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Beweis einer unphysikalischen Seele

Wargole schrieb:
Ich sags also nochmal: Die Identität über die Zeit hinweg kann im strengen Sinn tatsächlich nicht bewiesen werden.
Aber die Situation ist trotzdem einfach: Entweder es gibt sie, oder es gibt sie nicht. (Will heissen, sich auf einem "wir wissen es einfach nicht" Standpunkt auszuruhen, ist wenig fruchtbar.) Die Annahme, dass es sie gibt, habe ich versucht, in meinem Text weiterzuverfolgen, sowie deren Konsequenzen aufzuzeigen. Wenn man der Ansicht ist, dass es sie nicht gibt, dann muss man wohl oder übel die Kröte schlucken, dass man nur genau JETZT lebt. Ohne Vergangenheit, und ganz besonders ohne Zukunft. Das mag im genau jetzigen Moment betrachtet wahr sein, ist doch aber stark kontraintuitiv. Wer das glauben mag, oder ernsthaft in Erwägung zieht, soll das meinetwegen tun; ich kann es einfach nicht.

Hallo Wargole, so kommen wir der Sache doch näher.
Ich denke schon, dass man beweisen kann, dass es ein Identischsein über dei Zeit nicht gibt (oder man kann sagen: alle Beobachtungen sprechen dafür). Man kann das übrigens auch ganz intuitiv ausdrücken ("man springt nicht zweimal in den gleichen Fluss").
Schon wegen der Eigendynamik kleinster Teilchen (brown'sche Bewegung)ist stets alles in Veränderung; Zellen werden regeniert; Gehirnmuster ändern sich; wir wachsen, schrumpfen, ändern Ansichten, Gewohnheiten, Fähigkeiten lassen nach, Gedächtnis wird durch Aktualisierung verfälscht usw.
Trotzdem kann nicht abgestritten werden, dass es die Idee der Identität oder des Identischseins gibt. Wir können nichtz abstreiten, dass Kinder als Erwachsene wiedererkannt werden oder dass Zeugen (manchmal) einen Unfallhergang identisch beschreiben.
Ich denke, wir müssen dieses Identischsein als Muster ansehen, das wiedererkannt wird. Mithin als eine etwas komplexere Information. EIne Information, eine "5" z.B. ist stets als Information mit sich selbst identisch unabhängig, ob sie digitalisiert, auf dem Blatt geschrieben in den Sand gezeichnet oder aus Knete geformt wird. Sie ist von der Materie unabhängig. Warum? Weil sie eben kein "Ding" ist - sondern eine Differenz. Sie ist eine Beobachtung, die durch Unterscheidung gewonnen wird - wie alle Beobachtungen.
Die Identität eines Selbst mit sich Selbst ist demnach auch die Unterscheidung eines Beobachters. Denn wer sollte sonst entscheiden, was identisch ist - Gott? Identisch ist dann eine Zwei-Seiten Form: Identisch/nicht-identisch. Ein Beobachter entscheidet, dass etwas identisch ist - und er entscheidet auch ganz typisch, dass er identisch mit sich selbst z.B. als Kind ist - obwohl es offensichtlich riesige Unterschiede gibt.
Typischerweise - und das unterstreicht die Konstruktion als Zwei-Seiten-Form - wird er gerade dann die Beoachtung "identisch" betonen, wenn sich eben viel verändert hat: "Trotz aller Widrigkeiten, ist er derselbe geblieben" "Im Grunde ist er immer noch ein Kind - ein Kind im Anzug" "Ich versuche, ich selbst zu bleiben - auch wenn ich berühmt bin"

Du, Wargole, hast ganz richtig die Konsequenz eines solchen Betrachtung gezogen: Man lebt im Jetzt. Ich finde das nicht deprimierend. Sondern herausfordernd, anders zu denken. Eine Möglichkeit bietet hier die Systemtheorie mit ihren momenthaften, selbstreferentiellen Systemen.
Diese Theorie ist so ausgearbeitet und so gut empirisch belegt, dass man schon wissen kann, dass es eine Identität (außer als Beobachtung - Zweit.Seiten-Form) im absoluten Sinn nicht gibt.
Verzeih mir, wenn ich damit die Diskussion mehr oder weniger als beendet betrachte, denn auch wenn deine Ansätze originell sein mögen, ist doch die Basis -aus meiner Sicht ;) - rein spekulativ.

@Amanda
Falls du noch mitliest: Auf den Beobachter werde ich noch eingehen, wenn ich Zeit habe
 
Werbung:
Zur Beobachtung elektrochemischer Muster im Gehirn

Nun also noch zum FInden einer Beobchtungsinstanz im Gehirn, wie Amanda es ansprach:

Bedient sich Bewußtsein des Vehikels Gehirn ? Was ist das verbindende Element, welches die Bilder/Wahrnehmungen der verschiedenen Gehirnareale zu einem Ganzen verbindet ? Es wird vermutet, daß es ein ´Synchronschwingen/Synchronfeuern´ der betreffenden Neuronen ist, was das Bild zusammenfügt. Dennoch bleibt für mich die Frage: Wer oder was ist der ´Betrachter/der Beoachter` dieses zusammengefügten Bildes ?

Wenn Gehirnforscher eine "INstanz" nachweisen wollen, die das Bild zusammenfügt oder "beobachtet" und sie lokalisieren wollen, dann stehen sie mitten in einer unendelichen Kette: Denn diese Instanz wäre ja auch wieder daraufhin zu untersuchen, inwelchem Teil von ihr nun wirklich die letzte Instanz sitzt und wenn man diesen Teil gefunden hat, stellt sich die Frage erneut, wo denn in diesem Teil dann die Aufgabe der Letztbeobachtung habe usw.
Solange man von einer ontologischen Logik ausgeht, d.h. von Dingen, z.B. Subjekte, die Objekte beobachten, wird man aus dieser Paradoxie nicht herauskommen. Denn man sieht den Beobachter als Einheit, sieht aber gleichzeitig, dass er keine Einheit bilden kann: Denn man kann ja nur über Differenzen wahrnehmen.
Als Ausweg bietet sich eben an, die Beobachtung nicht als Einheit zu sehen, sondern als Prozessieren von Differenzen - und - im Falle des Bewusstseins - davon auszugehen, dass sich das Bewusstsein in genau diesem Prozessieren selbst erzeugt und zwar momenthaft. Aus diesen Gedanken folgt dann, dass sich das Bewusstsein im Moment der Beobachtung nicht selbst beobachten kann! Denn das momenthafte Beobachten ist ja das eigene Manifestieren. Und da man in einem Moment nicht zwei Beobachtungen gleichzeitig machen kann (was auch empirisch nachgewiesen ist), ist das Bewusstsein für sich selbst blind!
Das gilt aber nur für den Moment: Das Bewusstsein kann sich selbst beobachten durch Rückgriff auf das Gedächntis. Die Aktualisierung von Gedächtnis ist dann nur eine spezielle Art der Beobachtung. Und sie ist wieder momenthaft und (wie ja auch durch die elektrochemische Analyse bewiesen wurde) instabil.
Dennoch könnten natürlich Gehirnmuster existieren, die das Erkennen des Bewusstseins in sich selbst repräsentieren oder wenigstens anzeigen. Dazu kann ich nur Spekulationen liefern:
1. Wird eventuell überschätzt, wie oft wir wirklich davon abhängig sind, uns als Bewusstsein selbst bewusst zu sein. Ich denke, die allermeisten Situationen erfordern nur ein "Beobachten erster Ordnung" also ein Prozessieren von Wahrnehmungen, Gedanken und Gedächntisleistungen, in dem wir die Welt als objekthaft empfinden und in routinierten Mustern damit umgehen können. Nur in Situationen, wo sich die Frage stellt, ob man selbst etwas verursacht oder die Umwelt, ob man für etwas schuldig ist oder sich Grübeleien über das Selbst hingibt, wird man sich selbst als Selbst beobachten müssen. Hier gibt es sicher auch starke individuelle Unterschiede.
2. Es könnte sein, dass Muster, die das Selbsterkennen des Bewusstseins repräsentieren, nicht lokal entstehen, sondern in andere Erkenntnismuster eingewebt sind; das sie wie ein Signum, ein Wasserzeichen anderen Beobachtungen beigemengt sind. So wie zum Beispiel bei der Übertragung von Radioprogrammen bestimmten Wellen in einem bestimmten Bereich die eigentliche Information wiederum als Welle überlagert wird; was aber nicht sichtbar ist, sondern nur entschlüsselt werden kann mittels eines bestimmten Codes.

Wie gesagt, ich maße mir hier nichts an. Es könnte auch sein, dass Gehrinforscher, obwohl sie eigentlich den prozessualen Ablauf von Gehrinaktivität kennen, dennoch noch so ontologisch geprägt sind, dass sie dennoch irgendwie auf eine erlösende letzte Entität hoffen.

Sollte der Beobachter dann doch in einer immateriellen Seele liegen - dann kann ich mir leider keine Beziehung zwischen ihr und einem autopoietischen System vorstellen. In einem anderen Thread ist von Kristallen etc. die Rede... Nun ja, nicht meine Baustelle...
 


Die Kristallwelten von Swarovsky & Aphex sind, surrrr-burrrr, meine Baustelle auch nicht.
Aber Hauptsache ist doch, der Computer ist wieder frei.

Robin schrieb:
Die Thesen, die ich vertreten würde, sollte die Diskussion noch auf Interesse stoßen:
- Das Selbst ist eine Konstruktion
- Eine Seele gibt es nicht (oder sie ist irrelevant für die Konstruktion des Selbst)
- Das Bewusstsein ist nicht dinghaft im Sinne einer ontologischen Fragestellung,
sondern prozessual, momenthaft, selbstreferentiell.

Meinem Verständnis nach wird das Ich-Gefühl (bzw. das Selbst) durch neuronale Prozesse
hervorgebracht, es ist ein Begleit-Phänomen dieser Prozesse (deshalb bereitet mir auch
die Bezeichnung "phänomenales Selbst" kein Kopfweh).
Natürlich ist das je aktuelle Ich-Gefühl selbst immateriell, so wie auch Gedanken immateriell
sind, aber Gedanken und Ich-Gefühl werden von neuronalen Prozessen hervorgebracht, die an
(veränderliche) materielle Strukturen gebunden sind und durch diese mitbestimmt werden.

Amanda hat schon kurz Damasio referiert, der eine Modellvorstellung für diese Prozesse
skizziert, Metzinger ergänzt mit seiner Selbst-Modell-Theorie diese Vorstellung.

Grosso modo dürfte unser Begriffsverständnis also miteinander kompatibel sein,
jedoch habe ich Probleme mit folgender Bemerkung im Beitrag #9.

Robin schrieb:
Ja, Amanda, das ist die Frage: Wer ist der Beobachter?
Das ist sehr kompliziert, wenn nicht paradox.
Es ist sicher falsch, wenn die Hirnforschung versucht,
den Beobachter auch noch im Hirn zu lokalisieren.
Warum ist das sicher falsch ?

Bedingt denn nicht gerade der selbstreflektive Charakter des Bewusstseins
(Gewahrsein des eigenen Denkens, Fühlens, Wahrnehmens) dass der Beobachter sehr wohl
auch im Hirn zu lokalisieren ist ?

Worin sollte denn auch der prinzipielle Unterschied zwischen einer Veränderung
der neuronalen Aktivitäten infolge eines äußeren Reizes (z.B. visueller Reiz),
und einer Veränderung der neuronalen Aktivitäten infolge eines hirn-internen Prozesses
(z.B. eines Gedankens) bestehen ?

Offenkundig ist unser Hirn imstande, mit solchen Veränderungen umzugehen,
sie zu "verarbeiten".
Die erwähnte Beobachterrolle stellt also keine grundsätzlich neue Aufgabe dar.
Es ist eine Frage der Anzahl verfügbarer Neuronen und ihrer Verbindungen,
in welchem Umfang (Rekursivitätstiefe) und mit welcher Auflösung das gelingt.


Das musste auch einmal mit aller Klarheit gesagt werden.
 
Neugier schrieb:


Bedingt denn nicht gerade der selbstreflektive Charakter des Bewusstseins
(Gewahrsein des eigenen Denkens, Fühlens, Wahrnehmens) dass der Beobachter sehr wohl
auch im Hirn zu lokalisieren ist ?

Worin sollte denn auch der prinzipielle Unterschied zwischen einer Veränderung
der neuronalen Aktivitäten infolge eines äußeren Reizes (z.B. visueller Reiz),
und einer Veränderung der neuronalen Aktivitäten infolge eines hirn-internen Prozesses
(z.B. eines Gedankens) bestehen ?

Offenkundig ist unser Hirn imstande, mit solchen Veränderungen umzugehen,
sie zu "verarbeiten".
Die erwähnte Beobachterrolle stellt also keine grundsätzlich neue Aufgabe dar.
Es ist eine Frage der Anzahl verfügbarer Neuronen und ihrer Verbindungen,
in welchem Umfang (Rekursivitätstiefe) und mit welcher Auflösung das gelingt.


Das musste auch einmal mit aller Klarheit gesagt werden.

Die Frage ist eben, was mit "lokalisieren" gemeint ist? Im ontologischen Sinn sitzt da im Gehirn noch eine Instanz, die die Beobachtungen beobachtet (wenn ich Amanda richtig interpretiere). Systemtheoretisch ist das Beobachten aber schon das Bewusstsein - und zwar immer momenthaft und nirgendwie anders.
Ich denke, um mich zu wiederholen, wir überschätzen vielleicht das "Selbst" unseres Bewusstseins. Wir hören, sehen, riechen, reden meist ganz ohne Bewusstsein des Selbst. Das wäre ja auch viel zu aufwändig, als ob für einen Beamten noch ein zweiter Beamter eingestellt würde, der ständig nur vergewissert, dass der Beamte auch beamtet ;). Das Selbst-Erkennen könnte sich evolutionär quasi so nebenher eingestellt haben, wie Neugier anregt: Durch Steigerung der Komplexität.
Von westlichen Denkern wird das Individuelle immer sehr hochgehängt. In anderen Gesellschaften (Asien) ist (war?) das anders. Entscheidend ist, dass sich das Bewusstsein von der Umwelt unterscheiden kann. Wer kann schon sagen, ob und wie diese Fähigkeiten z.B. bei Tieren schon graduell entwickelt ist?
 
Hallo zusammen.

Ich hatte mir eine kleine Auszeit genommen. Nicht weil ich nicht mehr weiter wusste, sondern weil ich keine Lust hatte. Diskussionen in Foren laufen einem schliesslich nicht davon...
Aber gut, es geht weiter.

Also zunächst mal muss ich festhalten, dass in den letzten paar Beiträgen wieder von einem anderen Selbst die Rede war, als von dem das mir vorschwebt. Dies nur als Hinweis.

Robin schrieb:
Ich denke schon, dass man beweisen kann, dass es ein Identischsein über dei Zeit nicht gibt (oder man kann sagen: alle Beobachtungen sprechen dafür). Man kann das übrigens auch ganz intuitiv ausdrücken ("man springt nicht zweimal in den gleichen Fluss").
Schon wegen der Eigendynamik kleinster Teilchen (brown'sche Bewegung)ist stets alles in Veränderung; Zellen werden regeniert; Gehirnmuster ändern sich; wir wachsen, schrumpfen, ändern Ansichten, Gewohnheiten, Fähigkeiten lassen nach, Gedächtnis wird durch Aktualisierung verfälscht usw.

Grundsätzlich hast du erst mal recht.

Wie die alten Griechen könnten wir die physischen Gegenstände (rein theoretisch!) in "Stoff" und "Form" (im weitesten Sinn, also Muster, Struktur, Information, Eigenschaften usw.) zerlegen.
Und egal, ob wir nun die Stoffseite betrachten, oder die der Form - alles verändert sich. Ich meine, insbesondere an einem konkreten Menschen.

Betrachten wir zuerst die Stoffseite: Die Zellen des Körpers werden mit der Zeit durch frische Zellen ersetzt. Allerdings habe ich bei mehreren Gelegenheiten gelesen, dass das nicht auf alle Zellen des Gehirns zutrifft. Manche Hirnzellen bleiben demnach das Leben lang dieselben, und werden auch nicht ersetzt, wenn sie verloren gehen. (Möglich, dass die Alzheimerforschung das mal ändern kann.) Nichtsdestotrotz beweist das aber keine stoffliche Identität im Gehirn, da auf der subatomaren Ebene alles im Fluss ist. Ein Atom besteht zwar aus dem Kern und ein paar Elektronen. Elektronen sind aber anscheinend nicht die kleinen, punktförmigen, festen Objekte, als die man sie sich gewöhnlich vorsetllt. Sie sind eher eine Wolke aus Wahrscheinlichkeiten. Der Atomkern wiederum besteht bekanntlich aus Protonen und Neutronen, welche ihrerseits aus Quarks und Gluonen zusammengesetzt sind. Diese Teilchen werden alle 10^-23 Sekunden ersetzt und ausgetauscht (an der Funktion des Atomkerns ändert dies aber nichts). Also scheint es eine stoffliche Kontinuität nicht geben zu können. Am ehesten könnte man vielleicht meine Beschreibung der Elektronen kritisieren. Die Quantenmechanik ist zwar sehr erfolgreich, aber die genaue Interpretation derselben bleibt umstritten. Zum Beispiel David Bohms Modell zufolge sind Elektronen tatsächlich kleine, punktförmige Objekte, welche für eine ziemliche Weile existieren. Es erscheint jedoch etwas fragwürdig, seine Identität an einer Ansammlung von Elektronen des Gehirns festmachen zu wollen. Allerdings ist dieser fragwürdige Eindruck leider keine echte Widerlegung, dass es nicht doch so ist.

Und wenn man sich dann unserer Form (im weitesten Sinne) zuwendet, dann kommt man auch nicht zu einer Lösung, da sich das alles auch wandelt, über die gesamte Lebensdauer. Zwar nicht so schnell wie die Substanz, und ab einem gewissen Alter bleibt das Muster relativ stabil, die weiteren Veränderungen (besonders am Hirnaufbau) bleiben vergleichsweise gering, was aber nicht heisst, dass es keine gibt. Und gerade im frühen Lebensalter gibt es bekanntlich sehr starke Veränderungen.

Robin schrieb:
Trotzdem kann nicht abgestritten werden, dass es die Idee der Identität oder des Identischseins gibt. Wir können nichtz abstreiten, dass Kinder als Erwachsene wiedererkannt werden oder dass Zeugen (manchmal) einen Unfallhergang identisch beschreiben.
Ich denke, wir müssen dieses Identischsein als Muster ansehen, das wiedererkannt wird. Mithin als eine etwas komplexere Information. EIne Information, eine "5" z.B. ist stets als Information mit sich selbst identisch unabhängig, ob sie digitalisiert, auf dem Blatt geschrieben in den Sand gezeichnet oder aus Knete geformt wird. Sie ist von der Materie unabhängig. Warum? Weil sie eben kein "Ding" ist - sondern eine Differenz. Sie ist eine Beobachtung, die durch Unterscheidung gewonnen wird - wie alle Beobachtungen.

Naja, ich habe erhebliche Zweifel, ob ich ein kleines Kind und einen Erwachsenen ohne weiteres als dieselbe Person identifizieren könnte, selbst wenn ich ein perfektes photographisches Gedächtnis hätte. Normalerweise kann man das im eigenen Umfeld schon, weil man die betreffenden Personen nicht für Jahrzehnte aus den Augen verliert, und weil es einen kontinuierlichen Wandel gibt. Wenn man die Person einmal mit, sagen wir, 8 Jahren gesehen hat, und einmal mit 20 oder 40, dann ist das Wiedererkennen extrem schwer. Wenn man aber gewisse Etappen des Wandels miterlebt hat, dann ist es erheblich einfacher.

Aber trotzdem hast du recht, dass ein grobes Muster konstant bleibt. Ich bezweifle allerdings stark, dass dieses konkrete Muster, das übers ganze bewusste Leben hinweg wirklich konstant bleibt, individuell genug ist, um beispielsweise auch eineiige Zwillinge voneinander zu individuieren. Wenn nicht, kann das Selbst (in meinem Sinn) eines solchen Zwillings nicht dieses Muster sein. (Dies nur am Rande, da manche Autoren das Selbst [in meinem Sinn] als ein spezifisches Informationsmuster betrachtet haben.)

Robin schrieb:
Du, Wargole, hast ganz richtig die Konsequenz eines solchen Betrachtung gezogen: Man lebt im Jetzt.

Da muss man aber aufpassen, dass man das richtig versteht!
"Ich lebe im Jetzt" kann nämlich auf zwei Arten gelesen werden. Meistens versteht man es aber auf die Art, die ich gerade nicht meine. "Ich lebe im Jetzt" sagt einer, der spontan ist, der immer nur aus der gegenwärtigen Situation entscheidet, der keine Pläne hat, und der den Moment auskostet, ein Hedonist, etc., etc. Ich meinte dagegen, dass man nur genau JETZT real existiert. Dass heisst, jetzt, wo ich diese Zeile schreibe, bin ich wirklich. Und wenn ich ein paar Sekunden warte, bis der gegenwärtige Moment verstrichen ist, ... moment... JETZT zum Beispiel, jetzt bin ich NICHT mehr existent. Jetzt bin ich Vergangenheit. Doch dann bemerke ich... Moment mal... Das ist aber ein Widerspruch in sich. Wenn ich dies hier schreibe, dann bin ich doch sicher nicht nonexistent, ganz im Gegenteil! Wenn ich dies hier JETZT schreibe, kann ich nur folgern, dass ich JETZT existiere. Aber jetzt kann ich nicht mehr sicher sein, dass ich den ersten Gedanken, den ich vor ein paar Augenblicken getippt habe, wirklich selber getippt habe. Ich erinnere mich zwar stark daran, dass ich es erlebt habe. Aber vielleicht ist das eine Illusion, die ich meinem Gedächtnis, oder besser dem Gedächtnis meines Körpers verdanke. Wenn ich wirklich nur JETZT existiere, dann muss es eine Illusion sein. Dann hat mein Körper das zwar geschrieben, aber ich habe es nicht selbst miterlebt. ... Und jetzt sind schon wieder ein paar Augenblicke verstrichen, "meine" Gedanken, "mein" Gehirnzustand haben sich verändert. Und wenn ich nur genau JETZT existiere, dann kann ich das alles, was ich da scheinbar eben noch geschrieben habe, nicht selbst geschrieben haben. Das bilde ich mir dann nur ein.

Will sagen: Es ist sehr kontraintuitiv, da ich erlebe, wie die Zeit fliesst. Die Zukunft wird ständig zur Gegenwart, und was eben noch Gegenwart war, driftet in die Vergangenheit. Wie kann das sein, wenn ich nur einen Augenblick lang existiere? Natürlich kann man jeden zweiten Augenblick in Frage stellen, dass man das wirklich erlebt hat, was man sich erinnert eben gerade noch erlebt zu haben. (Oder, wenn du recht hast mit deiner Behauptung, nur gerade JETZT zu existieren, dann wäre es natürlich nur scheinbar jeder zweite Augenblick.) Genauso ist es natürlich legitim, zu bezweifeln, oder gar zu bestreiten, dass man den nächsten Augenblick erleben wird.

Aber ich sage: Wenn man ständig, andauernd, konstant von Morgen bis Abends das Gefühl hat, dass die Zeit gleitet, dass die Zukunft ständig für uns Gegenwart wird, d.h. dass unsere subjektive Zeit weitergeht, dass sie wider erwarten einfach nicht enden will (zumindest vorerst nicht) - dann kann man doch etwas Mühe haben, zu glauben, dass man WIRKLICH nur einen Augenblick lang existiert und keinerlei zeitliche Ausdehung besitzt. Wenn man sich aufmerksam immer wieder fragt, ob man das scheinbar eben noch erlebte wirklich erlebt hat, und besonders, wenn man die Aufmerksamkeit auf die allernächste Zukunft richtet, die immer gerade dabei ist, Realität zu werden. Metaphorisch: Der Film will nicht reissen.

Man muss sich das mal wirklich bewusst machen: Meine ganze scheinbare, jahrzehntelange Erfahrung, mein ganzes Leben, all das ist eine verdichtete Illusion in einer Existenz, die in Wirklichkeit nur ein paar Sekunden dauert? Alles, der ganze subjektive Fluss der Zeit, über Tage und Monate hinweg, und immer wenn man wieder innehält und sich fragt - dies alles existiert für mich nur in einem Moment von ein paar Sekunden, meinem einzigen Moment? Wenn das nicht unglaublich ist, dann weiss ich nicht mehr, was sonst noch unglaublich sein soll.

(Selbstverständlich bestreite ich nicht, dass die Inhalte des Bewusstseins (in der Regel) ständig im Fluss sind. Aber ich denke, etwas bleibt doch gleich. Allerdings nicht ein bestimmtes Objekt unserer Wahrnehmung.)

Wenn ich nur einen Augenblick lang existiere, dann ist es ja wohl so, dass ich einfach mein momentanes Bewusstsein bin, d.h. die Summe dessen, was mir jetzt gerade bewusst ist, und sonst nichts weiter. Weder mein Körper, noch irgendein dauerhaftes Selbst. Das Bewusstsein ändert sich aber, und sobald es sich verändert hat, existiere ich nicht mehr. Alle ausgefeilten Gedankenspielereien können daran nichts ändern. Wenn ich Bewusstseinszustand A bin, dann kann ich nicht auch B sein, denn A ungleich B. Wenn A nicht mehr da ist, bin ich weg, d.h. geistig tot. B wird (aufgrund des Gedächtnisses) allerdings glauben, A erlebt zu haben, was aber nicht wahr ist. Aber wie auch immer - für mich wird das, was B glaubt (oder auch nicht glaubt), keinen Unterscheid machen, da ich dann nicht mehr existiere.

Robin schrieb:
Ich finde das nicht deprimierend.

Je nun, deprimierend finde ich diese Gedanken ganz und gar nicht. Und selbst wenn ich es täte, dann wäre das ja wohl kaum ein Argument. (Für mich jedenfalls nicht.)
Nein, ich kann es schlicht und einfach nicht glauben! Mein Glaube, dass ich eine zeitlich ausgedehnte Existenz habe, dass ich ein ganzes Leben erlebe (zumindest bis zum körperlichen Tod!), und nicht nur einen kurzen Augenblick, der ist so stark, dass ich die Zweifel einfach nicht ernst nehmen kann.

Robin schrieb:
Sondern herausfordernd, anders zu denken. Eine Möglichkeit bietet hier die Systemtheorie mit ihren momenthaften, selbstreferentiellen Systemen.

???

Robin schrieb:
Diese Theorie ist so ausgearbeitet und so gut empirisch belegt, dass man schon wissen kann, dass es eine Identität (außer als Beobachtung - Zweit.Seiten-Form) im absoluten Sinn nicht gibt.

Wie will die Theorie denn die Existenz unphysikalischer Selbste widerlegen? Das geht nicht.

Davon abgesehen spricht eben einiges in der Introspektion doch für die Annahme einer Identität in einem gewissen Sinn, siehe unter anderem oben.

Aber auch hier unten:

Der Punkt ist hier, dass die Frage der Identität von aussen betrachtet, d.h. von der Perspektive einer dritten Person, nicht das ist, was mich hier interessiert.

Ich muss mal ein paar Dinge ansprechen, die eigentlich völlig klar und selbstverständlich sind, die aber trotzdem vielen Leuten nicht bewusst sind:
Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen einer bewussten Erfahrung, die ich selber mache, und einer bewussten Erfahrung, die jemand anders macht. Erstere erlebe ich subjektiv voll und ganz, und von letzterer bekomme ich subjektiv rein gar nichts mit, nada. Letztere ist für dich subjektiv also identisch mit Nichts.

(Erläuterung für Skeptiker, ganz in Klammern: Du weißt, bzw. glaubst natürlich, dass sie nicht Nichts ist, da du einem anderen Menschen die subjektive Erfahrung nicht absprichst. Aber für dich, aus deiner subjektiven Perspektive ist sie so gut wie nichts, weil du keinen Unterschied bemerken würdest, wenn es sie nicht gäbe [angenommen, dass du die betreffende Person weder kennst noch wahrnimmst, was in der Mehrzahl der Fälle zutrifft].)

Genauso nimmt man an, dass es (aus der eigenen subjektiven Perspektive) einen gewaltigen Unterschied gibt zwischen dem Zustand Leben und dem Zustand Tod, bzw. den Zustand vor der Geburt. Ersteres heisst, man kann bewusste Erfahrungen machen – letzteres heisst, es gibt nichts (mehr), keine Erfahrungen, nix, nada.

Beide Beobachtungen zeigen nun unmissverständlich, dass es scheinbar keinen zwingenden Grund gibt, dass du überhaupt etwas erlebst.

Die Welt und sogar dein Körper könnten problemlos funktionieren, ohne deine bewussten Erfahrungen ("jemand anders" könnte die Perspektive deines Körpers einnehmen). Und es mag Milliarden von bewussten Erfahrungen geben, und du könntest trotzdem tot oder nie gewesen sein und nichts davon mitbekommen.

Nur jetzt gerade ist es offensichtlich (egal warum) so, dass du etwas erlebst. Die Tatsache, dass dein Körper morgen auch etwas erleben wird (wenn er nicht vorher sterben oder ins Koma fallen sollte), scheint aber nicht im Geringsten zu garantieren, dass dein subjektiver Zustand morgen nicht dem eines Toten entspricht, d.h. sie garantiert nicht, dass es morgen nicht der Fall ist, dass es zwar Erfahrungen gibt, welche aber alle für dich subjektiv NICHTS sind. Die Erfahrungen, die dein Körper machen wird, werden (im Normalfall) übers Gedächtnis des Körpers mit deinen jetzigen Erfahrungen verbunden sein. Wirklich niemand würde also einen Unterschied bemerken, und trotzdem könntest du das alles nicht mehr miterleben. Du könntest also im wahrsten Sinn des Wortes tot sein, und das zukünftige Bewusstsein deines Körpers würde glauben, deine jetzigen Erfahrungen selbst erlebt zu haben.

Die Existenz eines Gedächtnisses und eines Identitätskonstruktes kann also nicht im geringsten bewirken, dass die zukünftigen Erlebnisse deines Körpers für dich nicht nichts sind.

Mal Hand aufs Herz. Glaubst du wirklich, dass du den morgigen Tag nicht erleben wirst?
Und wenn ja, warum kümmerst du dich dann um deine Zukunft (bzw. die deines Körpers)? Aus reinem Altruismus? Müsstest du konsequenterweise sagen.


Wargole
 
Zuletzt bearbeitet:
Hierauf habe ich zwar schon geantwortet, aber mir sind noch ein paar Zusätze eingefallen:

Robin schrieb:
Deine Ausführungen enthalten leider eine Menge Ungenauigkeiten; Schon deine Definition von Bewusstsein (Konglomerat von Erfahrungen, Gefühlen und Erinnerung) kann ich nur als naiv bezeichnen.

Es ist eine Vereinfachung, die für meine Zwecke ausreichend ist.
Man sollte sich auch bewusst machen, dass die verschiedene Theorien, wie Metzingers Modell, oder das Modell der Systemtheorie, soweit ich es nun kenne, in erster Linie Beschreibungen sind. Es wird also nicht wirklich aufgezeigt, wie Bewusstsein entsteht, sondern es wird beschrieben, was da alles abläuft, und warum es so abläuft, im Bewusstsein und auch im Gehirn. Man kann dasselbe Phänomen nun aus verschiedenen Blickwinkeln beschreiben, je nachdem, wozu man die Beschreibung benötigt.

Robin schrieb:
Aber ich denke, deine Definition von Selbst ist so unscharf und auch so wenig zwingend, dass du damit wenig Aufsehen erregen wirst.

Zugegeben, man kann sich auch andere Erklärungsansätze ausdenken. Habe ich selber auch getan. Das Problem ist nur: Die funzen alle nicht. Und ich sehe keinen Sinn darin, alle nicht funzenden Erklärungsansätze auch aufzuzählen. Zumal das offensichtlich unmöglich ist...

Aber gut, hier ein Beispiel: Irgendwie scheinen die Probleme mit der Persistenz des Selbstes damit zusammenzuhängen, dass die Zeit vergeht. Der Punkt ist nun aber, dass das manchen Relativitätstheoretikern zufolge eine Illusion ist. Demnach existieren alle Zeiten zugleich jetzt in einem "eingefrorenen", festen Block, der Raumzeit. Man könnte nun sagen, dass alle bewussten Erfahrungen meines Lebens auch alle zugleich fertig und fix nebeneinander existieren, und dass nichts sich wandelt oder vergeht. Man könnte das eigene subjektive Leben mit einem Film vergleichen, der auf eine DVD gebrannt ist. Alles ist schon da und unveränderlich, aber wenn man es (nacheinander) abspielt, lässt es sich wie ein Film, bzw. wie ein subjektives Leben erfahren. Soweit so gut. Das Problem ist aber: Wenn alle meine Erfahrungen jetzt schon real sind, warum erlebe ich dann nicht alle gleichzeitig??? Denn ich bin diesem Modell zufolge ja nichts weiter als meine Erfahrungen. Ich bin sie, und sie existieren da alle zusammen parallel. Also müsste ich doch alle parallel erleben, und nicht seriell.


Wargole
 
Wargole schrieb:
Das Problem ist aber: Wenn alle meine Erfahrungen jetzt schon real sind, warum erlebe ich dann nicht alle gleichzeitig??? Denn ich bin diesem Modell zufolge ja nichts weiter als meine Erfahrungen. Ich bin sie, und sie existieren da alle zusammen parallel. Also müsste ich doch alle parallel erleben, und nicht seriell.
Meine Vermutung: So perfekt und potent ist unser Bewusstsein nun auch wieder nicht, dass wir uns an alles gleichzeitig erinnern können; daher macht unser Über-Ich eine Hierarchie nach der Wichtigkeit für unser Überleben.

Dein (mir) neuer Begriff der "Raumzeit" liest sich recht interessant.

Liebe Grüße

Zeili
 
Wargole schrieb:
Das Problem ist aber: Wenn alle meine Erfahrungen jetzt schon real sind, warum erlebe ich dann nicht alle gleichzeitig??? Denn ich bin diesem Modell zufolge ja nichts weiter als meine Erfahrungen. Ich bin sie, und sie existieren da alle zusammen parallel. Also müsste ich doch alle parallel erleben, und nicht seriell.


Wargole

Hallo Wargole,

wie schon gesagt, Respekt für deine Bemühungen.
Du brauchst mir und den meisten hier nichts über den Aufbau von Elektronen, der Quantenunschärfe usw. erzählen.
Auch über die Subjektivität von Wahrnehmungen nicht, denn diese Vorstellung ist konstitutiver Bestandteil der Systemtheorie, jeglicher konstruktivistischen Theorie und - wie gesagt - nicht erst seit Schopenhauer in der Diskussion.

Für viele deiner Fragen habe ich hier schon Antworten, scheinbar drücke ich mich unklar aus, oder du überliest doch so manches (wie ich vielleicht auch).

Also nochmal, wie sorgt das Bewusstsein für die Kontinuität seiner Wahrnehmungen?
Durch einen permanenten Abgleich von Wahrnehmung und Erinnerung. Das geschieht aber ebenfalls momenthaft. Das heißt das Erinnern ist nur eine besondere Form der Wahrnehmung
Wenn ich nur einen Augenblick lang existiere, dann ist es ja wohl so, dass ich einfach mein momentanes Bewusstsein bin, d.h. die Summe dessen, was mir jetzt gerade bewusst ist, und sonst nichts weiter. Weder mein Körper, noch irgendein dauerhaftes Selbst. Das Bewusstsein ändert sich aber, und sobald es sich verändert hat, existiere ich nicht mehr. Alle ausgefeilten Gedankenspielereien können daran nichts ändern.
Du bist nah dran, einige Ausdrücke legen aber nahe, dass du den Grundgedanken noch nicht akzeptiert hast:
Summe dessen, was dir bewusst ist. Nein es gibt keine Summe. Es gibt nur die eine, momentane Wahrnehmung. Und die ist so kurz, dass du dir dessen nicht bewusst wirst. Du kannst dir dessen nicht bewusst werden, nur in der Erinnerung - und diese Erinnerung ist dann auch wieder ein Prozessieren von Momenten. Du nennst es Illusion. Ich nenne es Konstruktion. Wir sind ganz nah beieinander...
existiere ich nicht mehr das ist die ontologische Denkweise. Sein oder nicht sein. Aber: Es gibt kein Sein außer der Wahrnehmung. Das hast du doch schon selbst mit deinen Worten ausgeführt. Das Sein ist kein Ding, deine Existenz ist kein Ding. Sondern eine Differenz: Die Differenz, die dir erlaubt, wahrzunehmen, etwa die Differenz zwischen Wahrnehmung und erinnerung. Zwischen stofflicher Träger und codierten Information, zwischen Selbst und Umwelt...
Die Systemtheorie benutzt hierfür den paradoxen Ausdruck: Einheit der Differenz. Wir können die gesuchte Entität nur als Differenz erfassen. Das, was wir als Ding suchen, ist in Wirklichkeit eine Differenz - die uns als Einheit erscheinen kann - Stichwort: Illusion, Konstruktion. Und das Bewusstsein: als prozessuale Entität, als ein Aneinanderreihen von Differenzen, die (wie auch immer genau - denn es ist in der Tat eine Vereinfachung) dann die Konstruktion eines Selbst über eine scheinbar unbeirrbar fortlaufende Zeit.
Zwei Bemerkungen noch:
Die Effekte der Relativitätstheorie sind für unser Bewusstsein nicht relevant, denn wir könne sie nicht wahrnehmen.
Bei der vereinfachenden Darstellung des Bewusstseins als System wird der Einfluss unbewusster Vorgänge im Gehirn außer acht gelassen. Einerseits konsequent, denn unbewusst ist ja nicht bewusst. Andererseits ein klarer Beleg dafür, dass Gehirn und Bewusstsein nicht identisch sind.
Dass du das alles nicht glauben kannst - nun, ich lege dir nahe, das Ganze im Original (Luhmann) nachzuvollziehen. Es könnte sich lohnen, den ich finde, vieler deiner Gedankengänge können sich mit geringfügigen Modifikationen darin integrieren.
Dass du von einem anderen Selbst ausgingst - das hast du ja oft genug gesagt und ich sehe nach wie vor die Notwendigkeit nicht.
Glauben, Nicht-Glaubem - das heißt ja über die Grenzen der Wahrnehmung hinaus zu gehen (Transzendenz), dort an etwas Unveränderliches, Ewiges zu glauben (Seele, Selbst, Gott). Dann ist man immer bei der Religion, da kannst du sagen, was du willst...
 
Zeilinger schrieb:
Meine Vermutung: So perfekt und potent ist unser Bewusstsein nun auch wieder nicht, dass wir uns an alles gleichzeitig erinnern können; daher macht unser Über-Ich eine Hierarchie nach der Wichtigkeit für unser Überleben.

Gut, dass du mich erinnerst, Zeili: Ich wollte auch nochmals betonen, wie wichtig das Vergessen für das Bewusstsein ist. Man spricht immer nur über die Erinnerung. Aber Erinnern ist nur die andere Seite des Vergessens. Und das Auswählen dessen, was vergessen werden kann - das geschieht in der Tat nach einer Hierarchie, nach Schemata. Das geschieht so automatisiert, dass wir das nicht bemerken. Oder paradox ausgedrückt: Wir bemerken nur, dass wir vergessen daran, dass wir uns auch erinnern.
Auf der anderen Seite wird auch ausgewählt, was aktualisert wird - als Gedächtnisleistung. Potenziell ist unser Wissen immer da (wir kennen das: es liegt uns auf der Zunge...) aber entscheidend ist das momenthafte Aktualisieren (systemtheorietisch auch: Re-imprägnieren) von Erinnerung.

Man könnte Bewusstsein auch umschreiben als: momenthafte Aktualisierung eines relativ permanenten Potenzials an Erinnerungen und Gedanken vermittels eines für uns undurchschaubaren Schemas (Über-Ich ist hier ganz falsch, kommt ja von Freud und heißt mehr oder weniger "Gewissen")
 
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Hallo Robin.

Robin schrieb:
Summe dessen, was dir bewusst ist. Nein es gibt keine Summe. Es gibt nur die eine, momentane Wahrnehmung.

Im Grunde bin ich da mit dir einig - ich wollte mit "Summe" nur ausdrücken, dass man gleichzeitig verschiedene Wahrnehmungen haben kann. Ich sehe z.B. ein Flugzeug und höre gleichzeitig den Lärm. Das reicht schon zu einer Summe - aber in Wirklichkeit können natürlich noch mehr Komponenten in einen Augenblick mit einfliessen.

Robin schrieb:
Und die ist so kurz, dass du dir dessen nicht bewusst wirst. Du kannst dir dessen nicht bewusst werden, nur in der Erinnerung - und diese Erinnerung ist dann auch wieder ein Prozessieren von Momenten. Du nennst es Illusion. Ich nenne es Konstruktion. Wir sind ganz nah beieinander...
existiere ich nicht mehr das ist die ontologische Denkweise. Sein oder nicht sein. Aber: Es gibt kein Sein außer der Wahrnehmung. Das hast du doch schon selbst mit deinen Worten ausgeführt. Das Sein ist kein Ding, deine Existenz ist kein Ding. Sondern eine Differenz: Die Differenz, die dir erlaubt, wahrzunehmen, etwa die Differenz zwischen Wahrnehmung und erinnerung. Zwischen stofflicher Träger und codierten Information, zwischen Selbst und Umwelt...
Die Systemtheorie benutzt hierfür den paradoxen Ausdruck: Einheit der Differenz. Wir können die gesuchte Entität nur als Differenz erfassen. Das, was wir als Ding suchen, ist in Wirklichkeit eine Differenz - die uns als Einheit erscheinen kann - Stichwort: Illusion, Konstruktion. Und das Bewusstsein: als prozessuale Entität, als ein Aneinanderreihen von Differenzen, die (wie auch immer genau - denn es ist in der Tat eine Vereinfachung) dann die Konstruktion eines Selbst über eine scheinbar unbeirrbar fortlaufende Zeit.

Also wenn ich von Wahrnehmungen sprach, meinte ich immer eine bewusste Wahrnehmung. Ich weiss schon, dass es auch unbewusste Wahrnehmungen gibt, aber hier rede ich nicht davon. Ich glaube, ich schrieb auch oft genug von "bewussten Erlebnissen"; das ist es, wovon ich ausgehe. Wenn der erste, primäre Eindruck, wie du sagst, tatsächlich unbewusst ist, und erst im Gedächtnis bewusst wird, dann lass ich eben das ganze unbewusste Zeug vorher weg, und starte dort, wo wir wirklich den ersten bewussten Eindruck haben. Das Resultat ist dasselbe. Ich sehe wirklich nicht ein, was das für einen Unterschied machen soll. Das Gehirn konstruiert bekanntlich aus den verschiedenen Sinnesinputs ein Modell der Welt. Der ganze Konstruktionsprozess, der zwischen der Reizung der Sinnesnerven und der bewussten Wahrnehmung liegt, ist natürlich unbewusst, und den hab ich schon die ganze Zeit ausser Betracht gelassen.

Mein Sein, meine Existenz ist kein Ding. Schön und gut. Ich bestehe nur in der Wahrnehmung. Ja, mag ja durchaus sein.
Aber sagst du hier was grundsätzlich anderes, als das was ich in meinen Gedanken zum sog. Pseudo-Selbst (der Kein-Selbst-Lehre) geäussert habe??

Dann deine These, dass eine Wahrnehmung nur in einer Differenz bestehen kann: Mag auch sein.
Aber was will uns das hier sagen?

Dann die Vorstellung von Bewusstsein als einer prozessualen Entität: Kann man sicher so sehen.
Und, eine Aneinanderreihung von Differenzen: Ja klar, wenn Wahrnehmung Differenz voraussetzt.
Schliesslich die Konstruktion eines Selbstes. Auch hierzu ja, sowas kommt schon vor, besonders beim Menschen.

Robin schrieb:
Die Effekte der Relativitätstheorie sind für unser Bewusstsein nicht relevant, denn wir könne sie nicht wahrnehmen.

Es ging mir nicht um irgendwelche relativistische Effekte.
Manche Physiker haben nur aus bestimmten recht unbekannten Folgerungen der Relativitätstheorien geschlossen, dass es den Fluss der Zeit ganz grundsätzlich nicht gibt, d.h. völlig unabhängig vom eigenen Bewegungszustand. Das hiesse, dass die Vergangenheit und die Zukunft genauso real sind wie die Gegenwart - und somit auch meine vergangenen und zukünftigen phänomenalen Zustände. Die Frage ist natürlich ganz grundsätzlich, wie es dann trotzdem zum Eindruck kommen kann, dass die Zeit fliesst, dass sie vergeht. Und im Zusammenhang mit meiner Überlegung stellt sich die damit verwandte Frage, warum ich nicht alles gleichzeitig erlebe.

Robin schrieb:
Bei der vereinfachenden Darstellung des Bewusstseins als System wird der Einfluss unbewusster Vorgänge im Gehirn außer acht gelassen. Einerseits konsequent, denn unbewusst ist ja nicht bewusst.

???
Aber eben hast du doch noch die gegenwärtige Wahrnehmung als unbewusst bezeichnet?


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Ich bin mittlerweile zum Schluss gekommen, dass man mindestens drei Bedeutungen, drei Arten von "Selbst" unterscheiden muss. Die ersten beiden Arten sind die, welche von euch hier diskutiert wurden oder werden. Die dritte Art dagegen, ist das was ich meine. Und hierzu hab ich von euch noch keinerlei brauchbare Alternativerklärung gelesen. Bis jetzt ist es mir aber auch nicht gelungen, euch vom Sinn einer separaten, dritten Bedeutung zu überzeugen. Nun denn, hier folgen die drei Bedeutungen, die ich unterscheide:

1. Das funktionale Selbst. Das ist das Selbst, dessen Konstruktion durch die Funktion des Gedächtnisses ermöglicht wird. Rein funktional betrachtet ist die Systemtheorie (deiner Schilderung nach) eine ausreichende Erklärung dafür. Man benötigt kein darüber hinausgehendes Selbst, um das Funktionieren eines Menschen zu erklären. Wenn es Seelen (d.h. unabhängige Selbste in meinem Sinn) gäbe, könnte man sie unter den Menschen ständig beliebig austauschen, ohne dass dies irgendetwas an der Funktion und and den Bewusstseinsinhalten ändern würde. Es gibt demnach auch eine funktionale Kontinuität der Wahrnehmungen, d.h. es gibt keine seltsamen Sprünge - jeder bewusste Moment ist fest mit dem entsprechenden Bewusstseinsstrom verknüpft.

2. Haben wir natürlich das Selbst des Selbstbewusstseins, d.h. das Ich meiner Gedanken, das Ich das denkt, das sich der Umwelt gegenübersetzt, das die Wahrnehnungen analysiert usw. Ich glaube, es dürfte klar sein, was ich damit meine.

3. Das Selbst der phänomenalen Zustände. Hierzu den Verständnisschwierigkeiten entsprechend eine etwas ausführlichere Erklärung:

Es ist nun so, dass die Bewusstseine zu ihrer informationsverarbeitenden Funktion "Bausteine", "Material" benötigen, die man phänomenale Zustände nennt. Was das ist, dürfte mittlerweile klar sein. Vereinfacht gesagt: Bewusste Wahrnehmungen und Empfindungen / Gefühle. Beliebiges Beispiel: Das Sehen eines Monitors, das Fühlen einer Tastatur unter den Fingern und das hören von Getippe. Solche Zustände spielen eine kausale, funktionale Rolle in der Informationsverarbeitung des Gehirns.
Der Punkt ist nun, dass diese Zustände die Eigenschaft haben, dass es sich subjektiv irgendwie anfühlt, in so einem Zustand zu sein. Aber, und das ist entscheidend, immer nur aus einer ganz bestimmten Perspektive - aus allen anderen Perspektiven nicht.

Die ontologisch sparsamste, minimalste Annahme (also eure Annahme) ist nun, dass diese Zustände quasi allein dastehen, ohne ein Selbst, das sie hat. Sie werden zwar möglicherweise vom Gehirn erzeugt, und von daher kann man sagen, dass das jeweils entsprechende Gehirn diese Zustände hat - aber wir sind uns einig, dass das Gehirn kein Selbst ist. Subjektiv erfahren werden diese Zustände dann also jeweils nur vom Zustand selbst. Das heisst (wenn wir der Einfachheit halber mal von der jetzigen Existenz der Zustände A, B, C und D ausgehen [hier und im Folgenden stets als token zu verstehen]), A ist das Erleben von A, B ist das Erleben von B usw. Aber für A sind B, C und D subjektiv nichts, für B sind A, C und D subjektiv nichts, usw. (dies erklärt den erwähnten Perspektivenunterschied).

Zu einem späteren Zeitpunkt sind die Zustände A, B, C und D längst vergangen, und dafür gibt es jetzt beispielsweise die Zustände E, F, G und H. Wie zuvor ist jeder dieser Zustände nur für sich selbst subjektiv zugänglich. Das heisst, E erlebt nicht F, G erlebt nicht E usw. Aber es ist auch klar, dass keiner der Zustände der zweiten Reihe einen Zustand der ersten Reihe erlebt, denn letztere gibt es nicht mehr.

Funktional ist dies jedoch alles kein Problem, denn es gibt ja das Gedächtnis, welches ermöglicht, vergangene Zustände dem aktuellen Zustand zum weiteren Gebrauch zur Verfügung zu stellen. Das heisst, es gibt eine funktionale Kontinuität des Bewusstseins, und auch die Konstruktion eines funktionalen Selbstes (Selbst Nr.1) wird so ermöglicht.

Auf mich selbst angewandt heisst das:
Dass ich jetzt gerade in einem phänomenalen Zustand bin, ist für mich klar. Aber wie ist das möglich? Der ontologisch sparsamsten Annahme zufolge natürlich: Weil ich dieser Zustand bin.
Mein Problem ist nun: So ein Zustand besteht in der Regel nur einen Augenblick lang, dann wandelt er sich - bestimmte Eindrücke werden von anderen abgelöst. Wenn ich aber identisch mit einem bestimmten Zustand bin, kann ich nicht identisch mit einem anderen sein; das ist logisch. Folglich hiesse das, dass mein phänomenales Bewusstsein (d.h. mein subjektives Erleben) nur einen Augenblick lang existieren würde, und das ist es, was ich (wie bereits ausführlicher beschrieben) beim besten Willen nicht glauben kann. (Und jeder, der von sich behauptet, er könne es glauben, steht für mich schwer im Verdacht, das Problem nicht verstanden zu haben.)


Wargole
 
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