Jacques
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Freuds Kinder - Kinder der Freude?
Diese These ist faszinierend, ohne Frage. Schliesslich finden sich diese Prämissen in der Psychoanalyse wieder, von der sie wohl stammen.
Hier ein Auszug aus der „Traumdeutung“ (1900) Freuds aus Kapitel VII (Zur Psychologie der Traumvorgänge), Unterkapitel C. (Zur Wunscherfüllung), falls du den Kontext nachlesen möchtest. Nach der Lektüre dieses Abschnitts müsste es dir wie Schuppen von den Augen fallen.
Die Beschreibung dieses „primitiven“ psychischen Apparats wird natürlich von der Beschreibung einer Beschränkung dieses Apparats abgelöst. Es ist klar, dass diese Halluzination allein das Bedürfnis letztendlich nicht befriedigen kann. Die Befriedigung dauert nämlich nicht an, da die Herstellung der „Wahrnehmungsidentität im Innern des Apparats“ nicht der Besetzung derselben Wahrnehmung „von außen her“ entspricht (in dem Fall: Man hat immer wieder von neuem Hunger). Freud muss also einen zweites Moment annehmen, eine „bittere Lebenserfahrung“, die die „primitive Denktätigkeit“ zu einer „zweckmäßigeren, sekundären, modifiziert haben“ wird. Das Denken wird selbst „Ersatz des halluzinatorischen Wunsches“.
Man kann also schön sehen, dass die Entbindung vom Mutterleib den Säugling aus einem perfekten Zustand reisst, der ihn alsbald mit der „Not des Lebens“ konfrontiert. Die Halluzination ist also Grund dafür, dass immer wieder von neuem die Qual des Mangels vergessen werden kann. Die Wahrnehmungsidentität tröstet den leidenden Menschen über seinen Mangel hinweg, was aber nicht lange hinhalten kann, da ansonsten der Organismus in der permanenten Halluzination verharrte und stürbe, würde die Arbeit des „primitiven“ Apparats nicht immer wieder beschränkt. Der Hunger muss immer wieder jenseits der Halluzination gestillt werden. Dieses Problem kann man natürlich auch auf den Bereich der Sexualität übertragen, es lässt sich analog denken. Es ist kein Zufall, dass der Ödipuskomplex in der „Traumdeutung“ eine sehr wichtige Rolle spielt. Er folgt genau demselben Prinzip, das ich jetzt nicht auch noch ausführe.
Eine kleine Anmerkung am Rande: Interessant ist, dass das Denken den halluzinatorischen Wunsch ersetzt. Es wird unterstellt, zum Element des Denkens komme die Erfahrung hinzu, dass die Halluzination alleine nicht der Realität entspräche. Dennoch aber ist die Halluzination das Telos und also die Triebkraft des Wunsches. Wenn also das Denken von der Halluzination abhängt, lässt sich nicht entscheiden, ob das die „bittere Erfahrung“ verursachende nicht in der Halluzination selbst begründet liegt, ob das „außen“ als Vorstellung nicht halluziniert ist und die Realität, die durch diese Erfahrung erzeugt würde, unabhängig von der Halluzination Bestand hätte. Die Psychoanalyse selbst und ihre Theoreme würden dann nur bestätigt, wenn sie verworfen würden, denn sie dürften nicht befriedigen. Wenn nämlich die Möglichkeit bestünde, dass die Psychoanalyse ein halluzinierter Wunsch ist, wären ihre Beständigkeit und der Zustand der Befriedigung durch ihre Theoreme gefährlich. Die Psychoanalyse funktioniert über eine (dialektische) Aufhebung: Das Negative (der Zustand des Mangels) muss negiert werden (durch die Schaffung von Wahrnehmungsidentität), um den Zustand der Realität erzeugen zu können (der wiederum befugt ist, die Wahrnehmungsidentität zu regulieren). Aufgehoben werden soll über die Realität die Realität des halluzinierten Wunsches, der als Ursache dieser reinen Realität fungieren muss. Eine Ursache, die die Psychoanalyse immer wieder von neuem verdrängen muss, will sie Entscheidungsgewalt über Gesundheit und Krankheit halten und also sich selbst am Leben halten. Dieser Stillstand, der mit der Aufhebung eingesetzt wird, macht die Psychoanalyse zu einer scheinbar befriedigenden Theorie, die selbst nur auf Kosten der Unterminierung ihres Grundes – des halluzinierten Wunsches – real ist. Würde sie verworfen und also bestätigt, müsste sie sich selbst in den Wahnsinn begeben…
Mariana schrieb:Das ist ja sehr interessant, kannst du mir diese These vielleicht etwas näher erläutern?
Diese These ist faszinierend, ohne Frage. Schliesslich finden sich diese Prämissen in der Psychoanalyse wieder, von der sie wohl stammen.
Hier ein Auszug aus der „Traumdeutung“ (1900) Freuds aus Kapitel VII (Zur Psychologie der Traumvorgänge), Unterkapitel C. (Zur Wunscherfüllung), falls du den Kontext nachlesen möchtest. Nach der Lektüre dieses Abschnitts müsste es dir wie Schuppen von den Augen fallen.
Wir zweifeln nicht daran, daß auch dieser [psychische, J.] Apparat seine heutige Vollkommenheit erst über den Weg einer langen Entwicklung erreicht hat. Versuchen wir es, ihn in eine Frühere Stufe seiner Leistungsfähigkeit zurückzuversetzen. Anderswie zu begründende Annahmen sagen uns, daß der Apparat zunächst dem Bestreben folgte, sich möglichst reizlos zu erhalten, und darum in seinem ersten Aufbau das Schema des Reflexapparats annahm, das ihm gestattete, eine von außen an ihn anlangende sensible Erregung alsbald auf motorischem Weg abzuführen. Aber die Not des Lebens stört diese einfache Funktion; ihr verdankt der Apparat auch den Anstoß zur weiteren Ausbildung. In der Form der großen Körperbedürfnisse tritt die Not des Lebens zuerst an ihn heran. Die durch das innere Bedürfnis gesetzte Erregung wird sich einen Abluß in die Motilität suchen, die man als „Innere Verdrängung“ oder als „Ausdruck der Gemütsbewegung“ bezeichnen kann. Das hungrige Kind wird hilflos schreien oder zappeln. Die Situation bleibt aber unverändert, denn die vom inneren Bedürfnis ausgehende Erregung entspricht nicht einer momentan stoßenden, sondern einer kontinuierlich wirkenden Kraft. Eine Wendung kann erst eintreten, wenn auf irgendeinem Wege, beim Kinde durch fremde Hilfeleistung, die Erfahrung des Befriedigungserlebnisses gemacht wird, das den inneren Reiz aufhebt. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Erlebnisses ist das Erscheinen einer gewissen Wahrnehmung (der Nahrung zum Beispiel), deren Erinnerungsbild von jetzt an mit der Gedächtnisspur der Bedürfniserregung assoziiert bleibt. Sobald die Bedürfnis ein nächstes Mal auftritt, wird sich, dank der hergestellten Verknüpfung, eine psychische Regung ergeben, welche das Erinnerungsbild jener Wahrnehmung wieder besetzen und die Wahrnehmung selbst wieder hervorrufen, also eigentlich die Situation der der ersten Befriedigung wieder herstellen will. Eine solche Regung ist das, was wir einen Wunsch heißen; das Wiedererscheinen der Wahrnehmung ist die Wunscherfüllung, und die volle Besetzung der Wahrnehmung von der Bedürfniserregung her der kürzeste Weg zur Wunscherfüllung. Es hindert uns nichts, einen primitiven Zustand des psychischen Apparats anzunehmen, in dem dieser Weg wirklich so begangen wird, das Wünschen also in ein Halluzinieren ausläuft. Diese erste psychische Tätigkeit zielt also auf eine Wahrnehmungsidentität, nämlich auf die Wiederholung jener Wahrnehmung, welche mit der Befriedigung des Bedürfnisses verknüpft ist.
Die Beschreibung dieses „primitiven“ psychischen Apparats wird natürlich von der Beschreibung einer Beschränkung dieses Apparats abgelöst. Es ist klar, dass diese Halluzination allein das Bedürfnis letztendlich nicht befriedigen kann. Die Befriedigung dauert nämlich nicht an, da die Herstellung der „Wahrnehmungsidentität im Innern des Apparats“ nicht der Besetzung derselben Wahrnehmung „von außen her“ entspricht (in dem Fall: Man hat immer wieder von neuem Hunger). Freud muss also einen zweites Moment annehmen, eine „bittere Lebenserfahrung“, die die „primitive Denktätigkeit“ zu einer „zweckmäßigeren, sekundären, modifiziert haben“ wird. Das Denken wird selbst „Ersatz des halluzinatorischen Wunsches“.
Man kann also schön sehen, dass die Entbindung vom Mutterleib den Säugling aus einem perfekten Zustand reisst, der ihn alsbald mit der „Not des Lebens“ konfrontiert. Die Halluzination ist also Grund dafür, dass immer wieder von neuem die Qual des Mangels vergessen werden kann. Die Wahrnehmungsidentität tröstet den leidenden Menschen über seinen Mangel hinweg, was aber nicht lange hinhalten kann, da ansonsten der Organismus in der permanenten Halluzination verharrte und stürbe, würde die Arbeit des „primitiven“ Apparats nicht immer wieder beschränkt. Der Hunger muss immer wieder jenseits der Halluzination gestillt werden. Dieses Problem kann man natürlich auch auf den Bereich der Sexualität übertragen, es lässt sich analog denken. Es ist kein Zufall, dass der Ödipuskomplex in der „Traumdeutung“ eine sehr wichtige Rolle spielt. Er folgt genau demselben Prinzip, das ich jetzt nicht auch noch ausführe.
Eine kleine Anmerkung am Rande: Interessant ist, dass das Denken den halluzinatorischen Wunsch ersetzt. Es wird unterstellt, zum Element des Denkens komme die Erfahrung hinzu, dass die Halluzination alleine nicht der Realität entspräche. Dennoch aber ist die Halluzination das Telos und also die Triebkraft des Wunsches. Wenn also das Denken von der Halluzination abhängt, lässt sich nicht entscheiden, ob das die „bittere Erfahrung“ verursachende nicht in der Halluzination selbst begründet liegt, ob das „außen“ als Vorstellung nicht halluziniert ist und die Realität, die durch diese Erfahrung erzeugt würde, unabhängig von der Halluzination Bestand hätte. Die Psychoanalyse selbst und ihre Theoreme würden dann nur bestätigt, wenn sie verworfen würden, denn sie dürften nicht befriedigen. Wenn nämlich die Möglichkeit bestünde, dass die Psychoanalyse ein halluzinierter Wunsch ist, wären ihre Beständigkeit und der Zustand der Befriedigung durch ihre Theoreme gefährlich. Die Psychoanalyse funktioniert über eine (dialektische) Aufhebung: Das Negative (der Zustand des Mangels) muss negiert werden (durch die Schaffung von Wahrnehmungsidentität), um den Zustand der Realität erzeugen zu können (der wiederum befugt ist, die Wahrnehmungsidentität zu regulieren). Aufgehoben werden soll über die Realität die Realität des halluzinierten Wunsches, der als Ursache dieser reinen Realität fungieren muss. Eine Ursache, die die Psychoanalyse immer wieder von neuem verdrängen muss, will sie Entscheidungsgewalt über Gesundheit und Krankheit halten und also sich selbst am Leben halten. Dieser Stillstand, der mit der Aufhebung eingesetzt wird, macht die Psychoanalyse zu einer scheinbar befriedigenden Theorie, die selbst nur auf Kosten der Unterminierung ihres Grundes – des halluzinierten Wunsches – real ist. Würde sie verworfen und also bestätigt, müsste sie sich selbst in den Wahnsinn begeben…