AW: Was fällt euch zu Ludwig Boltzmann ein?
eine kleine rede von nernst, nicht speziell zu boltzmann, die den einfluss von boltzmanns arbeit auf das selbstverständnis der physik und naturwissenschaft überhaupt deutlich macht.
Danke, mmark, für den Link. Die geistvolle Rede habe ich mit Genuss gelesen.
Aus der Rede von
W. Nernst möchte ich folgendes zitieren:
"Wie Boltzmann zeigte, lässt sich der sogenannte zweite Hauptsatz der Wärmetheorie darauf zurückführen, dass immer der wahrscheinlichere Zustand sich von selbst einstellt; die Moleküle zweier verschiedener Gase z. B. vermischen sich, weil die vollständige Durchmischung dem Zustande grösster Wahrscheinlichkeit entspricht. An sich wäre es durchaus denkbar, dass zwei gemischte Gase sich auch zeitweilig entmischen, indem die eine Art von Molekülen in der einen, die andere Art von Molekülen in der anderen Hälfte des Gefässes sich ansammelt. Träte dieser höchst unwahrscheinliche Fall einmal ein, so wäre der zweite Hauptsatz verletzt, aber man kann rechnerisch abschätzen, dass eine solche spontane Trennung zweier Gase noch viel unwahrscheinlicher ist, als dass ein Mensch sein ganzes Leben lang im Würfelspiel immer nur Sechsen wirft.
So tritt also eines unserer bedeutungsvollsten Naturgesetze durchaus nicht mit der Forderung auf, mit absoluter Notwendigkeit erfüllt zu sein, sondern in dem viel bescheideneren Gewande einer, allerdings ganz ungeheuer grossen, Wahrscheinlichkeit dafür, dass es im speziellen Falle auch wirklich zutrifft."
Zur Illustrierung des von Nernst Gesagten möchte ich den Physikfans und Freunden der Kombinatorik den Zusammenhang von Wahrscheinlichkeit und Entropie etwas näher bringen.
Wir nehmen ein Gefäss, das wir gedanklich in zwei gleich grosse Teilvolumina (V1, V2) unterteilen. Wir verteilen nun N durchnummerierte Teilchen eines Gases auf die beiden Teilvolumina. Welches ist die häufigste (wahrscheinlichste) Verteilung für die
Teilchenzahlen in V1 und V2?
Jedes der N Teilchen kann man entweder in V1 oder in V2 unterbringen. Es gibt somit 2^N Möglichkeiten, die N Teilchen auf die beiden Volumina aufzuteilen. Diese Möglichkeiten nennt man auch
Mikrozustände; bei ihnen kommt es darauf an,
welche Teilchen in V1 oder V2 sind (jedes Teilchen trägt ja eine Nummer). Jeder Mikrozustand hat die gleiche Wahrscheinlichkeit von (1/2)^N.
Wir fragen nun, wie viele Möglichkeiten (Mikrozustände) es gibt, die zum gleichen Makrozustand führen. Unter
Makrozustand wollen wir einen Zustand verstehen, bei dem es nur darauf ankommt,
wie viele (und nicht welche) Teilchen sich in V1 oder in V2 befinden. Wir bezeichnen ihn mit (N1:N2); natürlich ist N1+N2=N. Aus der Kombinatorik folgt, dass es W=N!/N1!/N2! Mikrozustände gibt, die zum gleichen Makrozustand gehören. Für das Weitere sei N als gerade Zahl angenommen.
Die seltensten (unwahrscheinlichsten) Makrozustände sind die beiden, bei denen sich alle N Teilchen entweder in V1 oder in V2 befinden, also (N:0) und (0:N). Ein weiterer spezieller Makrozustand ist der, bei dem sich sowohl in V1 als auch in V2 die gleiche Zahl von Teilchen befindet, also (N/2:N/2). Diese Gleichverteilung ist der häufigste (wahrscheinlichste) Makrozustand.
Es ist nun so, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Gleichverteilung der N Teilchen auf V1 und V2 mit wachsender Zahl N von Teilchen stark anwächst.
Bei N=4 Teilchen gibt es 2^4=16 Mikrozustände. Der Makrozustand (2:2), bei dem die 4 Teilchen auf V1 und V2 gleichverteilt sind, ist
6-mal häufiger (4!/2!/2!) als einer der beiden seltensten Makrozustände (4:0) oder (0:4).
Bei N=100 Teilchen gibt es 2^100, d. h. rund 10^30 Mikrozustände. Der Makrozustand (50:50), bei dem die 100 Teilchen auf V1 und V2 gleichverteilt sind, ist bereits
10^29-mal häufiger (100!/50!50!) als einer der beiden seltensten Makrozustände (100:0) oder (0:100).
Bringt man also anfänglich 100 Gasmoleküle in V1 unter, dann wird es nicht lange dauern, bis in V1 und V2 etwa gleich viele Moleküle sind. Der umgekehrte Vorgang, dass sich die 100 Moleküle wieder in V1 sammeln, ist zwar nicht unmöglich aber extrem selten. Bei 3×10^22 Molekülen, wie sie in einem Liter Luft enthalten sind, kann ein solcher Vorgang ausgeschlossen werden.
In der berühmten Formel für die Entropie S, S = k×ln W, bedeutet W die Häufigkeit eines Makrozustandes. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, wonach die Entropie in einem abgeschlossenen System nie abnimmt, bedeutet somit, dass ein solches System von selbst nie in einen unwahrscheinlicheren Zustand übergeht.
Im o. g. Beispiel mit den 100 Molekülen nimmt die Entropie beim Übergang vom geordneten Zustand (100:0) zum völlig ungeordneten Zustand (50:50) um k×ln 10^29 = k×29×ln 10 =67×k zu.
Gruss
Hartmut