht auszumachen: es waren einerseits marktpolitische Gründe, weil die EU-Wirtschaft neue offene Märkte erschließen wollte und andererseits strategisch-politische Gründe, weil man einen Gegenpart zu den anderen Großmächten darstellen wollte. Die osteuropäischen Länder haben wiederrum durch ihre EU-Mitgliedschaft auch die NATO-Mitgliedschaft mitgeliefert bekommen, um ihrer historisch begründeten Angst vor dem russischen Einfluss zu entkommen. Dass diese Mitgliedschaft auch Solidarität unter den Mitgliedern bedeutet, hat man zwar damals mitbekommen, aber zunächst einmal mal war man ja in der Nehmerrolle und sie war recht angenehm. Mit der Finanzkrise hat sich allerdings die Situation geändert und mit der Griechenlandkrise zusätzlich zugespitzt. Plötzlich war man gefordert Solidarität zu üben und es war ungleich unangenehmer. Ich will es natürlich nicht so einseitig darstellen: Alle Geberländer haben sich nur Zähneknirschend solidarisch gezeigt und Deutschland hat sich auch nur deshalb engagiert, weil man nach einem Blick auf seine Absatzmärkte feststellen musste, dass mehr als die Hälfte seiner Exporte an die EU-Länder gehen. Soweit so schlecht.
Kommen wir zu Müllers Lösungsansatz: glaubt er, dass dieser EU-Kern, den er Vorschlägt, eine Chance im globalen Markt- und Machtspiel hätte? Ich glaube es nicht. Würde es die rechtsradikalen Tendenzen in allen diesen Ländern abschwächen? Mit Sicherheit nicht, weil sie nur nationale Interessen in den Vordergrund stellen und dieses supra-nation building zur Farce verkommen würde.
Hinzukommt, dass der „äußere Ring“, wie er ihn nennt, bestehend aus den wirtschaftlich schwächeren Ländern zum Spielball der Mächte verkommen würde. Die USA, China und Russland warten nur darauf, wenn sie es nicht sogar bezwecken.
Ich will es mir nicht ausmalen, wie Europa aussehen würde, wenn sein Lösungsansatz Realität würde, weil es mir dabei schlecht wird. Eines weiß ich: die Eurokrise und die aktuelle Flüchtlingskrise wären dagegen ein Kinderspiel.
In vielen Ihrer analytischen Argumente gebe ich Ihnen Recht. Doch ich bezweifle, dass zum einen das „Schiff Europa“ mit seiner aktuellen Besatzung (Mitglieder) zu retten wäre, noch, dass die dann vergleichsweise noch proportional stärkere Wirtschaftskraft einer neuen geeinten Kern-EU mit rd. 320 Millionen Bürgern zum „Spielball“ der genannten Großmächte werden würde.
Die aktuelle Mitgliederstruktur weist nun auch erhebliche Basis-Mängel auf, die in den vielen Jahren ohne diese schweren Krisen nicht hervorstechen sollten. Ein wesentlicher Punkt hier ist die unterschiedliche historische und kulturelle Entwicklung der zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten. Im Vergleich zu Kern-Europa – Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Griechenland, Österreich, Benelux, Gesamt-Skandinavien, auch wenn politisch derweil auf Abwegen Großbritannien und Irland, so auch die Schweiz – finden wir in den Staaten des Osten und teilweise auch immer noch des Balkans vielmehr „geschlossene“ Gesellschaften, Kulturen, die sich nicht an den mitteleuropäisch kulturerweiternden Entwicklungen der Aufklärung und auch der Öffnung gegenüber anderen Ethnie und Menschen beteiligt haben. Auch weil es niemals dazu kam. Alle diese Staaten hatten so auch in den letzten Jahrzehnten niemals ein Thema Zuwanderung. Den gab es schlicht nicht.
Wir müssen also mal wieder differenzieren. Diese Staaten, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Slowakei, Slowenien, Kroatien und viele mehr, aktuelle leider auch Polen, hatten niemals mit einer solchen „Solidarität“ zu schaffen, eher das existentielle Problem, dass die eigene junge Elite das Land zugunsten Zentral-Europas oder US-Amerikas verließ. Nun aber kommt die Forderung nach Kontingent-Aufnahmen und Aufnahme von „Fremden“. Geschlossene Gesellschaften agieren unter einem solchen Diktat erst recht materialistisch-egozentrisch-nationalistisch. Die Angst beherrscht noch weit tiefer, als in Ländern wie Deutschland oder Österreich, weil mit Zuwanderung aus dem fernen Ausland gänzlich die Erfahrung fehlt und die Ängste vor innergesellschaftlichen Krisen irrational groß ausfallen.
Bedauerlicherweise wuchsen diese emotional zum größten Teil unbegründeten Ängste auch hier und in den Ländern Zentral-Europas, die es aus Erfahrung besser wissen sollten.
Soalange aber diese biederen, jammervollen Kräfte in "unseren" zentraleuropäischen Ländern Minderheit bleiben, ist und bleibt alles "gut" am Ort und man darf an ein wahres geeintes echtes EU-Gebilde glauben.
Zuletzt bearbeitet: