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Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Hallo Zeili,

weil Ostern vor der Tür steht, erlaube ich mir, den Osterspaziergang aus "Faust" vorzuziehen:

Faust:

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes:

Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;

Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.

Aus dem hohlen finstren Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

Denn sie sind selber auferstanden
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit' und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet groß und klein.
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!

Frohe Ostern wünscht allen Usern

Hartmut
 
Zuletzt bearbeitet:
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AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Danke, Hartmut,
daß Du den Osterspaziergang hier reingemogelt hast. Hatte heute früh beim Schnee-vom-Bürgersteig-schieben die alte Einprägung zur Hälfte (Anfang) in Erinnerung und konnte damit sogar den Nachbarn ein wenig trösten, der scheinbar die Rückkehr des Winters fürchtete. Die paar Zeilen sind irgendwie den Ostertagen/dem Frühlingsanfang eingeprägt und mir jedes Jahr neu aufgefrischt erscheinend. Das verstaubt nicht so leicht.

Und selbstverständlich Dank Dir, Zeili,
daß Du bei der vorgebenen Linie nach eigener Vorgabe bleibst, aber die Ausnahme von der Regel so entgegenkommend akzeptierst.

"Frohe Ostern!"
 
AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Hallo !

Weiter geht's. Letzter chronologischer Original-Text war Beitrag Nr. 40.
----------------------------------------------------------
Dichter:
Geh hin und such Dir einen andern Knecht !
Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen !
Wodurch bewegt er alle Herzen ?
Wodurch besiegt er jedes Element ?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt ?
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge,
Verdrießlich durcheinander klingt;
Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt ?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden schlägt ?
Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten ?
Das Abendrot im ernsten Sinne glühn ?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten,
Auf der Geliebten Pfade hin ?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art ?
Wer sichert den Olymp, vereinet Götter ?
Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
-----------------------------------------------------------
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
.........
.........
Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt ?
Was meint Goethe damit ? Hat wer eine Auslegung ?

Ansonsten m.E. ein flammendes Plädoyer für die Dichtkunst.

Liebe Grüße

Zeili
 
AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Geh hin und such Dir einen andern Knecht !
Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen !
Wodurch bewegt er alle Herzen ?
Wodurch besiegt er jedes Element ?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt ?
Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge,
Verdrießlich durcheinander klingt;
Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt ?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden schlägt ?
Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten ?
Das Abendrot im ernsten Sinne glühn ?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten,
Auf der Geliebten Pfade hin ?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art ?
Wer sichert den Olymp, vereinet Götter ?
Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.

Es ist eine Idee des Konstruktivismus, dass jeder Mensch für sich die Wahrnehmungen, die er hat, zu unterscheiden beginnt. Die Ordnung ist demnach nicht in der Welt, sondern in unserem Kopf. Z.B. ist mit keiner objektiven Messung jemals der exakte Unterschied zwischen hell und dunkel zu ermessen.

Hier spricht Goethe von der "ewigen Länge des Fadens, den die Natur gleichgültig auf die Spindel zwingt". Er meint damit die Geschichte, die niemals endet, und die von Natur aus unterschiedslos ist.

Erst der Dichter teilt die "fließend immer gleiche Reihe belebend ab": er trifft Unterscheidungen, er bringt ein Muster aus "rhythmischen" "Akkorden" in das Einerlei von allem, er erhebt "Unbedeutendes" zu Wichtigem, er gibt den Dingen Bedeutung.

Es ist die "Kraft des Menschen", die sich "im Dichter offenbart". Seine konstruktivistische Kraft, mit der er sich ein Bild von der Welt macht.

Jeder macht sich sein Bild. Der Dichter macht ein erhebendes, wohlklingendes Bild, in dem er sogar "die Götter vereint".

Goethe beschreibt hier sich selbst und seinen Beruf. Doch welchen Sinn hat es, von der Welt ein erhebendes, wohlklingendes Bild zu konstruieren und es niederzuschreiben?

"Er bewegt damit die Herzen, besiegt jedes Element." Der Sinn nach Goethe ist, damit die Bedeutungslosigkeit zu bekämpfen. Die des Dichters, der die Herzen bewegt, und die des Menschen, der die Natur besiegt.

lg Frankie
 
AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Danke, frankie, für Deinen Beitrag Nr. 46.

Liebe Grüße

Zeili
 
AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Goethe beschreibt hier sich selbst und seinen Beruf. Doch welchen Sinn hat es, von der Welt ein erhebendes, wohlklingendes Bild zu konstruieren und es niederzuschreiben?
Den, dass verzagende Menschen wieder Mut zum und Freude am Leben schöpfen.

Liebe Grüße

Zeili
 
AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Den, dass verzagende Menschen wieder Mut zum und Freude am Leben schöpfen.

Liebe Grüße

Zeili

Finde es hervorragend, wie frankie das zusammenfaßt. Ein Schuß in`s Schwarze nach meinem Sinn.
Und zu der Frage nach dem Sinn dachte ich spontan an Vor-Bilder, die konstruiert, geschaffen, erdichtet werden,

und als zweites dann dachte ich wie Zeili an "Freude zu leben und Mut", eine dieser Zauberformeln.
Mir hat allein diese Zeile oft geholfen.

Und für Zeili nun ergänzend die Schlußzeilen aus Pilgers Morgenlied:

"...
Doppeltes Leben,
Freude zu leben,
Und Mut."
 
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AW: Faust, der Tragödie Erster Teil, was blieb ?

Allein, wenn man bedenkt, dass der Konstruktivismus eine Erscheinung des 20. Jhdts. ist, die sich erst langsam in unsere modernen Gehirne frisst, und dass Goethe seine Zeilen so ab 1790 geschrieben hat, gibt mir das sehr zu denken.

Goethe war offenbar kein Trottel.

lg Frankie
 
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