Theorie der produktiven Kräfte
List erkannte an, dass Adam Smith die Arbeitsproduktivität als Ursache des Volkswohlstandes richtig erkannt hatte. Der Erklärungsansatz sei aber zu kurz geraten, da Smith versäumt habe, die Produktivität ihrerseits zu erklären. Mit seinem Ausspruch „Wer Schweine erzieht, ist [nach der Werttheorie] ein produktives, wer Menschen erzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft“[31] kritisierte er die Werttheorie von Adam Smith, nach der nur Arbeiten, die körperliche Werke produzieren, Werte schaffen, während geistige und soziale Leistung (ärztliche Behandlungen, Aus- und Fortbildung etc.) als „unproduktive Arbeit“ angesehen wurden. Der Theorie der Werte von Adam Smith stellte er seine Theorie der produktiven Kräfte gegenüber.[32] Nach List ist „die Kraft, Reichtümer zu schaffen […] demnach unendlich wichtiger als der Reichtum selbst“.[33] Mit „produktiven Kräften“ meinte er die Kompetenzen einer Gesellschaft, die nicht nur durch die Ausstattung mit Sachkapital, sondern auch durch Innovationskraft, Ingenieurleistung, den unternehmerischen Geist und durch das Bildungs- und Ausbildungsniveau der Bevölkerung determiniert werden.[34] Der Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft sei das Ergebnis der geistigen Leistungen der Menschen (Erfindungen, Verbesserungen).[35] Durch wirtschaftsgeschichtlichen Vergleich kam er zu der Erkenntnis, dass Staaten, die in der Alphabetisierung zurückgeblieben sind, eine geringere soziale Mobilität innerhalb der Gesellschaft aufwiesen und weniger Erfindungen hervorbrachten. Er schloss daraus, dass in solchen Ländern potentielle Intelligenzressourcen ungenutzt blieben.[36] List war der Ansicht, dass die Geschichte gezeigt habe, dass[37]
„Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, Erfindungs- und Unternehmungsgeist der Individuen nirgends Bedeutendes zustandegebracht haben, wo sie nicht durch die bürgerliche Freiheit, die öffentlichen Institutionen und Gesetze […] unterstützt gewesen sind.“
Die Lernanstrengungen der Menschen sind von der Ausgestaltung des institutionellen Rahmens abhängig. Bereits die Wirtschaftsstruktur beeinflusst den Lernerfolg. Im landwirtschaftlichen Sektor seien die Erfolgsaussichten für produktive Lernprozesse aus verschiedenen Gründen gering. In der Industrie bestünde hingegen eine institutionell abgesicherte Anreizstruktur, die Lernprozesse fördert. Die Fähigkeit im Umgang mit Kunden sowie Erfindungsgabe und Geschick bestimmten hier in hohem Maße den wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb sei ein großer industrieller Sektor eine notwendige Bedingung für den Erfolg geistiger Leistungen.[38]