AW: Zwei linke Konzepte: Zetkin und Luxemburg
Danke, oktoberwind, für diese sachlich genaue Klarstellung. Das sollte jeder hier (nicht nur hier) sich wiederholt zu Gemüte führen. Inzwischen berief man sich auch von rechtsradikaler Seite auf diese luxemburgische Randnotiz, und zwar in Kenntnis der Textstelle - und nahm das zum Anlaß, die Programmatik der "Republikaner" nur als Differenz innerhalb des bürgerlich-demokratischen Rechtsstaats aufzufassen.
Aber dennoch: die Antithese
Staatsgläubigkeit - verordneter Sozialismus samt autoritärer Gesellschaftskonstruktion (Zetkin)
versus
Glaube an Kraft und Willen des Einzelnen und Hoffnung in seine Einsicht, daß das Miteinander stärkt (Luxemburg)
bleibt gegenwärtig bestehen?
Eine Revolution im Sinne des frühen 20. Jh. hatte jedoch weniger die Wirtschaftsbedingungen, sondern einen Sturz der Rechtsverfassung im Auge; die europäischen Nationalverfassungen des frühen 21. Jh. dagegen erscheinen nicht ohne weiteres stürzenswert.
Zumal die Toleranz des Andersdenkenden zur Vergötzung der Abweichung mutierte. Was will man mehr?
Dieser Satz wird seit Jahrzehnten beharrlich falsch zitiert und mindestens ebenso falsch verstanden (nämlich meist so, wie es dem Zitierenden in den eigenen Kram passt).
1. Der Satz steht in keinem Text der Rosa Luxemburg.
2. In der Schrift "Zur russischen Revolution" - R.L. Gesammelte Werke, Band 4, S. 359 - findet sich folgende Fußnote (die aus einer ursprünglichen Randbemerkung gemacht wurde): "Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn 'Freiheit' zum Privilegium wird."
3. R.L. diskutiert hier eine interne Differenz innerhalb der revolutionären Bewegungen; ihr lag es fern, etwa an Freiheit für wirklich "Andersdenkende" zu denken.
Danke, oktoberwind, für diese sachlich genaue Klarstellung. Das sollte jeder hier (nicht nur hier) sich wiederholt zu Gemüte führen. Inzwischen berief man sich auch von rechtsradikaler Seite auf diese luxemburgische Randnotiz, und zwar in Kenntnis der Textstelle - und nahm das zum Anlaß, die Programmatik der "Republikaner" nur als Differenz innerhalb des bürgerlich-demokratischen Rechtsstaats aufzufassen.
Aber dennoch: die Antithese
Staatsgläubigkeit - verordneter Sozialismus samt autoritärer Gesellschaftskonstruktion (Zetkin)
versus
Glaube an Kraft und Willen des Einzelnen und Hoffnung in seine Einsicht, daß das Miteinander stärkt (Luxemburg)
bleibt gegenwärtig bestehen?
Es mutet dem Auftragsarbeiter bzw. freiberuflichen Honorarempfänger sogar bizarr an, wie weit verbreitet die Praxis des Streiks inzwischen ist. Du hast weiter oben angedeutet, daß Luxemburgs Idee der politischen Meinungsbildung durch Streik sich nicht erfüllt habe. Ich meine im Gegenteil: die allgegenwärtigen Streiks sind die perfekte Erfüllung der Forderung Rosa Luxemburgs, allerdings ist der Weg langsamer und mühsamer, als sie sich das vorstellen konnte. So viel komplexer ist die Gesellschaft dann auch nicht geworden: der Gegner ist immer noch das Großkapital bzw. die Konzerne (wobei man dagegen eher auf kartellrechtlicher Ebene vorgehen könnte, wenn man das könnte)oktoberwind schrieb:Die schöne Marx-These, Revolutionen seien die Lokomotiven der gesellschaftlichen Entwicklung hat offenkundig nur gestimmt für Gesellschaftsformen, die rückständig waren und etwas nachzuholen hatten. Ich denke, in komplexen Gesellschaften wie den heute existierenden sind Revolutionen unmöglich.
Eine Revolution im Sinne des frühen 20. Jh. hatte jedoch weniger die Wirtschaftsbedingungen, sondern einen Sturz der Rechtsverfassung im Auge; die europäischen Nationalverfassungen des frühen 21. Jh. dagegen erscheinen nicht ohne weiteres stürzenswert.
Zumal die Toleranz des Andersdenkenden zur Vergötzung der Abweichung mutierte. Was will man mehr?