AW: Es war einmal ein Bischof.......
Eine funktionierende Wirtschaft bildet die Grundlage eines funktionierenden Staates. Was sind die Voraussetzungen und welche Rolle nimmt hier die Religion ein?
Religion kann eine stabilisierende Funktion ausüben, muss es aber nicht. Historisch wurde sie immer benutzt, um die Menschen zu steuern und zu disziplinieren, was heute nur noch bedingt funktioniert. Unser Gesellschaftsmodell billigt ihr offiziell nur noch perönliche Orientierungszwecke zu und hat deshalb große Probleme mit dem Islam, der sich eben nicht als Privatangelegenheit versteht, sondern gesellschaftspolitische Dominanz in Monokultur anstrebt. Gilt bei uns das Laizismusprinzip offiziell als selbstverständlich, so sind beide Organisationen dennoch immer fest miteinander verflochten, ganz besonders, wenn es ums Geld und die Macht geht, denn beide brauchen die dummen Bürger, um sich über sie zu erheben. Die Hauptaufgaben der Religionen sind dabei, Gemeinschaften zu bilden, sowie Halt und Trost zu spenden, wenn die Politik die Völker wieder einmal ins Verderben führt. Wenigstens bei uns ist die Zeit der "heiligen Kriege" vorbei, für andere Kulturen aber noch nicht.
Menschen müssen respektvoll miteinander umgehen und die religiöse Praxis kann dies befördern. Ich glaube, dass derzeit viele Menschen ohne religiöse Heimat sind, sie sind religiös nicht verortet, haben keine Orientierung an dem, was für sie heilsam sein kann. Religion verstanden nicht im alltäglichen Sinn, sondern die Begegnung mit dem, was für einen selbst heilsam sein kann.
Menschen müssen eben nicht respektvoll miteinander umgehen, das sehen wir doch jeden Tag. Sie sollten es tun, ja. Aber dazu ist ein bestimmtes Maß an persönlicher Reife notwendig und ein Mindestmaß an gerechter Verteilung der Ressourcen und Chancen. Beides ist heute nicht mehr der Fall. Richtig, die Orientierung an Werten, die einem besseren Leben dienlich sind, ist sinnvoll. Ein in der Schule eingetrichtertes Religionsmodell hilft da wenig. Erst, wenn es durch eigene Erfahrungen und Erkenntnisse verinnerlicht wurde, kann es individuell und kollektiv von Vorteil sein. Es kann aber auch das Gegenteil bewirken.
Viele verbinden mit dem Begriff "Christlich" eine Vorstellung von Satan verkleidet mit einem Schafskostüm, das hat seine Gründe und wirkt sich so aus, dass kirchliche Funktionäre in diesem Fall nicht mehr ernst genommen werden (können), weshalb in der Wahrnehmung die Rolle der Kirche im gesamtgesellschaftlichen Kontext eine sehr Untergeordnete sein kann.
ach, ich weiß nicht. Kirche wird heute oft als eine verkrustete Institution wahrgenommen, betrieben von abgehobenen Funktionären, eben nicht als einen Ort Gemeinschaft und Geborgenheit. Nach dem Exodus der vielen
Pro forma Gläubigen, die noch vor wenigen Jahrzehnten praktisch jede Kirche regelmäßig füllten, erlebe ich sie heute viel lebendiger, als damals. Vor nicht allzu langer Zeit wurde unser Stadtpfarrer zum Bischof geweiht, ich sah es im Fernsehen und war mir sicher, er passt hundertprozentig in dieses Gewand. Er war vollkommen locker und authentisch. Der Herr, um den es hier geht, spielt die Rolle nur, er ist es nicht wirklich - ich hoffe, du verstehst, was ich meine: er verkörpert die alte, selbstverliebte Kirche, der es hauptsächlich um die Kirche geht, sehr viele Geistliche sind aber mittlerweile an den Menschen orientiert.
Als ich aufwuchs, waren wir eine homogene Gesellschaft, inzwischen sind wir ein zusammengewürfelter Haufen mit vielen Menschen aus aller Welt. Wir waren damals vor allem Deutsche. Und heute? Das Land, in dem ich aufwuchs, gibt es nicht mehr. Hier betreibt das internationale Großkapital eine Kommune und sucht sich das Personal nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammen. Eine Nation sind wir längst nicht mehr, vorbei. Was bleibt, ist die religiöse Gemeinschaft, die Orientierung an christlichen Werten, zu denen ich mich aus Überzeugung bekenne.