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Oettinger - ein Bier?

AW: Oettinger - ein Bier?

Wikipedia ist leider nicht immer das Gelbe vom Ei.Ich hörte in einem Radiofeature,daß er es nicht gewesen sei,er hätte sonst auch nicht Ministerpräsident werden können...
 
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AW: Oettinger - ein Bier?

Es geht mir in diesem thread weniger um Vergangenheitsbewältigung (deshalb auch unter Politik eingeordnet), als vielmehr um die Frage, warum uns überlebenden und "Nachkriegs-Deutschen" der Umgang mit der Bewertung von Geschehnissen und der unterschiedlichen Achtung von Persönlichkeiten so schwer fällt.

Hallo zwetsche,

ich meine, dass es in diesem Thread vor allem um Vergangenheitsbewältigung geht.

Filbinger hat als Nazi-Marinerichter bis quasi "5 Minuten vor Zwölf" Todesurteile beantragt resp. bewilligt. Ob er es nun wusste oder nicht: die obersten Schergen des NS-Regimes hatten sich damals bereits für die Zeit nach dem 2. WK eingerichtet resp. abgeseilt. Wenn jemand den Anspruch auf Widerstand erheben kann, dann am allerwenigsten Filbinger. Er ist in meinen Augen der von Rolf Hochhuth treffend charakterisierte fürchterliche Jurist.

Das deutsche Volk ist nach dem 2. WK zu recht so bestraft worden, wie es im Egebnis des Nürnberger Prozesses herauskam. Ist es wirklich schwer, diese Strafe anzunehmen?

Gruss
Hartmut
 
AW: Oettinger - ein Bier?

Wikipedia ist leider nicht immer das Gelbe vom Ei.Ich hörte in einem Radiofeature,daß er es nicht gewesen sei,er hätte sonst auch nicht Ministerpräsident werden können...

Da mag sein, sibel. Aber das von dir zitierte Radiofeature dürften es ebenfalls nicht sein!

Nehmen wir doch einfach den von mir schon strapazierten Fall Globke oder den Fall des ehemaligen österreichischen UNO-Generalsekretärs Kurt Waldheim. Diese Leute haben bis zu letzt vehement bestritten, etwas mit dem Nazi-Regime zu tun gehabt zu haben. Mit welchem Ergebnis? Sie wurden geschasst, zu recht!

Gruss
Hartmut
 
AW: Oettinger - ein Bier?

Wikipedia ist leider nicht immer das Gelbe vom Ei.Ich hörte in einem Radiofeature,daß er es nicht gewesen sei,er hätte sonst auch nicht Ministerpräsident werden können...

Liebe Sibel,

es gibt immer und bei jeder Frage irgendein Medium, daß irgendsoeinen Stuß verbreitet. Keine Idee ist absurd genug, als das sie nicht von irgendeiner Seite vertreten wird, Oettinger ist das beste Beispiel. Sicherlich darf man auch nicht alles, was bei Wiki steht, für die widerspruchslose Wahrheit halten. Aber die Dinge stehen ja wahrlich nicht nur dort.
Ein weiteres Beispiel aus dem Forum für Justizgeschichte:

http://www.forumjustizgeschichte.de/Ausgerechnet_Ha.150.0.html

Bezeichnend an diesem Beispiel auch der Anlaß der Stellungnahme. Es wurde bereits bei der Aufstellung der Bundesversammlung wirklich nichts unversucht gelassen, als diese Klitterei voranzutreiben. Und es war niemand anderes als die BW-CDU, die ausgerechnet Filbinger zum Wahlmann zur Bundesversammlung anläßlich der Wahl des Bundespräsidenten bestimmt hatte. Das ist gerade mal 3 Jahre her. Folglich handelt es sich auch nicht nur um irgendeinen pietätsvollen Umgang mit einem Verstorbenen, sondern man wollte Filbinger bereits zu Lebzeiten rehabilitieren.

Würde diese Klitterei von ein paar Spinnern oder ewig gestrigen geschehen, würde ich darüber nur den Kopf schütteln. Bei Oettinger handelt es sich aber um den bw. Ministerpräsidenten, der eigentlich wissen sollte, was er von sich gibt.

Viele Grüße
Zwetsche
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
AW: Oettinger - ein Bier?

Andererseits.....seien wir mal ehrlich: nur, weil ein Ministerpräsident nicht explizit über die Schandtaten seines Vorgängers eine Rede (wohlgemerkt: zur Beerdigung) bespickt wird er genötigt, sich zu entschuldigen ?
Kann das sein ?

Stellen wir uns mal vor, eine Stasi- Größe würde verenden (z. B. Gysi). Selbstredend, dass seine Politkollegen in den höhsten Tönen des Verstorbenen sprechen und nur jenes aus seinem Lebenslauf rauspicken, was auch wirklich lobens- oder zumindest nennenswert wäre.

Gäbe es da tatsächlich ein solches Tohuwabohu ? Das sogar Grünenpolititker den Rücktritt eines amtierenden Ministerpräsidenten fordern ?
Nein - das würde es nicht geben - und mit Verlaub: ich finde es wieder so link, dass unisono wieder alle auf den selben "draufhauen" ohne dass es diese Menschen wirklich bedrückt. Es geht denen doch nicht wirklich um die Wahrheitsstellung des Falles Filbinger ( wer kennt den denn noch ?), nein, es ist wieder dieser Mob, dass vor einem Jahr Günter Grass angegangen ist.
Pah!
Nicht, dass ich in die falsche Ecke gestellt werde, aber diese "verlogene" öffentliche politische Korrektheit nervt. Und wer schliesst denn aus, dass ein Ministerpräsident sein Amt trotzdem gut ausüben kann obwohl er eine nicht saubere Vergangenheit hatte ?
Und geradezu lächerlich, dass man Öttinger nun unterstellen möchte, selbst ein Nazi oder zumindest ein "Verschweiger" zu sein. Mit Sicherheit ist ihm dies bekannt, dass der O. g. eine solche Vergangenheit hat, hielt es aber für unpassend, dies in seiner Rede zu Ehren des Ministerpräsidenten a. D. aufzulisten.

Naja. Ich wollte mal meiner Wut einen Ventil geben und decke mich vorsorglich mit Rüstzeug ein, falls ich nun bombardiert werde:tomate: :
R.
 
AW: Oettinger - ein Bier?

"Gab es eigentlich in der Nazizeit überhaupt Nazis?"

So formulierte es neulich ein Journalist den ich sehr schätze, angesichts der Oettinger-Rede und den anschließenden Rechtfertigungen seiner Ansprache die zu lesen oder zu hören waren.

Ein höherer CDU-Mann aus BW bezeichnete lobend die Rede von Oettinger als "in der besten christlichen Tradition der Grabreden" verfasst. (Name mir im Moment nicht gegenwärtig).
Da fragt man sich ob denn die Lüge diese Tradition kennzeichnen würde?

Zwischendurch erlaubt mir diesen kleinen Witz zu erzählen: es wird ein Mensch begraben, der bekannt war für seine sehr negativen Eigenschaften. Die Tradition will es aber, dass man am Grabe doch einige positive Eigenschaften hervorhebt. Betretenes Schweigen – niemandem fällt zum Verstorbenen so etwas ein. Darauf meldet sich auf einmal eine Stimme: "der Arme, er hat so gerne Sauerkraut gegessen…"

Leider erinnert das alles stark an die verhängnisvollen Konstellationen in den Anfängen der Bundesrepublik, hier die Verharmloser und Weißwäscher, dort die angeprangerten Nestbeschmutzer, die unter anderem eine Gefahr waren für diejenigen die so selbstverständlich ihre glanzvollen Karieren der Nazizeit nahtlos in der Bundesrepublik fortsetzen wollten. (Wieder erwähne ich hier Thomas Harlan, dem es zu verdanken war und ist, dass so Vieles nach Jahren und mit der größten Präzisionsarbeit ans Licht gebracht wurde).

Die Gefahr bei solchen traurigen Ereignissen wie jetzt wieder geschehen - ist, dass man sich doch die Frage stellt hier aber auch im Ausland, ob die braune Schicht auf der die Vergangenheit überhaupt stattfinden konnte, nicht doch viel größer war als wir vermutet hatten. Und ob die Zahl derjenigen die dies nicht Wahr haben wollen nicht auch viel größer ist als immer befürchtet.

Rahel bezüglich deiner Vergleiche: gab es denn in der Vergangenheit von Gysi auch Todesurteile die er unterschrieben hat? Wenn nicht – dann wieso wird er als Vergleich überhaupt in die Nähe von Filbinger erwähnt (ich bin keine Wählerin seiner Partei, aber der Vergleich weckt bei mir diese Assoziation).


Rahel schrieb:
Und wer schliesst denn aus, dass ein Ministerpräsident sein Amt trotzdem gut ausüben kann obwohl er eine nicht saubere Vergangenheit hatte?

Erstens ist uns aus der frühen Geschichte der BRD wohl bekannt, dass es dabei immer zu Verquickungen kam, also Pöstchenvergabe an die alten Weggefährten die natürlich nicht ohne Konsequenzen betreffend der ganzen politischen Ausrichtung blieb - und außerdem stellt sich logischerweise die Frage: gab es denn gar keine Leute bei denen man vielleicht doch davon ausgehen konnte, dass sie überhaupt nicht mit-gelaufen sind?
Denn logisch wäre es m.E. das Schicksal einer jungen Demokratie denen anzuvertrauen.

Ich bin und war ganz sicher nie eine CDU-Wählerin. Aber betrachte sie natürlich als eine demokratische Partei, solange ich ihre eigentlichen Wurzeln berücksichtige:
katholisch, wobei ein großer Teil aus der christlichen Arbeitnehmerschaft kam und aus ihrer Bewegung zur Zeit der Weimarer Republik, nicht zu vergessen auch die Widerstandsbewegung des 20. Juli. Wer da überlebt hat oder diejenigen die ihr nah waren, engagierte sich nach 1945 in der CDU. Dazu stießen dann auch alte Nazis - unter anderen Filbinger.

Ich denke, dass der große Wendepunkt in der Geschichte der CDU, eigentlich die Rede Richard von Weizsäckers war zum 40. Jahrestag des Kriegsendes. Dies war auch der Punkt an dem man an eine Bewältigung glauben oder zumindest sie sich erhoffen konnte.

Wenn auch eine andere Rede wieder diesen Kurs etwas unterbrach – ich meine die Rede von Jenninger zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht: diese ist anders gelagert – Jenninger hielt einfach eine rhetorisch schlechte Ansprache und war nie ein Nazi oder Sympathisant des NS-Regimes.

Bei Oettinger ist dies nicht der Fall – einerseits folgt er dieser verlogenen Grabesrede-Tradition des "de mortuis nihil nisi bene" – andererseits schreckt er vor der Lüge nicht zurück. Denn Filbinger hat Todesurteile veranlasst bzw. unterschrieben.

Gruß

Miriam
 
AW: Oettinger - ein Bier?

Rahel bezüglich deiner Vergleiche: gab es denn in der Vergangenheit von Gysi auch Todesurteile die er unterschrieben hat? Wenn nicht – dann wieso wird er als Vergleich überhaupt in die Nähe von Filbinger erwähnt (ich bin keine Wählerin seiner Partei, aber der Vergleich weckt bei mir diese Assoziation).[/COLOR]


Hallo Miriam,

ich bewundere deine profunde Antwort und stimme im Grunde damit überein. Er hat Todesurteile mit unterschrieben und ob nun mit oder gegen seine innere gesitige Haltung: es ist so.
Ich kann Oettinger nur verstehen, dass er bei einer Trauerrede, die ja in erster Linie an seine Verwandten gerichtet ist, nicht die schlechten Sachen aufzählt, derer er sich schuldig zu bekennen hatte.
Nun geht es ja nicht um die Sühne des Filbingers, der mit seinem Rücktritt 1978 das Seine dazu beigetragen hat, ich störe mich daran, dass man Oettinger derart in die Knie zwingt, nur weil er nicht laut ausgeschrieen hat, dass dieser ein Mitläufer des Nazi-Regimes war.
Und wenn wir mal ehrlich sind: das ist doch die Crux, die Deutschland nach wie vor zu tragen hat.
Bei allem Respekt für die Schandtaten, die damals verübt wurden: dieses nach außen hin verbiegen und Klappe halten - ich finde, dieses Verhalten schadet eher Deutschland, als wenn man selbstbewusst dazu steht.
Was einige linke Politgrößen angeht (Gysi z. B. - den ich als Mensch aber überaus sympathisch finde):
ich sehe es als etwas blauäugig an, Miriam, zu behaupten, dass dieser vielleicht keine "Todesurteile" unterschrieben hat. Da ja auch kein Krieg war/ist, ist dies kein guter Vergleich, aber was ist mit den vielen Menschen, deren "Psysischen Verfall" er beeinflusst und wahrscheinlich ausgelöst hat als IM der Stasi ? Wieviele andere Stars des öffentlichen Lebens waren Denunzianten und wieviele Menschenleben haben diese auf dem Gewissen ?
Da sehe ich kaum einen Unterschied - das Tückische an der Kommunistischen Parteienfront des Ostens war ja der versteckte, nicht öffentlich ausgetragene Krieg gegen seine Bevölkerung.
Gerade zu dieser Zeit, in der nun die Hinterbliebenen, bzw. ehemaligen politischen Häftlinge der DDR ihre finanzielle Rehablilitation einfordern (Bautzen, Hohenschönhausen/Berlin z.B. ) - auch da wurden Stimmen laut aus den vorzüglichen linken, sozialistischen Reihen, dass da ncihts zu zahlen sei, es wären ja keine politischen Gefangenen gewesen, sondern "Staatsfeinde" und von daher nicht zu berücksichtigen bei Schadenersatzklagen ?
Kam da der große Proteststurm ? Wo war der öffentliche Entrüster ?

Das ist es, was ich meine.....
R.
 
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AW: Oettinger - ein Bier?

Danke, Sibel :
auf jeden Fall !!!!!!
Was ich damit -dumm ausgedrückt- sagen will:
die Schandtaten, die verübt wurden und in der Form auch nie wieder gutzumachen sind, werden von mir in ihrer Sanktion und als grausamstes Beispiel veranschaulicht, vollkommen gerechtfertigt als solche.
Also: das Mal, dass dieses 3.Reich-Regime trägt, ist gerechtfertigt: es war unmenschlich und grausam.

R.
 
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