«Unter Druck gibt Iran nicht nach»
Interview: Tim Guldimann zu den Chancen einer Einigung im Atomstreit
Die USA und die EU sind inzwischen bereit, Iran unter gewissen Auflagen die Uran-Anreicherung zu erlauben. Der frühere Botschafter der Schweiz in Teheran, Tim Guldimann, hat an der Vorlage für das Angebot mitgearbeitet. Er bewertet im Gespräch mit NZZ-Chefredaktor Spillmann den Vorschlag als ermutigend, glaubt aber nicht, dass Iran das Angebot so annehmen wird.
Herr Guldimann, im Streit um das iranische Atomprogramm haben die USA und die EU Anfang Juni vorgeschlagen, dass Teheran zunächst für eine gewisse Zeit die Uran-Anreicherung suspendiert, um diese dann nach Abschluss von Verhandlungen für rein zivile Verwendungszwecke fortzuführen. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag?
Tim Guldimann: Soweit die Details des Vorschlags öffentlich bekannt sind, besteht Unklarheit darüber, ob die Suspendierung nur für die Zeit von Verhandlung vorgesehen ist oder ob sie längerfristig gelten soll, solange nämlich, bis das internationale Vertrauen in die friedlichen Absichten Irans wiederhergestellt ist. Das würde bedeuten, dass zunächst Teheran sämtliche Zweifel bezüglich eines militärischen Programms der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) ausräumen müsste. Erst in einem zweiten Schritt würde dann – so die amerikanische Position – der Uno-Sicherheitsrat seine Zustimmung zu einer Wiederaufnahme der Anreicherung geben können. Dieses Vorgehen würde es den USA erlauben, notfalls das Veto einzureichen. Allein wegen dieses Punktes gehe ich davon aus, dass die Iraner das so nicht akzeptieren werden.
Atomares Schwellenland
Iran wird irgendwann Nuklearwaffen herstellen können – wie letztlich jeder Staat mit einer eigenen Atomindustrie. Wie kann verhindert werden, dass Teheran diese Option nicht doch wahrnimmt?
Es ist in der Tat von aussen betrachtet sehr plausibel, dass Iran eine militärische Option anstrebt, ohne dies einzugestehen. Das bedeutet aber nicht, dass Teheran bereits eine Atombombe baut. Iran will ein Schwellenland sein, das die Kapazität hat, sich atomar zu bewaffnen. Das ist auch konsistent mit der offiziellen Haltung des religiösen Führers Khamenei, dem Staatsoberhaupt, der klar gesagt hat, dass Iran keine Atombombe bauen wird. Die Unterscheidung zwischen Option und Umsetzung ist deshalb relevant, weil die Option in ein internationales Kooperations- und Kontrollregime so verankert werden kann, dass man die Gefahr der Atombewaffnung gering halten kann. Wenn man das vergleicht mit denkbaren Alternativen – einem Militärschlag der USA oder der völligen Abschottung wie im Fall Nordkorea – scheint mir das die bessere Lösung.
Warum sollte die iranische Regierung ein Abkommen akzeptieren, dessen Ziel und Zweck die Verhinderung von dem ist, was sich Teheran als Option offen halten möchte?
Iran will seine Rechte als souveräner Staat nicht preisgeben. Die Regierung kann ja jederzeit die Verträge kündigen, aus dem Atomsperrvertrags austreten und die IAEA-Inspektoren aus dem Land werfen. Das alles lässt das Völkerrecht zu. Daher wird es wichtig sein, von Teheran möglichst die Garantie zu erhalten, dass das Land den Atomsperrvertrag auch in Zukunft nicht verlässt. Eine absolute Sicherheit aber, dass Iran nie die Atombombe besitzen wird, gibt es nicht. Derzeit geht es darum, pragmatisch möglichst auf die Minimierung dieses Risikos hinzuarbeiten. Eine «Win-win»-Lösung ist das nicht, aber damit kann ein «Lose-lose»-Resultat vermieden werden. Mir scheint dazu eine kooperative Vorgehensweise besser als allein Druck und Drohungen.
Das klingt nicht sehr optimistisch.
Mag sein, dafür pragmatisch. Entscheidend ist, dass die Regierung in Washington die Prioritäten klärt: Mit diesem Regime das Nuklearproblem lösen oder einen Regimewechsel anstreben? Je mehr die Amerikaner auf die Karte des Umsturzes setzen, desto grösser ist die Gefahr einer nuklearen Aufrüstung Irans.
Und wie schätzen Sie die Haltung der USA ein?
Ich glaube, dass sie im Mai ihre Position wirklich geändert haben. Das darf man nicht unterschätzen. Erstens stellen sich die Amerikaner hinter den internationalen Vorschlag, der – «im gegenseitigen Respekt» – die Souveränität des Landes und seine territoriale Integrität anerkennt. Sie sind auch bereit, sich selbst an den Verhandlungen zu beteiligen. Zweitens anerkennen sie nicht nur das iranische Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie, sondern verlangen auch nicht mehr von Iran, die Anreicherung aufzugeben, sondern nur noch «auszusetzen». Das heisst, sie schliessen für die Zukunft die Möglichkeit einer iranischen Anreicherung nicht mehr aus. Auch das ist neu. Schliesslich unterstützen die Amerikaner einen internationalen Vorschlag, der substanzielle Anreize vorsieht. Darin enthalten ist die Lieferung von Leichtwasserreaktoren, verbunden mit nukleartechnologischer Zusammenarbeit, plus eine Reihe von sonstigen wirtschaftlichen Anreizen, wie etwa die Möglichkeit des Verkaufs von Passagierflugzeugen an Iran.
Kann man den Iranern trauen? – Immerhin haben sie bis 2003 trotz Kontrollen der IAEA im Geheimen ein Anreicherungsprogramm vorangetrieben.
Bis 2003 hat sich Iran eine ganze Reihe von Verfehlungen und Verletzungen seiner Verpflichtungen gegenüber der IAEA zuschulden kommen lassen. Die IAEA hat deshalb den Iranern eine systematische Versteck- und Täuschungspolitik vorgeworfen. Doch betrachten wir für einmal die Dinge aus iranischer Sicht, die Vertrauensfrage stellt sich auch von der andern Seite. Das Land wurde 1980 vom Irak überfallen und international völlig allein gelassen. Der Westen hat in diesem Krieg Saddam militärisch massiv unterstützt, etwa durch amerikanische Satellitenaufnahmen iranischer Truppenkonzentrationen, die dann das Opfer irakischer Giftgasangriffe wurden. Iran hat in diesem Krieg über eine halbe Million Menschen verloren.
Später, nach dem 11. September, hat Iran die USA in Afghanistan unterstützt und wurde kurz danach von Bush auf die Achse des Bösen gesetzt. All diese und viele andere Erfahrungen bis zurück zum von Amerika inszenierten Staatsstreich gegen Premierminister Mossadegh 1953 haben in Iran ein tiefes Gefühl des Misstrauens gegenüber dem Westen geschaffen. Verstärkt wird dieses durch die Tatsache, dass dem Land als Signatarstaat des Atomsperrvertrags die im Artikel IV garantierten Rechte verweigert worden sind. Dieser garantiert Iran eigentlich den Zugang zur Nukleartechnologie und die internationale Zusammenarbeit für die zivile Nutzung der Atomenergie, vorausgesetzt, das Land verfolgt keine militärischen Absichten.
Reicht das zur Rechtfertigung, sich im Dunstkreis des internationalen Nuklearschmuggels entsprechende Technologie und Wissen zu beschaffen?
Aus Sicht der Iraner ja. Sie sagen, dass ihnen keine Alternative blieb, als mit dem pakistanischen Kernphysiker Abdul Qadeer Khan zusammenzuarbeiten, der im Zentrum dieses Schmuggelrings stand. Auch befürchten die Iraner – und das prägt ihr politisches Denken –, dass ihnen der Westen die ganze Hand nimmt, wenn sie den kleinen Finger geben. Die Erfahrung der Verhandlungen mit der EU vom Oktober 2003 bis zum Januar 2006 ist deshalb wichtig, weil die Iraner in diesen Verhandlungen immer klipp und klar gesagt haben, dass sie die Anreicherung wollen. Teheran war bereit, die Anreicherung zu suspendieren, aber nur im Hinblick darauf, dass diese in das angestrebte Rahmenabkommen mit der EU aufgenommen würde.
Im letzten Sommer waren sich beide Seiten für eine Verhandlungslösung schon sehr nahe. Damals war Iran bereit, die Zahl der für die Anreicherung notwendigen Zentrifugen für eine längere Zeit auf 164 zu begrenzen. Wahrscheinlich hat Iran heute oder spätestens in den nächsten Wochen bereits mehr Zentrifugen im Betrieb. Dass es nicht zur Einigung kam, lag unter anderem daran, dass der Westen glaubte, Rafsanjani werde Präsident. Stimmen aus seinem Umfeld hatten angedeutet, dass eine Lösung ohne Anreicherung erzielt werden könne. Ich persönlich glaube nicht, dass das möglich gewesen wäre. Wie auch immer: Ende Mai 2005 wurde nicht Rafsanjani gewählt, sondern Ahmadinejad. Dieser hat aus iranischer Sicht mit seiner harten und provokativen Haltung gegenüber den USA in sechs Monaten mehr erreicht hat als der Reformer Khatami in all den Jahren zuvor.
Wie erklären Sie sich das?
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die sich verändert haben. Zum einen ist die rote Linie der Nichtanreicherung inzwischen überschritten. Iran ist es gelungen, Uran anzureichern. Die IAEA hat das bestätigt. Ein zweiter Grund liegt im hohen Ölpreis und in der Veränderung der Machtverhältnisse in der Region. Die Amerikaner und der Westen haben ihr Einflussmonopol im Mittleren Osten verloren. Der Wirtschaftsaufschwung Asiens hat bei den Chinesen ein neues Selbstbewusstsein geschaffen, das ihr zentrales aussenpolitisches Interesse an der Energieversorgung aus dem Mittleren Osten untermauert. Gleichzeitig bietet sich Asien der Region als neuer Wirtschaftspartner im Industrie- und mittleren Technologiebereich an. Iran hat in den letzten Jahren seine Handelsbeziehungen nach Asien umorientiert. Damit werden auch Sanktionsdrohungen nur glaubwürdig, wenn sie international breit abgestützt sind. Das ist schwierig geworden. Und drittens bindet den Amerikanern derzeit die Lage im Irak militärisch die Hände.
Welche Ziele verfolgt Iran mit seiner Politik?
Das Land will vom Westen – allen voran von den USA – als Regionalmacht respektiert werden. Die Regierung glaubt, dass das Atomprogramm dabei hilft. Und sie wird darin durch die jüngste Wende in der amerikanischen Politik ja auch bestätigt. Wenn Amerika heute bereit ist, sich an den Verhandlungen mit Iran zu beteiligen, dann akzeptiert Washington Teheran als Verhandlungspartner. Das ist für die Iraner wichtig.
Ehre über Interessen
Das gespannte Verhältnis zwischen den USA und Iran hat seine Ursache weniger im Nuklearprogramm, sondern geht auf die islamische Revolution von 1979 zurück. Was folgte, war eine aus Sicht Amerikas traumatische Geiselaffäre, die Unterstützung des Terrorismus durch Iran, die Errichtung einer Theokratie usw. Wie kann unter solchen Umständen Respekt gefordert werden?
Aus eigener Erfahrung sehe ich die politische Kultur in Iran – im Gegensatz zu jener im Balkan – so, dass für die Iraner die Werte von Ehre und Respekt wichtiger sind als sonstige Interessen. Für die Iraner ist die Nukleartechnologie erstens ihr verbrieftes Recht und zweitens auch ein Bereich, in dem sie das Gefühl haben, der Westen verbiete ihnen als Dritt-Welt-Staat den Zugang zum technologischen Fortschritt, der allen Menschen offen stehen muss. Sie sind bereit, sich mit jedermann zu einigen – aber nicht unter Druck oder unter Drohungen. Milosevic hat unter den Militärschlägen der Nato nachgegeben, die Iraner würden das nicht tun.
Ehre bestimmt das politische Kalkül der Iraner?
Sicher nicht nur. Ihr Verhalten ist auch geprägt von einer Mentalität des Handelns und damit auch des Herausschindens. Die Basari, die durch die iranische Revolution ins Regime gekommen sind, haben mit dieser Mentalität des Schacherns die politische Kultur beeinflusst. Was für uns eine absolute Selbstverständlichkeit ist, zum Beispiel die Anerkennung der Realität Israels, würde für sie ein grosses politisches Zugeständnis bedeuten, für das die Pragmatiker im Regime einen hohen Preis fordern würden.
Wie passt das zusammen mit Präsident Ahmadinejads Ausfällen gegen Israel?
Ahmadinejad ist kein Pragmatiker. Seine Aussagen sind haarsträubend und verlangen eine Reaktion. Natürlich ist das Imponiergehabe, aber dahinter verbirgt sich eine Haltung, die gefährlich ist. Übersetzt bedeutet sie: Wenn ihr uns droht, drohen wir euch, was in einer ohnehin schwierigen Lage den Konflikt zusätzlich verschärft hat.
Versucht die iranische Regierung mit ihrer harten Haltung gegenüber dem Westen nicht vielmehr, die eigene Macht im Innern abzusichern?
Es wird zwar immer behauptet, dass sich bei einem Militärschlag alle Iraner hinter das Regime stellen. Das trifft wohl zu, jedenfalls am Anfang. Was aber in einer zweiten Phase passiert, das weiss man nicht. In jedem Fall kann damit eine gefährliche Destabilisierung im Innern und in der ganzen Region ausgelöst werden, die sicher nicht im westlichen Interesse liegt. Die Ausfälle von Ahmadinejad gegen Israel und seine Leugnung des Holocausts sind in der Meinung der Bevölkerung inhaltlich weniger wichtig, sie schaffen ihm aber Zustimmung, weil er es wagt, Amerika und Israel die Stirn zu bieten. Im strategischen Interesse des Landes liegt diese antiisraelische Haltung nicht, und es gibt Vertreter des Regimes, die dies vertraulich äussern. Auch wenn das derzeit ideologisch natürlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, Iran und Israel wären logische Verbündete in einer von arabischen Staaten dominierten Region. Für die Bevölkerung in Iran ist viel wichtiger, ob es Ahmadinejad gelingt, die Ölmilliarden effizient zur Lösung der grossen sozialen Probleme einzusetzen, wie er es versprochen hat. Da sehe ich im Moment keine Erfolge, im Gegenteil.
Gibt es in Iran auch eine Schicht, die sich in die Position des Westens – der USA – versetzen kann?
Nicht die Leute um Ahmadinejad. Das sind gefährliche Leute, nicht weil sie böse sind, sondern weil sie die Welt nicht verstehen. Aber es gibt weite Kreise, gerade auch unter Diplomaten und Wissenschaftern, die in den USA oder sonstwo im Westen studiert haben. Die verstehen ganz genau, um was es geht. Der Lösungsansatz, den die International Crisis Group publiziert hat, geht auf Diskussionen zwischen solchen Iranern und amerikanischen Physikern zurück. Darin ging es um die Frage, wie die Zahl der Zentrifugen auf ein Niveau begrenzt werden könnte, dass im Rahmen einer internationalen Überwachung die Gefahr eines Ausbruchs zum Bau einer Bombe aus physikalischen und wissenschaftlichen Überlegungen so gering gehalten wird, dass eine solche Lösung für den Westen akzeptabel sein könnte.
Wie gut stehen die Chancen für eine Einigung?
Entscheidend wird sein, ob es den Europäern gelingt, den Amerikanern das Zugeständnis abzuringen, den Iranern ein bestimmtes Mass an Anreicherung unter internationaler Kontrolle zuzugestehen. Es wäre sehr problematisch, die Sache weiter hinauszuzögern, weil die Bedingungen für eine Lösung immer schwieriger werden. Das wissen auch die Iraner, die weiterhin auf Zeit spielen, um mehr herauszuholen. Vielleicht überschätzen sie ihre Verhandlungsposition.
Quelle: NZZ, 4. Juli 2006
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Ein sehr ausgewogenes Interview finde ich, bei dem der ehem. Botschafter uns auch mal iranische Interessen / Intentionen darlegt, die bei uns in der Diskussion immer zu kurz kommen bzw. gar nicht angesprochen werden.