hylozoik
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Die Roboter-Sklaven warten bereits ...
Beitrag : Der Zauber der Puppen
URL : https://akademieintegra.wordpress.com/2019/07/14/der-zauber-der-puppen/
Verfasst : 14. Juli 2019 um 09:59
Autor : Akademie Integra
Kategorien : Éthnos, Bewußtsein, Kultur-Leben, Menschenwürde, Soziales Leben, Zum Aufwachen
Von Franz Derendinger, "Journal21"
Nerds im Silicon Valley träumen von der Überwindung des begrenzten biologischen Menschen. Neu ist diese transhumanistische Vision allerdings nicht.
Er schüttet sein Herz aus, sie lässt seine Ergiessungen stumm über sich ergehen, quittiert sie nur gelegentlich durch leise Seufzer, die er wiederum als Zeichen inniger Zustimmung nehmen kann. Ersonnen hat dieses Traumpaar der Romantiker E. T. A. Hoffmann für seine Novelle «Der Sandmann» vor wenig mehr als 200 Jahren. Es handelt sich dabei um den Studenten Nathanael und um Olimpia, die vorgebliche Tochter seines Professors. Ihr verfällt Nathanael gerade deshalb, weil sie ihm Antworten erspart und es ihm gestattet, sich unbegrenzt in ihrem leeren Blick zu spiegeln.
Spieglein, Spieglein
Sie kann auch nicht anders, denn Olimpia ist eine «Automate», eine lebensechte mechanische Puppe, wahrscheinlich der erste Roboter der Literaturgeschichte. Konstruiert hat sie Professor Spalanzani, und zwar aus dem bei Technokraten üblichen Ehrgeiz heraus, eben zu machen, was immer technisch machbar ist. Der Trug ist denn auch fast perfekt, selbst Nathanaels Kommilitonen durchschauen ihn nicht wirklich. Doch fallen ihnen immerhin die unnatürliche Steifheit sowie die sprachlichen Limiten Olimpias auf, und das lässt sie Zurückhaltung üben. Nathanael dagegen ist hin und weg, weil ihm die Puppe etwas geben kann, was seine reale Freundin Clara verweigert. Der sind nämlich seine Phantastereien nicht geheuer, und sie hat auch genügend Rückgrat, sie als solche zu benennen.
Dies wiederum hält Nathanael nicht aus, ein äusserst verletzlicher junger Mann, dessen Selbstwertgefühl schnell mal zerbröselt. Ihn verunsichert ein traumatisches Phantasma, das er nicht loswerden kann: Es ist die sicherlich entstellte Erinnerung an ein Szenario, in dem ihn ein Bekannter des Vaters wie eine Puppe auseinandergeschraubt hat und ihm die Augen ausreissen wollte. An dieses Schreckbild knüpft sich mittlerweile ein ganzes Netz wahnhafter Vorstellungen, die alle um das Thema einer irreversiblen Verstümmelung kreisen. Sigmund Freud hat in Hoffmanns Novelle einen literarischen Beleg für den Kastrationskomplex gefunden (Das Unheimliche, 1919), für die tiefe, unausrottbare Angst der Männer, ihrer Männlichkeit beraubt zu werden und dann nicht mehr zu genügen.
Nathanael hat in der Tat wenig Boden unter den Füssen, ist labil, zeitweise psychotisch. Den Widerstand der Welt erträgt er schlechterdings nicht und schon gar nicht Widerspruch von anderen. So beschimpft er Clara als «verdammtes, lebloses Automat», während er eine Maschine vergöttert, auf deren kalte Indifferenz sich schrankenloses Verständnis projizieren lässt.
Technische Leitmedien
Mit Olimpia hat Hoffmann die Metapher für eine Verführung geschaffen, die auf dem technischen Fortschritt basiert und von Abbildern ausgeht, welche dem Menschen täuschend ähnlich sehen. Sie faszinieren, weil sie eine narzisstische Spiegelung gestatten, in der sich die Schranke zwischen Ich und Nicht-Ich auflöst. So entfällt der Reibungswiderstand, der nicht nur zwischenmenschlichen Beziehungen nun einmal eignet, sondern auch der Beziehung zum eigenen Selbst. Die Duplikate ermöglichen es, jenseits von Enttäuschung, Trauer oder Schmerz um sich selbst zu kreisen. Dabei lässt sich die Angleichung von Ich und Nicht-Ich nach beiden Seiten vollziehen: Bei Nathanael ist es das Andere, das ausgelöscht beziwhungsweise auf die Funktion des blossen Spiegels reduziert wird. Aber wir werden sehen, dass es auch genau andersrum geht.
Zweifellos hat sich Hoffmann von «künstlichen Menschen» inspirieren lassen, die es zu seiner Zeit bereits gab. Die Entwicklung bei Uhrwerken, hydraulischen Mechanismen und vor allem in der Feinmechanik hatte schon im 18. Jahrhundert die Möglichkeit eröffnet, die Körpermaschine von Menschen – oder von Tieren – einigermassen überzeugend nachzubauen. Die Konstrukteure tourten mit ihren Apparaten durchs Land und machten sie gegen Eintrittsgeld dem Publikum zugänglich. Unter diesen Puppen gab es alles Mögliche: Tänzer, Musikanten, einen Schreiber und sogar einen schachspielenden Türken, der allerdings getürkt war. Man kann sich vorstellen, welche Gefühle diese Hightech-Produkte damals hervorriefen, welche Verwunderung, welche Faszination, aber bestimmt auch einen gewissen Grusel.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Duplikation von der Ebene der physischen Nachbildung aufs Feld der medialen Repräsentation verschoben. Fotografie und Film liefern jetzt eine praktisch perfekte Imitation des Lebens, und damit beginnt sich das Verhältnis zwischen Original und Kopie umzukehren: Wenn es zur narzisstischen Spiegelung kommt, dann ist das Bild an die Stelle der massgeblichen Realität gesetzt, der sich nun der unvollkommene Mensch anzupassen hat. Die Bilder haben sich aus ihrem sekundären Status gelöst und erhalten Macht über das Leben. Darin ist bereits der «linguistic turn» angelegt, in dessen Zug sich die Zeichen von der Realität emanzipieren sollten.
In der jüngsten Zeit haben die Entwicklungen in der Informationstechnologie zu einem weiteren Quantensprung geführt, ... https://akademieintegra.wordpress.com/2019/07/14/der-zauber-der-puppen/
Beitrag : Der Zauber der Puppen
URL : https://akademieintegra.wordpress.com/2019/07/14/der-zauber-der-puppen/
Verfasst : 14. Juli 2019 um 09:59
Autor : Akademie Integra
Kategorien : Éthnos, Bewußtsein, Kultur-Leben, Menschenwürde, Soziales Leben, Zum Aufwachen
Von Franz Derendinger, "Journal21"
Nerds im Silicon Valley träumen von der Überwindung des begrenzten biologischen Menschen. Neu ist diese transhumanistische Vision allerdings nicht.
Er schüttet sein Herz aus, sie lässt seine Ergiessungen stumm über sich ergehen, quittiert sie nur gelegentlich durch leise Seufzer, die er wiederum als Zeichen inniger Zustimmung nehmen kann. Ersonnen hat dieses Traumpaar der Romantiker E. T. A. Hoffmann für seine Novelle «Der Sandmann» vor wenig mehr als 200 Jahren. Es handelt sich dabei um den Studenten Nathanael und um Olimpia, die vorgebliche Tochter seines Professors. Ihr verfällt Nathanael gerade deshalb, weil sie ihm Antworten erspart und es ihm gestattet, sich unbegrenzt in ihrem leeren Blick zu spiegeln.
Spieglein, Spieglein
Sie kann auch nicht anders, denn Olimpia ist eine «Automate», eine lebensechte mechanische Puppe, wahrscheinlich der erste Roboter der Literaturgeschichte. Konstruiert hat sie Professor Spalanzani, und zwar aus dem bei Technokraten üblichen Ehrgeiz heraus, eben zu machen, was immer technisch machbar ist. Der Trug ist denn auch fast perfekt, selbst Nathanaels Kommilitonen durchschauen ihn nicht wirklich. Doch fallen ihnen immerhin die unnatürliche Steifheit sowie die sprachlichen Limiten Olimpias auf, und das lässt sie Zurückhaltung üben. Nathanael dagegen ist hin und weg, weil ihm die Puppe etwas geben kann, was seine reale Freundin Clara verweigert. Der sind nämlich seine Phantastereien nicht geheuer, und sie hat auch genügend Rückgrat, sie als solche zu benennen.
Dies wiederum hält Nathanael nicht aus, ein äusserst verletzlicher junger Mann, dessen Selbstwertgefühl schnell mal zerbröselt. Ihn verunsichert ein traumatisches Phantasma, das er nicht loswerden kann: Es ist die sicherlich entstellte Erinnerung an ein Szenario, in dem ihn ein Bekannter des Vaters wie eine Puppe auseinandergeschraubt hat und ihm die Augen ausreissen wollte. An dieses Schreckbild knüpft sich mittlerweile ein ganzes Netz wahnhafter Vorstellungen, die alle um das Thema einer irreversiblen Verstümmelung kreisen. Sigmund Freud hat in Hoffmanns Novelle einen literarischen Beleg für den Kastrationskomplex gefunden (Das Unheimliche, 1919), für die tiefe, unausrottbare Angst der Männer, ihrer Männlichkeit beraubt zu werden und dann nicht mehr zu genügen.
Nathanael hat in der Tat wenig Boden unter den Füssen, ist labil, zeitweise psychotisch. Den Widerstand der Welt erträgt er schlechterdings nicht und schon gar nicht Widerspruch von anderen. So beschimpft er Clara als «verdammtes, lebloses Automat», während er eine Maschine vergöttert, auf deren kalte Indifferenz sich schrankenloses Verständnis projizieren lässt.
Technische Leitmedien
Mit Olimpia hat Hoffmann die Metapher für eine Verführung geschaffen, die auf dem technischen Fortschritt basiert und von Abbildern ausgeht, welche dem Menschen täuschend ähnlich sehen. Sie faszinieren, weil sie eine narzisstische Spiegelung gestatten, in der sich die Schranke zwischen Ich und Nicht-Ich auflöst. So entfällt der Reibungswiderstand, der nicht nur zwischenmenschlichen Beziehungen nun einmal eignet, sondern auch der Beziehung zum eigenen Selbst. Die Duplikate ermöglichen es, jenseits von Enttäuschung, Trauer oder Schmerz um sich selbst zu kreisen. Dabei lässt sich die Angleichung von Ich und Nicht-Ich nach beiden Seiten vollziehen: Bei Nathanael ist es das Andere, das ausgelöscht beziwhungsweise auf die Funktion des blossen Spiegels reduziert wird. Aber wir werden sehen, dass es auch genau andersrum geht.
Zweifellos hat sich Hoffmann von «künstlichen Menschen» inspirieren lassen, die es zu seiner Zeit bereits gab. Die Entwicklung bei Uhrwerken, hydraulischen Mechanismen und vor allem in der Feinmechanik hatte schon im 18. Jahrhundert die Möglichkeit eröffnet, die Körpermaschine von Menschen – oder von Tieren – einigermassen überzeugend nachzubauen. Die Konstrukteure tourten mit ihren Apparaten durchs Land und machten sie gegen Eintrittsgeld dem Publikum zugänglich. Unter diesen Puppen gab es alles Mögliche: Tänzer, Musikanten, einen Schreiber und sogar einen schachspielenden Türken, der allerdings getürkt war. Man kann sich vorstellen, welche Gefühle diese Hightech-Produkte damals hervorriefen, welche Verwunderung, welche Faszination, aber bestimmt auch einen gewissen Grusel.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Duplikation von der Ebene der physischen Nachbildung aufs Feld der medialen Repräsentation verschoben. Fotografie und Film liefern jetzt eine praktisch perfekte Imitation des Lebens, und damit beginnt sich das Verhältnis zwischen Original und Kopie umzukehren: Wenn es zur narzisstischen Spiegelung kommt, dann ist das Bild an die Stelle der massgeblichen Realität gesetzt, der sich nun der unvollkommene Mensch anzupassen hat. Die Bilder haben sich aus ihrem sekundären Status gelöst und erhalten Macht über das Leben. Darin ist bereits der «linguistic turn» angelegt, in dessen Zug sich die Zeichen von der Realität emanzipieren sollten.
In der jüngsten Zeit haben die Entwicklungen in der Informationstechnologie zu einem weiteren Quantensprung geführt, ... https://akademieintegra.wordpress.com/2019/07/14/der-zauber-der-puppen/