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Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

AW: Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

Hallo, allerseits!

Vergleicht einmal Vorsicht mit Feigheit, Freigiebigkeit mit Verschwendung oder Sparsamkeit mit Geiz - was werdet ihr finden? Die Tatsache, dass jede menschliche Tugend droht, in einen Fehler überzugehen, ebenso wie jeder Fehler einer menschlichen Tugend nahekommen könnte. Das Geheimins ist einfach (oder eben auch nicht einfach), die richtige Mitte zu treffen und sich auf den positiven Aspekt der jeweiligen Eigenschaft zu konzentrieren.

Dazu noch eine kleine Geschichte über Gleichmut aus dem Zen-Buddhismus:

"Der Zen-Meister Hakuin (1685-1768) wurde ob seines untadligen Lebenswandels allenthalben gepriesen. Ein schönes japanisches Mädchen, Tochter eines Lebensmittelhändlers, wohnte in der Nachbarschaft. Eines Tages entdeckten die Eltern, daß ihre Tochter schwanger war. Über den Vater schwieg sich das Mädchen aus, machte dem Ärger aber schließlich ein Ende, indem sie Hakuin benannte. Zornig eilten die aufgebrachten Eltern zu dem Meister.
“Ist es so?” Das war alles, was er sagte.

Das Kind wurde geboren und zu Hakuin gebracht, der zu dieser Zeit seinen guten Ruf schon verloren hatte, was ihn aber nicht weiter störte. Rührend sorgte er für das Baby. Ein Jahr später beichtete die reuige Mutter ihren Eltern, daß der echte Vater des Kindes ein junger Mann sei, der auf dem Fischmarkt arbeitet.

Die Eltern eilten sofort zu Hakuin, fragten ihn nach dem Kind und sagten sie wollten es wieder zurück haben.
“Ist es so?” Das war alles, was er sagte, als er ihnen das Kind reichte.

(Aus: Augenblicke der Stille, Worte und Gedanken großer Zen-Meister,
ausgewählt und herausgegeben von Manfred Kluge, 1986, S. 104.)

Mit gleichmüthigen Grüßen, ;-)
Andronikus
Welch ein hervorragender Beitrag zu diesem Thema!
:jump2:
rg​
 
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AW: Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

Ist was dran; es ist vielleicht situationsabhängig, ob man gleichgültig oder gleichmütig ist. Sicher liebt man weder noch achtet man.

LG Zeili

Für mich bedeutet gleichgültig so viel wie "ist mir egal". Gleichmütig hingegen "ist mir nicht egal, aber regt mich nicht auf". :)

lg,
Muzmuz
 
AW: Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

ja, eine schöne Geschichte, wohl war. Nun, zu diesen beiden Begriffen fällt mir ein: Gleichgültigkeit ist die Voraussetzung für Gelassenheit. Gründet sie tief, dann beruht sie auf der festen Überzeugung, dass alles richtig ist, was geschieht, sei es auch scheinbar noch so verwerflich.
 
AW: Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

ja, eine schöne Geschichte, wohl war. Nun, zu diesen beiden Begriffen fällt mir ein: Gleichgültigkeit ist die Voraussetzung für Gelassenheit. Gründet sie tief, dann beruht sie auf der festen Überzeugung, dass alles richtig ist, was geschieht, sei es auch scheinbar noch so verwerflich.

Ich denke, Gelassenheit kann ebenso auf Gleichmut basieren.
 
AW: Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

Ich denke, Gelassenheit kann ebenso auf Gleichmut basieren.

ja, klar. Auf der Erkenntnis, dass die Dinge ihren Lauf nehmen, ob es uns passt oder nicht. Ist Gleichmut denn negativ? Ich will die Welt nicht mehr verbessern. Andere metzeln und übervorteilen weiter, ob mir das passt oder nicht. Wichtig ist nur, dass ich dies für mich ausschließe.
 
AW: Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

ja, klar. Auf der Erkenntnis, dass die Dinge ihren Lauf nehmen, ob es uns passt oder nicht. Ist Gleichmut denn negativ? Ich will die Welt nicht mehr verbessern. Andere metzeln und übervorteilen weiter, ob mir das passt oder nicht. Wichtig ist nur, dass ich dies für mich ausschließe.

Gleichmut oder Gleichgültigkeit an sich sind weder gut noch schlecht, es sind einfach Reaktionen bzw Einstellungen, die (so wie Gefühle) selten, wenn überhaupt, direkt gesetzt werden können. Erst in einem Kontext können sie bewertet werden - was aber durchaus wieder individuell sein kann.

In der obigen Geschichte sind die Meisten wohl geneigt, den gezeigten Gleichmut zu bewundern, also positiv zu bewerten.
Würde hingegen ein Ausländer von einer Horde Skinheads gelyncht, würde gezeigter Gleichmut eines etwaigen Zeugen von den Meisten wohl weniger positiv bewertet werden.

lg,
Muzmuz
 
AW: Gelassenheit vs Gleichgültigkeit, wo ist die Grenze ?

Hallo allerseits!

Unser Bestreben, eine Definition der "Gelassenheit" zu finden und herauszustellen, wo Gelassenheit aufhört und Gleichgültigkeit anfängt, erinnert mich ein wenig an die platonischen Dialoge, in denen Sokrates sich mit seinen Gesprächspartnern bemühte, alle möglichen Tugenden, wie Tapferkeit oder Besonnenheit zu definieren.

Leider habe ich keine brauchbare Definition und kann daher nur an Beispielen demonstrieren, was ich mir unter dieser Eigenschaft denke. Allerdings würden wir damit den Standpunkt der Allgemeinheit verlassen und uns auf das Besondere und Einzelne beschränken, weshalb dieser Weg uns nicht zum Ziel führen wird, obgleich er ein Anfang ist. Schließlich geht es ja darum, im Einzelnen das Ganze, im Besonderen das Allgemeine zu erkennen.

Folgendes stelle ich mir unter dem schwankenden Begriff "Gelassenheit" vor:

Es hat etwas mit Erkenntnis zu tun, vielleicht sogar mit Weisheit. Ich würde behaupten, dass Gelassenheit aus der Kenntnis der Dinge im Ganzen und Allgemeinen hervorgeht, die den Menschen so durchdrungen hat, dass diese nun auch auf sein Handeln übergreift. Ein gelassener Mensch scheint mir einer zu sein, welcher weiß, was in seiner Macht liegt und was nicht. Er hat seine Stellung im großen Kreislauf der Natur erkannt und versucht nun, sein Schicksal dem Weltlauf anzupassen.

Ich möchte meine Gedanken an der oben zitierten Anekdote verdeutlichen:

Meister Hakuin hat in dem Moment, in welchem er von seiner vermeintlichen Vaterschaft erfahren hatte, intuitiv richtig gehandelt. Anstatt sich heftig gegen die Verleudmung zur Wehr zu setzen, wie es wohl jeder "gewöhnliche" Mensch getan hätte, alles abzustreiten und zu leugnen und sich mit den Eltern des Mädchens in einen herabwürdigenden Streit einzulassen, in krampfhafter Sorge um den Ruf, der wegen dieses Vorfalls Schaden zu nehmen drohte, erkannte er sofort folgende Dinge:

1.) es ist EGAL, wer der Vater dieses Kindes und woher ihm diese Verleumdung enstanden ist. Das Kind braucht jemanden, der sich um es kümmert und ihm ein guter Vater ist.
2.) es ist EGAL, was die Leute über Hakuin denken mögen. Er selbst weiß nämlich, dass er sein Gelübde nicht gebrochen hat und sich eines Tages vielleicht alles von selbst aufklären würde, was ja nach einem Jahr auch geschah.

Seneca schrieb einst über das Schicksal: "Den Willigen führt es, den Unwilligen schleift es mit."
Hakuin schien wohl die Schicksalhaftigkeit alles dessen, was geschieht, geschah und noch geschehen wird, eingesehen und sich willig der Notwendigkeit alles Geschehenden unterworfen zu haben.
Ich würde also Gelassenheit als jene Haltung definieren, aus der heraus man das Angemessene tut, und zwar nicht überhastet, sondern überlegt und ruhig.

Der Gleichgültige hätte in einer solchen Situation definitiv anders reagiert. Er würde sich nicht um das Kind gekümmert haben, dass ihm ja "egal" gewesen wäre. Zwar hätte wohl auch er sich nicht um die Meinung anderer über ihn bekümmert, aber es wäre doch etwas Anderes gewesen als beim Gleichmütigen.

Um die Handlungen eines Menschen in korrekter Weise beurteilen zu können, bedarf es nicht nur der Kenntnis dessen, was er getan, sondern auch der Motive, aus welchen heraus er gehandelt hat. Erst wenn man über beides Bescheid weiß (Motiv + Handlung) lässt sich der Charakter eines Menschen beurteilen. Ein und dieselbe Handlung kann aus Gleichgültigkeit oder aus Gelassenheit vollbracht werden, immer hängt es von der Absicht und inneren Haltung des Handelnden ab.

Ich hoffe, ich konnte ein wenig Licht in die Sache bringen! :-)

Beste Grüße,
Andronikus

Der nächste hervorragende Beitrag in diesem Thread.
Allerdings bin ich :jump2: froh, dass ich am jüngsten Tag nur danach gefragt werde, was ich getan habe und damit meine innere Haltung völlig wurscht ist.
:trommel:
rg​
 
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