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Oettinger - ein Bier?

Z

zwetsche

Guest
so hatte ich bis vor kurzem den Namen begrifflich eingeordnet. Ihr wißt schon, dieser Gerstensaft aus Thüringen, erhältlich in allen Variationen, der Flaschenhals Silbermanchette und vor allem: preisgünstig, das passende Getränk in bitteren Harz IV - Zeiten.

Nun gibt es seit einigen Jahren auch einen gleichnamigen Ministerpräsidenten im Ländle Badde Würddeberch. Und dessen Heimatverbundenheit macht gerade dieser Tage von sich reden, ganz besonders, so es eine (nicht gerade klein angelegte, Polizeistandarte und geistliche Würdenträger waren auch zugegen) Trauerfeier für einen anderen bw. Ex - Politiker betrifft, sogar einen Ex - Juristen, wie schön...Ein sehr aktiver Ex Jurist, sogar noch, als alles längst , sogar für den letzten erkennbar, verloren war.

Dessen Name - für den Fall, dass es jemand nicht mehr weiß - ist oft in Zusammenhang mit Rolf Hochhuts "Juristen" gefallen, auch eine Novelle "Ein Kriegsende" von Siegfried Lenz geht sehr in die Richtung.

Wir erfahren nun vom Träger des Biernamens gänzlich neues: Filbinger war ein Nazigegner. Meine Güte, wär hätte das gedacht bis vor kurzem? Und wer fragt eigentlich Herrn Oettinger nach den Beweisen? Aber brauchen wir die, wo die Exkulpation doch so schön anheimelnd daherkommt? Wissen wir (vergleichsweise jungen) Deutschen nicht längst, daß man die vielen Keller in Deutschland zwischen 1933 und 1945 gar nicht zählen konnte, in denen Juden, Sinti und Roma, Schwule, politisch und religiös Andersdenkende versteckt wurden. Unverständlich, wie es da überhaupt zu den vielen Opfern kommen konnte...

Nun ja, laut Oettinger hat es an Leuten wie Filbinger jedenfalls nicht gelegen.

Da mache ich mir vor dem Fernseher lieber noch eine weitere Flasche des gleichnamigen Bieres auf: Es macht so mancherlei - wenn schon nicht verständlicher - so doch erträglicher. Und selbst das billigste Bier ist nicht so billig wie das, was da ablief. Und - leider kann ich mich dieses Eindrucks bis heute nicht erwehren - in weiten Teilen bundesrepublikanischen Denkens seit 1945 ablief und einfach nicht richtig aufhören will, von Möllemann über Hohmann zu Oettinger, wenn auch in verschiedener Form.

Gruß
Zwetsche
 
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AW: Oettinger - ein Bier?

es besteht die theoretische Chance,
daß Öttinger in seiner Rede viele Punkte aufgezählt hat,
die Filbinger trotzdem* zum Nazigegner machen

dazu müsste ich die Rede lesen

*
nzz online
Hans Filbinger konnte die Schatten der Vergangenheit nie abschütteln. Fast zwölf Jahre lang regierte er als Ministerpräsident Baden-Württemberg und holte zwei Mal die absolute Mehrheit für die CDU. Doch was am Ende bei den meisten hängen blieb, war der Grund für seinen Rücktritt im Jahr 1978: Filbinger hatte in der NS-Zeit als Marinerichter an vier Todesurteilen bei Kriegsgerichtsverfahren mitgewirkt.
 
AW: Oettinger - ein Bier?

Filbinger war nie dezidiert ein Nazigegner,nie ein Widerstandskämpfer..er war schlicht und einfach nur kein Parteimitglied der NSDAP....
 
AW: Oettinger - ein Bier?

tja, das spricht dafür, dass herr filbinger wahrscheinlich der klassische typ des oppurtunen deutschen war. vielleicht war er selbst nicht ganz überzeugt wie lange das nazi-system noch bestehen würde. dass er nicht rassistische resestiments hatte, das glaube ich ihm. aber das er trotzdem als karrieremensch dort den richter mimte, das ist schändlich.
und die fehlende aufarbeitung in der BRD nach 1945 zeigt sich in diesem fall, wo der kleine scharfrichter landes-und bundespolitik spielen darf, ungeachtet seiner verbrechen. er war ja sogar mal im gesräch für eine bundespräsidentenkandidatur!
 
AW: Oettinger - ein Bier?

Angeblich hat er aber nie selbst ein Todesurteil gefällt,psbvbn1...
 
AW: Oettinger - ein Bier?

es besteht die theoretische Chance,
daß Öttinger in seiner Rede viele Punkte aufgezählt hat,
die Filbinger trotzdem* zum Nazigegner machen

dazu müsste ich die Rede lesen

*

Hallo Scilla,

der Einwand ist berechtigt, in Gänze urteilen läßt sich erst, wenn man wirklich alles weiß, wobei ich aber zu bedenken gebe, daß dies ein übliches Problem beim Urteilen ist, denn niemand kennt die ganze Wahrheit und doch wird geurteilt und muß im übrigen auch geurteilt werden. Es ist auch bedauerlich, daß man in vielen Fällen immer nur die "Sekundärliteratur" zu lesen bekommt.

Aber:

1. darf ich wohl als sicher annehmen, daß Öttinger zumindest den von mir zitierten Ausspruch getätigt hat und

2. Dein Einwand auch ihm gegenüber gilt, ich folglich danach fragen darf, worauf sich dessen Legitimation (Sachverhalt) bezieht. Ehre wem Ehre gebürt, aber ich möchte auch erfahren, worauf diese Aussage Öttingers angesichts der gegensätzlichen Fakten über Filbingers Leben beruht. Und ich möchte auch wissen, warum diesem Mann eine öffentliche Riesentrauerfeier eingeräumt wird, nachdem ohne Kenntnis der Namen Millionen von Menschen als Asche diverse polnische Flüsse entlanggespült wurden.

Es geht mir in diesem thread weniger um Vergangenheitsbewältigung (deshalb auch unter Politik eingeordnet), als vielmehr um die Frage, warum uns überlebenden und "Nachkriegs-Deutschen" der Umgang mit der Bewertung von Geschehnissen und der unterschiedlichen Achtung von Persönlichkeiten so schwer fällt.

Gruß
Zwetsche
 
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AW: Oettinger - ein Bier?

von zwetsche: Es geht mir in diesem thread weniger um Vergangenheitsbewältigung (deshalb auch unter Politik eingeordnet), als vielmehr um die Frage, warum uns überlebenden und "Nachkriegs-Deutschen" der Umgang mit der Bewertung von Geschehnissen und der unterschiedlichen Achtung von Persönlichkeiten so schwer fällt.

Weil die Menschen in der Vergangenheit leben. Sie klammern sich an Vergangenheit.
Sie würden verloren gehen, ohne Vergangenheit und ohne Zukunftsangst, die sie daraus gewinnen könnten.

Wir hatten es vor ein zwei Jahren schon mal, dass irgendein Redner dafür getadelt wurde, was er NICHT sagt. Ich glaube die Geyer, die sich danach so wissend auf den Redner stürzen, begreifen garnicht, wie eng ihre Welt sich inzwischen geschnürt hat. Sie sind zu Säulen erstarrt.

Wenn es von vornherein klar ist, was ein Mensch, und ich vermute Oettinger zählt auch darunter, zu so einer Rede zu sagen hat, dann müssen sich doch die, die der Rede lauschen, vielleicht doch ein wenig doof vorkommen. Aber sie haben sich wahrscheinlich auch mit dieser Rolle bereits identifiziert.

Bernd
 
AW: Oettinger - ein Bier?

Angeblich hat er aber nie selbst ein Todesurteil gefällt,psbvbn1...

Er hat sowohl Todesurteile gefällt, als auch beantragt. Mindestens eins davon ist auch vollstreckt worden, das an Walter Gröger.
 
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AW: Oettinger - ein Bier?

Filbinger war nie dezidiert ein Nazigegner,nie ein Widerstandskämpfer..er war schlicht und einfach nur kein Parteimitglied der NSDAP....

Filbinger kein Mitglied der NSDAP? Bei Wikipedia (zwetsche sei Dank für den Hinweis) steht, dass Filbinger 1937 der NSDAP beitrat und von 1934-1937 der SA angehörte.

Ansonsten stimme ich dir aber zu, sibel. Wer 6 Wochen vor Ende des 2. WK noch ein Todesurteil gegen einen fahnenflüchtigen Matrosen (Walter Gröger) beantragt und vollstrecken lässt, der ist kein Gegner des Nazi-Regimes!

Es ist leider Tatsache, dass man in der alten BRD viel zu spät mit der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit begonnen hat. Der Fall Filbinger ist ja nicht der einzige. Ich möchte hier nur an Herrn Globke erinnern, der zu den Mitbegründern der Nürnberger Rassengesetze gehörte und der unter Adenauer Staatssekretär wurde. Beide, Globke wie Filbinger, mussten ihren Abschied nehmen. Ich meine: zu Recht!

Gruss
Hartmut
 
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