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Hilfe, ich bin normal !?!

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Robin schrieb:
Wie wäre es mit:
Normalität ist die Alltagsumsetzung von Vernunft...?

So sehe ich das auch: Das, was wir "normalerweise" als rollenkonformes Verhalt an uns und an anderen feststellen, sagt uns " die eigene" Vernunft.
Es ist eben vernünftig, sich im Straßenverkehr an die Regeln zu halten - andernfalls ...
Es ist vernünftig ( Binchenbeispiel) sich als Mann oder Frau in mittleren oder älteren Jahren nicht mehr wie Miss oder Mister Junki ( alle anderen Jungendnormalitäten eingeschlossen) zu kleiden usw, andernfalls setzt man sich - es ist hier schon angesprochen worden, vor allem in kleinen Orten - der Lächerlichkeit aus.

Nur: es gibt eben viele, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten und viele Oldies, die ganz stolz ihr Anderssein betonen.

Das zeigt, dass normierende Regeln gebrochen werden -.

Und das - jetzt ohne Spaß, Robin, - zeigt, dass dieses empirisch beobachtete Verhalten durchaus als interpersonelles soziales Phänomen gesehen werden muss.
Was intrapersonell als subjektiv empfundenes Paradox kaum je stimmig gemacht werden kann, kann als soziales Phänomen durchaus im Luhmannsinne erklärbar gemacht werden. Ich versuchs mal - hilf mir aus, wenn ich zu sehr vereinfache.
Die meisten Regeln sind dadurch bestimmt, dass man sie einhalten oder brechen kann. Beides geschieht. Und in der Mitte - gleichsam als sich selbst erhaltendes System entstehen dann die Abwandlungen oder Variationen, die, ausgeübt, immer noch die Regel nicht brechen, aber auf Dauer neue Umgangsregeln entstehen lassen.( Beispiel: Knigge HIHI, haben wir noch in der Tanzschule gelernt - heute würden sich die jungen Leute zu Recht über die meisten dieser Benimmregeln totlachen - obwohl: HÖFLICHKEIT als inhaltlicher Kern als Richtwert geblieben ist.
Und immer hat der Regeleinhalter und der Regelbrecher für sich vernünftige Gründe, so zu handeln, wie er tut.


Marianne
Marianne

Das spricht eben doch da
 
Um meinem Image als "Luhmannist" entgegenzuwirken, werde ich heute verstärkt mal mein Image als "Max-Goldt-Fan" pflegen. Hübsch poetisch drückt er aus, wozu eine Norm dient und welch Wohlgefühl es ist, sich ihr unterzuordnen:

Es ist nämlich nicht typisch deutsch, sondern typisch okidiki, an einer roten Ampel stehenzubleiben (...) Mir wird von oben, von einer süßen Macht, eine Pause angeboten, und ich bin so entgegenkommend, dieses Angebot anzunehmen, indem ich friedensreich verharre. Warum soll ich unentwegt um Souveränität und Unabhängigkeit ringen? Ich bin doch kein pubertierender Zwergstaat. Der rote Mann bietet mir eine freie Minute an, und ich als freier Mann knabbere den Zeit-Snack gern. Sich kurz und freiwillig dem Geheiß des roten Mannes zu unterwerfen erspart einem nicht zuletzt den Gang zur Domina (...)Deswegen bleibe ich immer schön stehen, es sei denn, es sind Kinder zugegen. Dann gehe ich auch bei Rot, damit sie schreien können: "Sie sind aber kein Vorbild!" Das haben ihre Erzieher in sie einprogrammiert, und man muß ihnen ja Gelegenheit geben, das Erlernte abzuspulen.

Unterschied zwischen Vernunftnormalität und aufoktryierter Normalität nett erklärt... ;)
 
lilith schrieb:
Normal oder nicht, es genügt mir, ich zu sein. Mir ist es auch wurscht, in welche Schublade mich irgendwer stecken will.
Ganz genauso geht es mir auch. Was als "das Normale" gilt - in jedem Falle noch das uns von anderen vorgegebene kollektiv erwünschte Verhalten - bleibt häufig genug schwer auszumachen und unterscheidet sich je nach gesellschaftlicher Gruppe ganz erheblich. Es würde in den Wahnsinn führen, sich stets immer aufs Neue daran anpassen zu wollen.

Robin schrieb:
Ist es zum Beispiel normal, seine eigene Weltsicht als völlig normal zu betrachten? Bei mir ist das so. Ich denke immer, es so zu sehen, wie ich, sei das Natürlichste der Welt!
Ja, das ist wohl normal, wohingegen es für mich genauso normal ist, daß andere Leute eine völlig andere Sicht der Dinge haben als ich. Deswegen ja die ewigen (oft auch nur der Selbstvergewisserung dienenden) Gespräche und Diskussionen: bestenfalls um die Differenzen ein bißchen miteinander abzugleichen, schlechtestenfalls, um keinen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.

Dennoch muß es einen Rahmen geben, in dem das ganze sich abspielt; da möchte ich mal den etwas anrüchigen politischen Begriff der Leitkultur anführen, der als übergeordnetes, aber diskretes Normensystem letztlich auch eine extreme Vielfalt verschiedenen Für-Normal-Haltens nebeneinander ermöglichen sollte.

So kann sich mithilfe dieses Begriffes jedenfalls auch die Bedeutung des "Normverstoßes" in einer hochdiversifizierten Gesellschaft relativieren, wo bei geringerer Toleranz jeder dem anderen entgegenhalten könnte, er wäre ja wohl nicht ganz normal bzw. nicht ganz dicht.

Robin schrieb:
Wie wäre es mit:
Normalität ist die Alltagsumsetzung von Vernunft...?
Nur wenn man den sozialen Zwangscharakter der Normalität als Vernunft deklariert ;) .

Marianne schrieb:
Das, was wir "normalerweise" als rollenkonformes Verhalt an uns und an anderen feststellen, sagt uns " die eigene" Vernunft.
Diese Art der Vernunft kann man ja lernen; ich würde den "vernünftigen", weil persönliches Leiden in der Gemeinschaft angeblich verringernden Hang/Drang/Zwang zur Rollenkonformität/Normalität allerdings eher als Opportunismus charakterisieren. Die Dosis macht das Gift.

Meine Vision ist immer noch eine Gesellschaft, in der jeder nach Herzenslust verschieden sein kann, ohne Nachteile erfahren zu müssen - also ohne diese Deformation durch "Verdrängung, Verleugnung, Isolierung, Projektion, Introjektion und anderen destruktiver Aktionen gegen die Erfahrung" (R.D.Laing, s.o.), die gemeinhin als "vernünftig" gewertet werden - erleiden zu müssen. Normal wäre dann, daß nichts mehr "normal" ist - außer eben jenem notwendigen Minimum an demokratischer "Leitkultur", das den kunterbunten Laden zusammenhält. Sind wir dahin schon auf dem besten Wege? Ich weiß es nicht?
 
Darf ich zum Abschluss dieser Diskussion noch etwas zitieren - Poetisches. Denn das Fiktionale hat sehr oft mehr Aufforderungscharakter, als gemeinhin angenommen wird:



Günther Eich:

SEID SAND IM GETRIEBE DER WELT !

Nein, schlaft nicht,
während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht,
die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind,
wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder,
die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!


aus: Günther Eich / Träume.



Marianne
 
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so oder so

Halte dich an die Gesetze innerhalb deiner Landesgrenzen, und du wirst normal wirken und nicht auffallen.

Wie aber steht es mit der Normalität der gesetzgebenden Personen?

:guru:
 
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