EarlGrey
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ich war heute im kino....
bei hannah ahrendt ging dort insbesondere um ihre auseinandersezung mit eichmann
kann ich nur weiterempfehlen
herausragend ist ihre erkenntnis des bösen.... "die banalität des bösen ..... " . aber hört selber..
http://www.hannaharendt-derfilm.de/
bei hannah ahrendt ging dort insbesondere um ihre auseinandersezung mit eichmann
kann ich nur weiterempfehlen
herausragend ist ihre erkenntnis des bösen.... "die banalität des bösen ..... " . aber hört selber..
http://www.hannaharendt-derfilm.de/
HANNAH ARENDT
Vielleicht, und das nur als Ausnahme, erlauben Sie mir heute zu rauchen. Und zwar sofort.
Als der New Yorker mich beauftragte über das Gerichtsverfahren gegen Adolf Eichmann zu berichten, war
ich der Ansicht, dass bei einem Prozess nur eines von Interesse sein kann: der Forderung nach Gerechtigkeit
Folge zu leisten.
Das war keine einfache Aufgabe. Denn das Gericht, das ein Urteil fällen sollte, war mit einem Verbrechen
konfrontiert, das in den Gesetzbüchern nicht zu finden war, und einem Verbrecher, dessen Typus keinem
Gericht vor den Nürnberger Prozessen bekannt war.
Aber dennoch, die Richter mussten Adolf Eichmann als einen Menschen beurteilen, der für seine Taten
unter Anklage stand. Es stand kein System vor Gericht. Nicht die Geschichte und kein Ismus. Noch nicht
einmal Anti-Semitismus. Sondern ausschließlich eine Person.
Das Problem mit einem Naziverbrecher wie Eichmann war, dass er darauf bestand, sich selbst als Person zu
verleugnen, als ob niemand mehr übrig gewesen wäre zum Bestrafen oder Vergeben. Er protestierte ein ums
andere Mal, im Gegensatz zu den Anschuldigungen des Staatsanwalts, dass er zu keiner Zeit irgendetwas
aus Eigeninitiative getan habe. Und er habe auch keinerlei „Intentionen“ gehabt, egal welche, weder gute
noch böse. Er sagte, er hätte ausschließlich Befehle befolgt. Diese typische Nazi-Ausrede macht uns klar,
dass das Böseste in der Welt das Böse ist, das begangen wird von „Nobodies“. Böses, begangen von Menschen ohne jedes Motiv. Ohne Überzeugungen, ohne bösen Charakter oder dämonischen Willen, von
menschlichen Wesen, die sich weigern Individuen zu sein. Und es ist dieses Phänomen, das ich bezeichne
als „Banalität des Bösen.“
PROFESSOR MILLER
Miss Arendt, Sie klammern den wichtigsten Teil der Kontroverse aus. Sie haben behauptet, dass weniger
Juden gestorben wären, wenn ihre Anführer nicht kooperiert hätten.
HANNAH ARENDT
Das Thema kam während der Verhandlung auf, ich habe davon berichtet, das ist alles. Allerdings musste ich
die Rolle der jüdischen Räte verdeutlichen, die direkt an Eichmanns Aktivitäten beteiligt waren.
PROFESSOR MILLER
Sie geben dem jüdischen Volk die Schuld an seiner eigenen Vernichtung!
HANNAH ARENDT
Ich habe nie dem jüdischen Volk die Schuld gegeben! Widerstand war nicht möglich. Aber vielleicht gibt es
noch etwas, etwas zwischen Widerstand und Kooperation. Und nur in diesem Sinne stelle ich die Frage, ob
sich nicht vielleicht eine Reihe von jüdischen Räten anders hätte verhalten können. Es ist fundamental wichtig,
uns diese Fragen zu stellen. Und zwar weil die Rolle der jüdischen Räte in erschreckender Weise Aufschluss gibt über die Totalität des moralischen Zusammenbruchs, den die Nazis ausgelöst haben in achtbaren europäischen
Gesellschaften. Und das nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Ländern. Und nicht nur in den Reihen
der Verfolgern, sondern ebenso bei den Opfern.
ELISABETH
Die Verfolgung war gegen die Juden gerichtet. Wieso beschreiben Sie Eichmanns Vergehen als ein Verbrechen
gegen die Menschheit?
HANNAH ARENDT
Ganz einfach: Juden sind Menschen. Genau diesen Status wollten die Nazis ihnen absprechen. Ein Verbrechen
gegen Juden ist schon per Definition ein Verbrechen gegen die Menschheit.
Ich bin, wie Sie natürlich alle wissen, Jüdin. Und mir ist vorgeworfen worden, ich sei eine selbsthassende
Jüdin, die Nazis verteidigt, und ihr eigenes Volk verachtet.
Das ist kein wirkliches Argument. Das ist nichts anderes als Rufmord! Ich habe keine Verteidigung von Eichmann geschrieben, sondern eine Übereinstimmung gesucht zwischen der schockierenden Mittelmäßigkeit
des Mannes mit seinen erschütternden Taten. Es zu verstehen, ist nicht dasselbe wie Vergeben. Ich sehe es
als meine Verantwortung an, zu verstehen. Es ist Pflicht und Aufgabe eines jeden, der es wagt, über dieses
Thema etwas zu Papier zu bringen.
Seit Sokrates und Platon, bezeichnen wir als „Denken“, den stillen Dialog zwischen mir und mir selbst. Indem
er sich geweigert hat, eine Person zu sein, hat Eichmann die entscheidende Fähigkeit die erst einen Menschen
ausmacht, vollständig aufgegeben, nämlich die Fähigkeit, selbst zu denken. Infolgedessen war er nicht mehr
imstande, moralische Urteile zu fällen. Dieses Unvermögen, zu denken, schaffte erst die Voraussetzung für
viele ganz gewöhnliche Menschen, abscheulichste Taten in einem gigantischen Ausmaß zu begehen, dergleichen
man noch nie gesehen hatte. Noch nie zuvor.
Es ist wahr. Ich habe diese Fragen auf eine eher philosophische Weise betrachtet. Nutzen oder auch Gewinn
vom „Wind des Denkens“ ist nicht Erkenntnis, sondern unterscheiden zu können zwischen richtig und falsch und
zwischen schön und hässlich. Und ich hoffe, das Denken gibt den Menschen die Kraft, eine mögliche Katastrophe
zu verhindern, in solch entscheidenden Momenten wenn schon alles verloren scheint. Ich danke Ihnen
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