Ich hatte mich in dem Thread über das Ende der Aufklärung über den ersten Artikel unseres Grundgesetzes ausgelassen, denke aber dass das Thema dort eigentlich nicht wirklich hingehört und es andererseits durchaus mal einer getrennten Betrachtung bedarf.
In unserem GG ist die Würde des Menschen als unantastbar definiert. Diesen Artikel kritisiere ich, ich finde ihn schlecht. Ich will das einmal eingehender erläutern.
Zunächst sollte man sich in Erinnerung rufen, was die Intention der Gründerväter (es waren eigentlich keine, aber der Begriff hat sich eingebürgert, daher bleibe ich dabei) bei diesem Artikel war. Die Intention ist recht einfach erklärt, der Artikel wurde vor dem Hintergrund des Holocaust verfasst. Nie wieder sollte in Deutschland ein derartiges Massaker mehr stattfinden. Vollste Zustimmung.
Wer aber war der Adressat des ersten Artikels? Die Bürger oder der Staat? In dem o.g. Thread wurde mir entgegengehalten, der Adressat sei der Bürger. Ich verneinte das und will es hier genauer begründen. Dazu sollte man sich genau fragen, wer konkret den Holocaust verursacht hat (hervorgehoben, weil ich NICHT verübt meine!). Nun, diese Frage ist schnell beantwortet: der deutsche Staat hat den Holocaust verursacht. Period.
Somit beantwortet sich die Frage nach dem Adressaten des ersten Artikels: es ist der Staat, damit sollte verhindert werden, dass jemals wieder ein Staat solche Grausamkeiten verursacht. Deutlich wird diese Intention vor allem auch dadurch, dass es sich dabei um ein Grundrecht handelt und ein Grundrecht, wie alle Bürgerrechte, sind Rechte des Bürgers gegen den Staat, wie ich bereits erwähnte. Jeder Verfassungsrechtler wird das bestätigen.
Im Laufe der Zeit hat sich dieser erste Artikel aber in Deutschland zu einer Art "Heiligen Kuh" verwandelt. Praktisch jedermann hält diesen Artikel für eine gute Sache. Von der Intention des Artikels her betrachtet IST er auch eine gute Sache. Aber ebendiese Intention spielt heute keine Rolle mehr, wie ich zeigen werde.
Man muss sich bei Verfassungsartikeln immer anschauen, welche konkreten Auswirkungen sie in der realen Gesetzgebung und in der juristischen Praxis haben. Im Falle des ersten Artikels kann man die Auswirkungen sehr leicht ausmachen.
Da stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es mir erlaubt ist, mich auf die Strasse zu stellen und zu sagen "Schäuble ist ein Nazischwein". Laut dem dritten Artikel ist es mir erlaubt, aber der erste Artikel verbietet es mir. Auf dem ersten Artikel beruht nämlich der Straftatbestand der Beleidigung und da der dritte Artikel einschränkbar ist, schränkt dieser Straftatbestand ihn also ein, woraus folgt, dass ich bei einem Spruch dieser Art angeklagt werden kann. Von zivilrechtlichen Folgen wollen wir hier gar nicht erst reden.
Aufgrund dieses einen Straftatbestandes, der eindeutig auf dem ersten Artikel beruht, sind in den letzten Jahrzehnten zigtausende Prozesse geführt worden. Aufgrund dieses Artikels kann ein Journalist von einem Politiker vor den Kadi zitiert werden, aufgrund dieses Artikels kann ein Bürgerrechtler bei einer Demo verhaftet werden.
Neben der juristischen und staatsrechtlichen Auffassung vom ersten Artikel, der wie wir sehen, nicht mehr als die Würde des einfachen Bürgers, sondern als die Ehrwürde hoher Tiere betrachtet wird, muss man sich weiters die Realität des gesellschaftlichen Lebens in unserem Lande anschauen. Was sehen wir da:
- Ausländer werden oft mit fadenscheinigen Gründen ausgewiesen, selbst hier geborene Jugendliche werden ausgewiesen, in Länder deren Kultur und Sprache sie nicht verstehen.
- Bürgerrechtler werden bei Demonstrationen von der Polizei verprügelt, mit Pfefferspray und Wasserwerfern terrorisiert, die Täter solcher offensichtlicher Straftaten kommen davon, weil sie anonym auftreten dürfen (wohl auch wegen der "Menschenwürde")
- Arbeitslose werden wie Aussätzige behandelt, schikaniert, Leistungen werden beim geringsten Widerspruch gekürzt oder gar gestrichen.
- wenn man als Ottonormalbürger irgendwas von einer Behörde will, wird man wie ein niedriger Bittsteller, wie ein Leibeigener ohne irgendwelche Rechte behandelt. Oft genug kann man sein Recht gegenüber Behörden nur gerichtlich durchsetzen.
Es gäbe hunderte weiterer Beispiele, das ginge hier aber zuweit, der Punkt dürfte klar sein.
Wie behandelt uns der Staat also? Wie Menschen, die eine Würde haben? Mitnichten! Der Staat misachtet die sogenannte unantastbare Menschenwürde tagtäglich ich zigtausenden von Fällen. Meistens ungestraft.
Mein Fazit: wenn es überhaupt jemals tatsächlich dazu kommen sollte, dass wir in Deutschland mal eine eigene Verfassung bekommen, die den Namen verdient, dann sollte diese meiner Meinung nach einen solchen Artikel gar nicht enthalten.
Zum Schluss sei mir noch ein kurzer Blick in die USA vergönnt, gegen die unsere Verfassung ein steinzeitliches Relikt ist, meiner Meinung nach jedenfalls. Gitb es in der USA ein Äquivalenz unseres ersten Artikels? Nein! In der Bill of Rights sind eine Menge Bürgerrechte definiert, nicht eines davon behandelt so etwas wie die Menschenwürde.
Und ist das Land deswegen untergegangen? Nein. Nun wird man einwenden können, dass die Bürger in den USA von den Behörden auch nicht viel besser als hier behandelt werden. Ja und nein. Zum einen hat man dort mehr Möglichkeiten sein Recht durchzuzsetzen. Zum anderen zeugt so ein Gegenargument von einer gewissen - aber verzeihlichen - Unwissenheit der amerikanischen Innenpolitik, hinzu kommt dass es bei uns so einen Artikel zwar gibt, der Staat sich aber nicht daran hält, was auf das gleiche hinausläuft.
Ich erwähnte woanders schonmal ein paar Details dazu, ich wiederhole es hier aber trotzdem nochmal: in den Counties werden die Sherriffs von den Bürgern gewählt. Verhält sich ein Sherriff den Bürgern gegenüber mies, wird er halt abgewählt - von den Bürgern! Ein solches Maß an Demokratie ist bei uns undenkbar, daher der Vorwurf der Steinzeitlichkeit der Zustände hierzulande.
Und was ist mit der Meinungsfreiheit in den USA? Nun, kurz gefasst, in den USA könnte ich mich ungestraft hinstellen und laut schreien "Bush ist ein Nazischwein" und keinen würde es kratzen. Und tatsächlich tun das viele Leute, einfach mal nach "Bush Nazi" googeln, da finden sich tausende Beispiele.
Die heilige Kuh der Bürger der USA ist die Meinungsfreiheit. Keine Freiheit ist wichtiger als diese. DIe Meinungsfreiheit ist sogar noch wichtiger als das Recht zu leben überhaupt. Dort ist die Meinungsfreiheit unantastbar. Und warum? Weil die amerikanischen Gründerväter (DAS waren Gründerväter!) erkannt haben, dass eine freiheitliche Demokratie mit dem Grad an Meinungsfreiheit steht und fällt. Erst wenn es dem Bürger erlaubt ist, ALLES zu sagen ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen, erst dann wird es möglich einen Staat und die Politiker gnadenlos zu kritisieren. Und erst wenn das möglich ist, verdient so ein Staat die Bezeichnung Demokratie.
Hierzulande ist das völlig undenkbar. Und aus diesem Grunde leben wir hier eigenlich auch nicht wirklich in einer freiheitlichen Demokratie. Viele bezeichnen unser politisches System eher als Demokratur, das beschreibt es wesentlich treffender.
So, ich habe fertig
lieben Gruss, xcrypto
In unserem GG ist die Würde des Menschen als unantastbar definiert. Diesen Artikel kritisiere ich, ich finde ihn schlecht. Ich will das einmal eingehender erläutern.
Zunächst sollte man sich in Erinnerung rufen, was die Intention der Gründerväter (es waren eigentlich keine, aber der Begriff hat sich eingebürgert, daher bleibe ich dabei) bei diesem Artikel war. Die Intention ist recht einfach erklärt, der Artikel wurde vor dem Hintergrund des Holocaust verfasst. Nie wieder sollte in Deutschland ein derartiges Massaker mehr stattfinden. Vollste Zustimmung.
Wer aber war der Adressat des ersten Artikels? Die Bürger oder der Staat? In dem o.g. Thread wurde mir entgegengehalten, der Adressat sei der Bürger. Ich verneinte das und will es hier genauer begründen. Dazu sollte man sich genau fragen, wer konkret den Holocaust verursacht hat (hervorgehoben, weil ich NICHT verübt meine!). Nun, diese Frage ist schnell beantwortet: der deutsche Staat hat den Holocaust verursacht. Period.
Somit beantwortet sich die Frage nach dem Adressaten des ersten Artikels: es ist der Staat, damit sollte verhindert werden, dass jemals wieder ein Staat solche Grausamkeiten verursacht. Deutlich wird diese Intention vor allem auch dadurch, dass es sich dabei um ein Grundrecht handelt und ein Grundrecht, wie alle Bürgerrechte, sind Rechte des Bürgers gegen den Staat, wie ich bereits erwähnte. Jeder Verfassungsrechtler wird das bestätigen.
Im Laufe der Zeit hat sich dieser erste Artikel aber in Deutschland zu einer Art "Heiligen Kuh" verwandelt. Praktisch jedermann hält diesen Artikel für eine gute Sache. Von der Intention des Artikels her betrachtet IST er auch eine gute Sache. Aber ebendiese Intention spielt heute keine Rolle mehr, wie ich zeigen werde.
Man muss sich bei Verfassungsartikeln immer anschauen, welche konkreten Auswirkungen sie in der realen Gesetzgebung und in der juristischen Praxis haben. Im Falle des ersten Artikels kann man die Auswirkungen sehr leicht ausmachen.
Da stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es mir erlaubt ist, mich auf die Strasse zu stellen und zu sagen "Schäuble ist ein Nazischwein". Laut dem dritten Artikel ist es mir erlaubt, aber der erste Artikel verbietet es mir. Auf dem ersten Artikel beruht nämlich der Straftatbestand der Beleidigung und da der dritte Artikel einschränkbar ist, schränkt dieser Straftatbestand ihn also ein, woraus folgt, dass ich bei einem Spruch dieser Art angeklagt werden kann. Von zivilrechtlichen Folgen wollen wir hier gar nicht erst reden.
Aufgrund dieses einen Straftatbestandes, der eindeutig auf dem ersten Artikel beruht, sind in den letzten Jahrzehnten zigtausende Prozesse geführt worden. Aufgrund dieses Artikels kann ein Journalist von einem Politiker vor den Kadi zitiert werden, aufgrund dieses Artikels kann ein Bürgerrechtler bei einer Demo verhaftet werden.
Neben der juristischen und staatsrechtlichen Auffassung vom ersten Artikel, der wie wir sehen, nicht mehr als die Würde des einfachen Bürgers, sondern als die Ehrwürde hoher Tiere betrachtet wird, muss man sich weiters die Realität des gesellschaftlichen Lebens in unserem Lande anschauen. Was sehen wir da:
- Ausländer werden oft mit fadenscheinigen Gründen ausgewiesen, selbst hier geborene Jugendliche werden ausgewiesen, in Länder deren Kultur und Sprache sie nicht verstehen.
- Bürgerrechtler werden bei Demonstrationen von der Polizei verprügelt, mit Pfefferspray und Wasserwerfern terrorisiert, die Täter solcher offensichtlicher Straftaten kommen davon, weil sie anonym auftreten dürfen (wohl auch wegen der "Menschenwürde")
- Arbeitslose werden wie Aussätzige behandelt, schikaniert, Leistungen werden beim geringsten Widerspruch gekürzt oder gar gestrichen.
- wenn man als Ottonormalbürger irgendwas von einer Behörde will, wird man wie ein niedriger Bittsteller, wie ein Leibeigener ohne irgendwelche Rechte behandelt. Oft genug kann man sein Recht gegenüber Behörden nur gerichtlich durchsetzen.
Es gäbe hunderte weiterer Beispiele, das ginge hier aber zuweit, der Punkt dürfte klar sein.
Wie behandelt uns der Staat also? Wie Menschen, die eine Würde haben? Mitnichten! Der Staat misachtet die sogenannte unantastbare Menschenwürde tagtäglich ich zigtausenden von Fällen. Meistens ungestraft.
Mein Fazit: wenn es überhaupt jemals tatsächlich dazu kommen sollte, dass wir in Deutschland mal eine eigene Verfassung bekommen, die den Namen verdient, dann sollte diese meiner Meinung nach einen solchen Artikel gar nicht enthalten.
Zum Schluss sei mir noch ein kurzer Blick in die USA vergönnt, gegen die unsere Verfassung ein steinzeitliches Relikt ist, meiner Meinung nach jedenfalls. Gitb es in der USA ein Äquivalenz unseres ersten Artikels? Nein! In der Bill of Rights sind eine Menge Bürgerrechte definiert, nicht eines davon behandelt so etwas wie die Menschenwürde.
Und ist das Land deswegen untergegangen? Nein. Nun wird man einwenden können, dass die Bürger in den USA von den Behörden auch nicht viel besser als hier behandelt werden. Ja und nein. Zum einen hat man dort mehr Möglichkeiten sein Recht durchzuzsetzen. Zum anderen zeugt so ein Gegenargument von einer gewissen - aber verzeihlichen - Unwissenheit der amerikanischen Innenpolitik, hinzu kommt dass es bei uns so einen Artikel zwar gibt, der Staat sich aber nicht daran hält, was auf das gleiche hinausläuft.
Ich erwähnte woanders schonmal ein paar Details dazu, ich wiederhole es hier aber trotzdem nochmal: in den Counties werden die Sherriffs von den Bürgern gewählt. Verhält sich ein Sherriff den Bürgern gegenüber mies, wird er halt abgewählt - von den Bürgern! Ein solches Maß an Demokratie ist bei uns undenkbar, daher der Vorwurf der Steinzeitlichkeit der Zustände hierzulande.
Und was ist mit der Meinungsfreiheit in den USA? Nun, kurz gefasst, in den USA könnte ich mich ungestraft hinstellen und laut schreien "Bush ist ein Nazischwein" und keinen würde es kratzen. Und tatsächlich tun das viele Leute, einfach mal nach "Bush Nazi" googeln, da finden sich tausende Beispiele.
Die heilige Kuh der Bürger der USA ist die Meinungsfreiheit. Keine Freiheit ist wichtiger als diese. DIe Meinungsfreiheit ist sogar noch wichtiger als das Recht zu leben überhaupt. Dort ist die Meinungsfreiheit unantastbar. Und warum? Weil die amerikanischen Gründerväter (DAS waren Gründerväter!) erkannt haben, dass eine freiheitliche Demokratie mit dem Grad an Meinungsfreiheit steht und fällt. Erst wenn es dem Bürger erlaubt ist, ALLES zu sagen ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen, erst dann wird es möglich einen Staat und die Politiker gnadenlos zu kritisieren. Und erst wenn das möglich ist, verdient so ein Staat die Bezeichnung Demokratie.
Hierzulande ist das völlig undenkbar. Und aus diesem Grunde leben wir hier eigenlich auch nicht wirklich in einer freiheitlichen Demokratie. Viele bezeichnen unser politisches System eher als Demokratur, das beschreibt es wesentlich treffender.
So, ich habe fertig
lieben Gruss, xcrypto