In den Werken, die ich in Händen hielt, wurde das Thema Missbrauch als negativer, ständig-begleitender Schmerz beschrieben. Ein Schmerz, der einen Tag für Tag weiterverfolgt. Jetzt frage ich mich: Kann man aus diesem Opfer-Verhalten bei Missbrauch überhaupt vollständig ausbrechen? Gibt es Werke, die den Missbrauch auch als Chance sehen um es in Zukunft selbst besser zu machen?
Auch die grundsätzliche Form von Missbrauch möchte ich in Frage stellen: Ist der erlebte Hass denn im Endeffekt nicht die Suche nach Liebe / Bestätigung / Anerkennung?
Ich würde meinen, Hass ist immer ein Mangel an erfahrener Liebe.
Auf was genau möchtest du hinaus? Wie kann man Missbrauch in Frage stellen? Ich finde es zynisch, dem Opfer zu sagen, den Missbrauch als Chance zu sehen. Das mutet fast wie eine Rechtfertigung oder Ent-Schuldigung des Täters an, der sich dann auf die Postition zurückziehen kann, dem Opfer im Endeffekt etwas Gutes getan zu haben. Auch drängt sich die Frage auf, warum das Opfer durch den erlebten Missbrauch später etwas besser machen soll. Darin liegt die Unterstellung, das Opfer würde ohne den erlebten Missbrauch eher dazu neigen, etwas falsch zu machen.
Ich lese keine Bücher von Opfern des Missbrauchs, das hilft nicht wirklich, ich lese Bücher darüber wie man diesen Betroffenen helfen kann, das ist mein Beruf.
Bücher in denen Lösungswege aufgezeigt werden gibt es zahlreich, nicht so viele wie von Opfern, das ist richtig aber das Lesen von Lösungen wenn sie wirklich fruchten sollen ist beschwerlich, kostet Überwindung denn es wird zum sich anders Verhalten angeregt und da ist das Beklagen der Schmerzes in der Haltung des Opfers wesentlich leichter.
Es ist leicht gesagt, dass man diesen Opfern helfen soll. Auch wenn man bereit ist, sich auf den Schmerz dieser Menschen einzulassen, mit der Bereitschaft ihnen zu helfen. Ich kenne zwei Frauen, die Opfer sexueller Gewalt in der Kindheit geworden sind. Beide Bekanntschaften musste ich abrechen, weil ich es nicht mehr ertragen habe, dass sich alles, aber auch alles um den Missbrauch dreht. Normalerweise ist es doch so, dass wenn eine Freundin ein Problem, oder einen aktuellen Kummer oder etwas in der Art hat, dass man mit ihr darüber redet, Lösungen diskutiert, tröstet, zuhört aber irgendwann ist es dann auch gut. Die Sache ist überwunden. Bei Opfern von sexuellem Missbrauch funktioniert das aber nicht. Es gibt keine Lösung. Ablenkunng durch angenehme Unternehmungen enden meiner Erfahrung nach stets mit dem Zurückkommen auf das Trauma. So eine Bekanntschaft oder Freundschaft bleibt am Ende einseitig, denn man ist der ständige Privattherapeut (ohne Ausbildung) und irgendwann ist der Punkt gekommen, da geht einem die Kraft aus.
Bei mir war es so, dass ich mich auf die Verabredungen nicht mehr freuen konnte. Ich hatte schon einen Stein im Magen, wenn ich nur daran gedacht habe. Als normaler Mensch ist man im Alltag ja auch gefordert und hat seine Verpflichtungen, die Kraft und Aufmerksamkeit fordern. Man braucht ebenfalls Erholung und Zerstreuung und kann nicht ununterbrochen der Abladeort tiefer, seelischer Probleme sein. Das kann man wohl nur, wenn es sich um einen nahen Verwandten handelt. Ich musste mich zurückziehen. Das schlechte Gewissen darüber hält bis heute an. Ich fühle mich wie eine schlechte, unfähige Freundin, eine Versagerin dort, wo ein anderer Mensch mich brauchte.
Ich habe also nicht erlebt, dass Opfer sexuellen Missbrauchs dieses Trauma überwinden können. Das Schlimme ist, sie werden einsam, wenn sie das Erleben mitteilen, denn Menschen können dieses Mit-leiden auf Dauer nicht mitmachen. In dem Fall, den ich kenne, war es dann auch noch so, dass die Frau selber kaum Grenzen anderer Leute akzeptieren bzw. erst erkennen konnte. Man war ständig Zeuge sozial inkompetenten Verhaltens der Bekannten, was manchmal sehr peinlich war.
Das Bücherschreiben über derartige Themen von Betroffenen halte ich daher für eine gute Sache. Sie können sich so denen mitteilen, die das auch wirklich wissen wollen, was sie zu berichten haben. Für den privaten Umgang möchte ich Opfern empfehlen, erst nach einer angemessenen Zeit über das Erlebte zu reden und es dann auch nicht zum Dauerthema zu machen. Freunde können einem ein offenes Ohr und Mitgefühl schenken, sind aber keine Dauer-Therapeuten, dafür gibt es ausgebildetet Fachleute.