Sei gegrüßt Kannimo,
Dein Lösungsansatz der freien Gestaltungsmöglichkeiten anhand der Gegenheiten die man vortrifft, führt aber letzlich wieder dazu, dass unsere Lage Ähnlichkeiten mit der von Sissyphos aufweist. Wobei problematisch ist, wie eine völlig freie Gestaltungsmöglichkeit erspringen soll, wenn auch die Motivation etwas zu verändern vom Gehirn kommt.
Ich sehe das passiv: Es ist die Erfahrung der Vergangenheit, die uns quantifizierbare Hinweise darauf gibt, was kommen könnte. Die Unmöglichkeit aber die Zukunft in ihrer Komplexität zu kennen zwingt uns dazu zu akzeptieren, dass alles kommen könnte. Daher können wir uns nur vom quantifizierbaren Gefühl für die erfahrene Vergangenheit leiten lassen, müssen aber bereit sein, mit dieser Erwartungshaltung zu brechen. Es ist eine Zuversicht, die uns das Gefühl für die eigene Vergangenheit gibt, aber keine Sicherheit. Deswegen kann - und wird - die Zuversicht versagen.
Der Bruch mit den Gegebenheiten erfolgt damit aus dem Wissen, dass es nichts gibt, das "in Stein gemeißelt ist", über das also absolute Sicherheit besteht. Nur wenn Sisyphos dies begreift, kann er sich aus dem ewigen Kreislauf befreien, in dem er gefangen ist.
Somit haben wir, sofern unser Gehirn für jede unserer Handlungen und Gedanken verantwortlich ist, keinen Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Realität.
Deine Schlussfolgerungen ergeben sich aus der expliziten Annahme, dass wir keinen Kontakt zur Realität haben und diese nicht verarbeiten können. Damit implizierst du, dass die Realität einer Komplexität unterliegt, die wir nicht verstehen können, da es immer ein Unbekanntes mehr gibt, als wir erfassen können. In dieser Annahme enthalten ist, dass du die Realität als zeitlos annimmst, da die Komplexität sich immer auf die Zukunft bezieht. Diese können wir tatsächlich nicht verstehen, da sie komplex ist. Reduziert man sein Realitätsbild aber auf die Vergangenheit und erklärt die Zukunft als kein Teil der Realität, dann kommt man zu einer anderen Schlussfolgerung: Da die Vergangenheit abgeschlossen ist und nicht unendlich viele Ereignisse stattfanden, sondern gleichzeitig immer nur eines, ist diese Vergangenheitsrealität prinzipiell auch erfassbar durch den menschlichen Verstand.
Jedoch besteht die hartnäckige Illussion selbst über auf den Lauf seines Lebens Einfluss zu haben.
Du versuchst ja auch auf Basis von Erfahrungen aus der Realität der Vergangenheit Regeln abzuleiten für die Realität der Zukunft. In der Zukunft aber gibt es keine Realität - bzw. wir wissen nicht ob es dann noch eine Realität geben wird. Das erfährt man immer nur im Nachhinein. Belässt du die Zukunft in der Definition für Realität, dann ja, sind es Illusionen, denen wir uns hingeben. Akzeptiert man dagegen, dass die Zukunft nicht Teil der Realität ist und damit nicht betroffen von den auf Basis der Vergangenheitsrealität beruhenden Regeln für den Lauf des Lebens, dann wird aus der Illusion eine vergangenheitsbasierte und quantifizierbare Zuversicht auf Basis des erfassten Teiles der Vergangenheitsrealität.
Wobei verständlich ist, weshalb dies in der Praxis unter Umständen ungern eingestanden wird. Jemand der sich gerade in einer Krise befunden hat und wieder herausgefunden hat, wird eher dazu tendieren durch eigene Kraft dies erreicht zu haben, da sonst die Gefahr eines nicht beeinflussbaren Rückfalls bestehen könnte.
Im Blick auf die Vergangenheit ist es keine Illusion, dass jemand sich aus eigener Kraft gerettet hat, sondern eine Tatsache. Lediglich wer daraus ableitet, dass es auch zukünftig so sein wird, der unterliegt einer Illusion.
Genauso kann eine Person, die psyschologisch gebildet ist, und traumatischen Erfahrungen hatte und sich potentieller Langzeifolgen bewusst ist, nur schwer damit abfinden nun Schäden davon getragen zu haben, auf die sie keinen Einfluss hat und sich nicht aus eigener Kraft sich selbst heilen kann, sondern durch ihre Genetik und Umwelterfahrungen determiniert ist,wie sie dies verarbeiten wird.
Auch ein Mathe Student der in seiner Familie nur Hauptschüler hatte, wird sich eher sagen er habe durch eine eigene metaphysische Kraft dies erreicht und nicht durch positive Umwelt oder sich durch irgendwelche andere nicht beeinflussbare Faktoren und müsste nun bangen aufgrund der begrenzten entwickelbaren Intelligenz durch die Gene doch als Wissenschaftler zu scheitern.
Beide diese Beispiele hängen davon ab, in wieweit und wie exakt die Personen ihre Vergangenheitsrealität betrachten. Es spricht nichts dagegen, dass die subjektiv gewählte Pfadsequenz aus der Vergangenheitsrealität als Vorlage genommen wird für ein Erklärungsmuster, da auch Teile der Vergangenheitsrealität Realität waren und damit Wahrheit. Nur eben nicht unbedingt die volle prinzipiell erfahrbare Realität. Allerdings sind solche Vergangenheitsbetrachtungen prinzipiell untauglich für exakte Ableitungen für die Zukunft und dies egal, wie viel oder wie genau man die Vergangenheit analysiert hat - da die Zukunft nicht in der Realität enthalten ist. Es ist lediglich eine rekursive Zuversicht möglich, auf Basis derer die nächste Entscheidung getroffen werden kann. Ob diese Entscheidung richtig war wird sich aber auch erst dann zeigen, wenn sie Teil der Realität, sprich, der Vergangenheit ist.
Zu letztem Satz : Ich behauptete nicht wir seien in einer Phantasiewelt gefangen, sondern vielmehr unsere Interpretation der Welt ist nur in unserer Fantasie zu finden. Wenn wir auf die Welt blicken, so sehen wir diese eher aus der Perspektive eines Zuschauers in einem Theater. Außerhalb dieser Zuschauerperspektive hört jedoch diese Perspektive auf und existiert nicht mehr. Wenn wir im Fernsehen die Nachrichten sehen , so sind wir die Zuschauer und verknüpfen die Ereignise in der Welt mit unserem derzeitigen Lebenskontext. Die tatsächliche Lage sieht aber völlig anders aus.
Diese Perspektive widerspricht nicht der Behauptung, dass wir in Verbindung zur Realität stehen, so lange diese erfahrbare Realität definiert ist als "ohne Zukunft", also Gegenwart und Vergangenheit. Wenn eine Vergangenheitserfahrung (selbst erlebt oder kommuniziert) in unserer Vorstellung anders aussieht, als es tatsächlich war, dann bedeutet es lediglich, dass uns nur ein Teil der Vergangenheitsrealität bekannt ist. Die Pfadsequenzen über die Wahrheit der Vergangenheitsrealität ist dann entweder verkürzt oder weist Lücken auf. Dies ändert an ihrem Wahrheitsgehalt aber nichts.
Wer kann sich in das Weltbild einen Obdachlosen hineinversetzen, der grade den letzen Schluck seines Biers getrunken hat ? Wer kann sich in Raketen Kim hineinversetzen der ein Land regiert ? Obwohl man sich als einzelne Person kein Urteil über anderen Personen bilden kann, meint man dennoch die Welt aus der richtigen Perspektive zu sehen. Schaut man aber aufs einzelne Individuum, so muss die Welt anders sein, als man es sich vorstellt, da jeder die Welt aus seinen eigenen Augen sieht. Wobei die Wahrnehmungen grob gesehen aber ähnlich sein könnten. Wäre dies nicht so, wäre auch keine Kommunikation möglich.
Es geht hier nicht um anekdotisches, sondern um prinzipielles. Und prinzipiell - so lange man die Realität als beschränkt auf die Vergangenheit und Gegenwart betrachtet - ist es immer möglich, sich in einen Obdachlosen hineinzuversetzen oder jeden anderen, wenn er alle marginalen Schritte seines Pfades kommunizieren kann, die ihn in seine aktuelle Lage gebracht haben.
Nochmal: Les das verlinkte Buch