Wer sich den Gesetzen nicht fügen lernt, muß die Gegend verlassen, wo sie gelten
Johann Wolfgang von Goethe
Klare und einfache Aussage deren konsequente Durchsetzung viele der derzeitigen Probleme schlagartig lösen würde !
Solange es Gesetze gibt, gibt es keine
Liebe, und wo es der Liebe mangelt, sind Gesetze
not-wendig. Denn Gesetze regeln und ordnen das soziale Gemeinschaftsleben, halten unbeherrschte Triebe in Zaum und erziehen - im besten Falle
- zur Gewissensbildung und zu ethisch-moralischer Selbständigkeit.
Als Moses sein Volk belehrte, gab er ihm eine Fülle von Geboten, nach dem es sich auszurichten hatte, um den Willen Gottes zu erfüllen. Dann aber kam der Christus, und auf die Gebote Mose weisend sagte er: "Die
Liebe erfüllt das ganze Gesetz!" -
Dieser Satz ist so unschwer zu verstehen wie er ausgesprochen wird: Die niederen amoralischen Ambitionen entspringen dem natürlichen Triebleben, welchem auch die Menschen als Naturwesen unterstehen. Aber der Mensch trägt auch ein höheres, ein göttlich-geistiges Prinzip in sich, welches seinen niederen Menschen beherrschen und auf einem gesunden Niveau leiten kann, nämlich das ICH, das
Selbst-Bewusstsein. Aber wenngleich die meisten Menschen insgesamt auf ethisch-moralischer Ebene weit fortgeschritten, aus selbstlosen, liebevollen Motivationen und Intentionen heraus ihre Gedanken und Empfindungen zu entwickeln und dementsprechend zu handeln fähig sind, ist ein Gros dennoch noch nicht so weit, sich dem Pfad menschenwürdiger Tugendhaftigkeit zuzuwenden und die allgemeine Menschenliebe zu seinem inneren Leitstern zu bestimmen. Nichts anderes sind es als die nach wie vor aus dem Urgrund des animalischen Trieblebens mächtig heraufwirkenden Begierden und Leidenschaften, die den höheren Menschen zur Selbstsucht und damit zum Bösen verleiten und ihn
ihrerseits zum Sklaven erniedrigen können. Und eben
hier setzt die Idee des Gesetzes an: Es soll, ethisch-moralisch begründet, durch gezielte Vorschrift und Maßregelung dem noch ungestümen Begierdenmenschen seine nötigen Grenzen weisen, seine Handlungen in akzeptable Bahnen lenken und somit der Gefahr von Chaos und Anarchie vorzubeugen. Und in dem Maße, wie der un-rechtmäßig Handelnde und rechtmäßig Verurteilte die Schlechtigkeit seiner Fehlhandlung durschaut, dadurch zu Erkenntnis und Einsicht gelangt und somit
freimütig einen edleren Lebenswandel anstrebt,
verinnerlicht er die dem Gesetz zugrunde liegende
Idee und
Sinnhaftigkeit zu seiner individuellen
ethisch-moralischen Lebensregel; das vormalig
heteronom, von
außen her diktierte Gesetzt wird zur
autonom selbst-bestimmten Maxime. Hinmit hat für ihn zukünftig das
äußere vor-geschriebene Gesetz
als solches keine Bedeutung mehr. Mag es von der Obrigkeit gefordert sein oder nicht: Für
ihn selber ist es zur lebendigen
Realität und ein fundamentaler Richtwert seiner eigenen moralischen Ideologie geworden. - Und
was zuletzt ist es, was den Frevler bereuen und ihn sich dem Guten zuwenden lässt? -
Empathie und
Mitleid, den Schritt über die Festung der Egoität hinaus hinein in den intimen Eigenraum dessen, dem er geschadet hat. -
Die Wirksamkeit von Gesetzen bestätigt nicht unbedingt die ethisch-moralische
Authentizität derer, die ihm unterstehen. In einem gesetzeskonform lebenden "rechtschaffenen unbescholtenen Bürger" kann dennoch ein Dämon schlummern, der aber in den sicheren Ketten des Gesetzes liegt und nur
deshalb nicht hervorbricht. Gäbe es das Gebot, das er zu seinen Zwecken brechen oder mit teuflischer Raffinesse umgehen müsste,
nicht, würde er mit aller Macht und Grausamkeit wüten und seine Begierden befriedigen... -
Es wird allenfalls nicht gestohlen, betrogen, gequält und gemordet, weil "man" dies
nicht darf - nicht, weil klar empfunden und erkannt wird, dass es
böse ist; nicht Einsicht, Verstehen und liebevolles Mitgefühl, nicht der enthusiastische Impuls zur wahren Menschlichkeit lassen die meisten Menschen sich moralisch
gut verhalten. Man ist nicht
wirklich ein guter Mensch, nur weil man sich an das Gesetz hält, und es sind allein das wachsame Auge und die schützende Hand des äußeren Gesetzes, die die Menschen nicht ihren inneren Raubtieren verfallen lassen. Aber ein guter Mensch ist man in der Tat, wenn schon der
gute Wille den Anstoß dazu gibt, ein guter Mensch zu werden. Und dann beginnen auch Gesetz und Strafe allmählich ihre Notwendigkeit zu verlieren. Ein Mensch, von Selbstlosigkeit und Liebe durchglüht, braucht keine staatliche Direktive mehr: Er stiehlt nicht, er betrügt nicht, er quält nicht, er mordet nicht, weil er das innere Gesetz der
Liebe, dieses all-einige und alles einende universale Geistprinzip, verwirklicht hat und danach lebt. -
Wie weit muss man moralisch und geistig von der gesunden Norm abstehen, um jenes zitierte lapidare Wort des einzigartigen moralisch und geistig hochentwickelten Genies Goethe misszuverstehen? - Betrachtet man es in Bezug auf den von mir auseinandergesetzten Gedankengang - und ich selber wähne mich gewiss
nicht als moralisches und geistiges Genie! -, so wird man selbstverständlich konstatieren können, dass Goethe - zumal als "Geheimrat" (Rechtsanwalt) - sehr wohl gewusst hat, was er da sagte. Wir wissen ja (zumindest als Kenner), dass sein ganzes Leben ein zutiefst schmerzliches Ringen um
Erkenntnis und
Weisheit, um
Wahrhaftigkeit war. Und wer wenn nicht er, der in die schrecklichsten Abgründe moralischer und geistiger Dekadenz hinabschauen musste, zugleich aber die hehre Bestimmung des Menschengeschlechts vor Augen hatte und die Gewissheit, dass jede einzelne Individualität ihr zu folgen imstande ist - wer wenn nicht er könnte mit aufrichtigster Überzeugung die Sinnhaftigkeit und die Notwendigkeit von Staatsgesetzen sicherer und authentischer beurteilen? -
Es ist schlichtweg ein Unding, Goethe diktatorische und/oder machthaberische Beweggründe zu unterstellen. Selbst als mäßig erfolgreicher Rechtsvertreter, der er war, hatten ihn dennoch die Schicksale seiner Mandanten bewegt und ihn tiefer über den Zusammenhang zwischen der Dicke der Gesetzbücher eines Volkes und dem moralischen Niveau seiner Bürger nachsinnen lassen. Die übliche Gepflogenheit während des Mittelalters (z.B. der Regentschaft der Carolina), Menschen, die dem Gesetz selbst bei Strafe nicht gehorchten, kurzerhand aus Stadt und/oder Land zu verbannen, war - ggf. für den Verurteilen selber
und für das Volk - mitunter sogar pädagogisch wirksamer als Kerker, Fallbeil und Galgen. Wenngleich Goethe die unverbesserlichen Gesetzesbrecher und Querulanten nicht gleich mittels Staatsgewalt der Stadt bzw. Landes verwiesen wissen wollte, so rumorte dennoch in ihm jener nachvollziehbare Zorn, wonach solche Menschen für die Gemeinschaft und dessen soziales Klima eine wirkliche Gefahr sein können. - Was wohl würde man sagen, wenn er für sie
lebenslange Freiheitsstrafe ohne Gnade gefordert hätte? - Als hervorragender Menschenkenner wissend, dass sie moralisch sich gar nicht ändern
wollen, jegliche pädagogisch-therapeutische Maßnahme daher nutzlos und es somit das beste wäre, sie ziehen und der Lebensschule ihres
Schicksals zu überlassen, konnte er wohl keinen juristisch vernünftigeren Schluss ziehen als eben jenen, der in seiner Aussage enthalten ist.
"Die
Liebe erfüllt das ganze Gesetz!" - Ich bin überzeugt, dass Goethe die Wahrhaftigkeit dieses großen Christuswortes schon immer gefühlt und als wirkliche Gewissheit erkannt hat, und vielleicht war es ja nicht allein der Wunsch des Vaters, der den hochbegabten Sohn adeliger Abstammung im sicheren und aussichtsreichen Anwaltsgeschäft sehen wollte.
Jedenfalls aber steht für mich fest, dass der "Geheimrat" Goethe weder kleingeistig noch skrupellos autoritär motiviert sein Wort formulierte, sondern in der Tat einzig und allein auf das moralische Wohl der Gemeinschaft bedacht war.
Schönen Sonntag!
Janus