>Gysi
Ich halte sie kritische Erkenntnisbegriffe, die von dem Wissen zeugen, was Erkenntnis eben nicht ist.
Von Glaubenswissen und Wahrnehmungswissen war die Rede.
Gysi, ich habe einmal in meinem Philosophielexikon nachgeschaut und Dir herauskopiert, wie dort Erkenntnis bzw. Erkenntnistheorie definiert wird.
Ich will auch Erkenntnisse. Aber bei dieser Definition - und ich war 10 Jahre lang Vorzugsschüler - habe ich nach der Hälfte des Textes resigniert. Zwischen zwei Trennstrichen bringe ich Dir hier (nur) die Definition. Ehrlich gesagt - wenn ich das alles berücksichtigen muss, dass irgendetwas überhaupt eine Erkenntnis ist, bin ich sehr froh, dass ich etwas glauben kann. Viel "Vergnügen" mit der Definition Erkenntnis.
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Erkenntnis/Erkenntnistheorie (engl. knowledge/theory of knowledge oder epistemology; franz. connaissance/théorie de la connaissance; griech. episteme; lat. cognitio). E.theorie ist eine philos. Disziplin, die die menschliche E. hinsichtlich ihrer Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen untersucht. Nach traditioneller Auffassung von E.theorie hat eine Person das Wissen oder die E., daß ‹p› der Fall ist (wobei ‹p› eine in einem Satz ausgedrückte Behauptung ist) genau dann, wenn: (1) ‹p› wahr ist; (2) die Person davon überzeugt ist, daß ‹p› wahr ist; (3) die Person gute, ausreichende oder zwingende Gründe für ihre Überzeugung hat, daß ‹p› wahr ist. Die drei Forderungen sind notwendige Bedingungen von Wissen oder E. E. (Wissen) ist nach dieser klassischen Analyse identisch mit wahrer, begründeter Überzeugung. Eine solche Auffassung finden wir z.B. bei Platon, Aristoteles, Descartes, den Empiristen, Kant, Husserl, Hartmann und Ingarden.
Diese Analyse ist von verschiedenen Seiten angegriffen worden. Einige Gegner, z. B. Dummett, sind der Auffassung, daß es nicht möglich ist, notwendige und hinreichende Bedingungen für wahres Wissen anzugeben, da Wissen und E. vage (unbestimmte) Größen sind. Andere, z. B. Cook, Wilson und Prichard, behaupten, daß Wissen undefinierbar ist. Von skeptischer Seite ist hervorgehoben worden, daß alle Versuche, Kriterien oder Definitionen des Wissens zu finden, scheitern müssen, da sie in einen unendlichen Regreß oder einen circulus vitiosus führen. Die Gründe, die aufzubringen seien, um die Überzeugung, daß ‹p› wahr ist, zu rechtfertigen, müssen selbst wiederum E., d.h. durch Gründe gestütztes Wissen sein, so daß E. nicht erklärt werden kann, ohne sie schon vorauszusetzen (Sextus Empiricus, Nelson). Andere akzeptieren zwar die Problemstellung, kritisieren aber die traditionelle Form der einzelnen Bedingungen, insbesondere die der Überzeugung (Bedingung 2) und der Begründung (Bedingung 3). Die Forderung, daß das Erkannte wahr sein müsse, gilt zwar als unproblematisch, umstritten ist einzig die Analyse des Wahrheitsbegriffs (vgl. Wahrheitstheorien). Gegen die zweite Bedingung wird eingewendet, die Erkenntnis könne nicht einfach als besonderer psychologischer Zustand oder als Neigung bzw. Überzeugung, deren Charakter noch ganz ungeklärt ist, begriffen werden. Dies sei deshalb unmöglich, weil es beispielsweise wissenschaftliche E. geben kann, ohne daß jemand von ihrer Wahrheit überzeugt wäre (Popper). Die traditionelle Antwort auf diesen Einwand lautet: Wenn etwas E. zu sein beansprucht, dann muß es auch begriffen oder verstanden werden - und das heißt, es muß überzeugen. Aber damit wird das eigentliche Problem der E. umgangen, das genau darin besteht zu erklären, wie wir mit unserem Bewußtsein und unserer Sprache eine Welt begreifen und beschreiben können, die sich jenseits des Bewußtseins und der Sprache befindet.
Die Analyse der dritten Bedingung, der Begründungsforderung, ist ebenfalls umstritten. Was begründet werden soll, sind Behauptungen: Eine Behauptung ‹p› wird von einer anderen Behauptung ‹o› begründet, wenn ‹p› logisch aus ‹o› folgt. Die logische Folge gilt als die stärkste Begründungsform. Man hat auch eine Reihe von schwächeren Begründungsformen aufgestellt, bei denen im Gegensatz zur logisch stringenten Deduktion die Argumentation aufgrund von guten, vernünftigen oder hinreichenden Gründen als ausreichend angesehen wird. Eine Begründungsreihe besteht aus Behauptungen, die als wahre auszuweisen sind. Es stellt sich dabei die Frage, ob die Begründungskette abgeschlossen werden kann oder nicht. Unter denen, die glauben, daß die Reihe von Begründungen nicht abgeschlossen werden kann, lassen sich die Pessimisten von den Optimisten unterscheiden. Die Pessimisten oder Skeptiker behaupten, daß es sich bei der Begründungskette um den bereits erwähnten unendlichen Regreß handle, der nur durch einen circulus vitiosus oder einen willkürlichen Abschluß unterbrochen werden kann. Da weder der unendliche Rückgriff noch der Zirkel, noch ein willkürlicher Abschluß zu gesicherter E. führt, meinen die Skeptiker, daß E. aus prinzipiellen Gründen überhaupt nicht möglich ist (Agrippa, Sextus Empiricus, Bayle, Fries, Unger). Die Optimisten (z. B. Peirce, Popper und Apel) dagegen behaupten, daß wir uns selbst bei der Unmöglichkeit einer positiven Letztbegründung der E. (Apel bestreitet diese Unmöglichkeit allerdings) doch der Wahrheit annähern können - durch fortlaufende Eliminierung der als falsch erwiesenen Behauptungen (vgl. falsfizieren).
Auf der anderen Seite stehen diejenigen Philos., die glauben, daß die Begründungskette durchaus abschließbar ist, da die E. eine sichere Grundlage hat. Probleme ergeben sich hier bei der Frage, was als Grundlage der E. gelten kann und welches Verhältnis zwischen Grundlage und Wirklichkeit besteht. Gemäß den Empiristen (wie Locke, Berkeley, Hume, Russell, Ayer) besteht die Grundlage der E. aus unbezweifelbaren Sinnesphänomenen - sense data oder Empfindungen -, die privat sind und zu denen nur der einzelne Zugang hat (vgl. Phänomenalismus). Alles Wissen über die Welt stammt aus Sinneserfahrungen, die in Sätzen in erster Person Einzahl ausgedrückt werden. Die Hauptschwierigkeit des Empirismus ist es, über die erste Person Singular hinauszukommen, d. h. den Intersubjektivitätsaspekt mit zu berücksichtigen. Das Außenweltproblem, das Problem des Fremdpsychischen, das Problem der Erinnerung und das Induktionsproblem können alle als empiristische Variationen dieses Hauptproblems aufgefaßt werden. Der Empirismus bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, wie denn Behauptungen über die Welt, das Bewußtsein anderer, die Vergangenheit und Naturgesetze empirisch mittels bloß subjektiver Empfindungen begründet werden können. Denn der Wahrheitsanspruch der Behauptungen geht weit über das hinaus, was die erfahrungsgeleiteten Begründungen leisten. Einer der Versuche, über die erste Person Singular hinauszukommen, ist die kausale Perzeptionstheorie, die wie folgt argumentiert: Wir können nicht alle unsere Erfahrungen allein auf unser Bewußtsein als deren Ursache zurückführen; da aber alles eine Ursache haben muß, müssen einige unserer Erfahrungen eine Ursache außerhalb unseres Bewußtseins haben. Folglich stammen einige unserer Erfahrungen aus der Außenwelt (vgl. Descartes, Locke). Diese Kausalerklärung kann auch den drei Bedingungen der E. eine neue Deutung geben. Die Tatsache, daß ‹p› wahr ist (Bedingung 1), ist Teil der Ursache, daß die Person von ‹p› überzeugt ist (Bedingung 2); die dritte E.bedingung (der zwingenden Gründe) handelt von einer Ursachenverbindung (Kausalnexus) zwischen (1) und (2) und nicht von einem Begründungsverhältnis (Nozick). Beide Varianten sind von Phänomenalisten und Skeptikern kritisiert worden.
Eine weitere epistemologische Tradition ist der Apriorismus (z. B. Platon, Leibniz und Kant). Seine Vertreter behaupten, daß die menschliche E. eine solide Grundlage in Vernunftprinzipien und Vernunftwahrheiten hat, die der Sinneserfahrung (Wahrnehmung) vorausgehen (a priori) und von ihr unabhängig sind. Die Welt kann allein aufgrund der menschlichen Vernunft erkannt werden. Die radikalen Aprioristen (z. B. Platon) meinen, daß die Sinneswahrnehmung zu keiner wahren E. führen kann und deshalb keine entscheidende Bedeutung hat. Wahre E. beruht allein auf der Vernunft. Die moderaten Aprioristen (z. B.Kant) behaupten dagegen, daß die Erfahrung zwar eine konstitutive Rolle spielt, aber von der Vernunft durch synthetische Grundsätze ergänzt werden muß, die die Bedingungen der Möglichkeit von Wirklichkeitserfahrung, d. h. von Gegenständlichkeit (Objektivität), überhaupt ausdrücken, z. B. die Kategorie von Ursache und Wirkung oder die Anschauungsformen von Raum und Zeit.
Quer zu der Unterscheidung zwischen Empirismus und Apriorismus verläuft die Unterscheidung zwischen Realisten und Idealisten. Den Realisten zufolge besteht die Welt aus Dingen und Ereignissen, die unabhängig von Menschen und ihrer E. existieren, aber zum Gegenstand der menschlichen E. gemacht werden können, etwa in der Form wissenschaftlicher Theorien, die die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Natur zu formulieren versuchen (vgl. Hartmann, Ingarden, Popper, Putnam). Der Idealismus wird von verschiedenen Positionen vertreten: In der starken Version wird behauptet, daß das erkennende Subjekt nur imstande ist, seine eigenen mentalen Erfahrungen zu erkennen (z. B. Berkeley). Die schwächere Version behauptet, daß die menschliche E. nur von Gegenständen handeln kann, die durch die E.fähigkeit oder die Sprache des Menschen konstituiert sind (z. B. Kant, Husserl, Heidegger, Gadamer und der späte Wittgenstein). Die Realisten behaupten, daß der (objektive) Wahrheitswert unserer Aussagen auf Tatsachen beruht, die unabhängig von unseren Möglichkeiten, sie zu erkennen, existieren. Behauptungen sind wahr oder falsch kraft einer Wirklichkeit, die unabhängig von uns besteht. Demgegenüber meinen die Idealisten, daß Behauptungen nur in Abhängigkeit davon verstanden werden können, was wir als Belege für unsere Behauptungen gelten lassen (vgl. Dummett). Eine Aussage ist genau dann wahr oder falsch, wenn es eine für uns prinzipiell erkennbare Situation gibt, die, hätten wir Kenntnis von ihr, die Grundlageabgeben würde, eben diese Behauptung zu verifizieren oder zu widerlegen. Daß eine Behauptung wahr ist, kann nur bedeuten, daß unsere Kriterien für deren Wahrheit erfüllt sind.
Lit.: K. O. Apel: Transformation der Philos., 2 Bde., 1973. E. Cassirer: Das E.problem in der Philos. und Wissenschaft der neueren Zeit, I-III, 1906-20, IV, 1957. H. Cohen: Logik der reinen E., 1902. N. Hartmann: Grundzüge einer Metaphysik der E., 1921. E. Husserl: Erfahrung und Uneil, 1948. G. Klaus: Semiotik und E., 4
1973. V. Kraft: E.lehre, 1960. L. Nelson: Über das sog. E.problem, 1908. A. Pap: Analytische E.theorie, 1955. M. Schlick: Allgemeine E.lehre, 1979. W. Stegmüller: Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, 2
1969.
Philosophielexikon/Rowohlt-Systhema
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Ich bin ja nicht gegen Erkenntnisse - ich möchte nur, dass Du auch das glauben akzeptierst.