Hi Majanna,
das ist gar nicht so leicht zu beantworten (für mich schon gar nicht an irgendwelchen Hobbeschen oder Marxschen Theorien, die kenne ich sowieso nicht
)
Ich versuch's mal:
Wie seht Ihr den Zusammenhang zwischen Güterproduktion und Bedürfnisproduktion?
Die Unterscheidung zwischen Güter- und Bedürfnisproduktion würde ich so sehen, daß z.B. das Bauen von Häusern, das Produzieren von Lebensmitteln, Kleidung, Fahrzeugen zunächst Güterproduktion ist - der Mensch hat Bedürfnis nach Unterkunft, Nahrung, Wärme und Fortbewegung und er hat die Fähigkeit, sich diese mit Hilfe von Intelligenz und Werkzeugen herzustellen. Daraus folgt die Bedürfnisproduktion: wenn die Grundbedürfnisse, die zum Überleben notwendig sind, gestillt sind, beginnt sie - größeres Haus, weichere Betten, schickere Klamotten, statt Brot und Fleisch Ciabatta mit Räucherschinken und keine Eselskarre, sondern 375 PS in rotem Lack oder so. Einerseits vielleicht der Drang zur Weiterentwicklung, vielleicht auch wirklich eine Art Bedürfnis von Menschen, untereinander zu konkurrieren (gehört wohl in den Bereich Macht?): größer, stärker, gesünder sein als die anderen. Dabei werden Bedürfnisse produziert die wiederum zu neuen Produktionen Anstoß geben: der von Dir genannte PC und seine Nutzung für Dich (gibt ja noch viele Beispiele: Handys, TV, Radio usw.)
Kürzlich habe ich mich mit einem Kollegen unterhalten (weiß gar nicht ob's hierher gehört, aber ich finde es paßt): es ging um die wirtschaftliche Lage, die ja nicht nur uns Deutsche allmählich in Bedrängnis bringt. Er vertrat die Auffassung, daß es uns weltweit eigentlich an neuen Bedürfnissen mangelt, die die Wirtschaft wieder hochkurbeln könnte. PC's und TV's sind entwickelt, ziemlich gut und können höchstens noch bissl hier und dort verbessert werden. Mobilfunk könnte noch bissl Schnickschnack, Fotofunktion usw. bekommen - aber nicht mehr viel Neues. Das sind so Sachen, die - kaum erfunden - irrsinnig schnell geboomt haben, beworben wurden, "Bedürfnisse" in den Konsumenten weckten (vor 10 Jahren WOLLTE ich partout kein Handy - heute wäre ich ohne [vermeintlich] aufgeschmissen.) Jetzt sind die Märkte gesättigt. Man versucht, mal hier, mal dort diesen Drang, etwas Neues unbedingt haben zu wollen, wieder zu aktivieren - aber im Grunde ist weit und breit nichts in Sicht, das imstande wäre, neue Bedürfnisse und Kaufbereitschaft wirklich zu wecken - es scheint, als seien im Grunde alle unsere "Bedürfnisse" gestillt.
Was könnte mit der „zweiten Natur“ gemeint sein?
Vielleicht das, was uns als kulturelle Wesen ausmacht? Nahrung, Sex, Unterkunft - Bedürfnisse, die wir mit unseren tierischen Kollegen teilen. Wer hat den schicksten Fummel, wer den größten Farbfernseher, den leistungsstärksten PC - sind nicht wirklich Dinge, die wir zum Überleben brauchen.
Wie würdet Ihr menschliche Bedürfnisse einordnen?
Da möchte ich wieder mal auf meinen eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Ich geriet vor etlichen Jahren in eine Art psychotischen Zustand, ausgelöst durch Alkohol und starke Medikamente. Wie auch immer: ich kam mit mir bzw. den Anforderungen meiner Umwelt nicht mehr klar, entwickelte Ängste, mietete (aus Angst vor Polizei) eine Zweitwohnung an, die ich mir nicht leisten konnte, flüchtete mich im Winter mit einem Minimum am Nötigsten dorthin: hatte dort weder Möbel außer einer alten Matratze noch sonst etwas von dem, was man zu brauchen glaubt. Weil ich kein Geld hatte wurden ziemlich schnell Heizung und Strom gesperrt. In dieser Wohnung habe ich einige Monate überlebt, und so schrecklich die Zeit damals auch war, ich habe doch immerhin gelernt: es reichen eine leere Dose und Teelichter und eine kleine Kanne, um Wasser zu erhitzen. Es reichen etwas Brot und Haferflocken zum Überleben und man kann mit "fast nichts" ziemlich lange überleben. Könnte man sagen, ich habe vegetiert und sei krank gewesen, daher die Bedürfnislosigkeit (auf "Dinge" bezogen - ein sicherer Rückzugsort schien mir wichtiger). Worauf ich hinaus will: ich futtere sehr gerne, hab's gerne warm, unterhalte mich gerne und liebe warme Bäder - normalerweise. Ich glaube aber, in dem Moment, wo ganz existentielle Bedürfnisse (wie Sicherheit) bedroht sind (oder man das glaubt) rücken diese Kulturbedürfnisse in den Hintergrund, ich habe sie in jener Zeit nicht mehr gehabt.
Schwierig zu erklären - man gewöhnt sich sehr schnell an "Luxus". Aber man gewöhnt sich auch wesentlich schneller als man denkt daran, sich auf die absoluten Muß's zurückzureduzieren.
Weiß zwar nicht, ob das irgendwas mit Marx' oder Hobbes' Theorien zu tun hat, aber seit dieser Erfahrung bin ich sehr sparsam geworden in dem, was ich als "echtes Bedürfnis" bezeichnen würde.
LG, wirrlicht