Ob Scham (immer) eine bewusste Empfindung ist, ist eine sekundäre Frage - die primäre ist,
ob Scham (bewusst oder nicht) jemand daran hindern kann, ein Thema anzuschneiden oder
darauf einzugehen. Aus eigener Erfahrung und auch von Anderen weiß ich dass das so ist.
Kinobesuche haben da relativ wenig zur Erkenntnisfindung beigetragen...
Das ist für Sie die primäre Frage? Ich kann mir keine unbewusste Scham vorstellen. Scham ist eine intensive, dominante Empfindung. Man kann Dinge verdrängen und deshalb zeitabhängig keine Scham empfinden, aber man kann kein Schamgefühl an sich verdrängen. Scham ist wie Angst, wenn man sie empfindet, weiß man es. Ich war mal latent homophob und erinnere mich noch an den Tag, als mir das bewusst wurde und ich aufhörte, es zu sein. Ich war ein Teenager, gegen Ende meiner Pubertät, und hatte eine Freundin aus der Nachbarschaft, die etwas jünger war als ich. Eines Tages, es geschah am helllichten Tage auf offener Straße, drückte sie mich gegen eine Wand, fasste mir an den Busen und küsste mich auf meinen vor Verblüffung geöffneten Mund. Sofort stieß ich sie von mir und gab ihr eine kräftige Ohrfeige. Dann redeten wir noch kurz darüber. Das war alles. Ich schämte mich aber sehr. Weswegen schämte ich mich? Weil ich Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden war? Sie war so jung, dass ich ihr keine Schuld am Hergang gegeben hätte, wenn mir jemand anders davon erzählt hätte, und ich hatte ihr vorher gesagt, dass ich sie hübsch finde und solche Dinge, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Sie erklärte mir, dass sie mir dasselbe zurückzugeben versucht hat. Es war, so konnte es nur sein, eine Geste der Unterwürfigkeit und Bewunderung. Ich stellte mir Wölfe vor, die sich dem Leitwolf unterwerfen, indem sie die Geste machen, die Menschen bei Hunden zu regelrechten Schmuseorgien animiert. Nein, ich sah mich nicht als Opfer in dem Sinn. In Wahrheit hatte ich ihre Geste durchaus verstanden und mich geschmeichelt gefühlt - das ist noch untertrieben - und es tat in keinster Weise weh. Sie brachte mich dadurch in eine Machtposition, die ich hätte ausnutzen können und ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich das nicht getan habe. Ich wusste, dass ich einen Jungen für dieselbe Handlung nicht so hart, wenn überhaupt, geschlagen hätte. Und dafür schämte ich mich. Nun, hat mich diese Scham davon abgehalten, das "Thema anzuschneiden"? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sagen Sie's mir.