weltendenkerin
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Hallo Community,
In "Jenseits von Gut und Böse" findet sich am Anfang folgender Aphorismus:
"Der Wille zur Wahrheit, der uns noch zu manchem Wagnisse verführen wird, jene berühmte Wahrhaftigkeit, von der alle Philosophen bisher mit Ehrerbietung geredet haben: was für Fragen hat dieser Wille zur Wahrheit uns schon vorgelegt! Welche wunderlichen schlimmen fragwürdigen Fragen! Das ist bereits eine lange Geschichte – und doch scheint es, daß sie kaum eben angefangen hat? Was Wunder, wenn wir endlich einmal mißtrauisch werden, die Geduld verlieren, uns ungeduldig umdrehn? Daß wir von dieser Sphinx auch unsrerseits das Fragen lernen? Wer ist das eigentlich, der uns hier Fragen stellt? Was in uns will eigentlich »zur Wahrheit«? – In der Tat, wir machten lange halt vor der Frage nach der Ursache dieses Willens – bis wir, zuletzt, vor einer noch gründlicheren Frage ganz und gar stehenblieben. Wir fragten nach dem Werte dieses Willens. Gesetzt, wir wollen Wahrheit: warum nicht lieber Unwahrheit? Und Ungewißheit? Selbst Unwissenheit? – Das Problem vom Werte der Wahrheit trat vor uns hin – oder waren wirs, die vor das Problem hintraten? Wer von uns ist hier Ödipus? Wer Sphinx? Es ist ein Stelldichein, wie es scheint, von Fragen und Fragezeichen. – Und sollte mans glauben, daß es uns schließlich bedünken will, als sei das Problem noch nie bisher gestellt – als sei es von uns zum ersten Male gesehn, ins Auge gefaßt, gewagt? Denn es ist ein Wagnis dabei und vielleicht gibt es kein größeres."
Meiner Meinung nach wird hier die Grundfrage aller Philosophie gestellt: Warum wollen wir - wir Denker und Philosophen, vielleicht auch wir freien Geister - die Wahrheit? Warum nicht die Unwahrheit? Die Antwort auf diese Frage ist mir Nietzsche bisher schuldig geblieben und vielleicht hat er sie selbst nicht gekannt. Zudem spricht Nietzsche im selben Werk auch von "Die Unwahrheit als Lebensbedingung zugestehn". Das gibt mir zu denken. Und tatsächlich ist es doch so, dass wir manchmal die Unwahrheit als attraktiv empfinden und wir unserem Gegenüber die Wahrheit nicht zumuten oder sie vor ihm verbergen. Warum tun wir das, wenn nicht deswegen, weil wir denken, unser Gegenüber bräuchte die Unwahrheit und käme damit besser zurecht als mit der Wahrheit? Viele wollen sich diese Lebensbedingung der Unwahrheit aber nicht eingestehen.
Ich denke also, dass Nietzsche diese Frage, warum wir die Wahrheit wollen, zurecht stellt. Warum wollen wir die Wahrheit? Warum suchen wir sie?
Nicht zu vergessen ist hier natürlich auch, dass Nietzsche selbst an keine objektive Wahrheit an sich glaubt. Alles ist bei ihm relativ. Trotzdem stellt er hier die Grundfrage der ganzen Philosophie: Warum wollen wir die Wahrheit? Ich habe keine Antwort darauf.
Und ihr?
LG
die weltendenkerin
In "Jenseits von Gut und Böse" findet sich am Anfang folgender Aphorismus:
"Der Wille zur Wahrheit, der uns noch zu manchem Wagnisse verführen wird, jene berühmte Wahrhaftigkeit, von der alle Philosophen bisher mit Ehrerbietung geredet haben: was für Fragen hat dieser Wille zur Wahrheit uns schon vorgelegt! Welche wunderlichen schlimmen fragwürdigen Fragen! Das ist bereits eine lange Geschichte – und doch scheint es, daß sie kaum eben angefangen hat? Was Wunder, wenn wir endlich einmal mißtrauisch werden, die Geduld verlieren, uns ungeduldig umdrehn? Daß wir von dieser Sphinx auch unsrerseits das Fragen lernen? Wer ist das eigentlich, der uns hier Fragen stellt? Was in uns will eigentlich »zur Wahrheit«? – In der Tat, wir machten lange halt vor der Frage nach der Ursache dieses Willens – bis wir, zuletzt, vor einer noch gründlicheren Frage ganz und gar stehenblieben. Wir fragten nach dem Werte dieses Willens. Gesetzt, wir wollen Wahrheit: warum nicht lieber Unwahrheit? Und Ungewißheit? Selbst Unwissenheit? – Das Problem vom Werte der Wahrheit trat vor uns hin – oder waren wirs, die vor das Problem hintraten? Wer von uns ist hier Ödipus? Wer Sphinx? Es ist ein Stelldichein, wie es scheint, von Fragen und Fragezeichen. – Und sollte mans glauben, daß es uns schließlich bedünken will, als sei das Problem noch nie bisher gestellt – als sei es von uns zum ersten Male gesehn, ins Auge gefaßt, gewagt? Denn es ist ein Wagnis dabei und vielleicht gibt es kein größeres."
Meiner Meinung nach wird hier die Grundfrage aller Philosophie gestellt: Warum wollen wir - wir Denker und Philosophen, vielleicht auch wir freien Geister - die Wahrheit? Warum nicht die Unwahrheit? Die Antwort auf diese Frage ist mir Nietzsche bisher schuldig geblieben und vielleicht hat er sie selbst nicht gekannt. Zudem spricht Nietzsche im selben Werk auch von "Die Unwahrheit als Lebensbedingung zugestehn". Das gibt mir zu denken. Und tatsächlich ist es doch so, dass wir manchmal die Unwahrheit als attraktiv empfinden und wir unserem Gegenüber die Wahrheit nicht zumuten oder sie vor ihm verbergen. Warum tun wir das, wenn nicht deswegen, weil wir denken, unser Gegenüber bräuchte die Unwahrheit und käme damit besser zurecht als mit der Wahrheit? Viele wollen sich diese Lebensbedingung der Unwahrheit aber nicht eingestehen.
Ich denke also, dass Nietzsche diese Frage, warum wir die Wahrheit wollen, zurecht stellt. Warum wollen wir die Wahrheit? Warum suchen wir sie?
Nicht zu vergessen ist hier natürlich auch, dass Nietzsche selbst an keine objektive Wahrheit an sich glaubt. Alles ist bei ihm relativ. Trotzdem stellt er hier die Grundfrage der ganzen Philosophie: Warum wollen wir die Wahrheit? Ich habe keine Antwort darauf.
Und ihr?
LG
die weltendenkerin