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Spirale des Schweigens versus Zivilcourage

Miriam schrieb:
Ich stimme dir auch völlig zu und drücke es mal anders aus: das Jammertal ist ein Weg ins Nirgendwo – ob im Politischen, ob im Privaten.
ja miriam,
auch ich finde das private und das politische ist immer gleichermaßen vorhanden.

und dieses NIRGENDWO - wie du es so schön benennst - ist die grauzone.
die grauzone, in der mensch NICHT zu HANDELN braucht.
wo er KEINE EIGENE ENTSCHEIDUNG treffen muss.
wo er NICHTS ÄNDERN braucht.


wo er alles so belassen kann/darf, wie es gerade ist.....auch wenn´s ihm/ihr sogar weh tut.
weil er sich klein fühlt. wie ein KIND. ein kind, das nichts ausrichten kann....und das ja eh brav ist - brav still hält.....um nicht aufzufallen.

ein kind ohne jegliche kraft.
ein kind, das aus sich heraus gar nichts bewegen kann.....und das nur wartet......bis es endlich vom weißen ritter - vom geliebten - vom jesulein - von gott - von der mami erlöst wird.

dieses stillhalten (ob politisch oder privat) raubt nur kraft und tut weh. denn am ende wartet doch nur die enttäuschung, dass das hoffen nicht allumfassend erfüllt wird.
das hat mit emotionaler aufarbeitung auch nichts zu tun.
wohl aber damit, dass die angelegenheit noch nicht "reif" ist, um aufgearbeitet zu werden. es ist eine phase, die zum ganzen prozeß dazugehört. jedes voreilige handeln wollen ist nicht möglich - wäre auch nur abwehr.
es ist die depression, in der "unaussprechliches" verarbeitet wird (wie in deinem auch so wunderbaren beispiel der KZ-ler am mittagstisch).

der erste schritt jedoch wäre das eingestehen, dass da etwas ist, das belastet, um sich dann schritt für schritt dem belastenden annähern zu können.
und aum auch aktiv um HILFE bitten und sie in anspruch nehmen zu können.
die ausblende (=das jammern/grübeln) erlaubt ja diese annäherung NICHT - und macht auch jede hilfe zur selbsthilfe unmöglich.

das belastende soll weggedrängt werden. soll mit gedanken verscheucht und mit tränern verschleiert werden.

...und wer unrechtmäßig den schleicher lüftet oder das verborgene freilegt, wird unweigerlich verfolgt.

so geht´s dann einem invain. einem der sagt, was eigentlich los ist.
das ist das drama.

und dennoch kann mensch auch daran stärker werden. sich nicht irre machen lassen, von der erstarrung der großen schweigenden - grübelnden - jammernden - keifenden menge.
sich nicht das eigene g´spür abstreitig machen lassen.
zu dem stehen, was man/frau fühlt......und dennoch den anderen das ihre lassen.

lg kathi
 
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AW: Spirale des Schweigens versus Zivilcourage

Also wenn ich jammere, dann mache ich damit meine gesamte Umgebung krank. So richtig krank.

Wenn ich hingegen z.B. echte Trauer empfinde, dann hat keiner ein Problem damit.

Da ist keine fließende Grenze, da ist ein riesiger Unterschied!

Und die Jammer-Postings hier mit "die Menschheit lernt nichts" und "alle sind so böse", die machen mich krank. Sie sind Sinnloses-im-Kreis-Denken und -Fühlen.

Und dann gibt es andere, konkrete Postings, die sich davon wirklich ernsthaft unterscheiden! :)

lg Frankie

Anscheinend hat dich der erste Satz meines Beitrags aufgeregt, wodurch du nachher nicht mehr aufmerksam genug hingeschaut hast.
Du hast mich gleich angegriffen und gemeint, ich wäre jemand, der jammert und nicht auch handelt. Wo habe ich so etwas durchscheinen lassen?
 
AW: Spirale des Schweigens versus Zivilcourage

Nur eine kleine Anmerkung zum Schweigen damals am Mittagstisch – die war nach meinem heutigen Empfinden und Beurteilung (also: auf emotionaler und rationaler Ebene), ein wenig anders gelagert: diejenigen die uns da gegenüber saßen konnten auch noch nicht erfassen wie tief ihre Wunden sind und ob sie jemals heilen werden. Denn, was ich nicht erwähnt hatte, eine der wenigen Dinge die von ihnen zu erfahren war: sie wussten noch nicht ob ihre Familien überlebt hatten.

Handeln bräuchte der Mensch schon, aber die Grauzone in die er sich zurückzieht, gibt ihm die Illusion, dass er/sie sich dort aufhalten kann und die Dinge regeln sich dabei außerhalb des fälschlich als Schutzzone interpretiertem Raum, von alleine.

Dass nichts geschieht außerhalb von unserem Zutun, lehrt uns das Leben immer wieder. Dass mich deswegen auch in der Politik diejenigen am meisten irritieren die uns die Illusion versuchen zu vermitteln sie würden an unserer Stelle handeln, ist vielleicht zu begreifen.

Mit dem Übergeben eines Mandats haben wir nicht auch die persönliche Verantwortung delegiert. Heute betrachte ich es natürlich nur hinsichtlich dieses Lernprozesses, als eine gewisse Chance, dass ich in frühen Jahren unter zwei Diktaturen gelebt habe, allerdings in einem Land in dem alles nicht so ganz genau umgesetzt wurde.

Dabei hast du völlig Recht, liebe Kathi, das Stillhalten auf beiden Ebenen, politisch und privat, ist sehr ermüdend und raubt uns nur unsere Kraft.

Ich bin noch heute erschüttert wenn ich Dokumentarfilme sehe wie "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß" von Malte Ludin, in der nur wenige der Familienmitglieder, z.B. sein Sohn Malte, sich der Vergangenheit des Vaters, dieses Kriegsverbrechers, stellen. Ich berichtete bereits darüber in einem anderen Thread.

Doch auch da trifft voll dein Satz zu, Kathi:
Kathi schrieb:
der erste schritt jedoch wäre das eingestehen, dass da etwas ist, das belastet, um sich dann schritt für schritt dem belastenden annähern zu können.

Nach meiner Meinung ist in der Familie Ludin ein noch größerer Energieaufwand nötig um noch nach sechzig Jahren die Wahrheit zu verdrängen.
Dabei müsste in diesem Falle das Eingestehen der Wahrheit nicht mehr mit Angst behaftet sein.
Ganz anders als im Fall der sehr couragierten Psychologin Bianca Richter, die ja erst im Alleingang und trotz der täglichen massiven Drohungen, dagegen gekämpft hat, dass Reinhardtsdorf-Schöna einen NPD-Bürgermeister bekommt.

Dies also der Bogen zum ursprünglichen Anlass hier über Schweigen oder Zivilcourage nachzudenken, aber genau so gut trifft dies auch auf unser persönliches Leben zu, da kann man das Wort Zivilcourage durch Lebensmut ersetzen, die Muster gleichen sich.

Liebe Grüße

Miriam

 
AW: Spirale des Schweigens versus Zivilcourage

Zivilcourage bedeutet Verantwortung zu übernehmen.

Das Problem mit der Zivilcourage ist, daß man oftmals zwischen seiner eigenen Unversehrtheit und der Courage wählen muß. Denn leider ist Zivilcourage nicht kostenlos.

Klar, wenn du eingreifst, wenn gerade ein Schwuler in der Unterführung zusammengeschlagen wird, dann ist das schon eine Entscheidung, denn am Ende bist du derjenige mit dem gebrochenen Nasenbein. Aber meistens sind es bereits die kleinen Dinge, die einen ins Schwanken bringen, beispielweise sich auf die Seite des Außenseiters auf der Arbeit zu stellen, den alle übel behandeln und ausgrenzen.

Zivilcourage fängt mit einem realistischen Blick in den Spiegel an. Erst wenn du handelst-oder auch nicht- wirst du wissen wer du bist. Und egal was der Spiegel dir zeigt, wenn du die Verantwortung für das was du dort siehst übernimmst, hast du den ersten Schritt in Richtung Zivilcourage getan.

Lorenor Zorro (leider kein Held)
 
AW: Spirale des Schweigens versus Zivilcourage

Anscheinend hat dich der erste Satz meines Beitrags aufgeregt, wodurch du nachher nicht mehr aufmerksam genug hingeschaut hast.
Du hast mich gleich angegriffen und gemeint, ich wäre jemand, der jammert und nicht auch handelt. Wo habe ich so etwas durchscheinen lassen?

Wenn du sagst, dass "die Menschen nichts gelernt haben", dann fühle ich mich betroffen. Ich bin auch ein Mensch. Für mich ist dieser Satz reines Jammern. Aber du hast dann eh damit aufgehört. :)

Wirklich aufgeregt hat mich Lilith's Behauptung, am Jammern sei etwas Gutes. Ich kann daran nämlich nichts Gutes finden. Aber man kann es mir ja gern zeigen! :)

lg Frankie
 
AW: Spirale des Schweigens versus Zivilcourage

Diese Diskussion ist mühsam zu verfolgen, weil wenig zum Thema, viel aber Anklage ist. Ich las weder Invains Zeilen als jammernd, noch Liliths Ausführungen als Vorwurf an Miriam, daß sie jammere (es sei denn, daß die Bedeutung der Anführungszeichen keine ironische Hervorhebung darstellt).

Was ich lese, ist vieles, das aus eigener Betroffenheit geschrieben wurde und die Weigerung, Betroffenheiten der anderen - auch anders gelagerte - wahrzunehmen und als ebenso gewichtig anzuerkennen. Das ist traurig.


Ich bin als Kind in einer öffentlichen Institution aufgewachsen. Ich bin dort über Jahre schwer mißhandelt worden. Später, als junge Erwachsene, hatte ich Gelegenheit, mit dem damaligen Leiter der Institution zu sprechen. Ich warf ihm vor, die Augen verschlossen zu haben vor dem, was uns Kindern angetan wurde. Seine Antwort war: "Ich habe nicht die Augen verschlossen, ich wußte, was bei euch (Gruppe) vorgeht. Aber was hätte ich denn tun sollen? Ich habe nichts gesagt, damit es nicht noch schlimmer wird!"

Ich habe ihn für diese Haltung gehaßt und schätze diesen Mann bis heute nicht, denn: wer sonst als er hätte etwas unternehmen können, daß die Mißhandlungen aufhören?

Wie auch immer. Ich habe meine Jugend und später mein junges Erwachsenendasein als so eine Art Rebellin verbracht. Ich protestierte schnell, oft vorschnell, lehnte mich auf, griff Ungerechtigkeiten an wo ich sie wahrnahm. Und erlebte natürlich Gegenwind, wurde aus einer Lehrstelle fristlos gekündigt (der Chef war ein Mensch, der oft äußerte, daß dies und jenes zu Hitlers Zeiten nicht so verkommen wäre wie heutzutage), ich war mit Menschen aus allen möglichen Kulturkreisen befreundet und marschierte auf fast allen Friedensdemos und sonstigen Demonstrationen, wenn sie denn nur politisch links und damit auf der "korrekten" Seite veranstaltet wurden.

Ich war nie eine, die den Mund halten konnte. War es mein eigenes Verdienst? Ich glaube nicht, "Zivilcourage" mag zwar mit Mut einhergehen, oft genug ist sie nichts weiter als innerer Antrieb oder schlicht eine Frage des Temperaments.

Eines Tages saß ich nach einem langen Arbeitstag in einem Taxi auf der Heimfahrt. Ich weiß nicht mehr den Anlaß, es war zu jener Zeit, als die Republikaner so präsent und aktiv waren wie heute die NPD. "Ausländer raus!" war auf vielen Plakaten zu lesen. Der Taxifahrer begann, erst vorsichtig, über Ausländer zu sprechen, und bevor ich auch nur gedanklich erfaßt hatte, was er sagte, sprach er von "denen, die uns die Arbeit wegnehmen, unsere Sozialhilfe kassieren, Kinder produzieren wie die Karnickel damit sie nicht abgeschoben werden und das alles auf unsere Kosten" usw. usf.

Und ich schwieg. Ich weiß bis heute nicht wieso.



Ich glaube heute nicht mehr daran, daß jeder Mensch imstande ist, die vielgepriesene Zivilcourage aufzubringen. Auch nicht, daß ein Mensch sie IMMER aufbringen kann.

Aber ich bin dankbar, daß es immer wieder Menschen gibt, die ab und an laut werden, wenn ich selbst stumm bin.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Spirale des Schweigens versus Zivilcourage

Danke, Frau Bezelmann!

Das bringt mich allerdings noch auf einen weiteren Blickwinkel: Zivilcourage ist für mich noch nicht, dass jemand aufsteht, und sich lautstark gegen etwas ausspricht. Obwohl er z.B. weiß, dass er damit sowieso nichts errreicht.

Ich verstehe unter Zivilcourage, dass jemand etwas Ernsthaftes unternimmt, was tatsächlich zu einer Änderung führen kann.

Wenn ich also in einer Bank einer Horde von schwerbewaffneten Bankräubern gegenüberstehe, dann ist es nicht Zivilcourage, dass ich gegen deren Handeln lautstark protestiere und mich dafür erschießen lasse.

Das ist Dummheit.

Also, dass es auch wirkt, das gehört für mich dazu. Natürlich kann da auch das lautstarke Äußern einer Gegenposition dazugehören. Aber nur, wenn ich realistischerweise annehmen kann, dass das jemanden zum Umdenken motiviert. Ansonsten muss ich mir etwas Wirksameres einfallen lassen.

Für mich ist nicht Zivilcourage, dass jemand nachher sagt: "Ich war eh immer dagegen!"

Da stelle ich dann schon die Frage: "Und, was hast du getan?"

lg Frankie
 
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