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Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Patrice

New Member
Registriert
29. Oktober 2005
Beiträge
149
In seinem Buch "Veronika beschließt zu sterben" beschreibt Paulo Coelho das Leben einer Frau die nach einem glücklosen (?) Selbstmordversuch in einer Irrenanstalt erkennt das Ver-rückte die eigentlichen Freien unserer Gesellschaft sind. In unserer Gesellchaft, so schildert es Coelho, zwängen sich viele Menschen durch ihre Ängste, durch Scham und Feigheit, vor allem aber durch die übersteigerte Wertschätzung (ich habe kein besseres Wort gefunden) der Meinung anderer Bürger selbst ein. Es gibt viele Situationen in denen diese Menschen denken: "Eigentlich hab ich doch das gerade tun wollen. Aber was würden die Anderen denken? Die würden mich doch für Verrückt erklären!".
Könnt ihr dieses Bild bestätigen? Persönlich habe ich schon des öfteren gedacht: "Schade, dass ich in dieser Situation nicht wirklich das getan habe was ich gewollt hätte.". Ob sich am Strand in Rio de Janeiro morgens um 6Uhr während des Sonnenaufganges nach einer durchzechten Nacht nackt in die Wellen zu schmeißen, nach 6 monatigem Reisen in Südamerika nicht nach Deutschland zurück sondern gleich weiter nach Indien zu reisen, oder einer Freundin zu sagen dass man sie magt, obwohl diese einen Freund hat?
Was erwartet diese Gesellschaft von uns Jugendlichen? Schnelles Studium nach der Schule, Karriere, Heirat, Kinder? Während meines Reisens in Südamerika habe ich viele Aussteiger kennen gelernt die genau das nicht getan haben! Da wird eine Pension in Brasilien, ein Hotel in Argentinien oder eine Reiseagentur in Peru aufgemacht. Habt ihre diese Aussteigerpläne auch einmal gehabt? Woran liegt das? Mangelnde Lebensfreude in Europa? Was braucht der Mensch um glücklich zu sein? Warum seid ihr glücklich in Europa zu wohnen, oder warum seid ihr es nicht?
Zurück zu Coelho:Warum nicht einmal versuchen ein wenig ver-rückt zu sein, vom normalen Weg einen Schritt abzu-rücken, seinen eigenen, steinigen Weg zu gehen?

Daran habe ich gerade gedacht. Seit einer Woche bin ich wieder im Deutschländle. Was ich gerade erlebe scheint ein Kulturschock zu sein!!!

MFG Patrice
 
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AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Hallo Patrice!
Was du tust, ist abzuchecken, wo deine Vorstellungen vom Leben mit denen der Gesellschaft, der du angehören willst, übereinstimmen. Du hast durch deine Reisen eine Vergleichsmöglichkeit erhalten. Nun kannst du wählen zwischen mehreren Möglichkeiten. Nichts anderes sind die Ansichten von deinen Mitmenschen - Vergleichsmöglichkeiten, die dir eine Auswahl bieten.
Uns so findest du langsam, Schritt für Schritt, oder auch durch eine plötzliche impulsive Entscheidung, heraus, was DIR für dein Leben wichtig ist.

Cést la vie, Patrice. :zauberer2
Willkommen daheim!
:blume1:

lilith
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Schließe mich den Willkommensgrüßen von lilith ebenso herzlich an.



Der Gedanke, dass die Angst in einem Heer von Menschen - ver rückt - zu erscheinen, die aber der eigenen Meinung nach verrückt sind, ist - mMn - einer der Hauptgründe für jeglichen Vorgang der Anpassung: eben eine Angst vor dem Bann.
Schaue mal, wennst willst, in dieses Gespräch:https://www.denkforum.at/forum/showthread.php?p=131107#post131107
zwischen psbvbn1 und mir. Ich glaube, das hängt eng mit der von Dir aufgebrachten Thematik zusammen.

Es bedarf des Mutes einer Löwin, - ver rückt zu bleiben.

eine, die ihr ganzes Leben im Eierlauf zwischen echten Verrückten und Ver rückten verbrachte ...
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Patrice, dir und auch Lilith und Marianne herzlichen Dank für Eure Beiträge.
Dir Patrice möchte ich auch hier nochmals sagen, wie sehr mir die Fotos aus Brasilien gefallen.
Natürlich ergänzen sie sich gegenseitig, die Fotos und dein Text, denn die Bilder sind doch die Konkretisierung dessen nachdem du dich sehnst und es doch nicht wagst.

Als ich Eure Texte las, habe ich mich gefragt wieso ich diese Sehnsucht nicht kenne, nach dem Ausbrechen in ein anderes Leben. Die Antwort nach der ich suchte und sie nicht fand, war denkbar einfach: ich wurde aus meiner früheren Existenz einfach raus katapultiert, das Landen in ganz fremden Ländern und ins jeweils spezifische Lokalkolorit der Kulturen war nicht so ganz freiwillig. Die Erfahrung die ich gemacht habe des Ver-rückt seins, war zur gleichen Zeit auch die des Entwurzelt-Seins. Zwar fand ich dies einerseits spannend, andererseits verdammt schwer.

Aber auch diese Art nirgends ganz zuhause zu sein hat seine Vorteile. Und doch ertappe ich mich immer wieder wie sehr ich Menschen beneide, die in ihrer Ursprungsumgebung geblieben sind. Diese aber werden wohl mich beneiden für die Erfahrung des Ver-rückten.
Ich denke wir sehnen uns fast alle und immer dorthin wo wir gerade nicht sind. Und am meisten nach dem was wir nie erreichen werden.

Liebe Grüße

Miriam
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Hallo. Vielen Dank der lieben Willkommensgrüße!

Zur lilith: So habe ich noch nie darüber nachgedacht. Das Land bietet also etwas an das ich annehmen kann oder nicht. Genauso verhält es sich ja auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich mag das was ein Mensch "anbietet" bzw. ist oder ich mag es nicht. Warum scheinen die meisten Menschen ihr Geburtsland am meisten zu mögen?

Zur Marianne:

Zitat von Marianne:
Der Gedanke, dass die Angst in einem Heer von Menschen - ver rückt - zu erscheinen, die aber der eigenen Meinung nach verrückt sind, ist - mMn - einer der Hauptgründe für jeglichen Vorgang der Anpassung: eben eine Angst vor dem Bann.

Es hängt also davon ab ob ich die allgemeine Angst vor dem Bann in eine Freude für das Andere und Neue wandeln kann?! Ich werds versuchen...! :)

Zur Mriam:

Zitat von Miriam:
Ich denke wir sehnen uns fast alle und immer dorthin wo wir gerade nicht sind. Und am meisten nach dem was wir nie erreichen werden.

Aber die Sehn-sucht kann man ja nicht besiegen. Wer einmal reist der wird wohl wieder "on the road" sein. Die Sehnsucht stirbt wenn man etwas erlangt, ist das gut oder ist das schlecht?!

Liebe Grüße von

Patrice :clown2:
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

von Patrice:
Während meines Reisens in Südamerika habe ich viele Aussteiger kennen gelernt die genau das nicht getan haben! Da wird eine Pension in Brasilien, ein Hotel in Argentinien oder eine Reiseagentur in Peru aufgemacht. Habt ihre diese Aussteigerpläne auch einmal gehabt? Woran liegt das? Mangelnde Lebensfreude in Europa? Was braucht der Mensch um glücklich zu sein? Warum seid ihr glücklich in Europa zu wohnen, oder warum seid ihr es nicht?

Man kann auch „hier“ bleiben und aussteigen. Nur das hat dann nicht so ein tolles Image. Und man bekommt kein romantisches Schema mit auf den Weg, dem man folgen kann. Nicht umsonst entfliehen viele nach Australien, Kanada, Neuseeland oder Indien. Es sind Bilder, die im Kopf existieren und auf deren Erfüllung der Mensch drängt. Hätte Polen ein so tolles Image, würden viele nach Polen auswandern. Aber das ist nicht schick. Bei aller Freiheitsliebe ist dieser Spielverderbergedanke durchaus eine Minute Wert.

Reisen ist wahrscheinlich einer der sinnvollsten Wege zu merken, dass man bereits da ist. Aber solange man glaubt, man könne das Reisen überspringen oder erdenken oder es einem anderen nachmachen, wird man m.E. genauso wenig zu einem Mahavir werden, wie ein Jaina, der Mahavir kopieren will.

Vielleicht muss der eine mit dem Ballon über die Anden fliegen, ein anderer zum Wandermönch werden oder eine große Firma aufbauen und wieder ein anderer 4 Söhne an den krieg verlieren...um sich zu spüren...

...und vielleicht erlebt ein anderer mehr als all die anderen zusammen, wenn er frühmorgens barfuß über eine kühle Löwenzahnwiese zum Bäcker läuft...
Verrücktsein verwechselt sich sehr leicht. Ich vermute, es kann sehr unspektakulär erscheinen. Vielleicht läuft man solange „um die Welt“ , bis das Suchen sich in etwas verwandelt...was sich anfühlt wie ein “Gefundenwerden“. Weiß nicht genau, ob damit jemand etwas anfangen kann.

Viele Grüße
Bernd
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

hallo, forianer!

ich wollte zur gegenwärtigen diskussion nur noch zwei literaturtipps geben:

1. schon friedrich nietzsche schrieb vor über hundert jahren von der positiven seite des verrückt-seins in seinem aufsatz "Der tolle Mensch". bei dem titel kann das wort toll auch wieder in zwei richtungen interpretiert werden, entweder er ist durchgeknallt, verwirrt oder er ist ein guter mensch, wahrscheinlich sogar besser als die, die ihn auslachen.

2. "Die Physiker" von friedrich dürrenmatt (hatt mer grad in der schule!), worin drei geniale physiker sich in einer irrenanstalt befinden. zwei verstellen sich, um die arbeiten des dritten auszuspionieren. nur der dritte, der die GUT gefunden hat, fürchtet sich vor ihren zerstörerischen folgen und will aus verantwortungsbewusstsein gegenüber der menschheit seine gedanken in einer irrenanstalt verstecken. hier wieder das paradoxe moment: der gute mensch muss sich als irrer tarnen, um der menschheit einen dienst zu erweisen!
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Meiner Meinung hängt vieles, fast alles mit dem Geld zusammen.
Es ist schön wenn man sich von seinem Gesparten schöne Urlaube gönnt. Da kann man tun und lassen was man will. Das Gleiche könnte man sicherlich auch zu Hause tun. Mir selber ist es eh schnurz was andere über mich denken:D. Freizeit ist Freizeit! Freie Zeit für einen selbst, in der man sich erholt und lebt.
Nur wenn irgendwann das Geld alle ist, der Urlaub rum, dann kommt der Alltag und der ist manchmal hart, überall auf der Welt.
Barfuß in knallbunter Kleidung unrasiert wird in Deutschland sicherlich niemand einen Verkäufer zum Beispiel einstellen. Obwohl, vielleicht würden die Kunden bei ihm kaufen:D, man weiß es nicht. Man kann es ausprobeieren, sich selbständig machen, man hat auch in Deutschland die Freiheit es zu tun.
Ich habe auch oft den Wunsch auszuwandern, nur ohne Arbeit- ohne Geld macht es keinen Spaß, bringt es nichts.
Wichtig ist daß man sich selber treu bleibt, sich nicht verbiegt, zu sehr anpaßt. Das Reisen ist sehr wichtig in meinem Leben.
Gruß Muckel
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

von Muckel:
Nur wenn irgendwann das Geld alle ist, der Urlaub rum, dann kommt der Alltag und der ist manchmal hart, überall auf der Welt.

Genau das ist es. Die Menschen SPIELEN Freisein in ihrer Freizeit. Sie glauben, man müsse sich seinen Weg leisten können. Sie toben sich in ihrer Freizeit aus, um wieder fit für ihren Alltag zu sein. Sie weichen ab und brechen aus, haben aber immer im Auge, ob sich das mit ihrem Beruf oder ihren Kindern, dem Ansehen oder dem Häuschen vereinbaren lässt. Damit sind sie gefangen und ihr Traum vom eigenen Leben wird immer mehr von Ersatzhandlungen übertüncht werden müssen. Sie nennen das erwachsen sein. Oder realistisch sein.

Ich habe auch oft den Wunsch auszuwandern, nur ohne Arbeit- ohne Geld macht es keinen Spaß, bringt es nichts.

Weil ihr Freiheit als Konsumgut versteht. Oder als ein Produkt aus Konsumfreiheit.

Bernd
 
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also im Ballermann tobe ich mich nicht aus:D oder benehme mich sonstwie "daneben" in meiner Freizeit.
Wenn man zum Beispiel auf Borkum am Strand liegt oder rumläuft, soetwas kann einen kein Alltag geben. Es gibt eine Sehnsucht an bestimmten Orten zu sein und man muß eben immer warten bis Urlaub ist
Gruß Muckel
 
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