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Heute war ich laufen...

PhilippP

Well-Known Member
Registriert
8. April 2003
Beiträge
930
Heute war ich laufen!

So wenig Besonderes ist an diesem Satz, dennoch liegt vielleicht etwas darin verborgen. Ich will versuchen, Verborgenes zu beschreiben.

Die ersten Schritte sind prüfend, seit nunmehr zwei Wochen war ich nicht mehr laufen, gesundheitliche Probleme hinderten mich daran. Doch es läuft sich besser als erwartet, die Muskeln sind noch leistungsfähig und der Kreislauf scheint ebenso selbstverständlich seine Arbeit zu verrichten. Langsam, aber stetig weicht meine Sorge und meine Schritte werden entspannter, ich öffne mich für meine Umgebung.

Es ist feuchte, frische Luft, die ich atme. Mit jedem Atemzug kann ich die kleinen Wassertröpfchen spüren, welche leicht in der Luft zu schweben scheinen. Mein Weg führt nun auf gleichmäßigen Anstiegen höher den Berg hinauf. Mit zunehmender Höhe wird die Luft noch feuchter und auch schwerer. Ich laufe allmählich hinein in eine weiße dicke Wand aus Feuchtigkeit. Ich streiche durch mein Haar, es ist mit kleinen, feinen Wassertröpfchen gespickt.

Die Sicht beträgt nicht mehr als vielleicht zehn, höchstens aber zwanzig Meter. Ich höre es im Unterholz rascheln, vermutlich die beiden Eichhörnchen, die mich hier oft frech beobachten. Heute müssen sie auf meinen Anblick verzichten, leider kann ich ihre frechen, kessen Blicke nicht erwidern, zu dick und undurchdringlich ist die Suppe aus Wasser und Luft.

Manchmal weiß ich nicht, wo ich bin, dann sehe ich Kleinigkeiten am Wegesrand, Baumstümpfe, viel mehr ist nicht wahrzunehmen. Gut, dass ich die Strecke kenne. Ich beginne das Profil des Weges zu lesen, anhand von Wenigem finde ich mich zurecht. Das Moos und die Reifenspuren von den schweren Wägen der Waldarbeiter, sie hinterlassen eigenwillige Muster auf verschieden festen Untergründen.

Es wird weich. Hier wurden Sägespäne gestreut, sicherlich um die tiefen Fugen im Weg auszubessern. Schmatzend sinke ich ein. Ich laufe langsamer, suche mir festeren Untergrund.

Ich falle in Gedanken, merke daher kaum, wie sich meine Umgebung mehr und mehr klärt. Der weiße, feuchte Schleier verzieht sich, der Schleier meiner Gedanken nicht. Meine Beine geraten ins Rutschen - nasses Laub - nur mühsam kann ich mein Gleichgewicht halten. Es geht steil bergab, meine gesamte Aufmerksamkeit wird gefordert, ich will die Zahl meiner Sturznarben nicht erhöhen, nicht heute.

Der Untergrund verändert sich, hart, gleichmäßig, unnachgiebig, er wirkt ungewohnt monoton. Ich laufe auf geteerten Wegen der Stadt entgegen...

Philipp P.
 
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Ja, heute war ich auch in der Natur,
denn heute habe ich den Rasen gemäht.

Mein Garten am Hang, direkt beim Haus, hat etwa 30 Aar, davon ist etwa die Hälfte Rasen.
Obstbäume, Blumen, Kräuter, Büsche, Schmetterlinge, Hummeln, Schnecken (mit Haus), ...
Den Antrieb des Rasenmähers habe ich ausgeschaltet - man will ja etwas für die Fitneß tun.
Der Fangkorb fing das noch leicht feuchte Gras, welches ich zum Komposthaufen hoch trug.

Das Gras, die Blumen, die abgemähten Pflanzen - dieser angenehme Duft haftet immer noch an mir.
Dann legte ich mich auf den frisch gemähten Rasen, der von der Sonne angenehm vorgewärmt war, schloß die Augen und ließ meine Seele baumeln.

Der Geruch - ich wünschte, ich könnte ihn zu Euch fliegen lassen ... :)
 
Das ist eine klassische Kurzgeschichte. Der unvermittelte Eingang „Die ersten Schritte....“lassen neben der Alltäglichkeit des Joggings eines jungen Ich- Erzählers auch dessen Nach- und Bedenklichkeit klar erkennen. „Die ersten Schritte sind prüfend seit nunmehr zwei Wochen war ich nicht mehr laufen, gesundheitliche Probleme hinderten mich daran.“Doch es läuft sich besser als erwartet, die Muskeln sind noch leistungsfähig und der Kreislauf scheint ebenso selbstverständlich seine Arbeit zu verrichten. Langsam, aber stetig weicht meine Sorge und meine Schritte werden entspannter, ich öffne mich für meine Umgebung.“ Dieser Ich- Erzähler geht bedacht mit sich um, aber er überwindet seine Kontrolle, er wird entspannter .Er ist zum Geschehen bereit.
Dann beschreibt er den Weg, den er erläuft Es geht einen Berg hinauf, es wird neblig, die ihm bekannten Eichkätzchen am Weg erahnt er nur.
Er kennt den Wegverlauf, aber der Weg ist heute befremdlich anders: er sieht die Dinge durch den Nebel anders als sonst: er sieht weniger aber gleichsam intensiver:
“die Reifenspuren von den schweren Wägen der Waldarbeiter, sie hinterlassen eigenwillige Muster auf verschieden festen Untergründen“

Irgendwie verändert sich auch der Untergrund. Er wird weicher.... .

Und jetzt erfolgt ein Wendepunkt: der Ich-Erzähler verfällt in Gedanken. Seine Sinnesorgane entziehen sich der ihn umgebenden Wirklichkeit.

Ein weiterer erzählerischer Aufstieg – als Abstieg gestaltet.

Wir erfahren nicht, worüber der Ich- Erzähler gedacht hat. Wir erfahren aber, dass er dabei im Gefälle des Hinunterlaufens zu straucheln beginnt.
Er muss aufpassen, nicht schon wieder zu stürzen.
Die Natur erlebt er dann wieder denaturiert:

„hart, gleichmäßig, unnachgiebig, er wirkt ungewohnt monoton.“ Er läuft „ auf geteerten Wegen der Stadt entgegen...“


Könnte es sein, dass der Autor den immer wieder als Einbruch erlebten Zustand beschreiben will, in dem sich ein Suchender befindet?
Ein Mensch überwindet seinen Alltag – begibt sich auf die Suche – erlebt in ihr , wie sich Gewohntes geheimnisvoll verschleiert, kommt an die Grenze des Wunderbaren --- und dann holt ihn die Realität wieder ein.

Der Alltag ist hart, monoton und verläuft auf „geteerten“ Wegen.

Aber irgendwie spürt der Leser/die Leserin, dass sich dieser bedachtsame junge Mensch nicht entmutigen lassen wird, weiter zu laufen, zu suchen.

Und der offene Schluss deutet auch wieder auf die Gestaltungskraft des Autors hin: Es bleibt der Leserschaft überlassen , was man den Ich- Erzähler suchen lässt.
Und hier bietet sich auch die Möglichkeit der Identifikation.
Vielleicht bin es ja ich, die sucht – die vielleicht im unwirklich Verfremdeten, das die Realität mitunter wirklicher werden lässt, einen Teil der Wahrheit erkennt, einen Teil der eigenen Wahrheit. Diese ist gegründet in der Erkenntnis, dass Idee und Wirklichkeit einander bedingen, vernachlässigt man die eine, rächt sich die andere; man strauchelt.
 
Hallo Majanna!
Man kann nicht alles interpretieren, weil ein Aussenstehender nicht genau weiss, was passiert ist im Leben des anderen.
Wenn z.B. ein kerngesunder und lebendiger Mensch mit 35 Jahren plötzlich eine Netzhautablösung bekommt und behandelt wird, kann es sein, dass er zwei Jahre danach immer noch so eine Art Schock hat deswegen, obwohl Gott sei Dank alles gut verlaufen ist. Wie gesagt, man weiss ja gar nicht, wenn derjenige es nicht ausdrücklich sagt, was mit dem anderen los ist.
lG
 
Weißt Du, Nina!

Ich habe nicht ein reales Erlebnis interpretiert, sondern einen fiktionalen Text. Das ist es nämlich, was Philipp uns zum Lesen angeboten hat.

Es gibt immer mehrere Ebenen des Seins.

Ich hätte mich nie erfrecht, einen "Erlebnisaufsatz" zu interpretieren. Das überlasse ich einfacheren Gemütern, zumal man dann ja - um in Deinem Beispiel mit der Netzhautablösung zu bleiben - entweder Mediziner sein muss, um zu Ursachen des schrecklichen Geschehens zu kommen,oder ein gläubiger Mensch, der auch darin einen Schicksalsschlag Gottes sieht. Ein reales Erlebnis ist nicht hermeneutisch erfassbar, d.h. auf mehrere Weisen- nach Weltbild/ Deutungsansatz usw verschieden, für den aktiven Leser in dessen Lebensbild einordenbar .



Philipps Eingangsstatement erlaubte mir die Zuordnung seines nachfolgenden Textes als einen fiktionalen:





"So wenig Besonderes ist an diesem Satz, dennoch liegt vielleicht etwas darin verborgen. Ich will versuchen, Verborgenes zu beschreiben " (Philipp)


Nicht nur vom Inhaltlichen her ist es klar, dass der folgende Text gestaltet ist, sondern auch der deutliche Absatz zum " Innenbericht".
 
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