Interessant ist überhaupt die Haltung von Vorräten an sich.
Eigentlich kennt man es ja von den Großeltern die regaleweise Bohnen und Früchte eingeweckt haben.
Für die ältere Generation ist das ganz normal gewesen.
Die hatten dann aber auch noch Haushalte mit Personenzahlen, wo das auch verzehrt wurde.
Eine meiner Tanten hatte einen Garten mit Obstbäumen und hat immer eingekocht. Das ging aber auch raus, denn sie kochte für einen großen Haushalt aus Ehemann, Schwiegereltern, Kinder und Verwandten. Aber irgendwann war sie allein: Die Kinder aus dem Haus, die Alten und Ehemann verstorben ... und sie hat weiter eingeweckt und weiter eingeweckt und weiter ...
Eines Tages kam eine Verwandte zu Besuch und stellte fest:
Was tust Du denn da eigentlich? Denn mittlerweile saß sie auf einem Glaslager, dass eines mittleren Supermarktes würdig gewesen wäre.
Lebensmittel lagert man nicht wie Bücher, die man ins Regal stellt und verstauben lässt. Eine Lagerhaltung von Lebensmitteln ergibt nur dann Sinn, wenn man eingelagerte Lebensmittel auch umgehend wieder verbraucht - und diese auch essen mag. Anderenfalls hat es leicht etwas Psychotisches an sich.
War meine Oma zu Besuch, Flüchtling, dann musste immer das alte Brot zuerst gegessen werden, bevor das frische Brot angeschnitten werden durfte. Einerseits richtig und verständlich, wenn es aber dazu führt, dass man dann leider
immer nur altes Brot isst - dann macht man etwas verkehrt.
Ich würde es zutiefst Schade finden große Mengen an Lebensmitteln wegzuschmeißen.
Lebensmittel sind Lebensmittel - und Lebensmittel verderben.
Als ich für den Templerorden gearbeitet habe, zog der aussortierte Lebensmittel ein, aus dem Handel, aus der Industrie. Die Lebensmittel wanderten entweder in die Bedürftigenspeisung oder in die wöchentliche Verteilung.
Es wurden aber auch größere Mengen Lebensmittel weggeworfen - es ging gar nicht anders.
Verdorben ist verdorben und eine Lebensmittelvergiftung ist eine ernste Angelegenheit, das ist das Eine.
Das Andere: Das man irgendwann feststellt: Diesen Kampf kannst Du überhaupt nicht gewinnen, egal, wie Du es drehst und wendest.
Es ist nicht mehr die Frage,
ob Du etwas wegwirfst, sondern
was Du wegwirfst.
Wir bekamen regelmäßig Kontingente, die brachten wir nicht mehr unter die Leute, weder in der Speisung, noch in der Verteilung.
Da kommt eine halbe Palette Speisequark ... in 10 kg - Eimern. 30 Eimer Speisequark à 10 kg sind 300 kg Speisequark ... und was macht man nun
damit? Weder hätte ich das vernünftig kühllagern können, noch unter die Leute bringen. Einem Bedürftigen kann ich keinen 10 kg - Eimer in die Hand drücken. Für eine Verteilung portionieren konnte das auch Niemand, die Manpower hätten wir nicht gehabt. Und selbst dann wäre es für unser übliches Klientel bei Weitem zuviel gewesen.
Unsere Vorgänger unter dem Altabt haben Lebensmittel auf ein Podest des Heiligen gestellt, und da wird es dann ganz krankhaft.
Die haben gesammelt und gesammelt und gelagert und gelagert ... ohne Sinn und Verstand, und vor allem ohne Sachkenntnis und ohne ausreichende technische Möglichkeiten. Über Jahre. Mäuseplage inklusive.
Unter seinem Nachfolger, dem neuen Abt, wurde dann aufgeräumt und entsorgt. Das hat Monate gedauert und am Ende waren es 100 Tonnen - in Worten: Einhundert Tonnen - Sondermüll, der entsorgt wurde.
Da gab es dann so Ordensmitglieder, die machten Semmelbrösel aus altem Brot (es gab immer viel altes Brot) ... nur wenn man überhaupt keine Semmelbrösel braucht, dann lässt man es lieber. Stattdessen stellten sie neue Eimer mit Semmelbrösel auf alte Eimer mit Semmelbrösel - die Niemand braucht, und in allen waren mittlerweile die Würmchen.
Es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: Der Gedanke, ein Bedürftiger würde dankbar alles annehmen und glücklich nach Haus tragen ... ist oft mehr nur eine romantische Vorstellung, die der Realität nicht entspricht.
Es wird zwar meistens alles, was geht, mitgenommen ... aber auf dem Heimweg, da wird die Tasche dann doch oft arg schwer.
Dann werfen die Bedürftigen es weg, nämlich noch auf dem Heimweg: Und unseren Nachbarn in die Vorgärten.
Man muss sich also genau überlegen, wem man was und wieviel gibt, denn sonst hat man bald ganz viel Ärger mit seinen humanitären Taten.
Noch irrwitziger wird es mit dem Thema Altkleidung.
Es kamen mehrmals die Woche Spenden an Altkleidung ... nur könnten Angebot und Nachfrage nicht mehr auseinander liegen.
Unser mehrheitlicher Besucher der Bedürftigenspeisung - der Adressat für Kleidung - war männlich und lebt auf der Straße. Was er braucht, dass ist solide Kleidung, feste Jacke, feste Hose, solide Schuhe. Das kam kaum. Wenn Herrenbekleidung kam, dann handelte es sich meist um die alte Anzüge, weil ein alter Mann verstorben war und man seinen Haushalt auflöste. Und welchem Bedürftigen soll ich das geben? Herrenanzüge aus den 1970er Jahren?
Stattdessen kam - in der Masse, zu 90% - Damenoberbekleidung ... dabei hatte ich so gut wie keine Frauen unter meinen Besuchern, 5% vielleicht.
Man merkte es sofort, wenn gerade Saisonwechsel war ... denn dann räumten die Damen ihre Kleiderschränke, denn sie brauchten Platz für das Neue. Und welchem meiner Bedürftigen drücke ich die Pömps in die Hand? Das Minikleid? Seidenschals in grellen Farben?
Was aber von unseren Klienten am Meisten nachgefragt wurde: Rucksack, Schlafsack, Decke, Zelt - das kommt praktisch überhaupt nicht. Denn das behalten die edlen Spender dann selbst.
Sie bringen einem eigentlich immer nur das, was Müll ist. Und den kann Niemand gebrauchen.
Es kamen Menschen mit Hausrat, mit Büchern, "in Flohmarktqualität". Irgendwann sagte ich den Leuten dann auch: Dann bring es auf den Flohmarkt oder entsorge es, denn wir sind kein Entsorgungsunternehmen und auch keine Flohmarkthändler. Und einem, der auf der Straße lebt, dem kann ich das nicht in die Hand drücken. Denn der braucht das auch nicht.
Dann sind sie dann beleidigt, die Leute.