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Rhona
Guest
Dieser Text ist von jemandem, der mir sehr nahe stand und den er letztes Jahr Ostern verfasst hat.
Es ist Karsamstag, wir wissen nicht, in welcher Verfassung sich der Tote befindet, gestern ist so lang her, gestern war Kreuzweg, ein beliebtes, öffentliches Volksfest, das man mit lustvollem Schaudern besucht; gerufen und gebrüllt haben die Römer, weil er gestern drei Mal in die Knie gegangen ist draußen vor der Stadt, das Kreuz auf den Schultern. Er ist aber auch drei Mal wieder aufgestanden, denn einer wie er gibt nicht so leicht auf, der macht nichts Halbes, es wäre seiner nicht würdig, am Boden zu bleiben, weil das Kreuz so schwer ist.
Was wäre passiert, wenn er liegen geblieben wäre? Wenn er seiner totalen Erschöpfung und seinem " Ich kann nicht mehr" Gefühl gemäß gehandelt hätte? Die Römer hätten ihn hochgerissen, sie hätten ihn dahin geprügelt, wo sie ihn haben wollten. Er selber sehnte sich nur noch nach Aufgehobenheit in der Ferne, also raffte er sich auf. Er wollte zu jemandem, den er kannte. Der war so weit weg, dass er ihn nicht mehr spürte. Er fühlte sich gottverlassen. Aber er hoffte, dass der Andere ihm nahe sei, wenn er ihn rufe. Also sprach er ihn an.
Jeder kennt dieses Umfallen, diesen Augenblick, da die Uhr auf den Boden schlägt, ihr Glas splittert, die Zeiger zerknicken. Krebspatienten kennen diesen Moment, an dem ihr ganzes Leben hinzuschlagen scheint, und Trost scheint für sie der Mann auf dem Kreuzweg kaum: Der war doch etwas Einzigartiges.
In diesem Moment war er es nicht. Nie war er so sehr einer von uns und einer wie wir. Keine Überlebenschance. Diagnose des abwesenden Arztes: Noch ein paar Stunden vielleicht. Länger macht er es nicht, für den sie das Ärgste vorgesehen hatten: Nägel und zwei Balken aus Holz.
Trotzdem hat er nicht schlapp gemacht. Er ist aufgestanden und hat sich an diesen finsteren Ort draußen vor die Stadt geschleppt. Er war zu Tode entschlossen.
Es würde etwas nach dieser Mühsal kommen, da war er sicher, es würde etwas dahinter sein, eine Form der Existenz, von der viele seit Anbeginn der Schrift etwas ahnten, aber keiner Genaues wusste. Diese Hoffnung trieb ihn weiter, um ihretwillen stand er auf, auch wenn er nicht daran zweifelte, dass gleich seine Glieder, die er zum Aufstehen brauchte, unbeweglich sein würden.
An das Kreuz konnte er sich halten, und es hielt ihn, in der Höhe gewährte es eine Himmelsnähe, die ja nur zustande kommen konnte, weil er aufgestanden war. Um zu seinem eigenen Tod zu gehen und in diesem Tod dem Himmel näher zu sein - dazu war er drei Mal aufgestanden. Das war sein Auftrag.
Dieser Simon von Cyrene war keine rechte Hilfe. Wie denn auch, der kam vom Feld, war müde, wollte nach Hause und etwas essen. Und da soll er einem Hergelaufenen helfen, einem, der nur mit Mühe selber noch aufstehen konnte, der würde sowieso gleich am Kreuz hängen, warum denn helfen?
So konnte aus der Hilfe nichts werden. Und der Mann, der das Kreuz trug, war wieder allein und ging seine letzten Schritte.
Wer jemals auf Erden allein ist: In ihm hat er einen, dem ging´s genauso. Der wusste, wie einsam ein Weg sein kann. Der wusste aber auch, dass der Kopf nicht in den Sand gehört, nicht in den Straßendreck. An ihn kann man sich halten, wenn man fürchtet, aus seinem eigenen Bett nie mehr aufstehen zu können.
Was ist jetzt, am Tag danach, wo ein ordentlicher Toter in den Sarg gehört?
Bei einem wie ihm kann man auch das nicht genau wissen, der hat schon drei Mal eisernen Willen gezeigt und ist aufgestanden, als das Aufstehen fast unmöglich war, es würde uns nicht wundern, wenn er´s jetzt wieder täte - wider physikalische, medizinische Grenzen und gegen das Gesetz, das einmal tot endgültig tot bedeutet.
Die Vernunft sollten wir vorsichthalber abschalten.
Morgen in der Frühe könnte sich die Lage verändert haben, fast dramatisch verändert.
Das Grab könnte leer sein und der Mann abermals aufgestanden, nun aber endgültig.
Vermutlich würde ihm einer helfen und ihn vom Tode auferwecken, gewiss dieser Andere, den er gestern so flehentlich angerufen hat.
Hatte nicht der Tote zu Lebzeiten einmal von sich geagt, er sei Gottes Sohn?
Nun, mit dem Unmöglichen muss gerechnet werden.
Frohe Ostern
Rhona
Es ist Karsamstag, wir wissen nicht, in welcher Verfassung sich der Tote befindet, gestern ist so lang her, gestern war Kreuzweg, ein beliebtes, öffentliches Volksfest, das man mit lustvollem Schaudern besucht; gerufen und gebrüllt haben die Römer, weil er gestern drei Mal in die Knie gegangen ist draußen vor der Stadt, das Kreuz auf den Schultern. Er ist aber auch drei Mal wieder aufgestanden, denn einer wie er gibt nicht so leicht auf, der macht nichts Halbes, es wäre seiner nicht würdig, am Boden zu bleiben, weil das Kreuz so schwer ist.
Was wäre passiert, wenn er liegen geblieben wäre? Wenn er seiner totalen Erschöpfung und seinem " Ich kann nicht mehr" Gefühl gemäß gehandelt hätte? Die Römer hätten ihn hochgerissen, sie hätten ihn dahin geprügelt, wo sie ihn haben wollten. Er selber sehnte sich nur noch nach Aufgehobenheit in der Ferne, also raffte er sich auf. Er wollte zu jemandem, den er kannte. Der war so weit weg, dass er ihn nicht mehr spürte. Er fühlte sich gottverlassen. Aber er hoffte, dass der Andere ihm nahe sei, wenn er ihn rufe. Also sprach er ihn an.
Jeder kennt dieses Umfallen, diesen Augenblick, da die Uhr auf den Boden schlägt, ihr Glas splittert, die Zeiger zerknicken. Krebspatienten kennen diesen Moment, an dem ihr ganzes Leben hinzuschlagen scheint, und Trost scheint für sie der Mann auf dem Kreuzweg kaum: Der war doch etwas Einzigartiges.
In diesem Moment war er es nicht. Nie war er so sehr einer von uns und einer wie wir. Keine Überlebenschance. Diagnose des abwesenden Arztes: Noch ein paar Stunden vielleicht. Länger macht er es nicht, für den sie das Ärgste vorgesehen hatten: Nägel und zwei Balken aus Holz.
Trotzdem hat er nicht schlapp gemacht. Er ist aufgestanden und hat sich an diesen finsteren Ort draußen vor die Stadt geschleppt. Er war zu Tode entschlossen.
Es würde etwas nach dieser Mühsal kommen, da war er sicher, es würde etwas dahinter sein, eine Form der Existenz, von der viele seit Anbeginn der Schrift etwas ahnten, aber keiner Genaues wusste. Diese Hoffnung trieb ihn weiter, um ihretwillen stand er auf, auch wenn er nicht daran zweifelte, dass gleich seine Glieder, die er zum Aufstehen brauchte, unbeweglich sein würden.
An das Kreuz konnte er sich halten, und es hielt ihn, in der Höhe gewährte es eine Himmelsnähe, die ja nur zustande kommen konnte, weil er aufgestanden war. Um zu seinem eigenen Tod zu gehen und in diesem Tod dem Himmel näher zu sein - dazu war er drei Mal aufgestanden. Das war sein Auftrag.
Dieser Simon von Cyrene war keine rechte Hilfe. Wie denn auch, der kam vom Feld, war müde, wollte nach Hause und etwas essen. Und da soll er einem Hergelaufenen helfen, einem, der nur mit Mühe selber noch aufstehen konnte, der würde sowieso gleich am Kreuz hängen, warum denn helfen?
So konnte aus der Hilfe nichts werden. Und der Mann, der das Kreuz trug, war wieder allein und ging seine letzten Schritte.
Wer jemals auf Erden allein ist: In ihm hat er einen, dem ging´s genauso. Der wusste, wie einsam ein Weg sein kann. Der wusste aber auch, dass der Kopf nicht in den Sand gehört, nicht in den Straßendreck. An ihn kann man sich halten, wenn man fürchtet, aus seinem eigenen Bett nie mehr aufstehen zu können.
Was ist jetzt, am Tag danach, wo ein ordentlicher Toter in den Sarg gehört?
Bei einem wie ihm kann man auch das nicht genau wissen, der hat schon drei Mal eisernen Willen gezeigt und ist aufgestanden, als das Aufstehen fast unmöglich war, es würde uns nicht wundern, wenn er´s jetzt wieder täte - wider physikalische, medizinische Grenzen und gegen das Gesetz, das einmal tot endgültig tot bedeutet.
Die Vernunft sollten wir vorsichthalber abschalten.
Morgen in der Frühe könnte sich die Lage verändert haben, fast dramatisch verändert.
Das Grab könnte leer sein und der Mann abermals aufgestanden, nun aber endgültig.
Vermutlich würde ihm einer helfen und ihn vom Tode auferwecken, gewiss dieser Andere, den er gestern so flehentlich angerufen hat.
Hatte nicht der Tote zu Lebzeiten einmal von sich geagt, er sei Gottes Sohn?
Nun, mit dem Unmöglichen muss gerechnet werden.
Frohe Ostern
Rhona