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Ursprung der Moral und Ethik

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Robin schrieb:
Das scheint mir zu implizieren, dass das Amoralische die Natur des Menschen sei, das Moralische aber die gesellschaftliche Zähmung. Gaius hat aber schon darauf hingewiesen, dass diese Trennung nicht aufrecht erhalten werden kann.
Ich weiß zwar nicht ganz genau, wo ich in meinem bisher einzigen Beitrag in diesem thread darauf hingewiesen haben soll, aber ich weise gern nochmals nachdrücklichst darauf hin: Diese Trennung kann nicht aufrecht erhalten werden.

Ethik, Moral, Gesetz, Norm - und deren Abhängigkeit von Individuum, Familie, Gemeinschaft, Gesellschaft - nur in der Mathematik kann (muß!) man klar und scharf definieren: a ist gleich a, b ist ungleich a. In einer begrifflichen Sprache ist das unmöglich; ein Begriff A meint immer eine schwer zu bestimmende Menge von unter ihm zusammengefaßten Inhalten, und überschneidet sich so zwingend mit einem anderen Begriff B. Auch eine kritische Begriffsbestimmung enthält immer einen Rest von Willkür. Das Wort griechisch kritein bedeutet soviel wie "zerschneiden, zerteilen": zu diesem Behufe bestimmt man zunächst wiederum Kriterien - jeder sieht schon, daß hier bereits sich die Katze in den Schwanz beißt.

Was ist damit gesagt? Daß wir noch bis Quasimodo Rückkunft definieren und kritisieren können, das Ergebnis wird immer nur ein Vorläufiges sein. Es genügt jedoch auch und gerade einem pragmatistischen Nominalisten wie mir, wenn ein Ergebnis einer Begriffsdiskussion im echten Leben dann wenigstens für eine gewisse Zeit als tragfähig sich erweist. ---

Der Moralspruch "Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem andern zu" geht übrigens schon auf Konfuzius zurück:

Lunyu 15.24 (Kapitel Wei Ling Gong)
Zi Gong fragte den Meister: "Gibt es überhaupt einen einzigen Spruch, nach dem man sich sein ganzes Leben richten kann?" Konfuzius sprach: "Ist das nicht das Prinzip der gegenseitigen Achtung? Was ich nicht wünsche, das mir geschieht, das tue ich auch keinem anderen an."
Der Kategorische Imperativ Kants streicht davon lediglich die doppelte Verneinung und überhöht ihn vom Verhalten zwischen zwei Individuen ins gesellschaftlich Allgemeine. ---

Interessant finde ich Robins Unterscheidung von Unmoral (Handeln gegen gesellschaftlich Normen) und Amoral (Unfähigkeit, diese Normen überhaupt zu erkennen). Ergänzen möchte ich: Antimoral - den bewußten Normverstoß aus anderen klar gefaßten Prinzipien; Metamoral - die Rückführung von Normen auf als absolut vorgegeben behauptete Ur-Werte (hierher gehört alle religiös fundamentierte Moral); Paramoral - nach außen die Normen einhalten, aber im Hintergrunde die Fäden anders ziehen wie weiland das Rumpelstilzchen (bei Machtpolitikern durchaus Usus). Selbstverständlich fließen auch diese Begriffe munter ineinander, sofern man sie überhaupt aufrecht erhalten will.

Gysi schrieb:
Die Moral ist ein angelernter und verinnerlichter Verhaltensautomatismus, der keines Gesetzes bedarf. Wo keine Moral ist, muss eben etwas mehr Gesetz her, damit das Gemeinschaftsleben funktioniert.
Die Moral liegt in der Natur des Menschen.
Ich freu mich ja immer so moralisch, wenn ich Widersprüche entdecke. Was in der Natur liegt, kann nicht angelernt sein, gell?

In der Natur (sicher, auch des Menschen) liegt, daß das eine Tier das andere daraufhin beäugt, ob es freßbar ist oder nicht. Innerhalb der eigenen Art hingegen ist das auch unter Tieren weniger üblich. Selbstverständlich ist eine Moral, die jede Menschenfresserei auch im übertragenen Sinne verbietet, eine erhebliche Kulturleistung. Nur kann ich darin überhaupt keine Entfremdung von der Natur erkennen, denn gerade das friedliche Miteinander dient der Selbsterhaltung und folgt damit einem Trieb. Das kriegerisch Mordende hingegen ist das Entfremdete, die Perversion von Moral.
 
instanton schrieb:
gysi: du meinst ,Moral gehört zum Menschen einfach so dazu? es liegt in seiner NAtur?

Es ist zumindest irreführend zu sagen, die Moral liege irgendwo in der Natur. In der Natur könnten höchstens Vorformen der Moral liegen (nämlich regelhaftes Verhalten, das man auch bei Tieren schon antrifft).
Moral ist evolutionär entstanden. Erste Regeln waren wahrscheinlich noch eng an die Erhaltung der Art geknüpft, zum Beispiel sich nicht mit den Familienangehörigen zu paaren oder Nahrung gleichmäßig unter den Nachkommen aufzuteilen. Der Mensch und seine Vorfahren waren alle Rudeltiere, also muss die Zuneigung zum Nächsten auch genetisch schon angelegt sein (es gibt ja auch Einzelgängertiere, die ihre Nachkommen bis zu einem bestimmten Stadium pflegen und dann verstoßen - die "Moral" wäre dann: Liebe deinen Nächsten - bis er für sich selbst sorgen kann...)

Es wäre allerdings sogar zu fragen, ob Moral (im Sinne eines dann schon festgeschriebenen Kanons) wirklich für das Zusammenleben "nötig" ist. DIe Gesellschaft verträgt ja Regelverstöße - Verbrechensrate, Morde etc. Und die Existenz von moralischen Regeln hat noch keinen Krieg verhindert. Auf der anderen Seite wurde Moral schon früh von gesellschaftlichen Gruppen vereinnahmt und diente dann dazu, Druck auszuüben. Etwa durch die Kirchen. Die Funktion dieser Moral war dann nicht das reibungslose Zusammenleben von Menschen, sondern diente der Festigung des Standes der Kirchen und des Klerus, der sie benutzte, um Menschen unter Druck zu setzen, gar finanziell auszubeuten und dabei durchaus unmoralisch handelte.
Mit anderen Worten: Die Moral wurde durch bestimmte Gruppen immer schon überbetont aus Machtinteresse. Ähnliches geschieht heute durch bestimmte Medien: Die Bild-Zeitung benutzt moralische Semantik, aber nicht um Frieden zu stiften, sondern um Unfireden zu verstärken. Sie benutzt eine Semantik der Empörung, die durch angebliche moralische Standards unterfüttert ist. Beispielschlagzeile: Darf Jesus im TV diese Frau küssen?

Es wäre also zu überlegen, ob nicht die Menschen, da sie eigentlich die Nächstenliebe in sich genetisch tragen, auch ohne Leute klarkämen, die ihnen Moral vorbeten und ob diese Moralvorbeter nicht gar die Unfriedensstifter sowohl in der Geschichte als auch heute sind.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
instanton schrieb:
warum ist die menschliche natur der natur entfremdet?
Weil er mit der Naturversorgung nicht mehr alleine klar kommt. Er muss die Konsumgüter zu seiner Bedürfnisbefriedigung erst mal herstellen. Das Tier braucht das nicht.

Gysi
 
@ Gaius, @ Robin

Robin schrieb:
Es ist zumindest irreführend zu sagen, die Moral liege irgendwo in der Natur.
Den Satz habt ihr aber auch hübsch aus dem Kontext gerissen. Die Natur des Menschen verlangt nach der Entwicklung einer Moral. Moral ist eine Kulturleistung, in Ansätzen und REflexen gewiss aber auch eine Naturleistung. So scharf sind die Grenzen nicht zu ziehen...

Gysi
 
Und die Existenz von moralischen Regeln hat noch keinen Krieg verhindert.
Woher willst du das wissen? Weil es nicht an die Öffentlichkeit kam? Ich denke eher wegen mangelnder Moral bzw. Paramoral (@gaius tolles Wort :jump1: ) gibt es Kriege. Das ist ein Unterschied.
 
fusselhirn schrieb:
Woher willst du das wissen? Weil es nicht an die Öffentlichkeit kam? Ich denke eher wegen mangelnder Moral bzw. Paramoral (@gaius tolles Wort :jump1: ) gibt es Kriege. Das ist ein Unterschied.

Das ist zu kurz gedacht. Kriege werden nie aus Gründen der Moral oder der Unmoral geführt. Sondern um Interessen durchzusetzen. Die für Moral zuständigen Personen finden dann schon genug Rechtfertigungen, um den Krieg dann auch moralisch abzusegnen. Es ließe sich wahrscheinlich leicht nachweisen, dass Kulturen mit hochentwickeltem Moralsystem keineswegs weniger Kriege führten als andere (falls ers überhaupt eine Möglichkeit gibt, Moralsysteme zu vergleichen).
Auch bei Houellebecqs Sadist ist nicht Moral das Problem. Houellebecq stellt eine zutiefst kranke Gesellschaft dar, die sich vor allem ihrer Fähigkeit, den Nächsten zu lieben, entfremdet hat. Einem Menschen, der sich so entfremdet hat, nützt es nichts mehr zu wissen, was moralisch ist oder nicht. Sein Leben verliert den Sinn und er mag dann leichter zu Handlungen neigen, die wir als unmoralisch empfinden. Aber mangelnde Moral ist nicht sein Problem und auch nicht das einer Gesellschaft. Im Übrigen wird m.E. selbst bei Houellebecq klar, dass dieser besagte Mensch ("David) eine pathologische Ausnahmeerscheinung darstellt - wiewohl es diese Art von Gesellschaft braucht, dass dieser Mensch sich soweit ausleben kann.

Ich bezweifle generell, dass Moral ein Code ist, an dem man sich ausrichten kann. Vielmehr ist sie ein Bewertungs- und Beurteilungsinstrument.
Wenn Leute heute kopfschüttelnd sagen: "Es gibt eben keine Moral mehr", dann klingt das mir manchmal allzu selbstgefällig und ist ein probates Mittel, die tieferen Ursachen der gesellschaftlichen Probleme zu verdecken.
 
Gaius schrieb:
Ich weiß zwar nicht ganz genau, wo ich in meinem bisher einzigen Beitrag in diesem thread darauf hingewiesen haben soll, aber ich weise gern nochmals nachdrücklichst darauf hin: Diese Trennung kann nicht aufrecht erhalten werden.

Ich denke eben für dich mit, Gaius ;)
Im Ernst: Dadurch, dass du darauf hingewiesen hast, dass Selbstliebe und Fremdliebe eng gekoppelt sind, ist klar, dass die Idee der zweiteren nicht ohne die Idee der ersteren möglich ist. Also kann man nicht sagen: Der Mensch an sich ist im Innern roh und animalisch und würde ohne Moral einfach nur wild um sich beißen.
Wir müssen von dem alten "Der Mensch ist dem Menschen Wolf" Abstand nehmen und differenzierter denken. Gedanken darüber, wo Liebe, Mitleid, Mitgefühl, Sorge usw. im Ursprung herkommern, hilft dabei.
 
wiewohl es diese Art von Gesellschaft braucht, dass dieser Mensch sich soweit ausleben kann.
Habe ich nicht ganz verstanden. :autsch: Kannst du das nochmal für kleine Fusselhirne erklären.

Ich bezweifle generell, dass Moral ein Code ist, an dem man sich ausrichten kann
Nenne mir eine Alternative. Wo nach richtes DU dich aus? Würdest du dich selbst als moralisch ansehen und warum bzw. warum nicht?
 
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fusselhirn schrieb:
Habe ich nicht ganz verstanden. :autsch: Kannst du das nochmal für kleine Fusselhirne erklären.

Nun ich denke, zu jeder Zeit, in jeder Gesellschaft wird ein Mensch, der die Fähigkeit zu lieben verliert, vielleicht zynisch oder aggressiv werden können. Vielleicht hat er früher seine Kinder geschlagen, ist in den Krieg gezogen oder hat dumpf vor sich hingebrütet oder sich das Leben genommen. David wächst aber in eine Gesellschaft der sexuellen Befreiung hinein, die es ihm (ungewollt) ermöglicht, seine perversen Triebe immer weiter zu steigern. Das ihn umgebende Klima der sexuellen Konkurrenz, der Enthemnis tritt in Wechselwirkung mit seiner Versagenswut (er wollte ja eigentlich Künstler sein) und das Geld seines Vaters ermöglicht schließlich die Auslebung selbst schlimmster Abgründe. (Was keine Entschuldigung darstellt - wie gesagt, er ist trotzdem ein pathologischer Sonderfall)

Nenne mir eine Alternative. Wo nach richtes DU dich aus? Würdest du dich selbst als moralisch ansehen und warum bzw. warum nicht?

Ich versuche schon moralisch zu leben. Ungeeignet deswegen, weil Moralgesetze schwierig speziellen Lebenssituationen angepasst werden können. Wenn wir ehrlich sind: WIe oft stehen wir unter solchen Zwängen, das Fragen der Moral sich erst zuletzt stellen? Im Berufsleben: Haben wir wirklich genug Einfluss, um sicherzustellen, dass unsere beruflichen Handlungen nicht zu unmoralischen Ergebnissen führen? Können wir in einer priviligierten Situation (man hat einen Arbeitsplatz - man lebt in der "1. Welt") überhabt gerecht agieren? Ist es nicht schon ein Privileg, sich Moral "leisten" zu können? Und haben unsere moralischen Urteile dann nicht schon die Anmutung von Arroganz?
Sicher ist Wissen um moralische Gesetze in einigen Fällen gut und nützlich...aber sind unsere Entscheidungen dann wirklich welche, die als Maxime auch für die ganze Gesellschaft gelten könnten? Ist so ein Anspruch nicht unrealistisch, gar arrogant oder im Kern sogar durch seine Anmaßung unmoralisch?
Ich finde, man kommt beim Nachdenken über Moral selten zu widersprichsfreien Maximen (Sicher, bei Mord usw. scheint man sich schnell einig zu werden - aber auch dann findet man z.B. beim Tyrannenmord Ausnahmen). Und man kommt vielleicht zu dem Schluss, dass man schon nach Regeln handelt, aber vor allem nach eigenen Regeln, die dem eigenen Leben angepasst sind. Sicher sind sie von gesellschaftlichen Regeln stark beeinflusst, aber jeder schiebt sie sich zurecht, und dann ist wirklich die Frage, ob es noch Regeln einer allgemeinen Moral sind.
Da aber der Mensch dem anderen Menschen uim Grunde nichts Schlechtes will (oder muss man einem Kind wirklich erklären, dass es ein anderes nicht töten soll?!), funktioniert die Gesellschaft, gerade weil die Gesetze der Moral je nach Bedarf immer ein bisschen "gebeugt" werden.
Dies alles wäre kein Problem, wenn nicht der im vorigen Beitrag von mir kritisierte Missbrauch von Moral solch negative Auswirkungen hätte...
 
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