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Oettinger - ein Bier?

AW: Oettinger - ein Bier?

Andererseits.....seien wir mal ehrlich: nur, weil ein Ministerpräsident nicht explizit über die Schandtaten seines Vorgängers eine Rede (wohlgemerkt: zur Beerdigung) bespickt wird er genötigt, sich zu entschuldigen ?
Kann das sein ?

Stellen wir uns mal vor, eine Stasi- Größe würde verenden (z. B. Gysi). Selbstredend, dass seine Politkollegen in den höhsten Tönen des Verstorbenen sprechen und nur jenes aus seinem Lebenslauf rauspicken, was auch wirklich lobens- oder zumindest nennenswert wäre.

Gäbe es da tatsächlich ein solches Tohuwabohu ? Das sogar Grünenpolititker den Rücktritt eines amtierenden Ministerpräsidenten fordern ?
Nein - das würde es nicht geben - und mit Verlaub: ich finde es wieder so link, dass unisono wieder alle auf den selben "draufhauen" ohne dass es diese Menschen wirklich bedrückt. Es geht denen doch nicht wirklich um die Wahrheitsstellung des Falles Filbinger ( wer kennt den denn noch ?), nein, es ist wieder dieser Mob, dass vor einem Jahr Günter Grass angegangen ist.
Pah!

Nicht, dass ich in die falsche Ecke gestellt werde, aber diese "verlogene" öffentliche politische Korrektheit nervt. Und wer schliesst denn aus, dass ein Ministerpräsident sein Amt trotzdem gut ausüben kann obwohl er eine nicht saubere Vergangenheit hatte ?
Und geradezu lächerlich, dass man Öttinger nun unterstellen möchte, selbst ein Nazi oder zumindest ein "Verschweiger" zu sein. Mit Sicherheit ist ihm dies bekannt, dass der O. g. eine solche Vergangenheit hat, hielt es aber für unpassend, dies in seiner Rede zu Ehren des Ministerpräsidenten a. D. aufzulisten.

Naja. Ich wollte mal meiner Wut einen Ventil geben und decke mich vorsorglich mit Rüstzeug ein, falls ich nun bombardiert werde:tomate: :
R.

Liebe Rahel,

Dein Beitrag enthält - dankenswerter Weise - einige typische Einwendungen einer solchen Diskussion. Zustimmen kann ich Dir indes nur in einem Punkt:

Dieser betrifft die fehlende öffentliche Auseinandersetzung mit dem Unrechtsregime DDR. Mir kommt es auch so vor, als werde dieses Thema erheblich vernachlässigt und zu wenig aufgearbeitet. Die Gründe dafür sind schwer auszumachen, vielleicht hängt es auch etwas damit zusammen, daß hier in Wirklichkeit noch eine Teilung fortbesteht, viele von denjeinigen, die es "betrifft" sich aber einer Auseinandersetzung nur wenig stellen, da sie zum einen andere Probleme haben, zum anderen gegen eine gewisse Ostalgiestimmung geschwommen werden müßte. Im letzteren Punkt gibt es durchaus Ähnlichkeiten eben wegen der Verstrickungen. Mir fällt es als Wessi schwer, mich da einzumischen.

Ich bin kein Fan der PDS und fühle mich nicht angesprochen. Daß Gysi aber "Todesurteile unterzeichnet" haben soll, ist mir neu, er war ja meines Wissens kein Richter, sondern Rechtsanwalt zu Zeiten der DDR.

Wenn Du da mehr weißt, bitte ich Dich, uns zu informieren, ggf. auch einen thread zu eröffnen. Es wäre sicherlich eine wichtige Auseinandersetzung.

Unabhängig davon gibt es aber keine Gleichheit im Unrecht, so daß der Verweis auf andere Unrechtsregime nicht tragfähig ist. Mein Großvater (auch gebürtiger Schwabe) erwähnte in den hitzigen Debatten mit seinem pubertiernden Enkel, Mitte der 80er Jahre immer zur Verteidigung, wenn Hitler nicht gekommen wäre, dann der Kommunismus und verwies auf Thälmanns Erfolge am Ende der Weimarer Republik. Ich weiß nicht, ob das zutrifft, es ist und war mir aber offengestanden immer egal, denn es ändert nichts am geschehenen Unrecht.
Ebensowenig helfen Verweise auf Stalin, Mao, Idi Amin oder Dschingis Khan. Genausowenig wie es Bush/Putin zur Entschuldigung nützt, daß es ja auch Putin/Bush gibt.

In einem Punkt liegst Du völlig falsch: Niemand hat von Oettinger erwartet, was er hätte vorbringen sollen (vielleicht von der Kanzlerin abgesehen). Ihm wurde vorgeworfen, himmelschreienden Unsinn (aktiv) zu reden, der sowohl die Opfer Filbingers, die Opfers des Regimes als auch den Widerstand verhöhnt. Und - das werfe ich ihm vor - dies nicht einmal fahrlässig, sondern ganz bewußt getan zu haben (was auch die Aufstellung Filbingers zum Wahlmann untemauert). Ferner verstehe ich nicht, wieso man nicht ein Begräbnis im kleinen Stil hätte feiern können.

Bewußt bin ich mir darüber, daß Vergangenheitsbewältigung (ich denke Hartmut hat mit dieser Bewertung wohl doch Recht, denn es geht ja um die Frage, wie in Deutschland mit dieser Thematik umgegangen wurde) auf jeden Fall nervtötend ist, ich also nervtötend bin, ein Störenfried, so wie es die 68 er in der "Schwamm drüber" Gesellschaft des Nachkriegsdeutschland waren (Sie zumindest, bei allem auch groben Unfug in anderen gesellschaftlichen Fragen, in der Frage aber einen wichtigen Beitrag geleistet haben, denn erst darauf setzte ein Umdenken ein).

Man kann aus vielerlei Gründen der Meinung sein, die Toten ruhen zu lassen und nach vorne zu blicken. Das gilt nicht nur für die NS Verbrechen, es gilt für sämtliches Unrecht und sämtliche Prozesse, ja sogar jede Form von Urteil. Richten ist etwas zutiefst unangenehmes und anmaßendes, schon da wir alle die berühmte Parabel des ersten Steins kennen (und wer trägt eigentlich keine Schuld?) Streng religiös gesehen könnten wir alles der himmlischen Gerechtigkeit überantworten, wäre dies ja auch die einzige Hoffnung auf echte Wiedergutmachung. Abgesehen davon, daß ich solchen Gedanken in spiritueller Hinsicht durchaus etwas abgewinnen kann, darf es aber keine Lebensmaxime für den Umgang mit Unrecht sein. Niemals.

Es ist zu billig, wenn Nächstenliebe und pietätsvoller Umgang gerade von denen eingefordert werden, die diese Tugenden anderen vorher vehement versagt haben und noch nicht mal daran denken, ihre Schuld einzuräumen (das gilt übrigens auch für Leute wie Christian Klar). Und das Recht zur ehrenvollen Huldigung haben Männer wie Filbinger verwirkt und es ist weder an ihnen noch an Leuten wie Oettinger nachträglich für deren Integrität einzustehen, sie gar - wie geschehen - zu glorifizieren. Leider sah die Realität im Nachkriegsdeutschland oft ganz anders aus, ich nenne nur mal den Volksgerichtshof, deren Angehörige fast alle nach dem Krieg in Amt und Würden gelangten. Sogar Freislers Witwe bezog eine dicke Rente, die seiner Opfer hingegen...

@Miriam: Ich möchte an dieser Stelle einmal den Staatsanwalt Fritz Bauer als wichtigen Vertreter des verantwortungsvollen Umgangs erwähnen. Und - als Philosoph - auch Gustav Radbruch, der mich auf die Idee bringt, in Kürze mal einen anderen thread mit Schnittstelle zu diesem Thema zu eröffnen. Lilith hatte vor einiger Zeit mal eine entsprechende Frage aufgeworfen, die noch undiskutiert ist

http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Bauer


Viele Grüße
Zwetsche
 
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AW: Oettinger - ein Bier?

Liebe Rahel,

Ich bin kein Fan der PDS und fühle mich nicht angesprochen. Daß Gysi aber "Todesurteile unterzeichnet" haben soll, ist mir neu, er war ja meines Wissens kein Richter, sondern Rechtsanwalt zu Zeiten der DDR.

Wenn Du da mehr weißt, bitte ich Dich, uns zu informieren, ggf. auch einen thread zu eröffnen. Es wäre sicherlich eine wichtige Auseinandersetzung.



Hallo zwetsche,
nein - von Todesurteilen weiß ich in der Tat nichts, ich meine aber eben seine aktive Zeit als Rechtsanwalt, in der er sicherlich die demokratischen Rechte Oppositioneller unterdrückte. Zumindest laß ich Berichte von Opfern, die ihn definitv als IM für die Staatsicherheit geoutet haben.
Aus dem wikipedia:
Im Mai 1998 stellte der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages in seinem Abschlussbericht fest, dass Gysi zwischen 1975 und 1986 für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR unter verschiedenen Decknamen, dabei hauptsächlich als IM Notar gearbeitet haben soll, nachdem in einer früheren Version des Abschlussberichtes noch davon die Rede war, dass ein solcher Nachweis aufgrund unzureichender Unterlagen nicht erfolgen konnte.

In einer Sitzung des Deutschen Bundestages im Jahr 2001 verlas die damalige Abgeordnete Vera Lengsfeld, die eine IM-Tätigkeit Gysis als erwiesen ansieht, Teile des Abschlußberichts, unter anderem, Gysi habe

"seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und wichtige Informationen an das MfS weitergegeben. Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien dringend angewiesen. Das Ziel dieser Tätigkeit unter Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR..."





Ich will mit meiner Rede auch keine damaligen Täter schützen oder bemitleiden: ich will einfach nur zeigen, dass es in Deutschland eben nach wie vor tolerierbarer ist, einen kommunistischen Verbrecher zu diskutieren als einen Nationalsozialistischen.

Was die Trauerrede angeht stimme ich auch mit Dir ein, dass diese hätte ruhig kleiner ausfallen können. Zumindest hätte diese Art der Trauerrede in einem anderen Rahmen stattfinden können.
R.
 
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