AW: Prekariat – ein neuer Begriff für ein schon älteres Phänomen
Claus schrieb:
geh mir mit den Soziologen, meint Claus
Hab ich nicht vor, Claus, denn ich kann nur wenig mit den Fallbeispielen anfangen, so wie du oder auch du,
Ziesemann, sie bringt. Dem Beitrag von
zwetsche kann ich im großem Ganzes zustimmen, ach ich sehe gerade, dass auch
Lilith dazu geschrieben hat und hoffe sehr, dass wir weiter diskutieren können, ohne dass die Fronten sich zu sehr verhärten.
Ziesemann, ich möchte versuchen zu erklären warum ein Cäpt’n Blaubär kein pars pro toto ist – und warum ich soziologischen Studien folge, die versuchen dieses Phänomen der Neuen Armut zu erklären.
Die Fallbeschreibungen die Ihr hier bringt, sind halt … Fälle und wenn man sie als exemplarisch für das Ganze betrachten würde, besteht eine sehr große Gefahr: wir würden damit behaupten, dass es
solche Menschen, völlig unabhängig von ihren Lebensumständen, gibt: Faule, Parasiten, ein Schmarotzertum das es gar nicht anders haben will.
Es kann sein, dass einige (vielleicht auch viele)
so geworden sind – durch Lebensumstände, die nur Soziologen richtig erfassen können, weil sie sie nicht als
von Natur gegeben, sondern als so geworden erfassen und sich hauptsächlich mit den Gründe die dazu geführt haben, befassen.
Wisst Ihr was es bedeuten würde, wenn wir es gelten lassen würden, dass es
solche Menschen einfach gibt - ausser dass dies nicht stimmt?
Fast schon wäre die Antwort darauf: ja es gibt sie, und das ist genetisch bedingt.
Die nächste Frage die sich stellen würde, wäre: wieso denn diese Art Menschen in so viel größerer Zahl im Osten anzutreffen sei (ich spreche noch immer von den 20% die keine Chancen mehr haben ins Erwerbsleben zurückzufinden), während im Westen nur 4% der Bevölkerung als Dauerarbeitslose, ohne Chancen dies noch zu ändern, betrachtet werden.
Ziesemann schrieb:
Es geht nicht an, die Augen davor zu verschließen, daß Drückebergerei längst ein Massenphänomen geworden ist und sich nicht mehr auf Einzelfälle beschränkt. Das eigentlich Neue an dieser "neuen Armut" ist die Tatsache, daß sich Menschen schon in dritter Generation an Transfereinkommen gewöhnt haben, gar nichts mehr dabei empfinden, daß sie lebenslänglich parasitär auf Kosten anderer leben.
Eben: eine solche Beschreibung finde ich gefährlich. Es kann sein, dass sie parasitär leben – aber dies nicht, weil sie so
geartet sind. Sondern weil soziale Gegebenheiten, die nicht abzukoppeln sind von unserem Gesellschaftssystem und von der Globalisierung, zu Lebensumständen geführt haben, die prekär waren. Die sich oft im Laufe von Generationen wiederholten, und man weis, dass dies Menschen auch verändern kann.
Aber sie verhalten sich nicht so weil dies genetisch bedingt wäre – sondern weil sie längst von allem abgekoppelt sind. Und weil dem Staat nichts Gescheiteres zur Lösung des Problems eingefallen ist, als riesige Jobcenters zu schaffen, mit wechselnden Namen, anstatt kleine Einheiten zu schaffen in denen nicht die Bürokratie im Zentrum der Aktivität steht und die sich nicht damit befassen den Erwerbslosen Pseudoaktivitäten anzubieten.
Wie wäre es wenn wir im Zusammenhang mit diesem Thema auch über die Konsequenzen der Auslagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, über den Verkauf von Anteilen großer Firmen an dubiosen Anbietern, nachdenken würden?
Dies sind nur zwei der zahlreichen Faktoren die immer mit der Abschaffung von Arbeitsplätzen Hand in Hand gehen. Und oft ist gerade hier der Anfang der uns erklärt wieso ganze Gruppen von Menschen aus dem Erwerbsleben an den Rand der Gesellschaft katapultiert werden.
Liebe Grüße an alle
Miriam