Svensgar
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noch älter.
noch älter.
Westberlin, 1. Januar 1998
Meine liebste Anja.
Wie jedes Jahr bekam ich zu Weihnachten von meiner Leibmutter einen Jahreskalender der Firma Herlitz geschenkt. In Schwarz, Din A5 und mit einer Seite für jeden Tag, nur Samstag und Sonntag sind zusammen auf eine Seite gequetscht. In den letzten Jahren wurden meine Notizen, die mich darauf hinweisen sollten, nichts zu versäumen, immer geringer; dieses Jahr überlege ich, den Kalender erst gar nicht anzunotieren.
Es ist 13.30 Uhr und ich konnte, die letzten Stunden zusammen gerechnet, höchstens drei Stunden ansatzweise halbschlafen. Ich muß es so bescheuert auszudrücken versuchen, um zu betonen, wie wenig das, was ich da versuche, mit Schlaf zu tun hat.
Letzte Nacht hörte ich nach unserem Telefonat noch alte Deutsche Schlager, so bis 4.30 Uhr. Dann rauchte ich noch eine letzte Silvesterzigarette, verzichtete aber wegen massiver Schwindelgefühle auf einen letzten Jägermeister und den letzten Schluck Bier. Ich legte dann meinen Körper in mein super unbequemes, völlig zu großes und noch fickfreies Bett. Dort war ich höchst berauscht zu einigen ruhigen Minuten fähig.
Um Acht Uhr mußte ich endgültig die unbegründete Hoffnung auf eine Tiefschlafphase aufgeben und das erste Mal das Klo aufsuchen. Ich machte kein Licht, um nicht noch wacher zu werden und pißte dabei nicht unerhebliche Mengen an Urin auf den Boden meiner lächerlichen Naßzelle. Das bemerkte ich erst bei meinem nächsten Harnabschlagen gegen 11 Uhr, ich trat nämlich mit meinen pilzumwobenen Füßen in zwei urinelle Pfützen, deren Nässe ich erst wieder an meiner Bettdecke abstreifen konnte. Die drei Stunden zwischen diesen Entleerungen nutzte ich zu unerwünschten Gedankenspielereien, derer ich mich, wie schon seit Jahrzehnten, nicht zu erwehren in der Lage war. Ich wollte so gerne noch abschlafen, um nicht so viel von dem Tag mitnehmen zu müssen, aber ich versagte.
Mein Versagen unterstützend kam hinzu, daß der verhaßte Nachbar über mir schon ab 8 Uhr rege seine Wasserleitung bediente und damit seit über einem Jahr mich belästigende Geräusche verursacht. Es handelt sich bei diesem Mangel meiner Mietsache um ein Knallen und Scheppern der Wasserrohre, das sekundenlang einsetzt, wenn jemand Wasser aus der Anlage zieht. Und das hunderte Male am Tag, es ist mit meinen angeschlagenen und fast durchtrennten Nerven nicht zu ertragen; ich tue es dennoch und ruiniere dabei meinen wunden Magen. Kaum eine Minute in den letzten Monaten, in denen ich mal nicht glaubte, meinen Magen zu spüren, keine Stunde, in der mal nicht saure, das Restleben versauernde Säure aufstieß.
In der Stunde zwischen 11 und 12 Uhr, nach der ich dann aufgab und meinem Körper aufzustehen befahl, versuchte ich in weiterer unendlicher Wiederholung zu schlafen, wohl wissend, daß es sinnlos war. Als vermeintlich letzte Rettung auf ein paar bewußtlose Sekunden griff ich mir zwischen die Beine und holte mein Geschlecht hervor. Ich spielte mit ihm und entrang ihm schließlich einige Tropfen zähen eitriggelben Spermas, das ich in einem Rest von Ordnungssinn auf ein durchgeschwitztes T-Shirt abschlug. Ich wußte schon dabei, daß ich es aufschreiben werde und überlegte mir vorab, ob ich es schaffen könnte, dabei zu gestehen, an Dich gedacht zu haben. Zu Deiner Beruhigung, es waren kaum körperliche Gedanken, ich sah Dich nicht nackt vor mir liegen, ich stellte mir auch nicht Deine Vulva oder Deine inzwischen durch ein Kind abgetragenen Brüste vor. Es ging mir um das unvergeßliche Gefühl von Nähe, das ich durch Dich damals 1987 beim Bowie-Konzert vor dem Reichstag spüren durfte; besonders Deine warmen Hände habe ich in schöner Erinnerung.
Leicht amüsiert nehme ich zur Kenntnis, daß ich immer mehr verschrobener und außenseiterischer werde. Ich gehöre nun zu den Menschen, hinter deren Rücken man sich dafür bedankt, nicht so wie sie sein zu müssen. Mit 18 Jahren las ich den ersten Bukowski und hielt es für unmöglich, ein ählich vom Leben Ausgeworfener zu werden. Nun bin ich unten, leider ohne den großen Unterhaltungswert eines Henry Chinaskis.
Bevor ich nun einen größeren Snack in meinen Magentrakt drücken werde, gehe ich noch etwas spazieren. So wie ich seit vorgestern Klosterfrau Melissensaft trinke, gehe ich mal hastig schlendernd durch den nahen Stadtpark. Dabei werde ich ein Taubenhaus passieren, in dem sich vor ungefähr zwanzig Jahren eine angeheiratete trinkende Tante mit Tabletten selbst gerichtet hat; ich habe heute Achtung vor ihr, obwohl sie mir zu Lebzeiten unsympathisch war.
Abends. Vorhin bin ich planmäßig im Park spazieren gewesen; ich lief in ihm herum, immer den Hundertschaften Neujahrsspaziergängern ausweichend. Dabei wurde mir klar, daß ich Menschen einfach nicht mag, jedenfalls nicht diesen Scheißhaufen, der namenlos überall zu finden ist. Ich suche meinesgleichen, was aber bisher erfolglos verlaufen mußte; Menschen wie ich lernen sich nicht selbst kennen. Sie versuchen es lebenslang, um täglich etwas zu tun zu haben, nämlich zu scheitern. Alles Scheitern zusammen macht einen prima hochtrockenen Haufen, einen Scheiterhaufen, auf dem ich irgendwann in Sekunden abfackeln werde.
Fast leider muß ich zugeben, daß meine Magenbeschwerden am Abklingen scheinen, dagegen arbeitet mein Darmsystem mit voller Kraft, bläht alle Minuten übelst riechende Gase aus mir heraus. Ich habe mich immer schon geärgert, daß mein Kot so stinkt. Ich schreibe zwar mit Vergnügen über diese Peinlichkeit, aber in der Untergrundbahn verkneife ich meine Ringmuskulatur, wenn ich spüre, da könnte etwas entschlüpfen, was neue Ängste über einen neuen Ausbruch der Schweinespest zu schüren in der Lage wäre. Jede einzelne Stuhlprobe meines Lebens war trotz meines Interesses mehr mit Abscheu als mit Hingabe verbunden; glücklicherweise waren es nicht viele.
Erwähnenswert wäre noch, daß die einzige Spermaprobe, die ich in meinem Leben abgab (zur Überprüfung meiner Zeugungsfähigkeit), von unserer gemeinsamen Freundin Hiltrud gezogen wurde. Wir verbrachten eine unserer sehr wenigen Nächte miteinander und am Morgen bat ich sie um ihre Mithilfe; es hätte in meinen Augen lächerlich ausgesehen, wenn ich in ihrer Gegenwart eigenhändig meine sehr lange Vorhaut (4 Zentimeter) verschoben hätte. So war dann der Medizin gedient und Hiltrud konnte für Minuten ihr Handgelenk trainieren.
Am Tresen der Sperma untersuchenden Artzpraxis wurde ich laut gefragt, was ich denn möchte. Ich stellte meine Sacksuppe auf einem dafür vorgesehenen Brett ab und verschwand, ohne etwas gesagt zu haben.
Dein Svensgar.
Wie jedes Jahr bekam ich zu Weihnachten von meiner Leibmutter einen Jahreskalender der Firma Herlitz geschenkt. In Schwarz, Din A5 und mit einer Seite für jeden Tag, nur Samstag und Sonntag sind zusammen auf eine Seite gequetscht. In den letzten Jahren wurden meine Notizen, die mich darauf hinweisen sollten, nichts zu versäumen, immer geringer; dieses Jahr überlege ich, den Kalender erst gar nicht anzunotieren.
Es ist 13.30 Uhr und ich konnte, die letzten Stunden zusammen gerechnet, höchstens drei Stunden ansatzweise halbschlafen. Ich muß es so bescheuert auszudrücken versuchen, um zu betonen, wie wenig das, was ich da versuche, mit Schlaf zu tun hat.
Letzte Nacht hörte ich nach unserem Telefonat noch alte Deutsche Schlager, so bis 4.30 Uhr. Dann rauchte ich noch eine letzte Silvesterzigarette, verzichtete aber wegen massiver Schwindelgefühle auf einen letzten Jägermeister und den letzten Schluck Bier. Ich legte dann meinen Körper in mein super unbequemes, völlig zu großes und noch fickfreies Bett. Dort war ich höchst berauscht zu einigen ruhigen Minuten fähig.
Um Acht Uhr mußte ich endgültig die unbegründete Hoffnung auf eine Tiefschlafphase aufgeben und das erste Mal das Klo aufsuchen. Ich machte kein Licht, um nicht noch wacher zu werden und pißte dabei nicht unerhebliche Mengen an Urin auf den Boden meiner lächerlichen Naßzelle. Das bemerkte ich erst bei meinem nächsten Harnabschlagen gegen 11 Uhr, ich trat nämlich mit meinen pilzumwobenen Füßen in zwei urinelle Pfützen, deren Nässe ich erst wieder an meiner Bettdecke abstreifen konnte. Die drei Stunden zwischen diesen Entleerungen nutzte ich zu unerwünschten Gedankenspielereien, derer ich mich, wie schon seit Jahrzehnten, nicht zu erwehren in der Lage war. Ich wollte so gerne noch abschlafen, um nicht so viel von dem Tag mitnehmen zu müssen, aber ich versagte.
Mein Versagen unterstützend kam hinzu, daß der verhaßte Nachbar über mir schon ab 8 Uhr rege seine Wasserleitung bediente und damit seit über einem Jahr mich belästigende Geräusche verursacht. Es handelt sich bei diesem Mangel meiner Mietsache um ein Knallen und Scheppern der Wasserrohre, das sekundenlang einsetzt, wenn jemand Wasser aus der Anlage zieht. Und das hunderte Male am Tag, es ist mit meinen angeschlagenen und fast durchtrennten Nerven nicht zu ertragen; ich tue es dennoch und ruiniere dabei meinen wunden Magen. Kaum eine Minute in den letzten Monaten, in denen ich mal nicht glaubte, meinen Magen zu spüren, keine Stunde, in der mal nicht saure, das Restleben versauernde Säure aufstieß.
In der Stunde zwischen 11 und 12 Uhr, nach der ich dann aufgab und meinem Körper aufzustehen befahl, versuchte ich in weiterer unendlicher Wiederholung zu schlafen, wohl wissend, daß es sinnlos war. Als vermeintlich letzte Rettung auf ein paar bewußtlose Sekunden griff ich mir zwischen die Beine und holte mein Geschlecht hervor. Ich spielte mit ihm und entrang ihm schließlich einige Tropfen zähen eitriggelben Spermas, das ich in einem Rest von Ordnungssinn auf ein durchgeschwitztes T-Shirt abschlug. Ich wußte schon dabei, daß ich es aufschreiben werde und überlegte mir vorab, ob ich es schaffen könnte, dabei zu gestehen, an Dich gedacht zu haben. Zu Deiner Beruhigung, es waren kaum körperliche Gedanken, ich sah Dich nicht nackt vor mir liegen, ich stellte mir auch nicht Deine Vulva oder Deine inzwischen durch ein Kind abgetragenen Brüste vor. Es ging mir um das unvergeßliche Gefühl von Nähe, das ich durch Dich damals 1987 beim Bowie-Konzert vor dem Reichstag spüren durfte; besonders Deine warmen Hände habe ich in schöner Erinnerung.
Leicht amüsiert nehme ich zur Kenntnis, daß ich immer mehr verschrobener und außenseiterischer werde. Ich gehöre nun zu den Menschen, hinter deren Rücken man sich dafür bedankt, nicht so wie sie sein zu müssen. Mit 18 Jahren las ich den ersten Bukowski und hielt es für unmöglich, ein ählich vom Leben Ausgeworfener zu werden. Nun bin ich unten, leider ohne den großen Unterhaltungswert eines Henry Chinaskis.
Bevor ich nun einen größeren Snack in meinen Magentrakt drücken werde, gehe ich noch etwas spazieren. So wie ich seit vorgestern Klosterfrau Melissensaft trinke, gehe ich mal hastig schlendernd durch den nahen Stadtpark. Dabei werde ich ein Taubenhaus passieren, in dem sich vor ungefähr zwanzig Jahren eine angeheiratete trinkende Tante mit Tabletten selbst gerichtet hat; ich habe heute Achtung vor ihr, obwohl sie mir zu Lebzeiten unsympathisch war.
Abends. Vorhin bin ich planmäßig im Park spazieren gewesen; ich lief in ihm herum, immer den Hundertschaften Neujahrsspaziergängern ausweichend. Dabei wurde mir klar, daß ich Menschen einfach nicht mag, jedenfalls nicht diesen Scheißhaufen, der namenlos überall zu finden ist. Ich suche meinesgleichen, was aber bisher erfolglos verlaufen mußte; Menschen wie ich lernen sich nicht selbst kennen. Sie versuchen es lebenslang, um täglich etwas zu tun zu haben, nämlich zu scheitern. Alles Scheitern zusammen macht einen prima hochtrockenen Haufen, einen Scheiterhaufen, auf dem ich irgendwann in Sekunden abfackeln werde.
Fast leider muß ich zugeben, daß meine Magenbeschwerden am Abklingen scheinen, dagegen arbeitet mein Darmsystem mit voller Kraft, bläht alle Minuten übelst riechende Gase aus mir heraus. Ich habe mich immer schon geärgert, daß mein Kot so stinkt. Ich schreibe zwar mit Vergnügen über diese Peinlichkeit, aber in der Untergrundbahn verkneife ich meine Ringmuskulatur, wenn ich spüre, da könnte etwas entschlüpfen, was neue Ängste über einen neuen Ausbruch der Schweinespest zu schüren in der Lage wäre. Jede einzelne Stuhlprobe meines Lebens war trotz meines Interesses mehr mit Abscheu als mit Hingabe verbunden; glücklicherweise waren es nicht viele.
Erwähnenswert wäre noch, daß die einzige Spermaprobe, die ich in meinem Leben abgab (zur Überprüfung meiner Zeugungsfähigkeit), von unserer gemeinsamen Freundin Hiltrud gezogen wurde. Wir verbrachten eine unserer sehr wenigen Nächte miteinander und am Morgen bat ich sie um ihre Mithilfe; es hätte in meinen Augen lächerlich ausgesehen, wenn ich in ihrer Gegenwart eigenhändig meine sehr lange Vorhaut (4 Zentimeter) verschoben hätte. So war dann der Medizin gedient und Hiltrud konnte für Minuten ihr Handgelenk trainieren.
Am Tresen der Sperma untersuchenden Artzpraxis wurde ich laut gefragt, was ich denn möchte. Ich stellte meine Sacksuppe auf einem dafür vorgesehenen Brett ab und verschwand, ohne etwas gesagt zu haben.
Dein Svensgar.