• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Populärphilosophie: Therapie fürs geplagte Seelchen!

PhilippP

Well-Known Member
Registriert
8. April 2003
Beiträge
931
Ob nun R.D. Precht (Populärphilosoph) oder Gerald Hüther (Populärwissenschaftler bzw. Neurologe), sie alle machen vor allem dies: Einfache Wahrheiten gebetsmühlenartig verkünden, Komplexitäten bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln, so dass die Zuhörer gar nicht erst über neue Gedanken nachzudenken brauchen und just dort abgeholt werden, wo sie ohnehin schon standen: bei Alltagsphilosophie auf Ratgeberniveau.

Solche "Typen" werden dann gefeiert und von Talkshow zu Talkshow gereicht, dürfen ihre platten Parolen ungefiltert und unwidersprochen als ultimative Erkenntnisse hinausposaunen, ihre Bücherverkäufe umwerben und das funktioniert wechselseitig: Einschaltquoten für Bekanntheitsgrad!

Beispiel: Richard David Precht wettert(e) gegen das "Schulsystem" (wie so viele es schon vor ihm taten), wiederholte dabei uralte Vorbehalte, bediente also verbreitete Vorurteile, verunglimpfte hierbei ungeniert die vielen engagierten Lehrer und bot weder eine klare Alternative (nein: Reformpädagogik ist keine Alternative, sondern nur ein leeres Schlagwort, man erinnere sich diesbezüglich z.B. der Odenwaldschule etc.), noch explizierte er die Kritik auf wissenschaftlich ernstzunehmender Basis. Es ist ja nun nicht so, dass diejenigen Menschen, die im "Schulsystem" arbeiten, nicht selbst wüssten, was richtig und was falsch läuft. Menschliche Interaktionen können durch künstliche Eingriffe nur sehr bedingt zielgerichtet gesteuert werden, das ist viel komplexer, als man sich das häufig aus der Distanz vorstellt.

Der Grund dafür, dass "Systeme" überhaupt funktionieren, liegt vor allem daran, dass diese aus Individuen zusammengesetzt sind, die ständig mitdenken und täglich dafür kämpfen, dass der Laden halbwegs läuft. Und hier muss man ansetzen, auf die Beteiligten und deren Situation eingehen; gegen anonyme "Systeme" schimpft es sich leicht. Das ist das Kämpfen gegen Strohmänner.

Und Hüther? Der ist schon lange kein Wissenschaftler mehr (wird auch in Fachkreisen gar nicht ernstgenomen), redet aber über das Gehirn, als habe er persönlich eine allumfassende Gebrauchsanleitung im Nachttisch liegen. Nebenbei faselt er etwas davon, dass es wissenschaftlich anerkannte Krankheitsbilder wie ADHS gar nicht gibt und bewährte Medikamente schädlich seien, faselt etwas von der bösen und kinderfeindlichen Moderne und zählt eine Handvoll altbewährter Hausmittelchen auf, die der nach Orientierung lechzenden Seele die ersehnte Bestätigung verschafft: Prima! - Ich habe instinktiv immer schon alles richtig gemacht.

Da ist es dann nur konsequent, dass sich beide Herrschaften zusammentun, um sich in penetranter wechselseitiger Bestätigung in ihren plattgedrückten Einfachstthesen zur Wahrheit zu pushen und den beeindruckten Zuschauer mit den tiefsitzenden Vorurteilen vollends auszusöhnen: Wenn selbst die Wissenschaft und Philosophie das sagt, umso besser!

Die echten Wissenschaftler schütteln darüber die Köpfe, schreien ihren Frust ungehört in schwarze Nacht hinaus und wenden sich dann wieder der echten (komplexen) Welt zu, die sich nicht mal eben in ein Buch, Talkshow-Format oder einen gut bezahlten Motivationsvortrag pressen lässt.

U.a. davon war die Rede:
 
Werbung:
... Die echten Wissenschaftler schütteln darüber die Köpfe, schreien ihren Frust ungehört in schwarze Nacht hinaus und wenden sich dann wieder der echten (komplexen) Welt zu, die sich nicht mal eben in ein Buch, Talkshow-Format oder einen gut bezahlten Motivationsvortrag pressen lässt.


Genau, das sollen sie mal schön machen, diese Damen und Herren von Wissenschaftlern, schafft Wissen, und damit auf diesen Berg.

In praktischer Umsetzung gibt es dann - vielleicht - konstruierte wie produzierte Menschen.

Wenn Herr Precht Menschen am Einschlafen hindert, hat er seine Berechtigung, ein Glied der Gesellschaft.
 
Genau, das sollen sie mal schön machen, diese Damen und Herren von Wissenschaftlern, schafft Wissen, und damit auf diesen Berg.

Die Metapher passt: Wissen erwerben strengt an - kann jeder Schüler bestätigen; der Aufstieg macht bisweilen kurzatmig, dafür ist die Aussicht umso beeindruckender (man sieht weiter als von unten!) und entschädigt reichlich für die erlittene Mühsal.

In praktischer Umsetzung gibt es dann - vielleicht - konstruierte wie produzierte Menschen.

Die Wissenschaft konstruiert ja gerade nicht (das machen Wahrsager und Wahrheitsproduzenten), sondern strengt das Hirn an, indem es sich mit der uns alle umfassenden Wirklichkeit auseinander setzt. Produziert werden dabei vor allem neue Fragen und Komplexitäten, gelegentlich fällt auch ein "Produkt" an (z.B. ein neues Medikament oder die Beseitigung einer falschen These); Wahrheit am Fließband gibts nur dort, wo man mit ihr Geschäfte macht.

Wenn Herr Precht Menschen am Einschlafen hindert, hat er seine Berechtigung, ein Glied der Gesellschaft.

Selbstverständlich. Kritik üben meint nicht, jemanden als Person verbieten wollen (ihm die Existenzberechtigung absprechen). Leute wie Precht und Hüther gab es schon immer und ihre Thesen obendrein; das Publikum ist sich auch treu geblieben - fürs "Schulsystem" gilt freilich selbiges. Wir sind nicht so flexibel, wie man gerne meint. Wir brauchen Struktur, Tradition und Führung - jedenfalls die überwiegende Mehrheit von uns.

Aber gelegentlich tut eine kleine echte Erkenntnis schon nicht schaden. Wer weiß z.B., dass man sein Schulwissen gar nicht vergisst, sondern sich in der Regel nur nicht daran erinnern kann, wann und wo man das, was man als passives Wissen weiß und als Fähigkeit beherrscht, gelernt hat?

Welcher selbsternannte Schulkritiker kennt die empirische Bildungsforschung und einschlägige Ergebnisse? Was weiß der begeisterte Precht-Zuschauer über die Meta-Meta-Untersuchung eines John Hattie oder die wechselvolle Geschichte gescheiterter Reformschulen in Deutschland während der letzten 100 Jahre? In der Regel genau soviel: nämlich nichts!
 
Leute wie Precht und Hüther gab es schon immer und ihre Thesen obendrein; das Publikum ist sich auch treu geblieben - fürs "Schulsystem" gilt freilich selbiges.

und:

Die echten Wissenschaftler schütteln darüber die Köpfe

Ja, ein Lob diesen, wie beispielsweise einem
*Konrad Paul Liessmann*
welcher immer wieder versucht ist, diesem Humbug selbsternannter 'Bildungsexperten' einen Riegel vorzuschieben!
Liessman beruft sich dabei auf Comenius oder auch auf Humboldt:
Diese trügerische Idylle, die auch diese beiden medial wie in Buchform anhimmeln, hat Konrad Paul Liessmann auch in seiner
*Geisterstunde*
(Praxis der Unbildung - Streitschrift) sehr gut aufgedeckt.
 
Ja, ein Lob diesen, wie beispielsweise einem
*Konrad Paul Liessmann*
welcher immer wieder versucht ist, diesem Humbug selbsternannter 'Bildungsexperten' einen Riegel vorzuschieben!
Liessman beruft sich dabei auf Comenius oder auch auf Humboldt:
Diese trügerische Idylle, die auch diese beiden medial wie in Buchform anhimmeln, hat Konrad Paul Liessmann auch in seiner
*Geisterstunde*
(Praxis der Unbildung - Streitschrift) sehr gut aufgedeckt.

Hi FreniIshtar,

danke dir für den Hinweis auf Liessman, mit dem habe ich mich noch nicht näher beschäftigt, was ich aber sicherlich demnächst nachholen werde.

Um einen der wohl "intelligentesten" Sprüche Hüthers zu miss(ge)brauchen:
"Ich muss es nur wollen wollen!"

Es muss einem schon zu denken geben, wenn man im 21. Jahrhundert solchen Satzhülsen als des Hirnforschers (Prof. Dr. Dr. ... usf.) größter Tiefenerkenntnis nachhängt. Dafür braucht es nämlich weder Hirn noch (Pseudo)Hirnforschung, dergleichen "Wahrheiten" gibt es schon bei den alten Griechen in Fülle zu lesen. Aber auch hier gilt eben: "Man muss es nur (finden) wollen wollen!" Ups, schon funktioniert das Doppelverb syntaktisch nicht mehr... egal!

Was ich will, das weiß ich nicht. Ist mir aber auch ziemlich egal, denn darauf kommt es nun wirklich nicht an. Jedenfalls nicht dann, wenn es darum geht, der komplexen "Welt" etwas echte Erkenntnis abzutrotzen und nicht lediglich Kalendersprüche und tautologisch-esoterische Weisheitsformeln aller Arten, auch wenn ich dies wohl insgeheim noch am ehesten wollte. Ist so schön bequem.

Gruß
Phil
 
In dem Punkt kann ich Hüther aber verstehen... Er will damit sagen, dass der Mensch grundsätzlich einen freien Willen hat... Und der wird dem Menschen ja gerne abgesprüchen...
 
In dem Punkt kann ich Hüther aber verstehen... Er will damit sagen, dass der Mensch grundsätzlich einen freien Willen hat... Und der wird dem Menschen ja gerne abgesprüchen...

Das wird innerhalb solcher Kreise beständig behauptet, fußt aber auf dem grundlegenden Missverständnis, dass nicht die Möglichkeit von eigenständigen Entscheidungen oder auf Reflexion basierender Einsicht und entsprechend modifizierten (als Beispiel) Handlungsroutinen von Seiten der Wissenschaft abgesprochen wird, sondern die Illusion des sogenannten "freien Willens", nach welchem sich das ganze - etwas überspitzt gesagt - dämliche materielle Zeugs gefälligst zu richten habe und nicht umgekehrt!

Nochmal: Es geht also nicht darum, Geist gegen Materie oder Technik gegen Tradition, Medizin versus alternativer Medizin, Wissenschaft contra Religion etc. (man könnte diese Liste von Dichotomien beliebig fortsetzen) auszuspielen (Leute wie Hüther und Precht sind wahre Meister darin), sondern die "Welt" abseits derartiger Denkschemen einmal möglichst unvoreingenommen wahrzunehmen.

Das ist es, was z.B. ein Albert Einstein meint, wenn davon sprach, "eine demütige Haltung entsprechend der Schwäche unserer intellektuellen Erkenntnis der Natur und unseres eigenen Daseins [zu bevorzugen]".

Seine Religion - und dieser Haltung ordne ich mich allzu gerne zu - ist also eine prinzipielle Bescheidenheit angesichts der Begrenztheit eigener Erkenntnismöglichkeiten. Wenn jemand aber meint, er könnte z.B. das "Hirn" - und damit den gesamten Komplex volitionaler Dispositionen - allumfassend anthropologisch ausdeuten (Hüther), oder quasi vom Standpunkt des Allwissenden das vermeintlich perfekte "Schulsystem" heraufbeschwören - und zwar einfach so mal eben vom eigenen Schreibtischstuhl aus, ohne sich dabei ernsthaft mit den Positionen und Erfahrungen anderer Denker kontrovers zu beschäftigen (!) -, dann ist das beispielhafte Selbstüberhöhung und nichts sonst.

Amen.
 
Dann stehst Du etwa auf dem Standpunkt von Gerhard Roth, und für mich ist das eine absolut unzumutbare Knauschzonenphilosophie... Das gilt übrigens für jeden Eigenschaftsdualismus, auch den von Davidson beispielsweise... Für mich ist diese ganze eigenschaftsdualistische Knautschzonenphilosophie a la Donald Davidson, Gerhard Roth oder Markus Gabriel der neue Feind des Menschen Nr. 1... Im Grunde ist das doch so eine Art Agnostizismus der Philosophie des Geistes... Absolut untragbar...

http://www.swr.de/swr2/programm/sen...214/did=17838766/nid=660214/hze1js/index.html
 
Werbung:
Zurück
Oben