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Kann Terrorismus relativiert werden?

Nicht alles was man nicht tun sollte, wird auch nicht getan. Das ist die traurige Wahrheit und wenn ein Politiker entführt wird, dann hat er natürlich andere Beweggründe, wenn er zum Interview geht. Ist ja auch dumm gelaufen, nachdem sich die Republik über Frau Osthoff so ausgelassen hat und nun trifft es einen hohen Beamten. Hmm, da muß man schon irgendwie klarstellen, daß es sich nicht um das Gleiche handelt. Politiker kümmern sich immer zuerst um ihr Ansehen und man will ja nicht als gewissenloser und verantwortungsloser Vater dastehen, der seine Familie in ein Krisengebiet geflogen hat. Andere Geiseln reden natürlich anders, denn die haben andere Beweggründe.

Aber es muß uns dennoch klar sein, daß alles, nicht nur der Terrorismus, relativiert wird. Wenn in Afrika hundertausende im Bürgerkrieg, durch Hunger oder AIDS sterben, dann hat das nicht die gleiche Wirkung, wie wenn dreitausend Menschen im World Trade Center sterben. Auch die Anschläge in London stehen noch höher. Wenn Herr Mugabe seine Bürger unterdrückt und tötet, dann hat das nicht die gleiche Bedeutung wie wenn das Saddam gemacht hat. Und der Irak-Krieg überschattet noch heute alle Nachrichten, wobei auch hier immer nur von den über 2000 toten amerikanischen Soldaten gesprochen wird und kaum einmal von den 30.000 Irakern, die bislang in diesem Krieg ihr Leben gelassen haben.

Wenn zwei das Gleiche tun, dann ist das eben nicht das Gleiche. Leider ist das so und bei jeder Nachrichtenmeldung ist man heute gut beraten die Frage zu stellen: wer ist beteiligt und wer hat welches Interesse. Auch das relativiert dann die Nachricht und am Ende wissen wir eigentlich nur: da wurde jemand entführt.

Für uns sollte dies dann ja auch ausreichen, denn Entführung ist eine Straftat ungeachtet der Frage, ob diese von Islamisten oder vom CIA durchgeführt wurde.

An diesem Punkt startet dann natürlich die Frage nach der Rechtfertigung der Tat und das ist dann wiederum Glaubenssache und gehört nicht mehr zum Thema.

Ich persönlich finde die Gewichtung in den Nachrichten oft verwunderlich und gelegentlich sogar unverständlich bis abstoßend.
 
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lilith51 schrieb:
Ich glaube, da gibt es auch noch einen wesentlichen Unterschied in der Betrachtung, ob man der Betroffene ist, oder der etwas von außen Betrachtende.
Ich stelle mir vor, dass ich als Geisel seeeehr froh bin, wenn mich mein Entführer gut behandelt, vor allem wenn ich vorher schon Angst hatte, auch noch gequält zu werden. Dann kommt es mir eben nicht selbstverständlich vor, dass ich essen und trinken kann, usw. Die Erleichterung darüber wird die Situation vielleicht in einem besseren Licht darstellen, als es von außen besehen wirklich ist.
Diesen Aspekt von litith51 darf man natürlich nicht vergessen; ist man selbst Betroffener, ist man unmittelbar nach diesem Erlebnis sicher einmal froh, dass es aus ist und hofft, dass es sich nicht mehr wiederholt. Es ist auch wenig rücksichtsvoll von Medienleuten, wenn sie gleich nach dem schrecklichen Erlebnissen auf ein Interview bestehen. Nach ein paar Tagen werden (würden) stabile Persönlichkeiten die Sache distanziert sehen können.

Viele Grüße

Zeili
 
Hallo Lilith und Zeilinger,

Euch beiden antworte ich zusammen - denn Eure Beiträge behandeln ja den selben Aspekt.

Auch wenn ich Verständnis habe für die Tatsache, dass die Erleichterung, ja sogar die Freude über das glimpfliche Ende der Entführung eine Rolle spielt: Herr Chrobog war nicht irgendeine Geisel. Er hat in Entführungsfällen vermittelt, er müsste auch im Bilde sein über die Konsequenzen solcher Äusserungen wie, ich zitiere nochmals: "anständig" und "sehr ehrenhaft behandelt worden" weiter: "auch eine interessante Erfahrung" gewesen sei und sie hätte ihm erlaubt "eine fremde Kultur intensiv kennen lernen zu dürfen". Bei diesem Statement stellt sich sogar die Frage, ob das nicht schon eine Herabschätzung einer fremden Kultur bedeutet?
So etwas darf ein gewesener Politiker höchstens in einem sehr engen Kreis von sich geben.

Wäre es eine andere Person gewesen, nicht mit dem Phänomen Entführungen vertraut, hätte ich berücksichtigt, genau wie Ihr es sagt, dass die Erleichterung und Freude im Vordergrund gerückt ist.
Vergisst auch nicht, dass dieses Statement nicht unmittelbar nach der Befreiung abgegeben wurde, Chrobog hätte Zeit gehabt sich seine Worte zu überlegen, wusste er ja, dass ihn Journalisten erwarten bei seiner Landung in Köln.

@Louiz30, dein Beitrag enthält so viele wichtige Aspekte, ich werde nur einige kommentieren.

louiz30 schrieb:
Wenn zwei das Gleiche tun, dann ist das eben nicht das Gleiche. Leider ist das so und bei jeder Nachrichtenmeldung ist man heute gut beraten die Frage zu stellen: wer ist beteiligt und wer hat welches Interesse. Auch das relativiert dann die Nachricht und am Ende wissen wir eigentlich nur: da wurde jemand entführt

Die Relativierung, ich würde auch sagen die Gewichtung der Ereignisse in der Welt, beschäftigt mich in der letzten Zeit immer mehr. Um es etwas grob auszudrücken: es scheint, dass es erste-Welt-Ereignisse gibt, und andere die nur die dritte Welt betreffen.

Auch du sprichst von einer Gewichtung in den Nachrichten - und eben da fällt auf, dass langsam der Terrorismus als alltäglich hingenommen wird. Wiedermal die Banalität des Bösen...
Wenn die Anzahl der bei einem terroristischen Anschlag im Irak getöteten Menschen etwa unter 50 liegt, wird dies meist nur erwähnt in der Rubrik "weitere Nachrichten im Überblick" (ZDF). Und genau dies hat mich auch veranlasst, die Frage nach der Relativierung des Terrorismus zu stellen.
 
Miriam schrieb:
Auch wenn ich Verständnis habe für die Tatsache, dass die Erleichterung, ja sogar die Freude über das glimpfliche Ende der Entführung eine Rolle spielt: Herr Chrobog war nicht irgendeine Geisel. Er hat in Entführungsfällen vermittelt, er müsste auch im Bilde sein über die Konsequenzen solcher Äusserungen wie, ich zitiere nochmals: "anständig" und "sehr ehrenhaft behandelt worden" weiter: "auch eine interessante Erfahrung" gewesen sei und sie hätte ihm erlaubt "eine fremde Kultur intensiv kennen lernen zu dürfen". Bei diesem Statement stellt sich sogar die Frage, ob das nicht schon eine Herabschätzung einer fremden Kultur bedeutet?
So etwas darf ein gewesener Politiker höchstens in einem sehr engen Kreis von sich geben.
Falls er Zeit gehabt, sich zu sammeln ist es etwas anderes. Nicht unbedingt gelten lassen will ich das Argument des "gewesenen Politikers". Nun möchte ich ja selten einen Politiker küssen, er ist aber eben Politiker gewesen und daher zumindest politisch nicht mehr verantwortlich. Ich halte es für nicht zeitgemäß, aus Politikern quasi Päpste zu machen, die bis zu ihrem letzten Atemzug (politische) Verantwortung tragen. Mit dieser Anschauung züchten wir uns nur Sesselkleber, die oft in ihrer Senilität unglaubwürdig wirken, während fähige, vitale, jüngere Leute nicht zum Zug kommen.

Alles in allem hat aber dieser Mann - wie Du es in den Einzelheiten schilderst - den Terrorismus verharmlost und es wäre Aufgabe der Partei, in der er aktiv war, ihre Einstellung zum Terrorismus wieder ins rechte Lot zu rücken (falls sie es inzwischen nicht ohnehin getan hat). Mein (urspüngliches) statement war mehr allgemeiner Natur und nicht spezifisch für diesen Fall gedacht, zumal ich ihn nicht in allen Einzelheiten verfolgt habe.

Nochmal: Terrorismus darf nicht relativiert werden, der psychische Zustand der Betroffenen gleich nach dem schrecklichen Erlebnis ist aber zu berücksichtigen.

Liebe Grüße

Zeili
 
@ miriam

So kontrovers es auch sein mag, aber der Terrorismus ist nicht nur bei den Nachrichten der erste Platz. Auch in der Politik einiger Staaten scheint dieses Phänomen "nicht ganz unwillkommen" zu sein.

Warum ich dies sage?

Nun, den Irak konnte man nur nach dem 11. September angreifen, so auch Afghanistan. Die Telefone in den USA konnte man erst so ungeniert abhören, nachdem man den Patriot Act erlassen hatte und der war nur nach dem 11. September möglich. Auch die Achse des Bösen ist jetzt aktuell wie nie zuvor und die internationale Kooperation von Geheimdiensten, Sicherheitskräften und Militär ist sensationell. Nun gibt es auch neue Pässe, mehr Überwachung und wenn du nach London gehst wirst du an jeder Stelle per CCTV überwacht.

Nun, auch wir hatten mit der RAF so unsere Probleme. Jedoch hat Deutschland nicht gleich einen Krieg dafür angefangen. Und doch wurde das Problem nach Jahren gelöst.

Ich kann mich dem Eindruck nicht ganz erwehren, daß das Thema schon deshalb so hochgezogen wird, um die Menschen auf der ganzen Welt in Angst und Schrecken zu halten. Denn geschützt hat die Menschen in Madrid, London, Bali, dem Irak und all den anderen Plätzen der Krieg und all die Überwachung auch nicht.

Dies will ich nur zum Nachdenken geben. Vielleicht erklärt sich dann der Rummel um den Terrorismus auch einfacher.
 
fusselhirn schrieb:
@Ziesemann
he he Du sagst die Gewaltenteilung hat nichts damit zu tun und redest in einem der nächsten Sätze von Freiheitsberaubung.

Meine Antwort kommt von wikipedia:

Die Hintergründe sind verschieden, aber physisch wird in beiden Fällen dem Menschen mit "Gewalt" die Freiheit genommen. Genau das ist es worauf ich hinaus wollte.
Ich versuche es noch einmal:

Die von Charles de Montesquieu (1689-1755) begründete Lehre der Gewaltenteilung (schon vorher in Ansätzen bei John Locke 1632-1704) hat nichts, aber wirklich garnichts mit der Frage der legitimen Gewaltenanwendung auch durch den Staat zu tun und auch nicht mit verschiedenen "Hintergründen". -
Diese physische Gewaltanwendung etwa gegen einen Terroristen ist Ausdruck des Notwehrrechts, das der Staat als Grundrechtsverpflichteter zum Schutze des Grundrechtsträgers ausübt.

Freiheitsstrafe ist natürlich Gewaltanwendung; hat aber nichts mit der Gewaltenteilung zu tun. Die Freiheitsstrafe gab und gibt es auch in Staaten, die keine Gewaltenteilung kennen - wie Diktaturen "3.Reich", DDR und jetzt Nordkorea oder Kuba.

Verzeihung, lieber Fusselhirn, die Rechtsproblematik ist wirklich etwas komplizierter.
 
Diese physische Gewaltanwendung etwa gegen einen Terroristen ist Ausdruck des Notwehrrechts

Notwehr,
das ist der Punkt!

wer sich in der Fremde angegriffen fühlt,
obwohl dort dieser Angriff als solcher nicht gewertet wird,
muss dem Angreifer klar machen,
daß er sich angegriffen fühlt
und daß dieser Angriff einen Stellenwert hat,
der wohl dem eines ANDEREN Verbrechens in der fremden Kultur entspricht

der Angreifer wird mit sich reden lassen,
denn auch er weiss:
andere Länder, andere Sitten

ps
früher wurden Menschen rituell verspeist
 
fusselhirn schrieb:
hmm, ok, hast gewonnen. :)
Danke! Aber der Erkenntnisgewinn ist wichtiger als mein "Gewinn".

scilla schrieb:
der Angreifer wird mit sich reden lassen,
denn auch er weiss:
andere Länder, andere Sitten
Schön, dass Du mich beim Notwehrrecht zustimmend zitiert hast; aber diesem zitierten Satz vermag ich nicht beizustimmen.
Ein fanatischer Angreifer, im vermeintlichen Besitz der Wahrheit, wird eben nicht mit sich reden lassen. - Und wenn er gar ein Selbstmordattentäter ist, dann versagt das gesamte Drohpotential, vom Notwehrrecht Gebrauch machen zu wollen.
Nur nebenbei: Das Notwehrrecht ist völkerrechtlich in der UN-Satzung als "Recht auf kollektive Selbstverteidigung" verankert.
Scilla, leider kann ich Dir nicht schon wieder einen grünen Punkt geben.
Gruß - Ziesemann
 
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An wen wohl ging die Nachricht

Miriam schrieb:
Herr Chrobog war nicht irgendeine Geisel. Er hat in Entführungsfällen vermittelt, er müsste auch im Bilde sein über die Konsequenzen solcher Äusserungen wie, ich zitiere nochmals: "anständig" und "sehr ehrenhaft behandelt worden" weiter: "auch eine interessante Erfahrung" gewesen sei und sie hätte ihm erlaubt "eine fremde Kultur intensiv kennen lernen zu dürfen". Bei diesem Statement stellt sich sogar die Frage, ob das nicht schon eine Herabschätzung einer fremden Kultur bedeutet?
So etwas darf ein gewesener Politiker höchstens in einem sehr engen Kreis von sich geben.

Nun ja, Herr Chrobog war gewiss nicht „irgend eine Geisel“ und er hat auch ganz seine Aussage ebenso gewiss mit Bedacht gemacht. Nur bezweckte sie beileibe nicht die journalistische Wahrheit zu verkünden. Er hat mit Terroristen „Geschäfte“ gemacht, früher schon und wird vielleicht wieder einmal in die Lage kommen sich um solche bemühen zu „dürfen“.

Eine andere Form der „Wahrheit“ würde in einem zukünftigen Fall weder der Geisel noch ihm eine Chance (und eine größere schon gar nicht) geben. Der Umgang mit den christlich – abendländischen mafiösen Gesellschaften läuft genau so.
 
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