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Geschichten

Stephanos

New Member
Registriert
28. April 2003
Beiträge
17
Ich habe fast ein Jahr Herbst-, Advents- und Weihnachtsgeschichten gesammelt - zum Motto: ein Licht zur Erleuchtung der Herzen, der Sinne, der Gedanken...
Ich gebe hier einen kurzen Fontante-Text ein, auch mit Arbeitsfragen, wie ich sie für eine Religionszeitung vorbereitet habe, alternativ nur eine kurze Erläuterung.
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Ich w ü n s c h e mir alte oder neue, insbesondere anregende, M u t machende Geschichten, Dokumente, Texte, Gedichte zu der dunklen Jahreszeit und den menschlichen Bemühungen um Licht, um Erleuchtung, um Symbolik des Wandels und Friedens, um Menschwerdung (durch Gottes Sohn oder Tochter oder sonstige Verwunderungen zwischenmenschlicher Art) hier lesen..:

https://www.denkforum.at/forum/images/smilies/santa.gif

Also, m e i n Beitrag, eine Parabel vom Ginsterbusch - von Theodor Fontane:

Theodor Fontane: Des armen Mannes Weihnachtsbaum

London, 24. Dezember.

Ich sah heute in den Straßen Londons einen prächtigen Ginsterbusch, nicht als kriegerisches Wahrzeichen wie vordem, sondern als friedlichen Weihnachtsbaum, als schlichteren Ersatz für die schlichte Tanne. Es war in Tottenham-Court-Road, und es begann schon zu dunkeln.
Groß und klein eilte nach Haus, um zu rechter Stunde an rechter Stelle zu sein; alles war Leben, Bewegung, Freude. Unter denen, die ihrer Wohnung zuschritten, war auch ein Arbeiter, ein Mann in der Mitte der Dreißiger, blaß, rußig, ermüdet. Neben ihm ging sein ältestes Kind, ein Knabe von sechs bis sieben Jahren; er schleppte sich mühsam weiter. Das jüngste Kind war auf der linken Schulter des Vaters eingeschlafen, während er auf der rechten einen mächtigen Ginsterbusch als Weihnachtsbaum nach Hause trug. Der Ginsterbusch blühte. Man sieht viel Elend in den Straßen Londons, aber selten eines, in dessen Öde sich zartere Züge mischen, und so blieb ich stehen und sah dem müd und matten Zuge nach. Es war ersichtlich, die Mutter war tot, und dem Vater war die Aufgabe zugefallen, den beiden Kindern ihr Christfest zu bereiten. So war er denn hinausgegangen nach Hampstead-Heath, um auf der weiten winterlichen Heide den Weihnachtsbaum zu finden, den er zu arm war, an der nächsten Straßenecke zu kaufen. Die Kinder hatten ihn begleiten müssen, weil niemand im Hause war, der sich ihrer angenommen hätte. jetzt kamen sie von ihrem Gange zurück, der Älteste müde, der jüngste eingeschlafen. Was mochte sie daheim empfangen? Welcher Weihnachtsfreude gingen sie entgegen? Ich malte mir das Zimmer des armen Mannes aus: Der Ginsterbusch stand auf dem Tisch, und ein ärmliches Feuer brannte im Kamin; nichts Festliches sonst umher als das Herz seiner Bewohner. Im Widerschein des Feuers aber sah ich die gelben Ginsterblumen wie Weihnachtslichter leuchten, und ihr Blühen war wie die Verheißung eines Frühlings nach Erdenleid und Winterzeit.
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(Der Text stammt aus Fontanes Englandaufenthalt von 1855 ? 1859. Erstdruck in: Neue Preußische Zeitung. 31.12.1857. Aus: Theodor Fontane: Weihnachten mit Fontane. Aufbau-Verlag. Berlin 2000. S. 90f.)
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Ein L i c h t zur Erleuchtung - nein, nicht der Heiden - zur Aufhellung, zur Erfreuung der Menchen in der kleinsten, ärmsten Kammer.
Fontane hat diese Impression auf dem Hintergrund seines christlichen und naturnahen Lichterglaubens von seinen Reisen nach England mitgebracht; er hat diese Symbolik uns hinterlassen; wir brauchen sie nur in unserem Kopf und in unserem Gespräch oder im Arrangement zu aktualisieren.
Jedes Menschen Herz darf Weihnachten gerührt sein, weil wir uns besondere Freude schenken, ob in Geschenken, ob im Gedenken; und auch, weil nach der Wintersonnenwende die Gewissheit des Frühlings ansteht.
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Für die Zeitschrift "Religion h e u t e" erarbeitete E r k l ä r u n g e n und F r a g e n: Ich gestehe: Fontane ist mir über: Ginster als kriegerisches Emblem, als naturhaftes, abwehrendes Zeichen, als kämpferisch-widerständiges Signet, als unfriedliches Weiß oder Gelb?
Ich kenne als Blühendes, das am Bahndamm hinter dem Bauernhof wuchs, büschel-, reihen-, kilometerweise?stand und wartete, bis mein Brüder es für den Vater, der daraus Besen band, zurechtschnitten. Zack, ein Hieb mit der Sichel! Und er Ginstervorrat wurde nach Hause geschleppt, in Trockene gestellt, als Besenreiser mussten sie irgendwann ihren Dienst versehen.
Ich suchte und fand im ?Lexikon der Symbole? von Udo Becker (Freiburg u.a.: 2000: Herder Verlag. S. 103):
G i n s t e r: ein strauchartiger Schmetterlingsblüter mit gelben oder weißen Blüten. Der stacheltragende G. ist ein Sinnbild für die Sünde des Menschen, deretwegen dieser seinen Acker voller Dornen oder Disteln bestellen muß; außerdem ist er Symbol für das stellvertretende Leiden Christ (verschiedentlich unter den Marterwerkzeugen dargestellt), damit zugleich aber auch ein Erlösungs-Symbol (wie die Distel). ? Ob zudem in der englischen Kriegs- oder Religionsgeschichte der Ginsterbusch als "kriegerisches Wahrzeichen" eine Funktion hatte, konnte ich nicht ermitteln.
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Arbeitsaufträge:
Welche Beobachtungen macht Fontane in London, zur Weihnachtszeit?
Welche allgemeinere Bedeutung schreibt er dem Baumsymbol und den Lichtern für die Armen zu?

Zu: Theodor Fontane (1819 - 1898)
Bedeutendster deutscher Dichter des Realismus
URL: http://www.weltchronik.de/bio/cethegus/f/fontane.jpg

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Eine URL, vom schönsten Fontane-Denkmal, in Neuruppin:
http://www.fontaneseite.de/Theodor_Fontane.gif

Grüße -und eben die o. g. Wünsche

von S t e p h a n o s,

ja, dem Kerl sozusagen vom zweiten Weihnachtstag im Jerusalem, aber nicht aus Griechenland gekommen, sondern als gebürtiger Niederländer in Deutschland von den Alliierten gerettet und zu einem Europäer geworden. :weihnacht
 
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Eine ältere Geschichte: ein Brief - vom 15-jähr. Hölderlin dem Jungen

Zu den gewihten Nachten - ein jahreszeitlicher Beitrag
von Friedrich H ö l d e r l i n (1770 - 1843)

Friedrichs Brief an die Mutter in Denkendorf
(undatiert; kurz vor Weihnachten 1785)


Liebste Mamma!


Wann dißmal mein Brief etwas verworrener ist als sonst, so müssen Sie eben denken, mein Kopf sei auch von Weihnachtsgeschäfften eingenommen, wie der Ihrige - doch differiren sie ein wenig: meine sind, ohne das heutige Laxier, Plane auf die Rede, die ich am Johannistage bei der Vesper halte, Tausend Entwürffe zu Gedichten, die ich in denen Cessationen, (vier Wochen, wo man bloß für sich schafft) machen will, und machen muß, (NB. auch lateinische) ganze Paquete von Briefen, die ich, ob schon das N. Jahr wenig dazu beiträgt, schreiben muß, z. E. HE. Helffer, HE. Klemm, HE. Bilfinger, nach Altona, und was die Sachen als sind, und die Ihrige sind, was sie eben sind.
Was die Besuche in den Weinachten betrifft, so bin ich eher so frei, Sie hierher einzuladen, weil mich das Geschäfft am Johannistage, wie gesagt, nicht leicht abkommen läßt. Die 1. Geschwisterige werden sich wieder recht freuen; aber, im Vertrauen gesagt, mir ists halb und halb bange, wie sie von mir beschenkt werden sollen. Ich überlasse es Ihnen, liebste Mamma, wanns ja so ein wenig unter uns beim alten bleiben soll, so ziehen Sies mir ab, und schenkens ihnen in meinem Nahmen. Der l. Frau Grosmamma mein Compliment, und ich wolle Ihr auch ein WeihnachtsGeschenk machen --- ich wolle dem l.. Gott mit rechter Christtags Freude danken, daß er Sie mir auch dieses beynahe vollendte Jahr wieder so gesund erhalten habe. Onerachtet meines Laxiers bin ich doch im übrigen recht wohl. Bei mir ists zwar nicht zu spät, wie bei Ihnen, doch weiß ich eben nichts mehr zu schreiben, als daß ich bin

meiner liebsten Mamma

gehorsamster Sohn Hölderlin.

Hier schike ich etwas, die Weinachtsgeschäffte zu zerstreuen: wann
Sies ja nicht selbst lesen wollen, so lassen Sie sichs nur wenigstens von
dem 1.Geschw. vorlesen, es wird Ihnen recht wohl gefallen. Schiken
Sies nur, so bald als möglich zurük. Die andern Theile sollen auch
folgen. Auch die Bouteille bitte ich mir zu schiken, sie war entlehnt.
HE. Harpprecht von Nellingen hat mich gestern besucht und mich
um den 4ten Theil vom brittischen Museo gebetten.

**
(F.H.: Sämtliche Werke. Bd. 6. Teil 2. Briefe. Stuttgart 1954. S. 4f.; StA, Band 6.)

Ungewohnt in Text und Schrift:
In alter, also originaler, privat-konfuser Rechtschreibung, als es noch keine DUDEN-Richtigkeit gab, nur die Schreibung für lateinsiche Vokabeln eindeutig war - mit vielen Fremdworten, die, wer nicht Latein oder Französisch kennt, aus dem Wörterbuch suchen muss.
Geschrieben in einer strengen Klosterschule, die der intelligente fünfzehnjährige Friedrich damals besuchte, bis zum klassischen Abitur, M a u l b r o n n , eine noch heute respektable Kloster-und Wirtschafts-Anlage im Schwarzwald, die später noch von vielen Ausnahmeschülern in Schwaben besucht wurde, Hegel, Vischer, Strauss - (nicht zuletzt:) von Hermann Hesse.

Erklärungen:

Laxier = Erleicheurng, Erholung
Cessatio = Untätigkeit

*
Der junge Hölderlin:

URL: http://thm-c.search.vip.re2.yahoo.com/image/133332083

*
Der alte Hölderlin, als verstörter Mann im Turm am Neckar:
URL: http://thm-b.search.vip.re2.yahoo.com/image/710604281


:weihnacht

Gruß und Wunsch auf Geschichten und Bilder:
von Stephanos
 
Geschichte voller Licht(er)

Ich gebe noch eine dritte Beispielsgeschichte ein - zur Lichtmetaphorik:

L i c h t zur Verführung eines Kindes, Lichter aller Orten...

Oder
Eine Kurzgeschichte aus den frühen 60er Jahren, in der die Lichtmetaphorik in jeder damals möglichen Form eine Rolle spielt; auch die zur Aufklärung der Menschen und zur Stillung der Sehnsucht nach Nähe und Liebe..?
(Ob jemand den Dichter noch kennt? Auch der Originaltitel ist hier nicht angegeben. Beides wird nachgeliefert...)


Der Polizeibericht bestand nur aus wenigen Zeilen und war völlig uninteressant:
"Der vermißte und von der Polizei gesuchte fünfjährige Dieter G. konnte wohlbehalten in einem Gehöft, zwölf Kilometer von der Stadt entfernt, gefunden werden. Unverständlicherweise machte die Frau, die das verirrte Kind aufgenommen hatte, den Behörden erst nach drei Tagen Meldung."

Eine Zeitung hatte den Bericht tadelnd überschrieben: "Sträfliches Verhalten bei Kindesauffindung". Im Übrigen schien die Angelegenheit zu belanglos, als daß ihretwegen Reporter bemüht oder Photos in die Zeitung aufgenommen wurden. Dennoch möchte ich von ihr erzählen, weil ich meine, daß sie mit dem Polizeibericht noch nicht zu Ende ist.
Dieter stand an einem Dezemberabend im dunklen Zimmer der Parterrewohnung seiner Mutter und sah den milchigen Dunst über den hohen Mietshäusern in einem ungewohnten und unwahrscheinlich durchdringenden Violett leuchten. Er wollte wissen, woher dieses sonderbare Licht käme. Die Wohnung war verschlossen, weil die Mutter von der Fabrik weg gleich ins Kino gegangen war. Sie würde es nicht merken, wenn ihr Junge durch das niedrige Küchenfenster in den Hof hinabstiege und später auf demselben Wege zurückkehrte.
Niemand achtete in den belebten Straßen der großen Stadt auf ein kleines Bürschchen, das an diesem kalten Abend ohne Mantel war und zu einem Dach hinaufstarrte, darauf hohe Neonröhren violette Buchstaben an den diesigen Nachthimmel schrieben. Dieter, der nun wußte, woher der neue Glanz aus der Höhe stammte, ging dennoch wie gebannt weiter. Je mehr er sich der Stadtmitte näherte, um so wunderbarere Dinge sah er. Funkelnde Lichterketten spannten sich über die Straßen, die Fassaden von Kaufhäusern waren übersät mit riesigen leuchtenden Silbersternen. Goldene Engel flogen in Schaufenstern über starr lächelnde Modepuppen, in anderen Fenstern rasten Spieleisenbahnen über Brücken und durch Tunnels.
Menschen, die bunte Pakete mit silbernen und goldenen Schnüren trugen, stießen den kleinen, blassen Jungen an. Autotüren knallten. Die Luft war voll Benzingeruch, und aller Lärm der lauten Straße wurde überdröhnt von einem Lautsprecher. Knabenstimmen, ins Riesenhafte verzerrt, brüllten ?Stille Nacht, heilige Nacht«.
Dieter ging durch die laute, unheilige Nacht des frühen Dezembers und wußte nicht mehr, wohin er ginge. Er kam durch fremde Vorstadtstraßen; denn dort im Industrierevier wuchsen die Städte immer mehr zu einem gigantischen Stadtmoloch' zusammen. Der Moloch spielte auf der Gemütsharfe. "Weihnachts-Vorfreude" nannte er seine Melodie. Reklame und Weihnachtsgeschäft hieß sie in Wirklichkeit.
Als die Frau das erschöpfte Kind vor dem Zaun ihres Anwesens fand, geschah es, weil ihre Hunde sie geweckt hatten. Es waren mächtige Tiere, Neufundländer, aber ihr drohendes Gebell erschreckte den halb ohnmächtigen Knaben in den Armen ihrer Herrin nicht.
Aus der Erschöpfung sank Dieter in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst am nächsten Mittag erwachte. Er nannte der Frau seinen Namen - Dieter Groß -, aber er wußte den der Stadt und ihrer Straße nicht. Er wußte vieles nicht. Wie sein Vater hieß und ob er noch lebte. Warum das Weihnachtsfest gefeiert würde, das jetzt schon soviel Licht, Glanz und Lärm über die Straßen brachte. Er fragte auch nicht danach. Doch fragte er die Frau, warum sie so riesengroße Hunde besäße. Sie habe eine Hundezucht, sagte sie, seit sie auf der Flucht in dieses Land gekommen sei. Das Kind wußte auch nicht, was Flucht ist.
Die Frau erklärte es dem kleinen Jungen und sagte ihm, warum die Menschen Weihnachten feiern. Sie fragte ihn, ob er denn nicht die Geschichte von der Heiligen Nacht in Bethlehem kenne. Er sagte, ihm gehöre nur ein Geschichtenbuch und zog ein zerfledertes Heftchen aus der Hosentasche, darin riesige Muskelmänner mit dünnen Köpfen aufeinander einhieben, und aus den Mündern stiegen ihnen Seifenblasen, in denen Wortfetzen standen. Die Frau zerriß das Heftchen und warf es in den Ofen.
Sie benahm sich überhaupt merkwürdig und sogar "sträflich", wie nachher die Zeitung in ihrer Überschrift schrieb. Sie benachrichtigte die Polizei nicht von dem aufgefundenen Kind. Sie beherbergte es drei Tage bei sich, erzählte ihm von vielen merkwürdigen Dingen und Begebenheiten und zog ihm einen Mantel über, der ihm beinahe paßte und der herrlich warm war. Ihr Peter sei zwar ein Jahr jünger gewesen, aber damals schon sehr viel größer, als er auf dem Treck aus Schlesien in einer Januarnacht erfroren sei. Dieter lachte, weil er das Wort "Treck" komisch fand.
Schon am zweiten Tage war Dieter mit den Hunderiesen gut Freund. In der Nacht nahm ihn die Frau mit vors Haus. Draußen war eine sonderbare Luft - leicht zu atmen und ganz ohne Geruch - und eine Stille, wie das Kind sie nie kennengelernt hatte.
Nur ein fernes Summen hörte man noch von den Städten, über denen am Horizont ein gleißender Lichtstreifen lag. Und über ihnen und über den Feldern am Rande des Industriereviers standen viele Sterne.
Der Junge sagte zu der Frau, in den Straßen seien die Sterne viel heller und viel größer; und er lachte sie aus, als sie ihm weismachen wollte, diese winzigen Lichtpünktchen da droben seien millionenmal heller und millionenmal größer als alle Reklamesterne der Großstädte zusammengenommen. Aber als sie die Sterne zu Bildern werden ließ, die sie ihm am Himmel zeigte, und als sie von einem besonders hellen Stern sprach, der in einem fremden
Palmenlande über einem Stall mit einem neugeborenen Kind in einer Pferdekrippe, inmitten von Ochs und Esel, von Hirten und Königen gestanden habe, sagte er, das sei doch eine ganz hübsche Geschichte. Ob sie noch mehr davon wüßte.
Vielleicht lag es an diesen Geschichten, daß die Frau von der "Kindesauffindung", wie das die Zeitung nannte, der Polizei so spät Mitteilung machte. Als Frau Groß ihren Dieter abholen kam, freute er sich nicht einmal besonders darüber. Doch die Mutter nahm ihm das nicht weiter übel. Ja, sie zeigte sich großzügig, als die Gastgeberin ihres Jungen sie bat, er möge die Weihnachtstage bei ihr verbringen. An den Feiertagen gab es in den Kinos großartige Programme, und sie würde dann sowieso nicht wissen, was sie mit dem Kind anfangen sollte. Als sie fortgingen, streichelte Dieter zum Abschied die großen Hunde.
Das ist die belanglose Angelegenheit, die ein Polizeibericht in fünf Zeilen zusammenfaßte. Aber man wird mich jetzt vielleicht verstehen, wenn ich sage, sie dürfte mit jenen drei Adventstagen nicht zu Ende gewesen sei.
**

:weihnacht
Grüße - Stephan
 
Hugo Hartungs Weihnachtsgeschichte....

:weihnacht

Bei der hier vorgestellten d r i t t e n Lichter-Geschichte, die so intensiv die Lichtquellen auf Erden und am Himmel zur Deutung anbietet: in der kitschig-dröhnenden Stadt und in der stillen Vorstadtlandschaft eines Industriereviers in ihrer Symbolik für einen kleinen Jungen, der sich verirrt, und für dessen Mutter, die Weihnachten lieber ohne Kind in die leuchtenden Filmpaläste der Stadt läuft, und die naturverbundene Frau, die den kleinen Dieter Groß findet und ihm vom Weihnachtssternenhimmel zu erzählen weiß -

handelt es ich um Hugo H a r t u n g s Story

"Eine ganz belangslose Geschichte".


Hier lohnt es sich, die erzählerische Entwicklung der Licht(er)-Quellen der beginnenden 60er Jahre im Wirtschaftswunder-Deutschland in ihrer wirtschaftlichen, sozialen, emotionalen und religiösen Bedeutung zu erfassen.

:umarm:

Hugo H a r t u n g (1902 - 1972) ist fast völlig ins literarische Abseits gerutscht.
Er schrieb ansprechende, intelligente Unterhaltung; erhielt 1936 Schreibverbot; sein größter Erfolg war "Ich denke oft an Piroschka" (1954).Sein wichtigster Roman wurde - auch wegen der Verfilmung - "Wir Wunderkinder" (1957), unvergesslich...
URL: http://www.geschichte.uni-hannover....n/wunderkinder/bilder/wunderkinder_plakat.jpg

*
Die wieder entdeckte Weihnachtsgeschichte stammt aus: H. H.: "Die goldenen Gnaden". Festtagsgeschichten. Wien, Stuttgart 1960: Eduard Wancura Verlag.
Für schulischen Gebrauch auch in: Weihnachtserzählungen aus unserer Zeit. Heft I. Auswahl von Ernst Bachmann. Ffm: 1973. Hirschgraben-Lesereihe. S. 3-5.
*
Ich habe den Text mittlerweile auch in einer Taschenbuchausgabe von Hugo Hartung gefunden: "Die goldenen Gnaden". In: H.H.: Gesamtausgabe Bd. 4. 1983. S. 194-197.

:autsch:

Oder lieber so: :weihnacht
 
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Weihnachtsgeschichte von Schalom Ben-Chorin

Eine der seltsamsten Christnacht-, also G e b u r t s-Fest-Geschichten
stammt von

Schalom Ben-Chorin:

In der M a a b a r a


So einen Sturm habt ihr noch nicht erlebt! Er fauchte und zischte, rüttelte an den dünnen Bretterwänden der Holzbaracken, ließ die Blechdächer schaurig durch die Nacht rasseln und heulte wie eine Schar verdammter Seelen. Die wenigen Zelte, die es irgendwo an dem in Morast sich auflösenden Rande der Maabara - ganz gegen alle Programme gab, waren einfach davongeflogen. Und die »Badonim«, die Leinwandhäuser, blähten sich wie die Segel steuerloser Schiffe. Der elektrische Strom hatte ausgesetzt, das Kabel war von den furchtbaren Regengüssen undicht geworden. Nacht, tiefe undurchdringliche Nacht lag über der Maabara.
Plötzlich setzte der Regen aus. Der Mond brach durch das treibende Gewölk, und ein milder Stern wurde sichtbar, der über der Maabara zu stehen schien, wie ein Bote der Tröstung. Wetterleuchten ließ die unbefahrbare Straße hinüber nach Bethlehem aufscheinen. Dann war es wieder dunkel und still. Aus einer der elendsten Baracken drang ein leises Stöhnen.
Der alte Mosche setzte sich auf und lauschte. War es soweit, drüben beim Nachbarn Joseph, dem arbeitslosen Zimmermann, der aus einer anderen Maabara in Galiläa gekommen war aber auch hier keine Arbeit finden konnte? Der alte Mosche hatte sich oft über diesen stillen Joseph gewundert. So grau und unscheinbar stand er immer in der Ecke und blickte fast scheu auf seine junge Frau, die stets ein wenig lächelte und die Not des Tages, die drückende Armut kaum zu beachten schien. Es lag so etwas wie ein Geheimnis um diese Mirjam, von der niemand in der Maabara wußte, wie sie zu diesem einfältigen Manne kam, der mehr wie ihr Vater wirkte. Aber jedermann hatte seine eigenen Sorgen, und so kümmerte man sich nicht um den arbeitslosen Zimmermann und seine stille Frau. Sie gingen einen nichts an. Sehe jeder, wo er bleibe - sehe jeder, wie er's treibe.
Dennoch mußte Mosche jetzt auf das lauter werdende Stöhnen aus der Baracke der Joseph lauschen. Hatte Mirjam schon ihre schwere Stunde? Und kein Doktor war da. Telefon gab es nicht. Der Sturm hatte die Leitungsdrähte heruntergerissen. Wie sollte man da Hilfe herbeirufen? Ach was, dachte Mosche, ich habe nichts gehört. Wenn der Nachbar Hilfe braucht, wird er schon an meine Tür pochen.
Die Geburt war überraschend schnell vor sich gegangen. Mitten im ärgsten Sturm und Regen hatten die Wehen eingesetzt. Joseph hoffte, daß der Himmel doch noch ein Einsehen haben und das Unwetter nachlassen werde, so daß er Hilfe herbeirufen konnte.
Wie gelähmt hockte der stille Mann in der Ecke und blickte auf die Frau, die sich in ihren Nöten wand. Er wußte nicht, wie er helfen sollte, kauerte frierend und verängstigt in der eisigen Nacht, die nur von einer elenden Ölfunzel matt erleuchtet wurde.
Hätte nicht die grobknochige alte Kurdin von nebenan plötzlich im Eingang der Hütte gestanden, wäre Mirjam allein geblieben. Die Frau hatte sich einen groben Sack umgeworfen, um sich vor dem peitschenden Regen zu schützen. »Jihje tov, jihje tov« (wird schon gut werden), murmelte sie und stellte Wasser auf dem Primus-Kocher auf. Sie hockte neben Mirjam nieder und trällerte heiser etwas vor sich hin.
Plötzlich bäumte sich die junge Frau - wie von einer Welle hochgerissen auf und sank dann aschfahl zurück. Ihr Wimmern erstarb, aber eine andere, ganz leise Stimme weinte in der Nacht.
Die alte Kurdin packte zu. Da war es, das Kindlein. Ein Knabe, rosig und lieblich. Ein Wunder in dieser Nacht ohne Erbarmen. »Jeled, Jeled!« fauchte die Kurdin begeistert und breitete die blau gemusterten Finger gegen den bösen Blick über dem Neugeborenen. »Ein Sohn, ein Sohn ist uns geboren!« Sie begann das Kind zu waschen und bereitete der erschöpften Mutter einen Tee.
Joseph half, wo er konnte, aber die Alte stieß ihn zur Seite. »Männer haben hier nichts zu suchen«, maulte sie gaumig. Sie achtete nicht auf Joseph und nicht auf die zwei vierbeinigen Gäste, die in die Hütte kamen: der Esel des Nachbarn, der sich losgerissen hatte und Schutz vor Nässe suchte, und Josephs eigene Ziege, die näselnd meckerte, als wollte sie das Neugeborene begrüßen. Aus einem alten verbeulten Blechkoffer holte Joseph das strahlend weiße Leinenzeug, das Mirjam für diese Stunde verwahrt hatte. Und nun lag das Kindlein, ordentlich gewickelt, neben der lächelnden Mutter auf dem dürftigen Bett. Die Alte hatte ihr Werk vollbracht. »Masal tow, Glück zu«, sagte sie so laut, daß es sogar der schwerhörige Mosche nebenan hören konnte. Da raffte er sich auf, holte die Flasche mit dem Prompfenschnaps unterm Bett hervor und schlurfte hinüber zu Joseph, zaghaft an die Tür pochend. »Nur herein, liebe Nachbarn«, sagte Joseph und strahlte den alten Mosche an. Und kaum war dieser eingetreten, da fand sich auch Jiche, der dunkle Jemenite, ein, und Chaim, der Mann aus Bulgarien, der einst bessere Tage gesehen hatte. Und sie hatten alle etwas mitgebracht. Eine Kleinigkeit, eine Nichtigkeit - mehr hatten sie nicht. Und sie legten es wie eine Huldigung nieder vor dem kleinen Menschensohn, der da mitten in dieser Nacht der Verlorenheit selig lächelte. Mosche holte seine Flasche hervor und füllte die Gläser, die Joseph ihm reichte, und begann leise die alte chassidische Weise zu singen: »Rebbe du, wus wer'n mir trinken, wenn Maschiach wird kummen?«

*

Zur E r k l ä r u n g :

Maabara war die Bezeichnung für die Übergangslager der Neueinwanderer in Israel in den Jahren nach der Staatsgründung 1948 1960. Die größte Maabara in Jerusalem lag unmittelbar an der Straße nach Bethlehem, das damals zu Jordanien gehörte. Die Neueinwanderer mußten oft viele Jahre in diesen elenden Behausungen zubringen, bis menschenwürdigere Wohnungen für sie erstellt werden konnten. Aus der Situation der fünfziger Jahre ist diese kleine Skizze entstanden.
(Aus: Und überall weihnachtet es sehr. Geschichten und Erinnerungen. Herausgegeben von Manfred Baumotte. Hannover 2001: Lutherisches Verlagshaus. S. 123-127. - Der Herausgeber Baumotte führt als Quelle dieser sonst nirgendwo gedruckten Erinnerungs-Geschichte eine persönliche Zueignung durch den Autor an.)

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Schalom Ben-Chorin (1913-1999) ist einer der bekanntesten jüdischen Religionsphilosophen und Schriftsteller deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Er gilt als Gründer des Reformjudentums in Israel.
Mit mehr als 30 Büchern und Hunderten von Artikeln und Essays hat er das deutsch-israelische und das christlich-jüdische Gespräch geprägt.
Sein Leben war ein Zeugnis für Begegnung und Verständigung.
Das letzte Interview mit Tobias Raschke und viele Informationen über
URL: http://www.ben-chorin.de/
Oder: http://www.hagalil.com/ben-chorin/
Nachruf von Inka Bohl: Sein Name war Frieden: Zum Tode von Schalom Ben-Chorin
http://www.judentum.net/kultur/ben-chorin-1.htm
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Porträt:
http://plattpartu.de/gott/gott_biller/benchorin.jpg
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A r b e i t s-aufträge (die ich als Lehrer mal verteilte....):

* Erzähle die Geschichte dieser ?Christnacht? in Israel nach.
* Erläutere die Charakterisierungen der Personen.
* Und vergleiche den Text mit der klassischen Bibel+überlieferung
(Lk 2,1-14) und mit den Kurzgeschichten
von Wolfgang B o r c h e r t "Die drei dunklen Könige"?
und von Josef R e d i n g "An der Stalltür".
 
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