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Psycho-Normen als Gewaltprävention?

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Ela67

Guest
Der Zürcher Kinder und Jugendpsychiater Hans-Chrisioph Steinhausen schlägt im "Unimagazin" vor, sämtliche Schüler jährlichen psychologischen Tests zu unterziehen, um Kinder bei denen ein Risiko besteht, dass sie später einmal gewalttätig werden könnten, möglichst früh zu erkennen und zu therapieren.

Er kritisiert, dass unser heutiges System noch immer darauf beruhe, dass Kinder erst einmal auffällig werden müssten, bevor sie zum Psychiater geschickt würden.

Wie denkt ihr daüber?

Wären solche Tests tatsächlich ein sinnvolles Präventionsinstrument?
Oder sind sie eher Anzeichen für ein Menschenbild, das immer mehr Verbreitung findet und bei dem auf der einen Seite die individuelle Selbstverwirklichung immer mehr an oberster Stelle steht und andererseits alles, was nicht einer immer enger gefassten Norm entspricht als Risikopotential gesehen wird?

Freue mich auf eure Gedanken dazu.
 
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AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

Hallo Ela!

nein, ich seh das eher als Symptom einer zunehmenden "Expertokratie"...

Kinder haben ja heute schon unendlich viele Bezugspersonen, gerade in der Schule, es gibt ja kaum noch Lehrerinnen, die zu 100% allein eine Klasse führen, sondern oft gemeinsam mit andern, plus noch die LehrerInnen für Spezialfächer, plus Förderstunden und was es da alles noch gibt.

Was soll es da bringen, sie nochmals zu einem Experten zu schleppen, der nochmals Tests macht? Und wenn beim Test herauskommt, dass ein Kind zur Gewalttätigkeit neigt, was dann? Kommt dann nochmals wer in die Schule, brauchts dann nochmals eine Person mehr?

nun, wenn ich jetzt in Fahrt komme, so läufts auf eine ziemlich radikale Kritik an unserm Schulsystem heraus.:mad:

Mal nur so viel: Schule heute ist leistungsorientiert, es geht nicht um Persönlichkeitsbildung, es geht um Anpassung an die Gesellschaft, böse gesagt: es geht um Dressur. Und da wird einfach in Schubladen gequetscht, wie es nur geht, Hauptsache das Verhalten ist dann "gut". Ganz egal, wie es innen im Kind aussieht, was da alles gärt und arbeitet, und was sich notwendigerweise irgendwann, irgendwie ein Ventil suchen wird.

Dass ein Kind zur Gewalttätigkeit neigt, das werden jene Erwachsenen, die ein Kind betreuen, ja wohl auch so herausfinden. Das ist ja ersichtlich, wenn man Kinder beobachtet, dazu brauchts wirklich keine Experten. Was mE wichtiger wäre: ein Lehrplan, der mehr Wert auf Persönlichkeitsentwicklung legt, und weniger Wert auf das Anhäufen von Sachwissen. Aber wie gesagt, das wär dann eine ganz andere Art von Schule als die, die heute existiert...

grüsse, barbara
 
AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

Liebe Ela,

ein sehr wichtiges Thema, bei dem eines das mehr oder weniger direkt angesprochen wird, in jedem Fall stimmt: die zunehmende Anzahl der psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Manche dieser Störungen führen natürlich auch zur Gewalttätigkeit, bis hin zur Jugendkriminalität.

Mir scheinen aber auch andere Störungen wichtig, die für den einzelnen einen großen Leidensdruck bedeuten, auch wenn er dadurch nicht gewalttätig wird.

In vielen Fällen wachsen heute Kinder in familiären Formen auf die sich in einem großen Wandel befinden, die oft den Kindern und ihren Bedürfnissen nicht genug Rechnung tragen.

Andererseits besteht der Druck seitens einer Gesellschaft die in erster Linie auf Leistung setzt und diese Anforderung in keiner Weise den individuellen Möglichkeiten anpasst.

Du weißt, dass ich in der letzten Zeit auch Einblick gewonnen habe in familiäre Zustände, die ich bis zu dem Zeitpunkt (konkret: die Adoption meines kleinen Enkelsohnes Mathias), nicht einmal erahnen konnte.
Man sagt auch (seitens Experten), dass wir bei diesen dramatischen Fällen, nur die Spitze des Eisberges zu sehen bekommen, bzw. erfahren.

Da möchte ich auch auf eine Satz von Barbara eingehen:

Dass ein Kind zur Gewalttätigkeit neigt, das werden jene Erwachsenen, die ein Kind betreuen, ja wohl auch so herausfinden. Das ist ja ersichtlich, wenn man Kinder beobachtet, dazu brauchts wirklich keine Experten.

Barbara, ich befürchte, dass deine Vorstellung über "jene Erwachsene die ein Kind betreuen" mit der Realität wenig übereinstimmt.

In allen Punkten die ich hier erstmal etwas unsystematisch aufgeführt habe, frage ich mich ob die Wurzeln der Jugendkriminalität oder der häufigen Störungen nicht eher im familiären Umfeld liegen bzw. in den sozialen Umständen - und eigentlich sich die Frage stellen sollte was man dabei ändern müsste?

Übrigens bei dem Vorschlag von Hans-Christoph Steinhausen muss man sich auch noch eine Frage stellen: wenn mal durch Tests das Gewaltpotenzial von Jugendlichen festgestellt wäre – von wo sollte man das Fachpersonal nehmen welches sich mit dem Einzelnen befassen soll?
Es gibt viel zu wenige Kinder- bzw Jugendtherapeuten, egal ob es Psychiater oder Psychologen wären.

Liebe Grüße

Miriam
 
AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

...es geht um Dressur. Und da wird einfach in Schubladen gequetscht, wie es nur geht, Hauptsache das Verhalten ist dann "gut". Ganz egal, wie es innen im Kind aussieht, was da alles gärt und arbeitet, und was sich notwendigerweise irgendwann, irgendwie ein Ventil suchen wird.

Ja, Barbara!

Leider ist es oft oder sogar meistens so.

Aber: Siehst Du da kein Licht - am Horizont, oder
wenigstens bessere Lösungen, gute Vorbilder in Europa,
in der Welt?

Fragt
Reinhard70
 
AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

Hallo Miriam

Barbara, ich befürchte, dass deine Vorstellung über "jene Erwachsene die ein Kind betreuen" mit der Realität wenig übereinstimmt.

wie kommst du darauf? den meisten Eltern dürfte es durchaus auffallen, wenn Junior auf dem Spielplatz regelmässig andere Kinder verprügelt... wenn sie dann ihrerseits dieses Verhalten mit Ohrfeigen zu *kurieren* versuchen, da kann ein Besuch des Kindes beim Psychologen auch nicht viel ausrichten, dann müsste die ganze Familie therapiert werden.

Das läuft dann nach dem klassischen Grundsatz "man kann Kinder nicht erziehen, sie machen einem eh alles nach" - nun ja, da wär die Lösung, dass die Kinder Leute haben, die ihnen im besten Sinn nachahmenswerte Sachen vormachen.



Hallo Reinhard

Aber: Siehst Du da kein Licht - am Horizont, oder
wenigstens bessere Lösungen, gute Vorbilder in Europa,
in der Welt?

doch, das gibts bestimmt - viele Eltern, denen ihr Kind am Herzen liegt, und die ihm Menschlickeit, Freundlichkeit, Mut und Hoffnung mitgeben.

grüsse, barbara
 
AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

... dann müsste die ganze Familie therapiert werden.

So ist es, Barbara!

Und es müsste viel mehr Zeit für Gespräche in
der (Groß-)Familie vorhanden sein. Da fehlt es
an allen "Ecken und Enden".


Familien, die finanziell abgesichert sind, haben
besonders gute Voraussetzungen, ...

Leider sind Gesprächsbereitschaft und Know-How
auch bei den "Wohlhabenden" oft Mangelware.
 
AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

Der Zürcher Kinder und Jugendpsychiater Hans-Chrisioph Steinhausen schlägt im "Unimagazin" vor, sämtliche Schüler jährlichen psychologischen Tests zu unterziehen, um Kinder bei denen ein Risiko besteht, dass sie später einmal gewalttätig werden könnten, möglichst früh zu erkennen und zu therapieren.

Mir scheint, dieser Herr ist selbst ein Fall für den Psychiater. Warum denn erst die Kinder solchen Tests unterziehen? Was wird seitens solcher "Experten" die nächste Forderung sein? Gentests um potentielle Gewalttäter gar nicht erst das Licht der Welt erblicken zu lassen?

Er kritisiert, dass unser heutiges System noch immer darauf beruhe, dass Kinder erst einmal auffällig werden müssten, bevor sie zum Psychiater geschickt würden.

Die Systemkritik muß aus meiner Sicht an anderer Stelle ansetzen.
Es muß hinterfragt werden was und welche Umstände dazu führen das Kinder und Jugendliche zu Gewalt neigen.
Ein gesellschaftliches System das Kindheit schon fast nicht mehr zuläßt ist in Frage zu stellen. Wozu müssen z. B. 3-jährige im Kindergarten schon Englisch lernen? Ein Schulsystem das ausschließlich auf Aussortieren anstatt Fördern angelegt ist, kann diesem Thema auch nicht zuträglich sein.


Wären solche Tests tatsächlich ein sinnvolles Präventionsinstrument?

Aus meiner Sicht nicht! Vielmehr wären sie ein weiteres Mittel der Selektion und Ausgrenzung aber ganz sicher keine Lösung!
Was, wenn ein solcher Test bei einem Schüler ein negatives Ergebnis hervorbrächte, würde dann weiterhin geschehen? Therapie? Und wenn die nichts nützt? Wegsperren? Oder was?
 
AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

Mal nur so viel: Schule heute ist leistungsorientiert, es geht nicht um Persönlichkeitsbildung, es geht um Anpassung an die Gesellschaft, böse gesagt: es geht um Dressur. Und da wird einfach in Schubladen gequetscht, wie es nur geht, Hauptsache das Verhalten ist dann "gut". Ganz egal, wie es innen im Kind aussieht, was da alles gärt und arbeitet, und was sich notwendigerweise irgendwann, irgendwie ein Ventil suchen wird.

Hallo Ela und Barbara,

dass unser Schulsystem "suboptimal" ist, zugestanden.
Dass Kinder auch zur "Anpassung" gedrängt werden, zugegben.

Aber erstens muss man in einer vernetzten modernen Welt ein paar Anpassungsleistungen bringen, sonst funktioniert nichts. "Es kann doch nicht jeder machen was er will!", dieser Satz enthält auch etwas Wahrheit.

Und zweitens haben alle früheren Schulsysteme auf die Kinder einen unendlich härteren Anpassungsdruck ausgeübt. So "liberal" wie heute, war Pädagogik noch nie.

Ich finde es immer unprodukiv, alles, was ist, mit einem gedachten Ideal zu vergleichen. Und man weiß auch nie, ob der jeweils geträumte paradiesische Zustand sich nach seiner Realisierung nicht als Hölle entpuppt.

LG, pispezi :zauberer2
 
AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

La Chatte schrieb:
Hallo Miriam


Zitat Miriam:

Barbara, ich befürchte, dass deine Vorstellung über "jene Erwachsene die ein Kind betreuen" mit der Realität wenig übereinstimmt.

wie kommst du darauf? den meisten Eltern dürfte es durchaus auffallen, wenn Junior auf dem Spielplatz regelmässig andere Kinder verprügelt... wenn sie dann ihrerseits dieses Verhalten mit Ohrfeigen zu *kurieren* versuchen, da kann ein Besuch des Kindes beim Psychologen auch nicht viel ausrichten, dann müsste die ganze Familie therapiert werden.

Auch wenn ich mich zum Ärger einiger hier wiederhole:
liebe Barbara, noch vor einem Jahr hätte ich dir zugestimmt. Die Wahrheit ist, dass wir das Ganze erst beurteilen können, wenn wir mit den Kindern eng im Kontakt kommen, die aus völlig zerrütteten Verhältnissen stammen.
Wie groß die Schäden bei solchen Kindern sind wenn sie überhaupt entdeckt werden, kann man nur im täglichen Kontakt erfahren, sprich wenn eine Familie so ein Kind entweder als Dauerpflegekind oder als Adoptivkind angenommen hat.
Unser Kind (er ist ja eigentlich mein Enkelsohn) hat seine ersten 16 Lebensmonaten in seinem Bett verbracht, meist im Dunkeln, konnte mit 16 Monaten nicht sitzen und nichteinmal seinen Kopf selbständig halten.

Es ist kein Einzelfall – aber einer, der das Glück hatte einigermaßen rechtzeitig entdeckt zu werden. Der lohnende Aufwand um aus einem solchen völlig verwahrlostem, verängstigtem Kind einen kleinen fröhlichen Jungen zu machen, ist unermesslich. Er wird nicht nur von seinen (Adoptiv)eltern geleistet, sondern auch von Fachkräften – und nicht zuletzt von einer sehr engagierten Mitarbeiterin des Jugendamtes.

Barbara, ich weiß nicht wo die meisten Eltern stehen. Es kommt nicht auf den Prozentsatz an, sondern um ein jedes einzelne Kind welches leidet, welches auf der Strecke bleibt, welchem keine Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden.

Es kommt auch auf die Kinder an, die als Antwort auf Lieblosigkeit und Verwahrlosung ein enormes Aggressionspotential entwickeln. Deswegen finde ich, dass die Nachforschungen nicht bei den Kindern anfangen sollten um ihr Aggressionspotential festzustellen, sondern bei deren Umfeld.

Ich empfehle auch sich mit den Fällen zu befassen, die Manfred Karremann nach seinen Ermittlungen der Öffentlichkeit z.B. durch Dokumentarfilme, bekannt gemacht hat (u.a. im ZDF-Film "Was geschah mit Karolina?")

Gruß in die Runde

Miriam
 
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AW: Psycho-Normen als Gewaltprävention?

Hallo pispezi

Aber erstens muss man in einer vernetzten modernen Welt ein paar Anpassungsleistungen bringen, sonst funktioniert nichts. "Es kann doch nicht jeder machen was er will!", dieser Satz enthält auch etwas Wahrheit.

ich wüsste nicht, welche Wahrheit darin stecken könnte. Ich bin überzeugt, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn das "Liebe, und dann tu, was du willst" nach der Idee des Augustinus oder Crowley umgesetzt würde. Mit der einzigen Einschränkung, dass die eigene Freiheit dort aufhört, wo die Freiheit der anderen beginnt.

Und zweitens haben alle früheren Schulsysteme auf die Kinder einen unendlich härteren Anpassungsdruck ausgeübt. So "liberal" wie heute, war Pädagogik noch nie.

Da bin ich mir nicht so sicher. Natürlich bin ich froh, dass Schläge aus dem Klassenzimmer verschwunden sind. Doch noch als ich ein Kind war, war es auch für die Realschüler (unterste der drei Sekundarstufen, wo ich damals wohnte) selbstverständlich, dass sie eine Lehre machen und einen Beruf lernen konnten und sich ein Leben aufbauen konnten. Heute ist nicht mal mehr ein Abi eine verünftige Garantie dafür, sich ein einigermassen lebbares Leben zu kreieren. Mal abgesehen davon, dass die Qualitäten, die von SchülerInnen verlangt werden, nicht dieselben sind, die von Berufsleuten verlangt werden. Und das finde ich doch reichlich absurd, dass Menschen sich, um einen Beruf zu lernen, sich in einem Gebiet auszeichnen müssen, dass für die Ausübung des Berufs unwesentlich ist.

Dass da immer wieder Frust entsteht, und damit auch Gewalt, erstaunt mich überhaupt nicht.

Ich finde es immer unprodukiv, alles, was ist, mit einem gedachten Ideal zu vergleichen. Und man weiß auch nie, ob der jeweils geträumte paradiesische Zustand sich nach seiner Realisierung nicht als Hölle entpuppt.

höllisch genug ist es jetzt schon... also sehe ich keinen Grund, nicht das zu tun, was möglich ist, um etwas zu verändern. Auch im Wissen, dass jede Lösung wieder ihre eigenen Probleme mit sich bringen wird, die heute noch keineswegs absehbar sind. Aber es so zu lassen, wie es ist, mit dem Verweis auf "früher wars auch nicht besser", das halte ich für gar keine gute Idee.

grüsse, barbara
 
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